Mögt ihr Oper?

Mögt ihr Oper


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(an Deck; Chiarina; Wikinger; Einhorn)
Chiarina: (trägt ein gülden glitzerndes Kettenhemd und beleuchtet einen versifften Biertisch) (für sich) dieser Saubande werde ich heimleuchten!... (zu den Wikingern) Predigum Verständnisaufräumökoblabla
Wikinger: (sagen nichts, sondern zischen jeder noch schnell ein Trinhorn)

...wie Du siehst bin ich für Naturalismus


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Lieber Rolf,

so geht das nicht! :D

Ich zeig's dir mal:


(an Deck; Chiarina; Wikinger; Einhorn)

Chiarina: (trägt ein gülden glitzerndes Kettenhemd und beleuchtet einen versifften Biertisch) (für sich) dieser Saubande werde ich heimleuchten!... (zu den Wikingern) Predigum Verständnisaufräumökoblabla
Wikinger: (sagen nichts, sondern zischen jeder noch schnell ein Trinhorn)
Chiarina zückt behände ihre Streitaxt (was nicht so einfach ist, denn die verfängt sich leicht in den vielen Ohrkettchen etc.), droht, wenn ihr nicht sofort.....dann........ Wikinger grinsen sich eins... Hunde, die bellen, beißen nicht...... zischen das zweite Trinkhorn
Chiarina haut Biertisch mit einem einzigen Hieb in viele kleine Tische - Trinkhörner lernen fliegen - donnert: Schluss mit lustig! Einzeltische, Einzelhaft, bis alles aufgeräumt ist!
Wikinger
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(an Deck; Chiarina; Wikinger; Einhorn)

Chiarina: (trägt ein gülden glitzerndes Kettenhemd und beleuchtet einen versifften Biertisch) (für sich) dieser Saubande werde ich heimleuchten!... (zu den Wikingern) Predigum Verständnisaufräumökoblabla
Wikinger: (sagen nichts, sondern zischen jeder noch schnell ein Trinhorn)
Chiarina zückt behände ihre Streitaxt (was nicht so einfach ist, denn die verfängt sich leicht in den vielen Ohrkettchen etc.), droht, wenn ihr nicht sofort.....dann........ Wikinger grinsen sich eins... Hunde, die bellen, beißen nicht...... zischen das zweite Trinkhorn
Chiarina haut Biertisch mit einem einzigen Hieb in viele kleine Tische - Trinkhörner lernen fliegen - donnert: Schluss mit lustig! Einzeltische, Einzelhaft, bis alles aufgeräumt ist!
Wikinger
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Genial!!!!!!
 
Danke nochmals für die Denkanstöße und die "Lizenz zum Schreiben", die mich dazu verleitet, mein gegebenes Versprechen zu brechen. Aber, um Friedrich zu paraphrasieren, es ist halt nicht mit ein paar Smilies getan ;-) Hier ein paar Repliken und Überlegungen, ich habe versucht das thematisch zu gliedern.

Zu meiner Sichtweise

Zum einen scheint es mir prinzipiell problematisch, Metaphorik zum Ausgangspunkt von Definitionsprozessen zu machen (sofern nicht unvermeidlich), zum andern scheint mir die Metapher selbst nicht unproblematisch, da Musik nun eben der entscheidenden Komponente der Sprache, des Lexikons, entbehrt.

Ich hätte natürlich auch von einem Postulat ausgehen können, die Musik sei ein semiotisches System, das Zeichen verwendet, die für etwas Anderes stehen, wie sprachliche Zeichen das tun. Dafür spricht meiner Beobachtung nach sehr viel, wenn man sich den Diskurs über Musik ansieht, auch hier im Forum und in diesem Faden. Die Musik verfügt vielleicht nicht über Wörter, wohl aber über ein recht umfangreiches Zeicheninventar. Ein Lexikon ist letztlich nichts Anderes als ein Inventar sprachlicher Zeichen, über das eine Sprache verfügt.

Die Wege, wie man zu Definitionen kommen kann sind vielfältiger Natur. Sie sind auch nie richtig oder falsch sondern mehr oder weniger brauchbar.

welche Beitrag diese Metaphorik zu unserem Thema, dem Verhältnis von Regietheater und Werk leisten kann, denn über sinnentstellende Eingriffe in die Musik wurde ja keine Klage geführt.

Das ist in der Tat untergegangen. Was hier fehlt sind zwei Dinge. Erstens eine andere Inszenierung von Konwitschny, um die es mir eigentlich ging. Er hat die Aida bei uns als Kammeroper inszeniert. Der Chor war die meiste Zeit hinter einem Schirm verborgen, nur beim Triumphmarsch ging dieser Schirm auf und lies einen Blick auf den Chor zu. Da steht im Libretto sicher etwas Anderes. Das war glaube ich zur Zeit des Kriegs gegen den Irak.

Der zweite Gedanke, der fehlt ist, dass man auch Oper als Text sehen kann. Dazu gibt's auch Literatur. Wie überhaupt modernere Textbegriffe sich nicht auf das geschriebene Wort konzentrieren sondern multimedial/multimodal angelegt sind.
Danke Friedrich für die Textkritik. Ich habe wohl den überleitenden Text bei meinen Versuchen, den Text zu kürzen gelöscht und dann nicht mehr gesehen, dass der Text diesbezüglich inkohärent ist. Ist natürlich blöd, wenn man dem eigenen Wort schon nicht trauen kann, wie soll man das von anderen erwarten ;-)

Wieso provoziert uns Regietheater (oder auch nicht)


Für den Regietheater-Regisseur ist es bereits der Inbegriff an Fremdbestimmung, sich mit einem vorgegebenen Text beschäftigen zu müssen – dem, den er inszenieren soll. Durch Verfremdung des Theaterstücks rettet er seine gefährdete Individualität.

Das ist ein zentraler Gedanke, dem ich im Kern zustimmen kann, ich glaube allerdings, dass die dahinterliegende Intention nicht in der Rettung ihrer Individualität liegt, aber das wäre eine gut nachvollziehbare Intention. Ich sehe das so, dass die Regisseure etwas tun, was in vielen anderen Bereichen, die mit Textinterpretation zu tun haben auch geschieht. Es wird alles hinterfragt, auch das auch das scheinbar Offensichtliche, Banale, hausverstandsmäßig-eh-klar-auf-der-Hand-Liegende. Man tut dies auf der Suche nach neuen Perspektiven, weil man z.B. verdeckte Ideologien und Machtstrukturen, die irgendwelchen Äußerungen zugrunde liegen aufdecken möchte.

Da Zeichen nicht von Natur aus Zeichen sind, sondern nur dadurch zu solchen werden, wenn man ihnen Bedeutung gibt. Daher wird auch dieser Zuordnungsprozess hinterfragt. Man misstraut dem Wort. Ich sehe das als eine Form des Widerstands gegen einen universellen Logozentrismus, den wir interessanterweise in dem Bereich, dem wir ihn meiner Meinung nach "verdanken", jedenfalls großteils nicht mehr ernst nehmen:

Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort

Der eine Teil der eigentlichen Provokation, die die beanstandeten Inszenierungen auslösen, scheint mir darin zu bestehen, dass hier an ganz tief liegenden Grundwerten gerüttelt wird und auf einer unterbewussten Ebene Ängste ausgelöst werden. Wenn das "Wort" nicht mehr die Wahrheit ist, nicht mehr unumstößlich und "heilig" entsteht die (bange) Frage "Wohin soll ich mich wenden?". Das Ziel solchen Vorgehens liegt aber nicht in einer Orientierungslosigkeit, sondern in einer bewussten Neuorientierung. Die mag in andere Richtungen weisen oder auch nicht. Selbst wenn sie zum alten Muster zurückführt, wäre sie eben frei gewählt und nicht fremdbestimmt (Gott=Autor-gegeben).

Wenn man nun diese Wortgläubigkeit "überwunden" hat, besteht auch kein Grund mehr dem Autor zu "dienen".

Deine Kritik an meiner Verwendung des Wortes "Diener" das recht gut zu illustrieren; gäbe es nur Deine Lesart,

Nun, Gott sei Dank ist das nicht so! :-) Das war ein Versuch, das Konzept des Dieners zu hinterfragen. Da ich der Meinung bin, dass die Werke und die Komponisten nur dank der Interpreten für uns irgendeine Relevanz haben und ich auch das Erarbeiten einer Interpretation als kreativen Akt sehe, erscheint mir das Bild eines Dieners nicht adäquat. Und ich kann absolut nachvollziehen, dass die kritisierten Regisseure dieses Bild ablehnen. Das Problematische an solchen Konzepten ist, dass sich scheinbar, aber eben nur scheinbar, alle, die es verwenden darin einig sind, was sie damit meinen. Jedes Wort hat viele Ebenen und ich habe mich natürlich auf die Konzentriert, die in meine Weltsicht passen. Das war keine bewusste rhetorische Entscheidung. Ich komme, eben weil ich in diesem Kontext Konzepten wie Treue und Diener misstraue, auf solche Assoziationen. Vor allem, wenn es darum geht, einem "Text" oder einem "Autor" "treu" zu sein.

Wenn man sagt, man möchte sich selbst gegenüber treu sein und dein eigenen Werten, dem Bild dienen, das ich von dem Autor habe oder von seinem Text oder den Werten, die ich da hineinprojeziere, damit könnte ich schon etwas anfangen. Treu sein könnte ich auch einem kanonisierten Bild von Wagner und kanonisierten Werten, die die Interpretation von Wagners Werken steuern. Wagner selbst oder dem von ihm verfassten Text als archiviertes Artefakt selbst kann ich nicht treu sein.
Auf dieser Ebene liegt für mich die zweite Provokation des Regietheaters: man bricht mit bestehenden Traditionen und stellt die diesen zugrundeliegenden Wertsysteme in Frage.

Was tun gegen die Provokation?

Am meisten würde ich mir von einem Weg erwarten, der in Gomez Beitrag angerissen wird:
daß es auch eine Kritik 'von links' gibt, die dem Regietheater vorwirft, seine eigenen Klischees entwickelt zu haben (denen man inzwischen sogar in der Provinz begegnen kann) und selbst historisch geworden zu sein – d.h. in den Grenzen einer bestimmten Ästhetik gefangen zu sein. Weiterhin der Logik des Überbietungszwangs zu folgen, befreit aus diesen Grenzen nicht.

Wobei das ein mühsamer Weg ist, für den man bereit sein muss, sich in die Argumentationswelt des "Gegners" einzulassen, die man von Grund auf aus ganzem Herzen ablehnt. Positionen wie "Das steht aber nicht drin", sind eher Wasser auf ihren Mühlen.

Ein weiterer Weg wäre, sich nicht provozieren zu lassen, das Regieteam nicht mit Buhrufen oder eigens mitgebrachten Eiern, die ihr Ziel mangels Erfahrung in Fremdkörperbeschleunigung eh wen anderen treffen, zu bedenken, sondern durch Stille. Das wäre doch mal richtig unheimlich. Wird aber nicht funktionieren.

Also würde ein Regisseur seine Arbeit nur dann kritisch hinterfragen, wenn das Publikum gar nicht mehr reagiert bzw. eben nicht mehr in die Oper, das Theater geht? Dann wäre es ja das Fernbleiben eine sehr vernünftige Reaktion, lieber gubu, die vielleicht/hoffentlich sogar dazu führen würde, dass sich alle Gedanken machen müssen.

Es würde mich interessieren, ob es irgendwo gelingen würde, einen solchen Boykott durchzuziehen. Sagen wir mal, dass ein wirklich relevanter Teil der Abobezieher, möglichst nach vorheriger Ankündigung, ein oder zwei Saisonen lang keine Abos mehr bezieht und nur Einzelkarten für Vorstellungen erwirbt, die man auch sehen will. Vielleicht haben aber einfach zu viele Kontrahenten Spaß an der Streiterei und dem brancheninternen medialen Hype, der rundherum entsteht. Das wäre freilich fatal.

Last but not least: Ein wenig Geduld haben, das Regietheater in der kritisierten Form wird sich totlaufen und zwar aus dem im Zitat von Gomez angesprochenen Grund, das ist jedenfalls meine Überzeugung.

Zur Rolle der Inszenierung und was man alles nicht darf

ein Teil ersetzt das Ganze nicht. Kurzum ist auch weder die Farbe, noch die Leiwand - obwohl notwendiger Bestandteil eines Gemäldes - das Gemälde selber oder eine eigene Kunst
wenn die Zeichen dieselben bleiben, so bleibt es auch derselbe Text

Schönes Bild. Darf ich das etwas anders inszenieren? ;-)
Das Bild ist das Werk, die Inszenierung ist das, was drum herum ist. Wie kann man Bilder in Szene setzen? Am einfachsten durch einen Rahmen. Kann jeder daheim ausprobieren, irgendein Foto hernehmen, Schwarzen Rahmen drum herum, weißen, bunten, holz Alu, mit/ohne Passepartout, schmales/fettes Passepartout, zentriert oder nicht, wo hängt/stellt man es hin, welches Licht fällt drauf, gibt's noch andere Bilder im Raum… Das Bild bleibt physikalisch betrachtet immer dasselbe. Die Wahrnehmung davon aber nicht, Die Bedeutung, der Wert, den dieses Bild im Raum in​
 
ästhetischer Hinsicht haben wird, für Dich und noch viel mehr für Gäste, die nicht wissen, wer der Wikinger auf dem Drachenboot ist, wird sich verändern. Du könntest das Passepartout so gestalten, dass es einzelne Bereiche des Bildes überdeckt, ich sehe dann zwar nicht alles, aber manches tritt stärker in den Vordergrund, was ich sonst nicht gesehen hätte. Ein kundiger Freund würde entsetzt ausrufen "Du kannst doch nicht die cervesia Fässer abdecken", worauf du antworten könntest "wichtiger erscheint mir der Klavimpakasten, und die cervesia symbolisier ich durch ein paar Wattekügelchen, die pick ich da drauf, wie Bierschaum, so!" Dein Besuch: "Na der sabbert oba ganz schön. Und wos mochst jetzt?" - "Da hab' ich aus National Geographics schöne Fotos ausgeschnitten, die steck ich jetzt da an die Ecke" - "Na geh, I hob no nie an Ratzn am Boot g'seh'n" - "Na und? die verlassen das sinkende Schiff" - "Na, so mog i mia des net onschaun, do werd i vui zwida" -"Lass dich nicht ärgern, wenn die Lichtgestalt heimkommt, muss ich's eh runter tun"… Die Inszenierung lässt das Bild anders erscheinen, aber nichts von dem kann dem Bild an sich etwas anhaben ;-) Obwohl: Natürlich würde eine dauerhafte Fixierung dieser Inszenierung sich irgendwann dazu führen, dass das cervesia Fass nicht mehr als wesentlicher Bestandteil des Drachenboots angesehen würde. Da nicht sein kann, was nicht sein darf, gibt es natürlich noch andere Hütten, wo eine Kopie des Bildes vom Drachenboot hängt. Bei einem hat der Klavimpakasten ein Gesicht, weil sich der Spielzeugdino auf dem Regal gegenüber im Glas spiegelt, beim dritten sind die Trinkhörner nicht zu sehen, weil irgendein Blödi beim Rahmen eine Falte ins Bild geknickt hat. Den Wikingern am Boot ist das egal, die wissen ja, wo alles steht, den Freunden auch, die holen das Bier aus dem Kühlschrank.​
Hab' ich das jetzt schön inszeniert? :D
wenn irgendwer den Text nicht begreift, so muss das nicht am Text liegen

der ebenso wie sein ursprünglicher Namensgeber, der Dolmetscher (interpres), dem Rezipienten nach bestem Wissen und Gewissen die Inhalte der Kommunkationsquelle zu übermitteln hat; erlaubt er sich den Luxus, die Intention der Quelle zu ignorieren, verfehlt er seine Aufgabe.

Gerade zum Übersetzen und Dolmetschen gibt es eine nie enden wollende Diskussion darüber, worin deren Aufgabe bestünde, mit zum Teil sehr kontroversen Standpunkten. Diese sind übrigens auch nicht universell gleich, sondern kulturspezifisch und im Laufe der Geschichte Veränderungen unterworfen. Solche Forderungen, die von außen und auch von den Betroffenen selbst aufgestellt werden, haben natürlich schon ihren Sinn, sie sind aber häufig nicht erfüllbar. Jede Übersetzerin/jeder Übersetzer kann ein Lied davon singen, wie problematisch Aussagen wie "Übersetzen's einfach was da steht" sein können. Die ewigen Diskussionen um Freiheit und Treue haben letztlich nichts gebracht.

Eine Oper hat als Text mehrere Ebenen. Eine mehr oder weniger dramatische, tragische, lustige, phantastische, realistische etc. Handlung. Die Anweisungen der Autoren im Libretto beziehen sich, soweit ich das beurteilen kann, auf diese Ebene. Auf einer zweiten Ebene geht es um Themen, wie sie die Menschen seit jeher bewegen: Liebe, Tod, Verlust, Freundschaft, Verrat, Lebensmut, Aufopferung etc mit denen auf einer dritten Ebene Werte angesprochen werden, die uns wichtig waren/sind. Dazu gibt es keine eigenen Anweisungen, manches wird durch den Text der Sänger artikuliert, manches lässt sich aus der Musik heraushören, manches ergibt sich erst aus der Reflexion des Rezipienten.

Der Regisseur greift in diese Rezeption ein, gibt ihr eine bestimmte Richtung vor. Das tut er auch, wenn er den Regieanweisungen im Libretto folgt. Selbst wenn er auf der Librettoebene alles lässt, wie es "ist", kann und wird er mit den anderen Ebenen spielen. Ob er damit Wagners Intention trifft, lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen. Auch ein "das wollte er ganz sicher nicht", lässt sich nicht bedenkenlos begründen, weil einfach niemand wissen kann, was er aus heutiger Sicht als sinnvoll, akzeptabel, verwerflich einschätzen würde. Die Intentionen Wagners bzw. das, was man aufgrund von Zeitdokumenten dafür hält, authentisch erlebbar zu machen, erscheint mir schon deshalb nicht machbar, weil in einer ganz anderen Welt leben als der Autor. Es wird auch die spirituelle Tiefe in der Sakralmusik eines Mendelssohn oder eines Tschesnokow nicht mehr realisierbar, weil uns dieses Weltbild fremd geworden ist. Strikt den Intentionen des Autors zu folgen wird spätestens dann zu einem moralischen Problem, wenn sie mit heutigen Wertvorstellungen kollidieren (z.B. deutschnationales Gedankengut).

Jede Inszenierung ist eine Brechung des Librettos, oder wahrscheinlich das Ergebnis mehrerer Brechungen. Auch eine "librettokonforme" Inszenierung ist kein Wagner sondern ein Wagner in der Brechung des jeweiligen Teams. Ob die offensichtlichen Brechungen, wie sie beim Rattengrin kritisiert werden diejenigen sind, die den größten Schaden anrichten, am Werk oder an der Institution Oper, ist eine Frage, die man sich (losgelöst von der Quotendebatte, die natürlich auch ihre Berechtigung hat) vielleicht auch einmal stellen sollte. Dafür gibt es in der Geschichte wohl auch Beispiele von unauffälliger politischer Instrumentalisierung.

Warum kommt eigentlich in den Galerien niemand auf den Gedanken, die alten Meister ab und zu mit etwas Farbe zeitgeschmacklich aufzupeppen? Oder bei Thomas Manns Romanen mal die Sätze etwas zu kürzen und die Handlungen zu straffen?

Tatsache ist: Übermalungen gab es bereits. z.B. Arnulf Reiner, wurde dafür auch eingesperrt, später mit Preisen überhäuft. Ich weiß zwar nicht, wie's konkret um Mann steht, aber Projekte wie Readers Digest taten (tun?) genau das ganz explizit.

Warum sind solche Sachen, wie sie im Rattengrin passieren, Verstöße gegen das Urheberrecht, wenn Wagners Werke noch geschützt wären??

Meine Kenntnisse aus dem Fach Recht sind leider nicht mehr so präsent. Das überrascht mich aber doch sehr. Gibt's dazu höchstgerichtliche Judikatur? Auch Inszenierungen können meines Wissens nach rechtlich geschützt werden. Als Werk. Jeder Fachbereich definiert seine Begriffe halt anders, auch wenn's einen anderen mitbetrifft.

Warum lässt sich z.B. die Weill Foundation akribisch vorher zur Genehmigung einreichen, was inszenatorisch auf die Bühne kommen darf und was nicht?
Das ist ganz einfach zu beantworten: wenn sie das verlangen und sich alle daran halten, dann haben sie ganz sicher die Rechte an diesen Werken und damit die Macht ihre Positionen durchzusetzen. Dabei ist weder entscheidend, was im Libretto steht, noch ob die handelnden Personen sich mit Musik oder Oper auskennen. Auch das kann man von mindestens zwei Seiten betrachten: als sinnvolle Einrichtung, die über die Werke Weils wacht, oder als unzeitgemäße Zensurbehörde, die uns vorschreibt, wie wir etwas zu verstehen haben. Beide Standpunkte haben sicher ihre Anhänger.

Zum Abschluss

Zwei kurze persönliche Erfahrungen:

In einem Interview mit Elfriede Jelinek stand zur Frage, wie sie dazu stehe, was im Theater mit ihren Stücken passiert sinngemäß folgendes: "Da haben Sie's, machen's damit was Sie wollen"

Bei einem Konzertprojekt, das der Förderung zeitgenössischer Chormusik gewidmet war, sang jeder Chor zwei zeitgenössische Werke, eines davon als Uraufführung. Eine häufig gestellte Frage an die Komponistinnen und Komponisten war, ob sich das Ergebnis mit ihren Vorstellungen gedeckt habe. Die Antworten fielen sehr unterschiedlich aus. Von einigen (ausweichenden) "teilweise" über ein paar euphorische "ja, wunderbar", einem "naja, der Chor war doch etwas überfordert" sind mir zwei Antworten in Erinnerung geblieben: ein tiefgründiges "Gott sei Dank nicht" und ein "diese Frage stelle ich mir nie, mich interessiert nur, was man daraus macht."

Das beweist natürlich nichts und widerlegt nichts, diese Aussagen sind absolut nicht generalisierbar, sie bestätigen mich aber darin, Behauptungen über bzw. Ansprüche auf eine in Texten oder Notentexten enthaltene Wahrheit zu misstrauen.

Ist es deshalb sinnlos, nach einer solchen Wahrheit zu suchen? Ganz sicher nicht. Der Weg ist das Ziel. Ich erwarte mir von Interpreten auch, dass sie mit den kanonisierten Wegen vertraut sind. Ich erwarte mir aber nicht, dass sie nur diese benutzen.

Auch dass Texte erst beim Leser in einem konkreten Kontext entstehen, ist keine Wahrheit, sondern ein Erklärungsmodell. Mich irritiert jedenfalls nicht, wenn ein Regisseur auf eigenartig anmutende Ideen kommt. Er rezipiert den Text Oper von vornherein mit einem anderen Erkenntnisinteresse. Er stellt textuell andere Beziehungen her, sowohl im Text der jeweiligen Oper als auch zu anderen Texten. Er liest anderes "zwischen den Zeilen" heraus. Er nimmt die Geschichte auf den verschiedenen Ebenen ganz anders war, als ich das tue. Und das erwarte ich mir von Künstlern auch. Wenn er dadurch droht an "meinem" Mozart etc zu rühren, mein Mozart-Bild zu zerkratzen, muss ich das ja nicht zulassen. So wenig wie er von meinem Urteil abhängt, hänge ich von seinem ab. Ich sehe auch keinen Grund, darin eine Missachtung der alten Meister zu sehen.

Liebe Grüße
Gernot

P.S.: Der "Latein-Fehler" beim Wolferl hat sich als Fehler in den Stichnoten entpuppt.
 
Lieber Gernot,

vielen Dank für deinen hochinteressanten Beitrag!!! Ich muss erst mal drüber nachdenken und ihn dann nochmals lesen! :D

Liebe Grüße

chiarina
 
Der Regisseur greift in diese Rezeption ein, gibt ihr eine bestimmte Richtung vor. Das tut er auch, wenn er den Regieanweisungen im Libretto folgt. Selbst wenn er auf der Librettoebene alles lässt, wie es "ist", kann und wird er mit den anderen Ebenen spielen. Ob er damit Wagners Intention trifft, lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen. Auch ein "das wollte er ganz sicher nicht", lässt sich nicht bedenkenlos begründen, weil einfach niemand wissen kann, was er aus heutiger Sicht als sinnvoll, akzeptabel, verwerflich einschätzen würde. Die Intentionen Wagners bzw. das, was man aufgrund von Zeitdokumenten dafür hält, authentisch erlebbar zu machen, erscheint mir schon deshalb nicht machbar, weil in einer ganz anderen Welt leben als der Autor. Es wird auch die spirituelle Tiefe in der Sakralmusik eines Mendelssohn oder eines Tschesnokow nicht mehr realisierbar, weil uns dieses Weltbild fremd geworden ist. Strikt den Intentionen des Autors zu folgen wird spätestens dann zu einem moralischen Problem, wenn sie mit heutigen Wertvorstellungen kollidieren (z.B. deutschnationales Gedankengut).

lieber Gernot,

wenn man so ganz und gar nicht wüsste, was Texte ausdrücken, was ihre Intentionen sind, dann bräuchte man sie nicht lesen... ja streng genommen gäbe es dann gar keine sprachliche Kommunikation... ;)

an einem drastischen Beispiel erklärt:
z.B. ein Herr X überreicht einem Fräulein Y einen zartfühlenden Liebesbrief; Fräulein Y liest diesen, haut Herrn X die Handtasche über den Kopf, ruft die Polizei herbei: dieser zeigt sie dann den Brief und erklärt, der böse X habe Gott geschmäht und sie (also die Y) brutal zu versklaven angedroht, sodass sie in Notwehr gehandelt habe. ...die Polizei liest den Brief zweimal und schüttelt den Kopf, das Fräulein Y aber beharrt darauf, dass man die Intention des X nicht eindeutig feststellen könne, dass aber sie den Text nun einmal so verstanden habe, weil ja ein Text erst durch den Rezipient inszeniert wird usw... :D:D

Opern, Romane, Dramen haben gewiß ein etwas breiteres Aussagespektrum als der plane Aussagesatz "Karlchen fährt Roller" - das bedeutet aber noch nicht, dass sie alles sagen, was wir gerade gerne hätten, und es bedeutet nicht, dass wir deren Intentionen nicht verstehen können.

Wo Nussschokolade von Toblerone draufsteht, da erwartet der Käufer nicht, Schweinskopfsülze von DuDarfst zu erhalten :D

herzliche Grüße,
Rolf
 
lieber Gernot,
wenn man so ganz und gar nicht wüsste, was Texte ausdrücken, was ihre Intentionen sind, dann bräuchte man sie nicht lesen... ja streng genommen gäbe es dann gar keine sprachliche Kommunikation...

an einem drastischen Beispiel erklärt:
z.B. ein Herr X überreicht einem Fräulein Y einen zartfühlenden Liebesbrief; Fräulein Y liest diesen, haut Herrn X die Handtasche über den Kopf, ruft die Polizei herbei: dieser zeigt sie dann den Brief und erklärt, der böse X habe Gott geschmäht und sie (also die Y) brutal zu versklaven angedroht, sodass sie in Notwehr gehandelt habe. ...die Polizei liest den Brief zweimal und schüttelt den Kopf, das Fräulein Y aber beharrt darauf, dass man die Intention des X nicht eindeutig feststellen könne, dass aber sie den Text nun einmal so verstanden habe, weil ja ein Text erst durch den Rezipient inszeniert wird usw...

Lieber rolf,

ich stimmr zwar deiner ersten Aussage zu, aber das Beispiel... na ja.... *hüstel* :D .

Angenommen, Herr X ist ein Stalker und hat Fräulein Y schon sehr oft belästigt (Anzeige) - dann wird die Polizei vollstes Verständnis für Fräulein Y haben, weitere Konsequenzen nicht ausgeschlossen.

Oder Herr X ist der Verflossene von Fräulein Y und geht ihr mit seinem Liebesgedöhns schwer auf die Nerven....

Oder die feministische Frau Y kann Männer nicht ausstehen und Herr X ist ein roher Wikinger, der Fräulein Y nur verarschen will.

Oder.....

Oder...........

.......................... :D:D:

Trotzdem meine ich, dass die Grundlage für eine Auseinandersetzung auf jeden Fall das Original sein sollte. Würde man am Liebesbrief dauernd was verändern, könnte man die Intentionen ja überhaupt nicht mehr herauslesen. Die Basis muss stimmen.

Aber ich muss erst mal nachdenken. :D

Liebe Grüße

chiarina
 
Liebe chiarina, Dein Beispiel hinkt bedenklich...

Denn für Stalkerei müsste es Anhaltspunkte geben. Allein der Gedanke, dass es sich darum handeln könnte, rechtfertigt nicht so zu tun, als sei es tatsächlich so...

Anderenfalls müsstest Du Dich nicht wundern, wenn die Polizei Dich einfach mal festnimmt. Du könntest ja eine schlimme Trickbetrügerin sein...:D

Herzlichst gubu,

der nun mit diesem Regiezeuchs fertig hat.....:)
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Angenommen, Herr X ist ein Stalker und hat Fräulein Y schon sehr oft belästigt (Anzeige) - dann wird die Polizei vollstes Verständnis für Fräulein Y haben, weitere Konsequenzen nicht ausgeschlossen.
...aber Chiarinchen... da war davon die Rede, dass X der Y einen zartfühlenden Liebesbrief überreicht..... keine Räuberpistole mit Stalkern als Rahmenhandlung :D:D

Trotzdem meine ich, dass die Grundlage für eine Auseinandersetzung auf jeden Fall das Original sein sollte. Würde man am Liebesbrief dauernd was verändern, könnte man die Intentionen ja überhaupt nicht mehr herauslesen.
ist das jetzt sehr erstaunlich?...
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und mit den Opern isses auch nicht viel anders
 

Da ich mich mit Opernaufführungen bisher sehr wenig beschäftigt habe, möge man mir verzeihen wenn ich mit Folgendem falsch liege. Opern würde ich als Kunstwerke einordnen.

Für das entstehen von Kunstwerken sehe ich zwei mögliche Intentionen. Entweder werden sie geschaffen um Kunst zu schaffen oder der Schaffende ist mit erhöhter Sensibilität ausgestattet, mit der er Dinge oder Vorgänge in seinem Leben, in seiner Welt, zu seiner Zeit, tiefgründiger zu erfassen imstande ist, als der Durchschnitt der Menschen. Die daraus resultierenden Erkenntnisse teilt er mithilfe seiner Kunstwerke mit. Bestenfalls wird damit für andere ein Zugang zu seinen Erkenntnissen geschaffen, darüber nachgedacht und dem Ergebnis entsprechend gehandelt und eine positive Auswirkung erzielt.

Wenn sich mit der Zeit die Moral, die Kultur und auch die allgemeinen Probleme ändern, wird es schwierig sein, ein Kunstwerk sinnvoll anzupassen. Man müsste die Erkenntnisse des Schaffenden verstehen, die zugrundeliegende Intention verstehen, die Aufnahmefähigkeit des Publikums damals und heute verstehen und dann das eigentliche Thema und die Sprache in die heutige Zeit transponieren. Dadurch würde ein neues Kunstwerk entstehen. Wenn jemand dazu imstande ist, könnte er doch gleich ein neues Kunstwerk erschaffen und das alte bei dem belassen was es war und ist. Eventuell wäre es gut dem heutigen Publikum die damalige Sichtweise plausibel zu machen.

Sollte jedoch ein Kunstwerk geschaffen worden sein um ein Kunstwerk zu schaffen, so kann daran herumgemurxt werden ohne einen erheblichen Schaden anzurichten. Lediglich zur Unterhaltung sollte es weiterhin dienen.

Grüße
Thomas

@rolf: Dein Beispiel erinnert mich an die mißbrauchten Liebesbriefe. :D (von Gottfried Keller)
 
Liebe chiarina, Dein Beispiel hinkt nicht nur, es hat gar keine Beine....

Lieber gubu,

das ist wirklich der lustigste Satz, der mir je untergekommen ist!!! :D Ich lach mich kringelig....!

Denn für Stalkerei müsste es Anhaltspunkte geben. Allein der Gedanke, dass es sich darum handeln könnte, rechtfertigt nicht so zu tun, als sei es tatsächlich so...

Anderenfalls müsstest Du Dich nicht wundern, wenn die Polizei Dich einfach mal festnimmt. Du könntest ja eine schlimme Trickbetrügerin sein...

Du hast recht: du meinst, dass der Liebesbrief samt Situation (Libretto) an sich nichts hergibt, was auf einen Stalker hindeutet. Ich befürchte, Rolf sagte etwas Ähnliches.... . :D

Was ich nur damit sagen wollte, ist, dass diese Situation Unterschiedliches bedeuten kann. Auch ich könnte eine Trickbetrügerin sein, wer weiß................ . :D





Wenn sich mit der Zeit die Moral, die Kultur und auch die allgemeinen Probleme ändern, wird es schwierig sein, ein Kunstwerk sinnvoll anzupassen.

Lieber Thomas,

das glaube ich absolut nicht. Musik ist generell universell - deshalb berührt uns auch Musik, die Hunderte von Jahren alt ist. Das Gleiche gilt für Literatur und Malerei. Das liegt m.E. daran, dass Menschen sich m.E. in ihren Grundzügen und Strukturen nicht wesentlich anders verhalten als vor Jahrhunderten.

Trotzdem gibt es natürlich Unterschiede in der Lebens- und Denkweise. Und ich finde es sehr spannend, diese Differenz künstlerisch zu betrachten. Da kann man doch viel auch über das Menschsein lernen.

So sehe ich das jedenfalls.

Ich ziehe mich jetzt zurück. Bevor ich mich um Kopf und Kragen rede, muss ich erst mal nachdenken! :D

Liebe Grüße

chiarina
 
Thomas1966: Wenn sich mit der Zeit die Moral, die Kultur und auch die allgemeinen Probleme ändern, wird es schwierig sein, ein Kunstwerk sinnvoll anzupassen.

Muß man denn das Kunstwerk, das vor 100 Jahren geschaffen wurde, immer und immer wieder den heutigen Verhältnissen anpassen? Hat der Oper-Komponist damals (Rossine, Verdi, Wagner ...) immer vorausgeschaut beim Komponieren seiner Opern, wie sie in 100 Jahren interpretiert werden könnten? Jeder Schriftsteller, Maler, Komponist ... schafft sein Werk aus seiner Zeit heraus.

Wenn Mozart "die Entführung aus dem Serail" für seine Zeit umsetzt, dann sollte sie auch dort bleiben und nicht 100 Jahre später dem türkischen Fürsten einen feinen weißen Anzug mit Schlips und Kragen anziehen, ihm einen Laptop in die Hand drückt, den er beim Auftritt nonchalant auf ein Sofa wirft, als wärs ein Plüschtier. Mit solchen Verwandlungen komme ich nicht klar. Wenn Opern zichfach gespielt wurden, dann sollte man sie auch mal ruhen lassen.

Wo sind die zeitgenössischen Opern-Komponisten? Ist man heutzutage nicht in der Lage, eine Oper zu schreiben, die die Menschen genauso ins Opernhaus lockt, wie es zu Mozart, Wagner .... Zeiten üblich war? Wie lange müssen wir denn den Intendanten, Regisseure hinterherrennen um der guten alten Zeiten wegen? Das Auseinanderklabüstern der alten Opern hat zur Aussaugung und Auslaugung geführt. Ein Armenzeugnis für die Gegenwart bzw. dem Regietheater.

Das heißt nicht, daß es ab und zu noch Regisseure gibt, die ihr Handwerk verstehen, ich denke z.B. an den "Freischütz" in Baden-Baden - eine wunderschöne verrückte und entrückte Aufführung und an Mussorski-Aufführung "Boris Godunow" (1. Version)in Baden-Baden, in der ich mir vorstellen konnte, das ist Rußland - damals, die Atmosphäre des rustikalen Russen .... die Gestalt hatte genau den Charakter, wäre Boris auch mit Laptop erschienen, hätte ich wohl den Glauben an der Oper verloren :)

Ich freue mich, daß dieses Thema so aufgeworfen ist -
und regt mich an zum Nachdenken

Kulimanauke
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Lieber Rolf

ja streng genommen gäbe es dann gar keine sprachliche Kommunikation

Das ist ein vollkommen berechtigter Einwand.

Man könnte darauf ganz radikal antworten, ja das ist so, in Wahrheit ist Kommunikation Leben mit/Überwinden von Missverständnissen. "Echtes" Verstehen wäre dann reiner Zufall.

Man kann das aber auch viel einfacher auflösen: Wir sind gewohnt uns darauf zu verlassen, dass sich Kommunikation so wie alles andere im sozialen Miteinander auch, innerhalb konventionalisierter Grenzen bewegt. Häufig genug läuft es aber auch nicht so, manchmal registriert man das gleich, manchmal später, manchmal gar nicht, weil der Schaden anderswo auftritt. Du sprichst solche Grenzen ja auch selbst an:

Wo Nussschokolade von Toblerone draufsteht, da erwartet der Käufer nicht, Schweinskopfsülze von DuDarfst zu erhalten

Die hier kritisierten Regisseure hinterfragen und brechen diese konventionalisierten Grenzen. Aus ihrer Perspektive tun sie das vielleicht gar nicht einmal, weil sie ganz sicher einen anderen Text- oder Werkbegriff verwenden als Du und viele andere, die sie kritisieren, und sie bei ihrer Version der Geschichte den Fokus von der Handlungsebene ein wenig (oder auch viel) auf die Themen- und Werteebene verschieben.

Apropos Verdrehung von Werkinhalten. Im Libretto ist da ein König ohne explizit zugewiesene Eigenheiten, auf der Bühne ist da ein sabbernder Grenzdebiler der Herrscher (von solchen gibt es heutzutage leider immer noch genug), dann gibt es Szenen, die sich als parodistisch interpretieren lassen mitten in einer Tragödie und Ratten, deren Symbolik bisher im Dunklen blieb. Wesentliche andere Inhalte kamen offenbar gut heraus. Ich kann zwar nachvollziehen, dass einen diese Dinge stören, aber diese Veränderungen stehen für mich in keiner erkennbaren Relation zu den zum Teil wirklich originellen und witzigen Beispielen für extreme Sinnverdrehungen. Ich sehe hier noch keine Belege für beliebige Willkür des Regisseurs oder dafür dass er das Werk oder dessen zentrale Aussagen ins Unkenntliche verdreht hat. Aber das ist natürlich meine persönliche Wertung.

Liebe Grüße
Gernot

PS: Nachtrag zu Gomez Schreckensvision eines Beethoven Klavierabends: Ist nicht Gulda mal nackt aufgetreten?
 
Hat der Oper-Komponist damals (Rossine, Verdi, Wagner ...) immer vorausgeschaut beim Komponieren seiner Opern, wie sie in 100 Jahren interpretiert werden könnten? Jeder Schriftsteller, Maler, Komponist ... schafft sein Werk aus seiner Zeit heraus.

Gegenfrage: wären Komponisten und Librettisten nicht auch positiv berührt, wenn sie wüssten, dass Themen, die sie bearbeitet haben, auch noch 100 Jahre später als aktuell dargestellt werden?


Wo sind die zeitgenössischen Opern-Komponisten? Ist man heutzutage nicht in der Lage, eine Oper zu schreiben, die die Menschen genauso ins Opernhaus lockt, wie es zu Mozart, Wagner .... Zeiten üblich war?

Dieser Frage schließe ich mich gerne an :-)

Liebe Grüße
Gernot
 
Apropos Verdrehung von Werkinhalten. Im Libretto ist da ein König ohne explizit zugewiesene Eigenheiten, auf der Bühne ist da ein sabbernder Grenzdebiler der Herrscher

lieber Gernot,
gänzlich doof und ohne jede historische Kenntnis war das gebildete Bürgertum des 19. Jh. nicht, die wussten, wer König Heinrich war (zu "ohne Eigenheiten"), und dann: wie du selber es ja formulierst, ist da ein Unterschied zwischen dem Libretto-König und dem sabbernden Imbezillen... ;););) ...man kann sich drehen, winden und rabulieren wie man will, einen Debilen als König wird man weder im Libretto noch in der Partitur finden noch herausdestillieren können... folglich hat ein Debiler da auch nichts verloren, ebenso wie ein #f´´´ am Beginn der Appassionata nichts zu suchen hat :D
 
Wo sind die zeitgenössischen Opern-Komponisten?

In Kellertheatern und auf Kleinbühnen, hie und da schafft es die eine oder andere wohl auch auf die große Bühne. Ich denke Leipzig war früher bekannt für Inszenierungen moderner Opern - ob das so geblieben ist, nachdem Udo Zimmermann, der ja selbst Opern komponiert, wegging, weiß ich nicht.

@Gernot

In Wien gibt es öfter Inszenierungen moderner Opern in der Wiener Kammeroper. Weiters werden moderne Opern von der Musikwerkstatt Wien und von der Neuen Oper Wien inszeniert. Das Theater an der Wien setzt öfter zeitgenössische Oper auf dem Spielplan und hat auch ein Budget für Auftragsopern.

Ich kann mir aber vorstellen, daß es auch in Graz einiges gibt - wer sich dafür interessiert, findet bestimmt etwas in seiner Umgebung.

Ja, und Gómez könnte wahrscheinlich wieder weitaus besser zur Lage der zeitgenössischen Oper Auskunft geben. :D:D:D

LG, PP
 
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Lieber Gernot,

bei der Lektüre Deines anregenden und lehrreichen Beitrags hatte ich an manchen Stellen doch ein wenig den Eindruck, daß Du der Versuchung nicht widerstehen konntest, die alte Technik zu bemühen, den gegnerischen Standpunkt durch dessen Radikalisierung und Übersteigerung ad absurudum zu führen.

Du gehst aus von einem globalen Zeichenbegriff, in dem sich musikalische und sprachliche Zeichen nebeneinander wiederfinden und hebst deren Relationalität und Kontextabhängigkeit hervor. Sodann scheidest Du zwischen der strukturellen und der Deutungsebene eines Stückes, von denen nur die erste der Analyse zugänglich sei. Und aus beidem leitest Du einen exzessiven Freiraum für den Interpreten ab.

Ich meine, es ist nicht zu gewagt, zu behaupten, daß sprachliche, v.a. lexikalische "Zeichen" spezifischer sind als musikalische, was sie ja auch sein müssen, weil sie anderen kommunikativen Zwecken dienen. Musik mag etwa in einem metaphorischen Sinne `erzählen' können, argumentieren kann sie nicht. Bei aller Kontextabhängigkeit sprachlicher Zeichen schafft das höhere Maß an Spezifität von vorneherein die Voraussetzung dafür, daß der Deutungspielraum für einen narrativen oder dialogischen Text eingeschränkter ist als der für ein Klavierkonzert. Und bei aller Kontextabhängigkeit beschäftigen wir uns ja mit einem bestimmten Kontext, nämlich den kunst-, sozial- und kulturgeschichtlichen Verhältnissen der Mitte des 19. Jh. und Wagner Rezeption bzw. Konstruktion eines Mythos vor diesen Hintergrund. Und so wenig es eine Ideomorphie von Inhalt und Ausdruck geben muß, so klar ist doch, daß beide in einer bestimmten und zu bestimmenden Relation zueinander stehen. Die Interpretationsfreiheit des Regietheaters (und eigentlich dürfte Dir als Semiotiker das gar nicht recht gefallen) beruht eben in der Auflösung dieser Zusammenhänge, der Herauslösung des Librettos aus dem oben genannten Kontext und der bewußten Negligenz der Beziehung zwischen Inhalts- und Deutungsebene; die Unlust, den Autor in seinem historischen und ideologiegeschichtlichen Kontext zu verstehen (so fragmentarisch das auch nur gelingen mag), ist die Voraussetzung für die Abfahrt von Lohengrin und Elsa im Studebaker in die Flitterwochen nach San Remo.

Der von Dir als attributfrei und daher frei ausdeutbare König scheint mir ein gutes Beispiel für die Problematik. Wenn man Dir folgte, könnte man natürlich argumentieren, der König habe eine rein strukturelle Funktion (Ermöglichung des Gottesurteils und der daraus erwachsenden Komplikationen) und sei im übrigen deutungsfrei. Vielleicht liegen Neuenfels' Heinrich tatsächlich solche Erwägungen zugrunde und er hat diese vermeintliche Leerstelle zur Ironisierung der Rahmenhandlung genutzt. Wenn wir allerdings zu Kenntnis nehmen, daß die Einführung des Königs und damit die Historisierung und Nationalisierung der Handlung Wagners eigene Zutat ist (bei Wolfram findet sich davon ja nichts) und das in Beziehung zu Wagners Vormärz-Aktivitäten setzen, ist die die Vermutung erlaubt, daß der König mehr als einen strukturelle Funktion hat, daß er vielmehr Mittler des deutschnationalem Vormärz-Pathos ist. Womit bei aller nachvollziehbarer Motivation der Ironisierung Neuenfels' König in meinen Augen dem Text eben nicht gerecht wird. Natürlich muß sich jedem Regisseur die Frage stellen, was er mit dieser - in unserer heutigen Sicht - unglückseligen Figur tun soll. Ich finde, man könnte die Distanzierung auch anders erreichen, auf `dokumentarischen Weg' etwa: die Rahmenhandlung mit allem nationalen Bombast ausstaffieren, die Kernhandlung dagegen in der modernen Weise mit reduzierten Asudrucksmitteln (und unter Verzicht auf symbolistischen Kitsch wie die zerbrochnenen Kutsche im 2. Akt). Der Kontrast alleine würde die Diskrepanz zwischen der Sicht des 19. Jh. und unserer Sicht auf den Mythos dokumentieren, ohne den König inhaltlich vollkommen zu verbiegen.

Zum Stichwort `Provokation': mich provoziert Regietheater überhaupt nicht. Wir haben es doch mit dem immer gleichen Inventar von Topoi, Requisiten und Posen zu tun, an das man sich gewöhnt wie an den Kiffer auf dem Banhofsvorplatz. Ich bedauere allerdings, daß mit solchen Inszenierungen die von Wagner vertretene Einheit von Handlung und Musik aufgelöst wird. Aber so kooperationsbereit, dann auch noch den getroffenen Bildungsbürger zu mimen, bin ich nicht: ich lache. Und so wird es mir verutlich auch am Freitg an Ort und Stelle gehen.

Schöne Grüße und Dank für Deinen Beitrag,

Friedrich
 
Ich meine, es ist nicht zu gewagt, zu behaupten, daß sprachliche, v.a. lexikalische "Zeichen" spezifischer sind als musikalische, was sie ja auch sein müssen, weil sie anderen kommunikativen Zwecken dienen. Musik mag etwa in einem metaphorischen Sinne `erzählen' können, argumentieren kann sie nicht. Bei aller Kontextabhängigkeit sprachlicher Zeichen schafft das höhere Maß an Spezifität von vorneherein die Voraussetzung dafür, daß der Deutungspielraum für einen narrativen oder dialogischen Text eingeschränkter ist als der für ein Klavierkonzert.


Lieber Friedrich,

danke für deinen abermals hervorragenden Beitrag!!!

Über obiges habe ich mir ehrlich noch nie Gedanken gemacht! Mir leuchtet deine Argumentation ein, die zu dem Schluss kommt, sprachliche Zeichen seien spezifischer als musikalische und daher eingeschränkter zu deuten. Aber wenn man mal von der Argumentatiosmöglichkeit von Sprache absieht und ein Libretto anschaut, was ja auch nicht argumentiert :p, sondern als gesamter Text vorliegt und umgesetzt werden will, gilt das dann auch noch?

Musikalische Zeichen sind in ihrer Relativität natürlich recht ungenügend und doch steht eigentlich ziemlich viel drin, wenn man sie richtig zu lesen versteht (daher finde ich auch die Beachtung und Umsetzung aller vom Komponisten vorgegebenen Parameter so wichtig!). Ein Text ist zwar erst mal klarer, aber es geht ja in einer Inszenierung auch vor allem um die Charaktere. Und ist nicht eine Charakterisierung, deren Quelle alle Handlungen und Worte der betreffenden Person sein müssen, wieder in ihrem Deutungsfreiraum weitaus weitreichender als du hier beschreibst? An dich als Fachmann also die Frage, 'ist ein Charakter einer Figur in einem Theaterstück wirklich immer zweifelsfrei und gibt es da nur eine Interpretationsmöglichkeit'?

Im übrigen solltest du mal inszenieren. Eine solche Aufführung wie von dir oben angedeutet wäre bestimmt sehr interessant! :D

Liebe Grüße

chiarina
 

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