Ich beobachte ja nun recht aktiv Reddit /r/piano und die Anzahl der "self-taught" Menschen, zumeist Jugendliche, ist erstaunlich hoch. Und sie wollen alle dieselben Stücke spielen: Clair de Lune, Mondscheinsonate 3. Satz, Leibestreum No.3, Fantasie Impromptu, La Campanella, 1. Ballade.
		
		
	 
Das ist mir auch aufgefallen, vor allem auf Youtube, TikTok usw. 
Die Liste liest sich doch eigentlich nicht schlecht. Die genannten Stücke sind (und waren) zwar immer schon populär, aber keinem der Stücke wird man ernsthaft musikalische Qualität absprechen können. Ganz im Gegenteil. Das lässt doch wirklich hoffen, ich finde das wunderbar. 
Die Liste der Stücke wird auf den einschlägigen Plattformen meist ergänzt durch Filmmusik und "Internetphänomene" (z.B. Rush E), die heute so in etwa das Pendant zum früheren Gebet einer Jungfrau, Ballade pour Adeline etc. darstellen dürften.
Die eigentliche Frage die sich mir nur stellt: Wie hartnäckig bleibt ein Klavieranfänger "dran", sobald er merkt, dass er nach ein paar Wochen "Klavier-self-teaching" nicht in der Lage ist, den Liebestraum und - erst recht nicht - die 1. Chopin-Ballade, Campanella und den 3. Satz der Mondscheinsonate zu spielen?
Wie viele Leute hiervon geben nach kurzer Zeit entnervt auf und stellen ihr Keyboard schnell in die Ecke bzw. auf Ebay? Wie viele Leute hiervon beschließen, dass ihnen die Comptine oder sonstige leichtere Filmmusik als Alternative ausreicht? Oder wie viele Ehrgeizige gibt es tatsächlich, die als Reaktion auf die erste Ernüchterung beschließen, sich einen Klavierlehrer zu suchen, um irgendwann einmal dahin zu kommen, diese schwierigeren klassischen Stücke spielen zu können? 
Vielleicht gibt es einige Klavierlehrer hier, die dazu aus Erfahrung berichten können?
Eines wird man wohl nicht wegdiskutieren können und jammern lohnt sich darüber nicht: Die Zeit ab Mitte des 19 Jahrhunderts, in dem in jedem gutbürgerlichen Haushalt noch ein Klavier stand, Musikunterricht der Kinder zum unverzichtbar guten Ton gehörte, sind in unseren westlichen Gesellschaften in dieser Form und Breite einfach vorbei. Die Gründe dafür sind vielfältig und würden jetzt den Rahmen sprengen. Auf der anderen Seite muss man doch mit Freude feststellen, dass unsere (klassische Musik-)Welt noch lange nicht vor dem Untergang steht, wenn sich heute im Internet eine riesige Zahl von jungen Menschen für den 3. Satz der Mondscheinsonate begeistert. Ob sie das nun spielen können, oder nicht.