Soviel zu meiner Einstellung der historisch informierten Aufführungspraxis gegenüber- HIP-Hipp-Hurra!
@mmueller52 das kann ich - teilweise - nachvollziehen.
Aber - da ist nicht alles schlecht (auch nicht bei Norrington!). Die beste
belle Helene (Offenbach), die ich je gehört habe, ist Harnancourt in der Pariser Oper mit historischen Instrumenten (!!!) - und völlig zurecht wurde der dafür immens bejubelt.
Allerdings muss man speziell hierzu konstatieren, dass sich die historischen Instrumente a la Offenbach-Zeit (Mitte 19. Jh.) nahezu nicht von unseren heutigen unterscheiden...!!!
Da ja gerne viel quasi-esoterisches Blabla über die Klaviere von Chopin & Co. abgesondert wird, könnte eine ganz andere Überlegung vielleicht hilfreich sein: mit Beethoven begann
das Orchester immer größer zu werden. Schon sein 5. Klavierkonzert (ja sogar das 4. vorher schon) überforderte die damaligen Instrumente (sie sind zu leise!) - das Zeugs war für Instrumente konzipiert, die es damals noch nicht gab... Beethoven war kaum tot (1827), da schockte Berlioz die Musikwelt mit einer gigantisch lärmigen Sinfonie mit aus damaliger Sicht riesigem Orchester: die beliebte Fantastique. Und zu dieser gab es auch noch - hurra - Berlioz´ Instrumentationslehre. Das spätromantische Riesenorchester war mittels einer brachialen Sturzgeburt zur Welt gekommen. Schumann, Liszt, Wagner, Verdi, Brahms, Grieg, Bruckner, Tschaikowski - sie alle orientierten sich daran.
aha, soso - was soll das Blabla?
ganz einfach: die genannten Jungs (ausgenommen Wagner, Bruckner, Verdi)
komponierten Klavierkonzerte just mit diesem riesigen lärmigen Orchester - in Gottes Namen: Schumann, Liszt, Brahms, Grieg, Tschaikowski hätten komplette Vollidioten sein müssen, wenn sie ihre uns allen bekannten Konzerte für zu leise Tastengurken konzipiert und komponiert hätten




Aber die waren keine Vollidioten: die hatten Instrumente, die unseren heutigen entsprechen - andernfalls wäre ein Konzert wie das erste von Brahms ja eine katastrophale Missgeburt



isses aber nicht.
Beethoven hatte da Pech: obwohl sich die Instrumente zu seinen Lebzeiten sehr vehement entwickelten, so hatte er doch nie einen quasi modernen Konzertflügel zur Verfügung, nicht mal für seine letzten Sonaten (das sieht man schön an seinen Anweisungen wie "poi a poi tre corde": sowas geht auf keinem Bechstein von 1850) - aber gerade mal 10 Jahre nach den letzten Beethovensonaten waren die Instrumente disponiert genug, um Chopinetüden und Liszt-Transkriptionen auszuhalten und bald darauf eben auch Lisztkonzerte und Brahms usw*)
Man erinnere sich, wie unzufrieden Chopin in seiner Pariser Zeit mit den Flügeln war (hierzu lohnt sich, seine erhaltenen Briefe zu lesen!) - und er hatte die besten zur Verfügung. Chopin ist da ein Grenzfall: die Instrumente, die ihm zur Verfügung standen, gaben anfangs**) noch nicht ganz das her, was er in seinen Partituren vorgeschrieben hatte, aber das änderte sich rasant (industrielle Revolution en detail) und für Zeugs wie die op.53 Polonaise waren dann schon klangmächtige Instrumente parat.
Es ist, nüchtern bei Licht betrachtet, pseudoesoterisches Blabla, dass man "dem Chopinklang" nur mit historischen Instrumenten auf die Schliche kommen könne!
Spieltechnisch und instrumententechnisch beginnt das heutige Klavierspiel mit Chopin und Liszt, und wir brauchen für die Klaviermusik ab einschließlich diesen beiden keine historischen Gurken. peng. aus.
Historische Aufführungspraxis zu untersuchen ist von großem Interesse - vielleicht ohne große Erkenntnisse zu erbringen - für die Zeit
vor 1830, aber danach ist das eher entbehrlich***)
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*) es kann nie schaden, sich klar zu machen, dass die brachiale Lisztsche Transkription der brutalen Berliozsinfonie zeitgleich mit den Chopinetüden entstand!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
**) die beiden Bände Etüden sind noch un peu instrumentale Zukunftsmusik - die Polonaise-Fantasie ist das nicht mehr
***) hier sind weniger die Instrumente, die unseren heutigen entsprechen, als die Spielweisen von Interesse