Mögt Ihr die historische Aufführungspraxis?

  • Ersteller des Themas Pianojayjay
  • Erstellungsdatum

Die historischen Instrumente fehlen mir bei den ganzen Konzerten und Festivals.
Ich glaube, deshalb bin ich auch mit Bach noch nicht so richtig warm geworden. Es kann der tollste Interpret sein- aber Bach am Steinway- da kommt bei mir nicht wirklich was rüber.
 
Die historischen Instrumente fehlen mir bei den ganzen Konzerten und Festivals.
Ich glaube, deshalb bin ich auch mit Bach noch nicht so richtig warm geworden. Es kann der tollste Interpret sein- aber Bach am Steinway- da kommt bei mir nicht wirklich was rüber.

Kommt drauf an. Das ist halt eine ganz andere Baustelle. Habe mir über die Zeit zwei Gesamteinspielungen des WTC heruntergeladen, eine auf Cembalo von Helmut Walcha und die zweite von Scziff am Steinway. Nimm beispielsweise das Präludium Nr. III (Cis-dur) aus Buch 1. Die Walcha-Aufnahme ist geradlinig, schnörkellos und druckvoll. Die von Scziff ist da wesentlich leiser, verspielter und ausdrucksvoller. Beide Aufnahmen haben ihren ganz eigenen Charakter, was zum Teil zwar auch an den Interpreten liegen wird, zum großen Teil aber auch an den völlig unterschiedlichen Instrumenten.
 
Ich hatte 20 Jahre ein Abo beim Radiosinfonieorchester Stuttgart. Als Norrington Chefdirigent wurde, habe ich es gekündigt. Ich finde seinen berühmten "Stuttgart Sound" grässlich. Ich habe noch die Ära Celibidache in Stuttgart erlebt. Was Norrington aus dem von Celi erarbeiteten Klang gemacht hat, ist ein Verbrechen und gehört bestraft...
Soviel zu meiner Einstellung der historisch informierten Aufführungspraxis gegenüber- HIP-Hipp-Hurra!
LG Martin
 
Soviel zu meiner Einstellung der historisch informierten Aufführungspraxis gegenüber- HIP-Hipp-Hurra!
@mmueller52 das kann ich - teilweise - nachvollziehen.
Aber - da ist nicht alles schlecht (auch nicht bei Norrington!). Die beste belle Helene (Offenbach), die ich je gehört habe, ist Harnancourt in der Pariser Oper mit historischen Instrumenten (!!!) - und völlig zurecht wurde der dafür immens bejubelt. Allerdings muss man speziell hierzu konstatieren, dass sich die historischen Instrumente a la Offenbach-Zeit (Mitte 19. Jh.) nahezu nicht von unseren heutigen unterscheiden...!!!
Da ja gerne viel quasi-esoterisches Blabla über die Klaviere von Chopin & Co. abgesondert wird, könnte eine ganz andere Überlegung vielleicht hilfreich sein: mit Beethoven begann das Orchester immer größer zu werden. Schon sein 5. Klavierkonzert (ja sogar das 4. vorher schon) überforderte die damaligen Instrumente (sie sind zu leise!) - das Zeugs war für Instrumente konzipiert, die es damals noch nicht gab... Beethoven war kaum tot (1827), da schockte Berlioz die Musikwelt mit einer gigantisch lärmigen Sinfonie mit aus damaliger Sicht riesigem Orchester: die beliebte Fantastique. Und zu dieser gab es auch noch - hurra - Berlioz´ Instrumentationslehre. Das spätromantische Riesenorchester war mittels einer brachialen Sturzgeburt zur Welt gekommen. Schumann, Liszt, Wagner, Verdi, Brahms, Grieg, Bruckner, Tschaikowski - sie alle orientierten sich daran.
aha, soso - was soll das Blabla?
ganz einfach: die genannten Jungs (ausgenommen Wagner, Bruckner, Verdi) komponierten Klavierkonzerte just mit diesem riesigen lärmigen Orchester - in Gottes Namen: Schumann, Liszt, Brahms, Grieg, Tschaikowski hätten komplette Vollidioten sein müssen, wenn sie ihre uns allen bekannten Konzerte für zu leise Tastengurken konzipiert und komponiert hätten :lol::lol::lol::lol:
Aber die waren keine Vollidioten: die hatten Instrumente, die unseren heutigen entsprechen - andernfalls wäre ein Konzert wie das erste von Brahms ja eine katastrophale Missgeburt :-D:-D:-D isses aber nicht.

Beethoven hatte da Pech: obwohl sich die Instrumente zu seinen Lebzeiten sehr vehement entwickelten, so hatte er doch nie einen quasi modernen Konzertflügel zur Verfügung, nicht mal für seine letzten Sonaten (das sieht man schön an seinen Anweisungen wie "poi a poi tre corde": sowas geht auf keinem Bechstein von 1850) - aber gerade mal 10 Jahre nach den letzten Beethovensonaten waren die Instrumente disponiert genug, um Chopinetüden und Liszt-Transkriptionen auszuhalten und bald darauf eben auch Lisztkonzerte und Brahms usw*)
Man erinnere sich, wie unzufrieden Chopin in seiner Pariser Zeit mit den Flügeln war (hierzu lohnt sich, seine erhaltenen Briefe zu lesen!) - und er hatte die besten zur Verfügung. Chopin ist da ein Grenzfall: die Instrumente, die ihm zur Verfügung standen, gaben anfangs**) noch nicht ganz das her, was er in seinen Partituren vorgeschrieben hatte, aber das änderte sich rasant (industrielle Revolution en detail) und für Zeugs wie die op.53 Polonaise waren dann schon klangmächtige Instrumente parat.
Es ist, nüchtern bei Licht betrachtet, pseudoesoterisches Blabla, dass man "dem Chopinklang" nur mit historischen Instrumenten auf die Schliche kommen könne!
Spieltechnisch und instrumententechnisch beginnt das heutige Klavierspiel mit Chopin und Liszt, und wir brauchen für die Klaviermusik ab einschließlich diesen beiden keine historischen Gurken. peng. aus.

Historische Aufführungspraxis zu untersuchen ist von großem Interesse - vielleicht ohne große Erkenntnisse zu erbringen - für die Zeit vor 1830, aber danach ist das eher entbehrlich***)
______________
*) es kann nie schaden, sich klar zu machen, dass die brachiale Lisztsche Transkription der brutalen Berliozsinfonie zeitgleich mit den Chopinetüden entstand!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
**) die beiden Bände Etüden sind noch un peu instrumentale Zukunftsmusik - die Polonaise-Fantasie ist das nicht mehr
***) hier sind weniger die Instrumente, die unseren heutigen entsprechen, als die Spielweisen von Interesse
 
Spieltechnisch und instrumententechnisch beginnt das heutige Klavierspiel mit Chopin und Liszt, und wir brauchen für die Klaviermusik ab einschließlich diesen beiden keine historischen Gurken.

In diesem Zusammenhang würde mich interessieren, wie du die Entwicklung der Kreuzsaiter (ich glaube so ca. ab 1860) siehst. Ich erinnere mich da an einen Besuch bei Gert Hecher beim letzten Wiener Treffen. Er hat uns dort die Unterschiede u.a. anhand des Beginns von Liszts Funérailles gezeigt. Die Unterschiede zwischen Grad- und Kreuzsaiter waren sehr deutlich zu hören, auch kann man ganz anders pedalisieren. Das soll natürlich nicht heißen, man könne das Stück nicht adäquat auf modernen Flügeln spielen (wird ja zu genüge gemacht), es klingt eben nur anders. Das kann man natürlich als unerheblich einstugfen, dennoch war es sehr interessant, das mal so zu hören.

Viele Grüße!
 
Zuletzt bearbeitet:
Er hat uns dort die Unterschiede u.a. anhand des Beginns von Liszts Funérailles gezeigt. Die Unterschiede zwischen Grad- und Kreuzsaiter waren sehr deutlich zu hören, auch kann man ganz anders pedalisieren.

Wenn ich mich recht erinnere, hat er sogar darauf hingewiesen, dass Streicher die Kreuzsaiter-Mode überhaupt nicht einsah, aber sich dem Kundenwunsch beugte, und das mit dem Kommentar "dann sollen sie auch dafür bezahlen".
 
In diesem Zusammenhang würde mich interessieren, wie du die Entwicklung der Kreuzsaiter (ich glaube so ca. ab 1860) siehst.
Was soll es da wunderbares zu sehen (oder besser: zu hören) geben? schau:
entweder die Dämpfung funktioniert präzise oder sie tut das nicht!

Was die bautechnische Entwicklung der Dämpfung an großen Flügeln betrifft: je klangstärker die Instrumente wurden (gußeiserne Rahmen infolge der industriellen Revolution ermöglichten zunehmende Saiten längen und Saitenspannungen, vereinfacht gesagt) umso weiter hinauf in den Diskant wurden Dämpfer installiert (um den pedalfreien Klang so auber wie möglich zu halten) Für eine präzise Dämpfung (sofern sie tatsächlich präzise funktioniert) ist völlig egal, wie die Saiten angeordnet sind. Schaust du dir einen Bechstein Konzertflügel aus den 50er Jahren des 19. Jhs. an (auf so einem wurde die h-Moll Sonate uraufgeführt) wirst du feststellen, dass der Unterschied zu einem heutigen minimal ist (heute reicht die Dämpfung lediglich paar Halbtöne weiter rauf als vor nunmehr über 160 Jahren!!) -- frag´ auch @Destenay , der kennt den Bechstein Konzertflügel von ca. 1858, der in Bayreuth zeitweilig bei Steingraeber ausgestellt war; zu schweigen von Wagners herrlichem Steinway im selben Provinzstädtlein ;)

Liszts Notation zum Pedalgebrauch, sofern er überhaupt eine machte (!), ist meistens sehr allgemein gehalten ("verständiger Pedalgebrauch wird vorausgesetzt", "Pedal mit jedem Takt") und nur in wenigen speziellen Fällen - z.B. Mephistowalzer, Parsifaltranskription - gibt er detailliertere Anweisungen: im Mephistowalzer will er einen recht brutalen Lärmeffekt haben, den man meistens scheut (also die Vorschrift nicht ausführt), in der Parsifaltranskription will er partienweise die Glockenklänge (Bassoktaven) mit Pedaleinsatz gegen den Rhythmus auf der tiefsten Oktave (und schreibt dazu extra eine Fußnote, dass diese Pedalanweisungen unbedingt eingehalten werden sollen) - - über die Instrumente sagen Liszts Pedalnotationen nichts aus, es gibt da keine einzige, die auf irgendein spezielles Instrument gemünzt wären!
 
Neulich war ich übrigens in einem Konzert, wo der Steinway in der Pause vom "Gesteller" (oder wi sagt man da?) nachgestimmt werden mußte.
Bei Steingräber habe ich das auch schon erlebt. Eine junge Pianistin (ich glaube es war Yuki Kondo) spielte mit sehr viel Karft (aber dennoch musikalisch - eine Kombination, die nur wenige schaffen) auf einem relativ kleinen Flügel, man wunderte sich, wie der dies aushielt. In der Pause wurde nachgestimmt.
 

Zurück
Top Bottom