G
Gomez de Riquet
Guest
Szenen aus Bayreuth (I)
Von unserem nicht dorthin entsandten Korrespondenten
Die Bundeskanzlerin im Fond ihres Dienstwagens, irgendwelche Unterlagen durchblätternd,
zwischendurch mit ihrem Smartphone herumspielend. Vorne auf dem Beifahrersitz
ihr Pressereferent.
Merkel: Was steht als nächstes auf der Liste?
Referent: Bayreuth.
Merkel: Ach, dafür muß ich diesen rosa Fummel tragen. Was mache ich dort?
Referent: Nichts. Sie sind einfach anwesend. Die Wagner-Festspiele werden eröffnet.
Merkel: Wagner? Der von der „Bild“-Zeitung? Der macht Festspiele?
Referent: Nein, ein Komponist gleichen Nachnamens. Es sind Opernfestspiele.
Merkel: War ich da nicht schon mal?
Referent: Jedes Jahr. Sie treffen dort Herrn Prof. Dr. Joachim Sauer...
Merkel: Ein Doktor? Ist seine Dissertation in Ordnung?
Referent: Ich verstehe nicht.
Merkel: Kein Plagiatsverdacht?
Referent: Frau Bundeskanzlerin, wir sprechen von Ihrem Ehemann.
Merkel: Ach, der... Na gut – weiter?
Referent: Sie machen den Perp Walk mit ihm und geben Autogramme. Dann gehen Sie
ins Innere des Festspielhauses und sehen sich die Oper an. In den Pausen und vorallem
danach sollten Sie über das Stück sprechen können.
Merkel (seufzend, klappt ihr Smartphone zu): Also gut. Wovon handelt es?
Referent: Es heißt „Tannhäuser“, spielt im Mittelalter und handelt von einem Gesangswettbewerb.
Hauptfigur ist ein erotomaner Sänger, der sich zwischen dem Ausleben sexueller Obsessionen
in der Virtualität und keuscher Liebe in der Wirklichkeit nicht entscheiden kann.
Merkel: Das klingt sehr zeitgenössisch.
Referent: Nicht zeitgenössisch genug. Der Regisseur und sein Bühnenbildner bereichern
die Oper um das Thema ,alternative Energiegewinnung': Ethanolgewinnung aus Zuckerrüben
und Biogasproduktion aus – nun ja – Exkrementen des Opernchores...
Merkel: Moment... Sie sagten, das Stück spielt im Mittelalter?
Referent: Ja, aber man nennt das Regietheater: Ein Stück wird gegen den Strich gebürstet,
die Rezeptionsgeschichte fließt mit ein in die Inszenierung, und der Regisseur thematisiert
die Schwierigkeiten, die er mit dem Stück hat.
Merkel: Wenn er Schwierigkeiten mit dem Stück hat, soll er es nicht inszenieren.
Referent: Aber fürs Regietheater ist das die Voraussetzung. Den „Lohengrin“,
eine – soweit ich weiß – ebenfalls im Mittelalter spielende Wagner-Oper,
ließ ein anderer Regisseur im Versuchslabor spielen – unter Laborratten.
Merkel: So ein Quatsch!
Referent: Pardon, Frau Bundeskanzlerin, aber Sie haben das Stück letztes Jahr gesehen
und den Regisseur nachher in einer Ansprache sogar zu seiner gelungenen Inszenierung
beglückwünscht.
Merkel: Wer hatte die Rede geschrieben?
Referent: Ich.
Merkel: Und warum lassen Sie mich so einen Quatsch loben?
Referent: Es ist schlecht fürs Renommée, sich als Gegner des Regietheaters zu outen,
gerade für Sie als Christdemokratin. Außerdem: Regietheater-Regisseure verbuchen
jede Art von Publikumsreaktion als Erfolg – ob Buh-Rufe oder Applaus, das ist egal.
Wobei man sagen muß: Im Zweifelsfalle ist ihnen der Theaterskandal lieber.
In ihrer Selbstwahrnehmung sind sie Kritiker, die einer maroden Gesellschaft den Spiegel
vorhalten, und besonders gerne arbeiten sie sich an der Tagespolitik ab. Darum flimmern
im Hintergrund der Bühnenbilder oft Monitore, auf denen Politiker zu sehen sind –
beim Halten einer Bundestagsrede etc.
Merkel: Ich auch?
Referent: Aber ganz bestimmt. Und ein Lob aus ihrem Munde, Frau Bundeskanzlerin,
ist das sicherste Mittel, so einen Regietheater-Regisseur zu diskreditieren. Darf ich Ihnen
Ihre diesjährige Rede überreichen? Es wäre gut, wenn Sie den Text einmal komplett durchgingen,
damit Sie nachher frei sprechen können.
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Von unserem nicht dorthin entsandten Korrespondenten
Die Bundeskanzlerin im Fond ihres Dienstwagens, irgendwelche Unterlagen durchblätternd,
zwischendurch mit ihrem Smartphone herumspielend. Vorne auf dem Beifahrersitz
ihr Pressereferent.
Merkel: Was steht als nächstes auf der Liste?
Referent: Bayreuth.
Merkel: Ach, dafür muß ich diesen rosa Fummel tragen. Was mache ich dort?
Referent: Nichts. Sie sind einfach anwesend. Die Wagner-Festspiele werden eröffnet.
Merkel: Wagner? Der von der „Bild“-Zeitung? Der macht Festspiele?
Referent: Nein, ein Komponist gleichen Nachnamens. Es sind Opernfestspiele.
Merkel: War ich da nicht schon mal?
Referent: Jedes Jahr. Sie treffen dort Herrn Prof. Dr. Joachim Sauer...
Merkel: Ein Doktor? Ist seine Dissertation in Ordnung?
Referent: Ich verstehe nicht.
Merkel: Kein Plagiatsverdacht?
Referent: Frau Bundeskanzlerin, wir sprechen von Ihrem Ehemann.
Merkel: Ach, der... Na gut – weiter?
Referent: Sie machen den Perp Walk mit ihm und geben Autogramme. Dann gehen Sie
ins Innere des Festspielhauses und sehen sich die Oper an. In den Pausen und vorallem
danach sollten Sie über das Stück sprechen können.
Merkel (seufzend, klappt ihr Smartphone zu): Also gut. Wovon handelt es?
Referent: Es heißt „Tannhäuser“, spielt im Mittelalter und handelt von einem Gesangswettbewerb.
Hauptfigur ist ein erotomaner Sänger, der sich zwischen dem Ausleben sexueller Obsessionen
in der Virtualität und keuscher Liebe in der Wirklichkeit nicht entscheiden kann.
Merkel: Das klingt sehr zeitgenössisch.
Referent: Nicht zeitgenössisch genug. Der Regisseur und sein Bühnenbildner bereichern
die Oper um das Thema ,alternative Energiegewinnung': Ethanolgewinnung aus Zuckerrüben
und Biogasproduktion aus – nun ja – Exkrementen des Opernchores...
Merkel: Moment... Sie sagten, das Stück spielt im Mittelalter?
Referent: Ja, aber man nennt das Regietheater: Ein Stück wird gegen den Strich gebürstet,
die Rezeptionsgeschichte fließt mit ein in die Inszenierung, und der Regisseur thematisiert
die Schwierigkeiten, die er mit dem Stück hat.
Merkel: Wenn er Schwierigkeiten mit dem Stück hat, soll er es nicht inszenieren.
Referent: Aber fürs Regietheater ist das die Voraussetzung. Den „Lohengrin“,
eine – soweit ich weiß – ebenfalls im Mittelalter spielende Wagner-Oper,
ließ ein anderer Regisseur im Versuchslabor spielen – unter Laborratten.
Merkel: So ein Quatsch!
Referent: Pardon, Frau Bundeskanzlerin, aber Sie haben das Stück letztes Jahr gesehen
und den Regisseur nachher in einer Ansprache sogar zu seiner gelungenen Inszenierung
beglückwünscht.
Merkel: Wer hatte die Rede geschrieben?
Referent: Ich.
Merkel: Und warum lassen Sie mich so einen Quatsch loben?
Referent: Es ist schlecht fürs Renommée, sich als Gegner des Regietheaters zu outen,
gerade für Sie als Christdemokratin. Außerdem: Regietheater-Regisseure verbuchen
jede Art von Publikumsreaktion als Erfolg – ob Buh-Rufe oder Applaus, das ist egal.
Wobei man sagen muß: Im Zweifelsfalle ist ihnen der Theaterskandal lieber.
In ihrer Selbstwahrnehmung sind sie Kritiker, die einer maroden Gesellschaft den Spiegel
vorhalten, und besonders gerne arbeiten sie sich an der Tagespolitik ab. Darum flimmern
im Hintergrund der Bühnenbilder oft Monitore, auf denen Politiker zu sehen sind –
beim Halten einer Bundestagsrede etc.
Merkel: Ich auch?
Referent: Aber ganz bestimmt. Und ein Lob aus ihrem Munde, Frau Bundeskanzlerin,
ist das sicherste Mittel, so einen Regietheater-Regisseur zu diskreditieren. Darf ich Ihnen
Ihre diesjährige Rede überreichen? Es wäre gut, wenn Sie den Text einmal komplett durchgingen,
damit Sie nachher frei sprechen können.
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