Mögt ihr Oper?

Mögt ihr Oper


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Und Stemann hat die Dreigroschenoper in Köln inszeniert. Ich bin mir sicher, dass man die Dinge unter einen Hut bekommen kann: modernes Regietheater (was ich grundsätzlich sehr positiv sehe - daher auch die euphemistische Umschreibung :D ) + Texttreue.

....Wenn beide Seiten wollen, wird man immer unter einen Hut kommen. :p

Übrigens: Stemann bemüht ja ausgiebig die üblichen Argumentationsklischees (vgl. Gomez), was er andererseits Kehlmann vorwirft.

"Entlarvend" ist der Satz: "... -was etwas peinlich ist- ganz Salzburg scheint ihm zuzustimmen." Da haben wir wieder diese Arroganz: Die anderen sind ja dumm, nur die Theaterleute sind schlau...;)
 
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"Regietheater wird verstanden als Regiearbeit, die das Werk hinsichtlich seiner gesellschaftlichen Bezüge interpretiert und einen starken Gegenwartsbezug schaffen will. Bei der Analyse des Regietheaters werden die Theorien der Kunstsoziologie, insbesondere der Musik- und der Theatersoziologie, sowie der sozialwissenschaftliche Theorieansatz der Theatralität angewandt.

Das scheint mir eher eine Definition in usum Delphini zu sein, die beschwichtigenden Charkter hat. Unter diese Definition fällt nahezu alles Nachkriegstheater außer dem bayrischen Komödienstadel. In einem der von Dir verlinkten Beiträge wird eine Opposition zwischen Regietheater und Autorentheater konstruiert. Das läuft darauf hinaus, daß Regietheater beansprucht, daß die Regie ein eigenständiges und gleichrangiges Kunstwerk neben dem des Autors ist. Dieser Anspruch scheint mir der Kern des Regietheaters zu sein.

Grüße,

Friedrich
 
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Übrigens: Stemann bemüht ja ausgiebig die üblichen Argumentationsklischees (vgl. Gomez), was er andererseits Kehlmann vorwirft.

"Entlarvend" ist der Satz: "... -was etwas peinlich ist- ganz Salzburg scheint ihm zuzustimmen." Da haben wir wieder diese Arroganz: Die anderen sind ja dumm, nur die Theaterleute sind schlau...;)

Lieber gubu,

ja, Klischees werden auch von ihm verwendet - ich hätte mir noch mehr Argumente gewünscht.

Den zitierten Satz habe ich allerdings nicht so verstanden. Ich hatte mit "ganz Salzburg" auch die Fachleute miteinbezogen.

Das scheint mir eher eine Definition in usum Delphini zu sein, die beschwichtigenden Charkter hat. Unter diese Definition fällt nahezu alles Nachkriegstheater außer dem bayrischen Komödienstadel. In einem der von Dir verlinkten Beiträge wird eine Opposition zwischen Regietheater und Autorentheater konstruiert. Das läuft darauf hinaus, daß Regietheater beansprucht, daß die Regie ein eigenständiges und glichrangiges Kunstwerk neben dem des Autors ist. Dieser Anspruch scheint mir der Kern des Regietehaters zu sein.

Lieber Friedrich,

ich geb ja zu, die Definition ist beschönigend. :p Allerdings ist sie nicht von mir und ich mag sie deshalb, weil ich mir so gutes Regietheater vorstellen kann.

Ich frage mich allerdings nach dem Lesen deines amerikanischen Artikels (leider erst halb), warum sexuelle Darstellungen so oft verwendet werden, um angeblich etwas auszusagen. Da verstehe ich euch wirklich, denn literweise Blut, Orgien etc. (und auch noch in völlig verschiedenen Opern) ergeben doch keinen Sinn, außer den der Provokation..... . Es kann manchmal richtig sein, aber diese Häufigkeit.... .

Als positives Gegenbeispiel trat in der Götterdämmerung von Essen zum Beispiel Erda auf, die eigentlich in diesem Teil der Oper nicht vorkommt. Sie, eine sehr alte Frau, war völlig nackt, wirkte aber unglaublich würdevoll. Es waren unglaubliche, sehr ausdrucksvolle Szenen, die sehr schlüssig aus dem Stoff heraus rüberkamen.

Was das Regietheater und Autorentheater betrifft, so ist das nur die Überschrift gewesen zu den gesamten Seiten. Hier ist das Interview, das zeigt, wie der Begriff gemeint ist:

Autorentheater versus Regietheater - Goethe-Institut 

Autorentheater bedeutet hier die Inszenierung von alten Stoffen mit festgelegter Partitur. Regietheater wird hier ganz anders definiert als wir das bisher getan haben: Pollesch ist ja selbst Autor und Regisseur. Als Autor arbeitet er aber experimentell - seine Texte benötigen die Improvisation, sind nicht festgelegt. Deshalb gibt es bei ihm die Werktreue so nicht.

Liebe Grüße

chiarina
 
Lieber Gernot,

ich sage Dir Dankeschön für Deinen interessanten Beitrag. Wegen seiner Länge mußt Du Dir auf diesem Unterforum gewiß keine Gedanken machen, denn hier ist niemand, von einzelnen "Oper find ich voll krass, ey" - Beiträgern abgesehen, der nicht wüßte, daß die Komplexiktät eines Gegenstandes umfangreichere Ausführungen rechtfertigt. Ich finde vieles in Deinem Beitrag, dem ich ohne weiteres zustimmen kann; ich beschränke mich, wegen der sonst drohenden "Länge", darauf, ein paar Bedenken anzumelden.


Zunächst muß ich gestehen, daß ich mit Deinem Ausgangspunkt, den Überlegungen zur Metapher `Musik als Sprache' nicht zurecht gekommen bin. Zum einen scheint es mir prinzipiell problematisch, Metaphorik zum Ausgangspunkt von Definitionsprozessen zu machen (sofern nicht unvermeidlich), zum andern scheint mir die Metapher selbst nicht unproblematisch, da Musik nun eben der entscheidenden Komponente der Sprache, des Lexikons, entbehrt. Die Südseeinsulaner haben nicht umsonst gelernt, daß es zwecklos ist, Nachbarinsulaner anzusummen, daß es aber sehr effektiv sein kann, eine Pidgin- oder Kreolsprache, d.h. eine soweit als möglich auf das Lexikon reduzierte Sprache zu entwickeln. Drittens sehe ich nicht, welche Beitrag diese Metaphorik zu unserem Thema, dem Verhälrnis von Regietheater und Werk leisten kann, denn über sinnentstellende Eingriffe in die Musik wurde ja keine Klage geführt.

Was Du zu zum Eigenleben des Textes nach seiner "Entlassung" durch den Autor und unvermeidlichen Subjektivität jeder Rezeption sagst, bedarf sicher keiner weiteren Diskussion, wie schon der Blick auf 2000 Jahre `vergebliche' Bibelexegese zeigt. Ich habe mich schon als Student in Konstanz gewundert, warum die Herren Iser, Jauß, Preisendanz & Cie. uns so naheliegenden Dinge mit solcher Inbrunst nahezubringen suchten (womit ich nicht sage, daß ich dabei nicht sehr viel gelernt hätte). Nach meiner Auffassung verhilft uns der Einblick in die Phänomene der Rezeption zur kognitiven Kontrolle der wachsenden Distanz zwischen Autor und Publikum und zur Entwicklung von Ansätzen zu ihrer Überwindung. Gerade nicht folgt m.E. daraus jedoch das Recht, mit einem Text nach Belieben zu verfahren. Kommunikation kann, wie uns die linguistische Pragmatik auch mit großer Beharrlichkeit lehrt, nur glücken, wenn die Komunikationsparter kooperieren, und absichtliches Mißverstehen läßt sie kollabieren. Nebenbei gesagt, scheint mir Deine Kritik an meiner Verwendung des Wortes "Diener" das recht gut zu illustrieren; gäbe es nur Deine Lesart, hätte sich der `große' Preußenfriedrich sinngemäß als den ersten Domestiken seines Staates bezeichnet. Nun, im Falle der Inszenierung haben wir einen dritten Kommunikationspartner, den Interpreten, der ebenso wie sein ursprünglicher Namensgeber, der Dolmetscher (interpres), dem Rezipienten nach bestem Wissen und Gewissen die Inhalte der Kommunkationsquelle zu übermitteln hat; erlaubt er sich den Luxus, die Intention der Quelle zu ignorieren, verfehlt er seine Aufgabe. Denn der interpres hat gegenüber den beiden anderen Kommunikationspartnern klärlich nachrangige Funktion und ist mitnichten "Mitautor der Geschichte", sondern lediglich ihr Vermittler, hat somit dienende Funktion gegenüber dem Autor wie dem Rezipienten. Daß sein eigenes Verständis in den Kommunikationsprozeß einfließt, ist selbstredend unvermeidlich; ebenso aber wie es möglich ist, eine Übersetzung trotz aller Variabilität als falsch zu beurteilen, bleibt es bei Interpretation und Regie Theaterregie möglich zu sagen, wenn sie dem Text nicht gerecht wird. Ich habe anhand von Neuenfels' Lohengrin-Inszenierung darauf hingewiesen, daß die ganze Königshandlung parodische Züge trägt; nachdem wir von Wagner selbst wissen, daß er den L. als Tragödie verstand, haben wir hier einen klaren Fall von Fehldeutung des Textes, ungeachtet der Tatsache, daß die Motivation für die Fehldeutung nachvollziehbar ist.


Noch ein Satz zu den `Strichen' und `Verbesserungen': Das Wolferl konnte möglicherweise nicht gescheit Latein. Wie ich allerdings anläßlich der Produktion von Apollon und Hyacinthus letztes Jahr in München erfahren durfte, hatte er ausgezeichnete Lehrer, die sein Latein kontrollierten und mit deren Lateinkenntnissen zu konkurrieren dem Herrn Domkapellmeister in Graz durchaus nicht leichtfallen dürfte. Vielleicht führt die Kenntnis dieser Voraussetzung zu einer anderen Bewertung der Stelle? Und natürlich könnte man etwa auch anhand des Lohengrin sagen, daß die Weglassung der Gottfriedszene der Handlung ein weitaus höheres Maß an tragischer Wucht verliehen hätte. Nun, Wagner hat seinen plot halt mal "schlechter" gemacht als er, nach unserer Auffassung, ihn hätte machen können. Aber, so meine ich, wir haben das entweder zu respektieren oder einen eigenen Lohengrin zu schreiben.


Beste Grüße,

Friedrich
 
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Herzliche Grüße vom

gefesselten Prometheus (frei nach Aischylos)
Wundervoll, daß wir dank der listenreichen Poppaea Deine Stimme zum Thema hören können! Aber bitte wappne Dich, daß nicht Iuppiter clavius seinen Geier schickt, um Dir die Leber auszuhacken!

Herzlichen Gruß,

Friedrich
 
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Noch eine kurze Bemerkung zum Thema Diskussionsbereitschaft : Eine neue Theaterleitung schafft auf der Webseite des Theaters eine Diskussionsplattform. So weit, so gut. Als dann aber die massive Kritik dort dominierte und dagegen auch -offensichtlich von einem wenig bemittelten Dramaturgen gesteuerte- Lobhudelbeiträge nicht fruchteten, wurde die Seite ohne Kommentar wieder abgeschaltet. (Konstruktive) Stellungnahmen des Theaters zu sachlich vorgebrachten kritischen Beiträgen? Fehlanzeige. Die Einschätzung von Gomez stimmt schon....

In Österreich gibt es für die Bundestheater ein gewähltes Publikumsforum, welches die Aufgabe hat, die Interessen der Theater-/Opernbesucher zu wahren. Gibt es keine ähnliche Institution für deutsche Theater?

LG, PP
 
Nach meiner Auffassung verhilft uns der Einblick in die Phänomene der Rezeption zur kognitiven Kontrolle der wachsenden Distanz zwischen Autor und Publikum und zur Entwicklung von Ansätzen zu ihrer Überwindung. Gerade nicht folgt m.E. daraus jedoch das Recht, mit einem Text nach Belieben zu verfahren. Kommunikation kann, wie uns die linguistische Pragmatik auch mit großer Beharrlichkeit lehrt, nur glücken, wenn die Komunikationsparter kooperieren, und absichtliches Mißverstehen läßt sie kollabieren. Nebenbei gesagt, scheint mir Deine Kritik an meiner Verwendung des Wortes "Diener" das recht gut zu illustrieren; gäbe es nur Deine Lesart, hätte sich der `große' Preußenfriedrich sinngemäß als den ersten Domestiken seines Staates bezeichnet. Nun, im Falle der Inszenierung haben wir einen dritten Kommunikationspartner, den Interpreten, der ebenso wie sein ursprünglicher Namensgeber, der Dolmetscher (interpres), dem Rezipienten nach bestem Wissen und Gewissen die Inhalte der Kommunkationsquelle zu übermitteln hat; erlaubt er sich den Luxus, die Intention der Quelle zu ignorieren, verfehlt er seine Aufgabe. Denn der interpres hat gegenüber den beiden anderen Kommunikationspartnern klärlich nachrangige Funktion und ist mitnichten "Mitautor der Geschichte", sondern lediglich ihr Vermittler, hat somit dienende Funktion gegenüber dem Autor wie dem Rezipienten. Daß sein eigenes Verständis in den Kommunikationsprozeß einfließt, ist selbstredend unvermeidlich; ebenso aber wie es möglich ist, eine Übersetzung trotz aller Variabilität als falsch zu beurteilen, bleibt es bei Interpretation und Regie Theaterregie möglich zu sagen, wenn sie dem Text nicht gerecht wird. Ich habe anhand von Neuenfels' Lohengrin-Inszenierung darauf hingewiesen, daß die ganze Königshandlung parodische Züge trägt; nachdem wir von Wagner selbst wissen, daß er den L. als Tragödie verstand, haben wir hier einen klaren Fall von Fehldeutung des Textes, ungeachtet der Tatsache, daß die Motivation für die Fehldeutung nachvollziehbar ist.


Noch ein Satz zu den `Strichen' und `Verbesserungen': Das Wolferl konnte möglicherweise nicht gescheit Latein. Wie ich allerdings anläßlich der Produktion von Apollon und Hyacinthus letztes Jahr in München erfahren durfte, hatte er ausgezeichnete Lehrer, die sein Latein kontrollierten und mit deren Lateinkenntnissen zu konkurrieren dem Herrn Domkapellmeister in Graz durchaus nicht leichtfallen dürfte. Vielleicht führt die Kenntnis dieser Voraussetzung zu einer anderen Bewertung der Stelle? Und natürlich könnte man etwa auch anhand des Lohengrin sagen, daß die Weglassung der Gottfriedszene der Handlung ein weitaus höheres Maß an tragischer Wucht verliehen hätte. Nun, Wagner hat seinen plot halt mal "schlechter" gemacht als er, nach unserer Auffassung, ihn hätte machen können. Aber, so meine ich, wir haben das entweder zu respektieren oder einen eigenen Lohengrin zu schreiben.

Lieber Friedrich,
es ist immer eine Wohltat, Deine ebenso kenntnisreichen wie verständlich erklärenden Beiträge zu lesen! Allerbesten Dank!!
und allerherzlichste Grüße,
Rolf
 
Lieber Friedrich,

du hast ja schon im Vorfeld von den parodistischen Zügen geschrieben, mit denen deiner Meinung nach bei Neuenfels die Rolle des Königs belegt ist. Aber ist das nun so, oder ist das deine Meinung? Könnte nicht auch meine Sicht Gültigkeit haben, die in der vertrockneten Zimmerlinde und dem haltlosen König eine Unfähigkeit sieht, Halt zu geben, eine klare Linie zu fahren o.ä.?

Müsste eine Parodie, ihre verzerrenden und übertreibenden Elemente, nicht jeder erkennen? Ich habe sie nicht erkannt, wenn es eine war. Und ich kannte das Original.

In einer Kritik habe ich gelesen, dass manche Regisseure, auch Herheim und hier Neuenfels, zuweilen auch die Rezeptionsgeschichte eines Werkes mit inszenieren. Lohengrin ist sehr oft parodiert worden, so z.B. von Nestroy, H. Mann etc. .

Was übrigens in vielen Kritiken zum Lohengrin positiv beurteilt wurde, war die stringente Personenführung. Wie schon gesagt, fand ich die Beziehungen zwischen den handelnden Personen wunderbar dargestellt. Wie siehst du das?

Dann habe ich noch die Frage, wie denn Oper nach deiner/eurer Vorstellung aussehen sollte. Sind wir uns denn einig, dass die Zeiten der reinen Kulissen vorbei ist? Denn nichts fände ich langweiliger und phantasieloser.

Liebe Grüße

chiarina
 
Lieber Friedrich,

du hast ja schon im Vorfeld von den parodistischen Zügen geschrieben, mit denen deiner Meinung nach bei Neuenfels die Rolle des Königs belegt ist. Aber ist das nun so, oder ist das deine Meinung? Könnte nicht auch meine Sicht Gültigkeit haben, die in der vertrockneten Zimmerlinde und dem haltlosen König eine Unfähigkeit sieht, Halt zu geben, eine klare Linie zu fahren o.ä.?
...über ganz banale Textinhalte muss man nicht räsonnieren... schau: im Libretto ist der Heinrich weder unfähig noch sonst was trotteliges... man kann bei Texten sehr sehr viel interpretieren, z.B. auch bei Goethes Faust, allerdings wird man weder den Faust noch den Mephisto zu imbezillen Sabberern erklären können --- oder noch ein anderes Beispiel: ich kann allerlei aus Deinem zitierten Beitrag herauslesen, aber ich werde Dir anhand von diesem nicht nachsagen können, dass Du dort den Papst bewunderst
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oder noch ein anderes Beispiel: ich kann allerlei aus Deinem zitierten Beitrag herauslesen, aber ich werde Dir anhand von diesem nicht nachsagen können, dass Du dort den Papst bewunderst

Aber du könntest zu sehr unterschiedlichen Deutungen meiner Person gelangen, lieber Rolf. Z.B.:

a) Chiarina ist störrisch

b) Chiarina ist rebellisch

c) Chiarina ist unsicher

d) Chiarina hat keine Ahnung

e) Chiarina ist diskussionsfreudig

f) Chiarina will etwas lernen

................................

................................

Wenn du nun meine Person in einem Theaterstück inszenieren würdest, wäre es doch völlig o.k., einen Aspekt dieser verschiedenen Wesenszüge (die ja vielleicht alle wahr sind....:D ) zu betonen. ...............................
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Liebe Grüße

chiarina
 
Liebe Chiarina,

ich bin zwar nicht angesprochen, aber ganz banal habe ich ein paar Gedanken dazu und versetzt mich in die Rolle des Regisseurs: Egal welchen Wesenszug ich von Dir, liebe Chiarina, inszenieren würde können, z. B. ziehe ich mir mal den diskussionsfreudigen Aspekt heraus, bliebest Du als Chiarina-die Lichtgestalt im Original bestehen, die ich nicht in einen Strampelmann umfunktionienren würde und ihr ein Strampelhosen-Kostüm aufzerre.

Die Lichtgestalt muß (für mich) erkennbar bleiben, auch wenn sie z.B. die unsichere Rolle spielt. Ich will mich ja als Zuschauer in der Rolle wiedererkennen, aha- die Lichtgestalt ist also auch unsicher und so kommt diese zum Vorschein - das ist die Kunst, die Charaktere herauszuspielen. Der Zuschauer geht ja nicht nur wegen der Musik z. B. in die Oper oder ins Schauspiel. Er will was von sich sehen - sein offenes Geheimnis.

Und wenn denn da evtl. ersatzweise Strampelmänner hin- und herhüpfen als Assoziation zur Diskussionsfreudigkeit, würde ich als Zuschauer nach Hause gehen - ich laß mich doch nicht verkohlen ...

Gedankenfäden -

liebe Grüße
Kulimanauke
 
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du hast ja schon im Vorfeld von den parodistischen Zügen geschrieben, mit denen deiner Meinung nach bei Neuenfels die Rolle des Königs belegt ist. Aber ist das nun so, oder ist das deine Meinung? Könnte nicht auch meine Sicht Gültigkeit haben, die in der vertrockneten Zimmerlinde und dem haltlosen König eine Unfähigkeit sieht, Halt zu geben, eine klare Linie zu fahren o.ä.?

Liebe Chiarina,

wir sollten vorab vielleicht klären, daß wir möglicherweise gar nicht weit voneinander entfernt sind. Wenn ich von parodischen Elementen spreche, weil das erhabene Sujet niedere Attribute erhält, ist das zunächst eine formale Aussage. Du hingegen beginnst mit einer inhaltlichen Frage, der nach dem Sinn der "Schwäche" des Königs. Diese Frage setzt aber voraus, daß Du ebenfalls eine Brechung annimmst zwischen dem, was ein König prototypischerweise "darstellt" und dem was wir da gesehen haben. Die Konstatierung eines Mißverhältnisses zwischen prototypischen Herrscherbild und seiner Realisierung haben wir also gemeinsam, nicht wahr?

Nun dürfte es ebenfalls unstrittig zwischen uns sein, daß das Bild Heinrichs des Voglers, das bei Wagner sichtbar wird, im Mainstream des 19. Jh. steht, d.h. daß er dem Konstrukt anhängt, jener sei "Gründer des Deutschen Reiches", was historisch sicher unhaltbar ist, daß er also dem prototypischen Herrscherbild anhängt und daß die nationalpathetische Überhöhung der Heinrichfigur in seinem Libretto (wohl auch in der Musik) ihren Niederschlag findet.

Es stellt sich also die Frage nach dem Sinne dieser Brechung. Praktischerweise könnten wir Neuenfels direkt fragen, der schweigt sich aber, soweit ich es überblicke, listigerweise aus.

Der Unterschied zwischen uns beiden ist, daß ich darin ein Mittel der Distanzierung vom Stoff vermute, Du hingegen ein Mittel der vertiefenden Ausdeutung des Stoffes.

Meine Spekulation war, daß N. mittes der parodischen Elemente dieses deutschnationale Pathos ironisieren möchte, und daß die Zuschauer eingeladen sind, diese Distanzierung nachzuvollziehen: das Lächerlichmachen des Königs garantiert das Überlegenheitsgefühls des aufgeklärten Zuschauers. Ich habe mich dieser Einladung nicht ohne Vergnügen hingegeben, wie ich schon geschrieben habe. Nur - das Libretto gibt das, wie Rolf schon mehrfach gesagt hat, augenscheinlich überhaupt nicht her. Und Deine "Sicht [...], die in der vertrockneten Zimmerlinde und dem haltlosen König eine Unfähigkeit sieht, Halt zu geben, eine klare Linie zu fahren o.ä.", wenn ich das Libretto recht lese, auch nicht. Wer ist da unfähig, wem Halt zu geben und warum? Daß der König die Entscheidung einem Gottesurteil überläßt, ist jedenfalls nie und nimmer Zeichen von Schwäche, sondern, angesichts des unauflösbaren Konflikts zwischen zwei politisch wichtigen Häusern, mit dem er da unerwarteterweise konfrontiert wird, ein völlig legitimes Mittel der Wahrheitsfindung; indem er zu ihm greift, gibt er tatsächlich der schwachen Elsa Halt, denn die Wahrheit ihrer Sache - so sie denn wahr ist - muß so unweigerlich ans Licht kommen, und gleichzeitig nimmt er dem Telramund die Möglichkeit, die Macht seiner Autorität und seiner physischen Überlegenheit ungestört auszuspielen. Die Grundlage des antiken und frühmittelalterlichen Gottesurteils nämlich ist der unhinterfragte Glaube an den Sieg des guten Rechts. Die RGG schreibt dazu: "Der ursprüngliche Rechtsgang bezweckt die Aufzeigung und Ausscheidung dessen, der Ungenosse geworden war: Friede beruht in der Ordnung, gegen die der Friedebrecher verstößt; so muß das Rechte siegen, wenn der Friedebrecher einem Friedewilligen auf Tod und Leben gegenübergestellt wird."

Ich sehe also nicht, daß Neuenfels in der Königshandlung dem Libretto gerecht geworden ist. Was uns natürlich nicht davon abhalten soll zu sagen: die Königshandlung ist nicht weiter als die Rahmenhandlung. Der dramtische Kern, der Konflikt zwischen den beiden Parteien und der innerhalb der "guten" Partei, ist gut herausgearbeitet. Von den Ratzenviechern natürlich abgesehen, die zur Deutung der Handlung keinen Beitrag liefern.


Herzlichen Gruß,

Friedrich
 
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Schöne Beiträge :-)

Ich muss das für mich noch etwas wirken lassen. Passend zum Thema ein TV-Hinweis:

25.August auf Servus-TV: "Wieviel Sehen verträgt das Hören".
ServusTV - Talk im Hangar-7

LG
Gernot
 
Lieber Friedrich,

du bist ein wahrer Schatz!!! Und du, liebe Kulimanauke, auch!!! :kuss:

Dein Beitrag hilft mir wirklich weiter, denn er sorgt für Klarheit!!! Vielen Dank!!!

Die Konstatierung eines Mißverhältnisses zwischen prototypischen Herrscherbild und seiner Realisierung haben wir also gemeinsam, nicht wahr?

Das haben wir absolut gemeinsam!


Es stellt sich also die Frage nach dem Sinne dieser Brechung.
.....................................
Der Unterschied zwischen uns beiden ist, daß ich darin ein Mittel der Distanzierung vom Stoff sehen, Du hingegen ein Mittel der vertiefenden Ausdeutung des Stoffes.

Wunderbar gesehen und formuliert!

Daß der König die Entscheidung einem Gottesurteil überläßt, ist jedenfalls nie und nimmer Zeichen von Schwäche, sondern, angesichts des unauflösbaren Konflikts zwischen zwei politisch wichtigen Häusern, mit dem er da unerwarteterweise konfrontiert wird, ein völlig legitimes Mittel der Wahrheitsfindung; indem er zu ihm greift, gibt er tatsächlich der schwachen Elsa Halt, denn die Wahrheit ihrer Sache - so sie denn wahr ist - muß so unweigerlich ans Licht kommen und gleichzeitig nimmt er dem Telramund die Möglichkeit, die Macht seiner Autorität und seiner physischen Überlegenheit ungestört auszuspielen. Die Grundlage des antiken und frühmittelalterlichen Gottesurteils nämlich ist der unhinterfragte Glaube an den Sieg des guten Rechts. Die RGG schreibt dazu: "Der ursprüngliche Rechtsgang bezweckt die Aufzeigung und Ausscheidung dessen, der Ungenosse geworden war: Friede beruht in der Ordnung, gegen die der Friedebrecher verstößt; so muß das Rechte siegen, wenn der Friedebrecher einem Friedewilligen auf Tod und Leben gegenübergestellt wird."

Ich sehe also nicht, daß Neuenfels in der Königshandlung dem Libretto gerecht geworden ist.

Vielen Dank auch für diese Informationen!!! Das wusste ich nämlich nicht! Für mich war wirklich das Gottesurteil ein Zeichen von Schwäche, weil ich und jeder andere heutige vernünftige Mensch wohl anders handeln würde. *grins²*

Aber man muss ja das Libretto im damaligen historischen Kontext sehen und da sehe ich absolut ein, dass zumindest diese Vermutung von mir die Königshandlung nicht rechtfertigt.

Fazit: da ich mich leider nicht so intensiv mit dem Libretto, den historischen Bezügen etc. beschäftigt habe, kann ich also letzten Endes nicht beurteilen, ob Neuenfels hier und anderswo dem Libretto nicht gerecht geworden ist.

Was ich aber trotzdem für möglich halte und was auch deinen Beitrag, liebe Kulimanauke angeht,....

Egal welchen Wesenszug ich von Dir, liebe Chiarina, inszenieren würde können, z. B. ziehe ich mir mal den diskussionsfreudigen Aspekt heraus, bliebest Du als Chiarina-die Lichtgestalt im Original bestehen, die ich nicht in einen Strampelmann umfunktionienren würde und ihr ein Strampelhosen-Kostüm aufzerre.

Die Lichtgestalt muß (für mich) erkennbar bleiben, auch wenn sie z.B. die unsichere Rolle spielt. Ich will mich ja als Zuschauer in der Rolle wiedererkennen, aha- die Lichtgestalt ist also auch unsicher und so kommt diese zum Vorschein - das ist die Kunst, die Charaktere herauszuspielen. Der Zuschauer geht ja nicht nur wegen der Musik z. B. in die Oper oder ins Schauspiel. Er will was von sich sehen - sein offenes Geheimnis.

Und wenn denn da evtl. ersatzweise Strampelmänner hin- und herhüpfen als Assoziation zur Diskussionsfreudigkeit, würde ich als Zuschauer nach Hause gehen - ich laß mich doch nicht verkohlen ...


...ist, dass es irgendwo im Libretto etwas geben könnte, was diese Königshandlung dennoch rechtfertigen könnte (Übrigens fand ich den König nicht nur haltlos. Er hatte m.E. durchaus Autorität).

Mir wird immer klarer, dass ich in einer Opernaufführung tatsächlich an der Deutung des Stoffes durch den Regisseur interessiert bin. Das Wichtigste - und weshalb ich überhaupt in die Oper gehe - ist für mich natürlich die Musik. Da braucht es ein gutes Orchester, gute Sänger, einen guten Dirigenten. Dann kann für mich schon mal nicht viel schief gehen.

Was für mich aber der faszinierende Unterschied ist zu einem Konzert, einem Liederabend, ist das Optische. Das ist für mich, die ich in Konzerten etc. immer zuhöre, eben etwas ziemlich anderes. Daher mag ich auch konzertante Aufführungen von Opern oder von ihren Teilen nicht so sehr.

Deutungen sollten sich selbstverständlich immer aus dem Libretto und der Partitur ergeben, Werktreue oder Texttreue muss die Grundlage sein! Eine gelungene Inszenierung nimmt der Musik dann nichts, sondern sie ergänzen sich. Hinterher geht man wahrhaft berückt nach Hause, berührt von sehr intensiven Sinneserlebnissen, eben auch optischen.

Wieder angenommen, ein Regisseur würde meine Person inszenieren, so würden mich sehr seine subjektiven Deutungen meiner Handlungen und gesprochenen Worte interessieren. Ehrlich gesagt, erlebe ich in meiner Familie jeden Tag, dass Handlungen von verschiedenen Personen äußerst unterschiedlich gedeutet werden. :D Ich halte es also für möglich, dass jemand in den Handlungen einer Figur etwas sieht, was andere nicht sehen. Und ich bin leider immer furchtbar neugierig, wie andere etwas sehen. Das erweitert meinen Horizont, auch wenn ich nicht zustimme.

Deshalb wäre ich auch sehr neugierig, was ein Regisseur bzgl. meiner Person zu sagen hätte. Es würde mich keineswegs stören, wenn er nur eine Seite meiner Persönlichkeit herausstellen würde und vielleicht andere mich gar nicht mehr erkennen. Es ist seine Sichtweise, die er aus dem "Libretto", in dem Fall also meinen Handlungen und Ansichten, gezogen hat. Zu knabbern hätte ich schon, wenn ich denn im Strampelanzug auftreten würde, denn da müsste ich überlegen, ob Lächerlichkeit oder Babyträume ... mit mir verbunden werden *grins*. Es gibt also natürlich Grenzen, aber die sind eben bei mir offensichtlich weiter gesteckt als bei anderen und das wiederum passt auch zu mir.


Tja, das ist jetzt ziemlich persönlich geworden, allerdings finde ich es toll, wieviel klarer einem die Dinge in so einer Diskussion werden. Danke :) !

Liebe Grüße

chiarina
 
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Wenn du nun meine Person in einem Theaterstück inszenieren würdest,
würde es so aussehen:

(an Deck; Chiarina; Wikinger; Einhorn)
Chiarina: (trägt ein gülden glitzerndes Kettenhemd und beleuchtet einen versifften Biertisch) (für sich) dieser Saubande werde ich heimleuchten!... (zu den Wikingern) Predigum Verständnisaufräumökoblabla
Wikinger: (sagen nichts, sondern zischen jeder noch schnell ein Trinhorn)

...wie Du siehst bin ich für Naturalismus...
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alles andere hat Friedrich schon ausführlich erklärt

herzlichst
vom bösesten der Wikinger
 
(...)

Deutungen sollten sich selbstverständlich immer aus dem Libretto ergeben, Werktreue oder Texttreue muss die Grundlage sein! Eine gelungene Inszenierung nimmt der Musik dann nichts, sondern sie ergänzen sich. Hinterher geht man wahrhaft berückt nach Hause, berührt von sehr intensiven Sinneserlebnissen, eben auch optischen.
(...)

Wen Du, liebe chiarina, nach "Libretto" noch anzufügen zuließest "und der Partitur", dann wären wir in trauter Eintracht.:p

Gute Nacht!
gubu
 

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