Norddeutsche Orgelschule

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devasya

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Hallo ihr,

ich bin gerade dabei mich mit der "Norddeutschen Orgelmusik" auseinanderzusetzen, da es ein Thema ist, das mich schon seit längerem auf vielen Ebenen (Komposition, Klangideal, Orgelbau usw.) sehr reizt. Da gibt es so viel wunderbare Musik zu entdecken, dass man gar nicht weiß, wo anfangen.

Ich hab' mich im Internet ein wenig umgesehen und leider nicht so viel an Infomaterial finden können. Zwei Bücher haben es allerdings in die engere Auswahl geschafft. Da beide doch eine Kleinigkeit kosten, wollte ich mal bei euch in die Runde fragen, ob ihr die Bücher kennt (vll selbst besitzt?) und mir eines davon weiterempfehlen könnt?

1) Die Norddeutsche Orgelschule von Klaus Beckmann
2) Die Norddeutsche Orgelschule von Paolo Crivellaro

Beide hören sich toll an, aber ich sollte mich dann doch nur für eines entscheiden ;-)

Was mich auch interessiert: die chromatische Fantasie von Sweelinck hat es mir schon seit längerem sehr angetan, ich liebe dieses Werk. Natürlich sollte man irgendwann in der Lage sein, vieles der musiktheoretischen Bereiche selbst zu analysieren (Aufbau, Struktur usw). Aber da ich doch noch Laie auf dem Gebiet bin, wollte ich fragen, ob ihr Seiten im Internet oder Bücher kennt, die das Stück näher bearbeiten und einzelne Elemente davon herausarbeiten und detailierter erklären? Bin für jeden Link oder Buchtipp dankbar :-)

Falls ihr vielleicht auch noch Orgeleinspielungen (immer auf Sweelincks Chormatische Fantasie bezogen) kennt, die sich anzuhören lohnen, dann immer her damit. Ich hab' mir auf youtube einige davon angehört, aber immer fehlt mir etwas. Wenn das Tempo passt, passt die Orgel nicht, wenn die Orgel passen würde, ist mir das Tempo wieder zu schnell... ich suche noch nach DER Einspielung, die mich umhaut ;-)

Wünsche euch einen schönen Sonntag,
Deva
 
Hallo Deva,

dieses Thema interessiert mich als gebürtigen Lübecker :love: auch sehr.
Weiterhelfen kann ich Dir da aber nicht, da ich orgelmäßig nach eigener Selbsteinschätzung ziemlich am Anfang stehe.

Welche Orgel es mir aber angetan hat, zusammen mit dem entsprechenden Organisten, ist die in St. Sulpice, gespielt von Daniel Roth. Da gibt es auch eine entsprechende Version der Chromatischen Fantasie.

Ich war gerade im Frühjahr / Sommer dort, also in St. Sulpice. Finde ich wirklich gelungen, aber die Geschmäcker sind da sicherlich - mit Recht - verschieden.


Schöne Grüße von dem
ewig an Lübeck Denkenden :super:
 
@revelator

Die Einspielung mit Daniel Roth kenne und mag ich, aber zugegebenermaßen gefällt mir hier "das Wesen der Orgel" im Zusammenhang mit dem Stück nicht. Obwohl ich es generell nicht schlecht finde, wenn es "prachtvoller" registriert wird.

Ich mag diese Aufnahme sehr gerne:


View: https://www.youtube.com/watch?v=p4mdVdbGk4U


...und artikulativ bzw. vom technischen Aspekt (perfektes Tempo) her, finde ich diese Einspielung auch sehr schön! Nur kann ich bis heute nicht verstehen, wie sich besagte Organistin "schmerzlos" und "ohne mit der Wimper zu zucken" durchs Stück spielen kann... mitteltönige Stimmungen (?!) hin- oder her, aber mir tuts in den Ohren weh :puh:


View: https://www.youtube.com/watch?v=MKn3XGK4eHo


Liebe Grüße,
Deva
 
Nur kann ich bis heute nicht verstehen, wie sich besagte Organistin "schmerzlos" und "ohne mit der Wimper zu zucken" durchs Stück spielen kann... mitteltönige Stimmungen (?!) hin- oder her, aber mir tuts in den Ohren weh :puh:


View: https://www.youtube.com/watch?v=MKn3XGK4eHo

Heutzutage ungewohnt zu hören, aber die Erfindung der gleichschwebend-temperierten Stimmung ereignete sich ein Jahrhundert später. Vermutlich nahm ein Komponist in jener Zeit derartige Reibungen ganz bewusst in Kauf - hätte er sonst solche Tonfolgen geschrieben?

LG von Rheinkultur
 
Vermutlich nahm ein Komponist in jener Zeit derartige Reibungen ganz bewusst in Kauf - hätte er sonst solche Tonfolgen geschrieben?

LG von Rheinkultur

Ja, vermutlich. Ich hab' auch nichts gegen "derartige Reibungen und Stimmungen", ganz im Gegenteil :-)

Nur: meiner Ansicht nach passt nicht jede mitteltönig-gestimmte Orgel zu diesem Stück - und im obigen Beispiel (Irene de Ruvo) ist mir die Reibung bei bestimmten Intervallen einfach zu stark. Aber ja, kann gut sein, dass Sweelinck genau diesen "intensiven Spannungsmoment" haben wollte.
 
Ja, vermutlich. Ich hab' auch nichts gegen "derartige Reibungen und Stimmungen", ganz im Gegenteil :-)

Nur: meiner Ansicht nach passt nicht jede mitteltönig-gestimmte Orgel zu diesem Stück - und im obigen Beispiel (Irene de Ruvo) ist mir die Reibung bei bestimmten Intervallen einfach zu stark. Aber ja, kann gut sein, dass Sweelinck genau diesen "intensiven Spannungsmoment" haben wollte.

Soweit ich reingehört habe, hat diese Stimmung schon eine ausgeprägt mitteltönige Charakteristik.

Da klingen die meisten Dur-Dreiklänge himmlisch rein, und dann gibt es einige Dreiklänge, die sind halt keine Dreiklänge:
"H-Dur" gibt es nicht, denn der Ton, der auf der Taste "Dis" erklingt, ist in Wirklichkeit kein Dis, sondern ein Es. Das Intervall H-Es ist eben keine Terz, sondern eine verminderte Quart. Und das hört man. Auch bei der verlinkten Aufnahme knallt der "H-Dur"-Dreiklang ganz dramatisch rein.

Was man auch hört, sind die großen Schritte im Quintenzirkel: Der A-Dur-Dreiklang klingt in sich rein (viel reiner als bei der gleichstufigen Stimmung), der C-Dur-Dreiklang auch. Wenn nun ein A-Dur-Dreiklang und ein C-Dur-Dreiklang direkt hintereinander klingen (wie z. B. in Takt 10 oder Takt 27), dann hört man, daß zwei Welten aufeinanderprallen.
In "wohltemperierter" Stimmung klingt das vergleichsweise unspektakulär.

Werke wie der vorstehend abgedruckte Beginn einer “Fantasia chromatica” von J. P. Sweelinck verlieren in einer gleichstufigen Temperatur jeglichen Charakter und ihre Aussage und wirken beinahe langweilig. Chroma bedeutet schließlich ja Farbe - und die ergibt sich nur in einer deutlich ungleichen Temperatur. Wo bleibt, um einen außermusikalischen Vergleich zu ziehen, der Sinn und die Aussage eines mit Farben “spielenden” Films, wenn wir am Fernsehgerät die Farbe wegdrehen und schwarz-weiß übrig lassen?
Für moderne Ohren klingt die Mitteltönigkeit möglicherweise “falsch”. Wir dürfen ihre anders gearteten Verhältnisse aber keineswegs als falsch bezeichnen, nur weil wir seit mehr als 150 Jahren die gleichstufige Temperatur gewohnt sind, die für die Musik seit der ausgehenden Klassik auch notwendig wurde. Es ist wie mit einer Sprache, die wir nicht mehr kennen, und die wir wieder neu erlernen müssen,wenn wir die alte Musik richtig verstehen und erleben möchten.
http://www.harmonik.de/harmonik/vtr_pdf/Beitraege9309Probst.pdf
http://www.harmonik.de/harmonik/vtr_pdf/Beitraege9309Probst.pdf
 
@Pedall

Vielen Dank für die Erklärung! Hab' mir jetzt die Noten der Chromatischen Fantasie besorgt und werd' mich "durch's Hören lesen" ;-)

Ich finde mitteltönige Stimmungen auch nicht schlecht "oder falsch", aber am Beispiel von Frau Ruvo finde ich das Klangerlebnis insgesamt betrachtet dann doch zu intensiv.

Die erste Einspielung (Schwalbennestorgel, St. Marien) finde ich sehr sehr schön. Die Orgel passt meiner Meinung nach wunderbar! Reibung ist ebenfalls vorhanden, aber nicht ganz so extrem, und wenn, dann an der "für mich richtigen Stelle".

Darf ich dich fragen, weshalb sich das Stück auf der Orgel, die Frau Ruvo bespielt, "so viel mehr zu reiben scheint", als bei ersterem Beispiel? Beide Orgeln sind mitteltönig gestimmt, unterscheiden sich aber in der Tonhöhe. Erstere ist denke ich wesentlich höher eingestellt. Hat es damit zu tun? Oder mit der Art der Registrierung?

Ein jedenfalls sehr spannendes Thema... :-)
 
Ich denke, es ist in erster Linie die Registrierung.
Die Unterschiede sind im ersten Teil am deutlichsten.

Der wird bei Sander sehr ruhig registriert, die dort gehäuft auftretenden H-Dur-Klänge klingen dadurch natürlich milder - bei de Ruvo klingt das schon von der Registrierung her einfach aggressiver.

Im weiteren Verlauf rüstet Sander dann aber auf, die Terz h'-dis'' ist in Takt 152 (ungefähr 5:50, bei de Ruvo 7:20) dann schon auch sehr schneidend.
 

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