Künstlerischer Schaffensprozess vs Rezeption

Das ist eine gewagte These. Kannst du Beispiele nennen für Persönlichkeiten, die sich in den Mittelpunkt drängen? Diese Formulierung impliziert ja auch, dass andere, die es verdient hätten, aus dem Mittelpunkt verdrängt werden.
Das ist keine gewagte These, das ist normaler Alltag. Wer das nicht weiß, gehört zur ersten Gruppe.
 
@Klavirus
Mir ist unklar, was du meinst. Übrigens gehören zu jeder Behauptung Argumente und Belege. Genau danach habe ich gefragt.
 
Wolfgang Schmieder ist? Nein? Wusste ich auch lange nicht. Es ist der Begründer und Ersteller des BWV, Bachwerkeverzeichnis. Er hätte es auch Schmieder-Verzeichnis nennen können,
Das war allerdings nicht das „Verdienst“ von Herrn Schmieder. Noch in den Bach-Ausgaben der 60er Jahre des Henle-Verlags heißt es selbstverständlich „Schmieder-Verzeichnis“. Daß es HWV, TWV, BuxVerz. gibt, hat eher etwas damit zu tun, daß die Forschungsarbeit auf dem Gebiet stärker institutionalisiert ist und nicht sosehr auf den Schultern Einzelner ruht. - By the way: Die Entstehung des BWV resp. Schmieder-Verzeichnisses ist überhaupt ein spannendes Kapitel.
 
Zum kreativen Schaffensprozess führe ich Hermann Hesse an, einen Dichter, den ich sehr liebe und dessen Auskunft mir sehr vernünftig scheint:

"Es versteht sich ja von selbst, daß ein Künstler, wenn er die Kunst zu seinem Beruf und Lebensinhalt macht, zuerst alles irgend Erlernbare an Handwerk lerne, und nicht meinen darf, er müsse dies Lernen vermeiden, damit nur ja seine kostbare Persönlichkeit und Originalität nicht verloren gehe. Der Künstler, der als Künstler dem Lernen und dem Sichplagen ausweicht, wird es auch als Mensch tun, er wird weder Freunden noch Frauen, weder seinen Kindern noch seiner bürgerlichen Gemeinschaft gerecht werden, sondern mit seiner gewahrten Originalität eben unnütz beiseite hocken und verkommen, wir haben haben manche Beispiele dieser Art gekannt."
(das ist aus einem Brief "An einen jungen Künstler", 1949, auch im Ganzen sehr lesenswert; ich habe es entnommen aus: "Die Antwort bist du selbst. Briefe an junge Menschen").

lg marcus
 
Das ist nicht die Herangehensweise von Künstlern, sondern von Dilettanten, die sich für Künstler halten.

Eine der Lieblingsideen der Liebhaber ist das Genie, dem alles ohne Mühe gelingt, dem (oder auch der) der - bekanntlich liebe - Gott alle Weisheit der Welt eingeträufelt hat, und der/die/das himmelweit über so ordinären Dingen wie lernen, üben oder sich anstrengen thronen. Man stelle sich ein Genie vor, welches im Schweiße seines Angesichts arbeitet!! Unmöglich!
Da wirkt in Deutschland noch der gute alte Nietzsche mit seinem Übermenschen nach.
 
Es schien mir eher darum zu gehen, sezierende Sekundärliteratur in die Schranken zu verweisen. In diesem Bereich agieren eben oft Persönlichkeiten, die sich mit ihrem Tun ungerechtfertigterweise allzu sehr in den Mittelpunkt stellen, wirklich kulturschaffend sind diese dagegen nur bedingt.

@Felix Hack
Das ist eine gewagte These. Kannst du Beispiele nennen für Persönlichkeiten, die sich in den Mittelpunkt drängen? Diese Formulierung impliziert ja auch, dass andere, die es verdient hätten, aus dem Mittelpunkt verdrängt werden. Wer wäre das dann bzw. in welcher Situation ist so etwas vorgekommen?

Ich sehe den Bereich der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Kunstwerken, egal welcher Art, kritisch, sofern diese denn um ihrer selbst willen geschieht und dann sozusagen intrinsisch motiviert ohne irgendeine Bremse bis zum Exzess getrieben wird. Da schaffen sich ein paar der Welt entrückte Wissenschaftler in ihrem Elfenbeinturm ausgehend von realen, nennen wir es mal „primären“ Kunstwerken, so eine eigene sekundäre gedankliche Kunstwelt, die dann kaum jemand mehr nachvollziehen kann, und wenn dann doch, mit welchem Gewinn und für wen? Kann man da denn wirklich von dem dabei entstehenden Output (d.h. das dabei angehäufte Wissen), wieder vorne in den Primärkreislauf etwas Sinnvolles einspeisen? Gibt es wirklich viele gelungene Beispiele dafür? Ist eine gelungene Rückkoppelung in den Primärkreis dann vielleicht nicht doch eher ein Zufallsprodukt, dass natürlich nie ausgeschlossen werden kann? Kann man denn nicht eigentlich jegliches künstlerisches Produkt, das erstmal aus der unmittelbaren akustischen / optischen oder wie auch immer gearteten sinnlichen Wahrnehmung heraus absolut nichts taugt, wiederum als hohe Kunst missverstehen und darstellen, wenn man bei der gedanklichen analyitischen Nachmodellierung des Werkes nur den Abstraktionslevel hoch genug ansetzt?

Umso mehr Fragezeichen sich da vor ihren Füßen ansammeln, desto mehr scheinen die handelnden Personen in dieser ihrer ganz eigenen Kunstwelt unter Rechtfertigungsdruck zu stehen, was dann zu einiger Wichtigtuerei und an den Haaren herbeigezogenen Streitereien im Kollegenkreis führt. Alles völlig nachvollziehbar. Ach ja, und umso höher die Fresstöpfe in der betreffenden Branche hängen, desto vehementer werden diese Schaukämpfe ausgetragen, weil jeder eben umso mehr darauf bedacht sein muss, einen höchstmöglichen Rang in seiner Zunft einzunehmen.

Ich höre mir ja öfters, wenn ich abends mit dem Auto unterwegs bin (also somit, wenn ein anspruchsvolles Radioprogramm nicht zu sehr stört) auf D-Radio Kultur solche Diskussionen über vielfältige kulturelle Themen an. Oft sehr spannend und interessant, deshalb höre ich das ja auch. Aber oft eben auch grauslich, was die z.T. hochdekorierten Diskutanten da so an Haarspalterei, Übertreibungen, künstliche Empörung und sonstiges Gegockele usw. betreiben. Eigentlich nur erklärbar damit, dass es ihnen eben zuerst um sich selbst und ihren Marktwert auf solchen Podien geht. Die Kunstwerke, um die es geht, na ja, die sind unter diesem Aspekt eigentlich beliebig austauschbar. Also hört Euch mal, falls Ihr das nicht sowieso tut, oder falls ihr solche Erfahrungen nicht ständig sowieso anderweitig macht, solche Sendungen an, dann findet Ihr genug der geforderten Beweise für diese These.

Letztendlich lohnenswert finde ich eine eingehende analytische Auseinandersetzung mit Kunstwerken da, wo die gewonnenen Erkenntnisse dazu genutzt werden, einen eigenen Schaffensprozess anzureichern, bzw. anderen dazu zu verhelfen, dies zu tun. In einem solchen Falle tut man das dann aber eben nicht mit derart pseudo-leidenschaftlichem Getöse (zwecks Mittelpunkt). Vielleicht auch schon deshalb nicht, weil man das, das man sich dabei mühsam erarbeitet hat und das einem auch tatsächlich zu etwas nütze ist, ja auch nicht beliebig in die Welt streut.
 
Ich sehe den Bereich der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Kunstwerken, egal welcher Art, kritisch,

Ich höre mir ja öfters, wenn ich abends mit dem Auto unterwegs bin (also somit, wenn ein anspruchsvolles Radioprogramm nicht zu sehr stört) auf D-Radio Kultur solche Diskussionen über vielfältige kulturelle Themen an.

Die Kollokation dieser beiden Sätze erweckt den Eindruck, dass Du die übliche Kunstproa des Feuilletons mit der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Musik und Literatur verwechselst. Hast Du schon jemals etwa von Rezeptionsästhetik und Rezpetionsforschung gehört? Von Formen- und Gattungsgeschichte? Da etwa fändest Du das "Ja" auf deine rhetorischen Fragen.
 

Diese Disziplinen mögen alle Ihre Berechtigung haben, aber, selbst wenn ich jetzt noch in einem Alter wäre, wo das zur Debatte stünde, würde ich bei so einigen der geschilderten Diskutanten (klar, das ist Feuilleton, aber meistens eben anders als bei der örtlichen Lokalzeitung auch durchaus wissenschaftlich besetzt) eher nicht wg. eines Studienplatzes vorstellig werden wollen...
 
Ich hab mich in der Schule immer drüber aufgeregt, wie wir Gedichte seziert (sic...) haben. Ob dem Autor wirklich ständig bewusst war, dass er hier ein Homoioteleuton oder einen Neologismus zweiter Klasse eingesetzt hat? Ich glaubte nicht!
Ich glaube es noch immer nicht, denn Schreiben ist für mich ein intuitiverer Vorgang als Musizieren. Denn Sprechen lernt der normale Mensch automatisch, Klavierspielen eher nicht.

Aber: Ich vermute, dass viele gute Autoren sich bewusster darüber sind, was sie tun, als ich es früher angenommen habe. Vielleicht bekommt das Kind nicht immer so zungenbrecherische Namen. Aber ob ich schreibe "Das Blatt ist grün" oder "Das Blatt leuchtet wie ein Käse, den ich zwei Monate in der Brotdose gelassen habe", macht doch einen Unterschied, der mir sehr bewusst ist :005:
Und es ist auch keineswegs ausgeschlossen, das sich noch fünf Vergleiche bemühen muss, bis ich bei "Das Blatt schimmert so ähnlich wie mein blauer Fleck von vorgestern" angelangt bin. :022:

Spaß beiseite: Wenn ich noch nie von irgendwelchen Stilmitteln gehört habe, kann ich nicht so gut eine Grundlage aufbauen, auf der sich meine Intuition und Kreativität entfalten kann. Das ist wie beim üben: Wenn ich ein Stück sehr genau (durchaus analytisch - unabhängig von der Musiktheorie) betrachtet und geübt habe, stehen mir später im Konzert so viele Mittel zur Verfügung, dass ich spontan, frei, kreativ spielen kann, ohne darüber nachzudenken.
 
Was @Felix Hack vermutlich kritisiert, ist ein eitler Kunstbetrieb, dem es nur um sich selbst geht, der versucht, sich mithilfe wirklicher Kunstwerke und deren Urheber zu profilieren. Damit verbunden ist der böse, aber teilweise wohl wahre Satz, man könne Germanistik studieren, ohne ein einziges Werk als Primärliteratur gelesen zu haben, weil das Lesen der Sekundärliteratur den Professoren ausreiche. Und manchen Professoren sagt man nach, sie würden bei der Neuerscheinung eines ihrer Kollegen zuerst im Literaturverzeichnis nachsehen, ob ihr eigener Name dort stehe.

Von diesen Abgründen menschlicher Eitelkeit ist aber die Sache zu trennen, auf die hier z.B. @Stilblüte und andere eingegangen sind.

Und für gelungene und treffende Analysen gibt es den Begriff kongenial, der nicht gleichzusetzen ist mit dem Begriff genial, der für Kunstwerke gilt.
 
Damit verbunden ist der böse, aber teilweise wohl wahre Satz, man könne Germanistik studieren, ohne ein einziges Werk als Primärliteratur gelesen zu haben, weil das Lesen der Sekundärliteratur den Professoren ausreiche.

Und wo, behauptest Du, geht das? Und wie kannst Du anhand der Sekundärliteratur über einen Text sprechen, den du nicht kennst? Oder referierst du hier vielleich sog. anekdotisches Wissen?

Und könntest Du bitte auch erklären, inwiefern eine Aussage über den Kunst- bzw. Feuilletonbetrieb mit einer über das Germanistikstudium "verbunden" ist?
 
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Ich bin überzeugt davon, dass Komponisten wie Bach, Mozart, Beethoven, Brahms, Wagner Debussy etc.pp. stets sehr genau gewusst haben, was sie gerade tun und die Wirkung jeder einzelnen Note präzise kalkuliert haben.

Zu jeder Zeit gab es ein mehr oder weniger festes Regelwerk dessen, was für gut und richtig befunden wurde. Dieses Regelwerk haben sich alle großen Komponisten mit viel Fleiß und Mühe angeeignet und diese Regeln weitgehend befolgt. Selbst ein Genie wie Anton Bruckner unterwarf sich noch im Alter von über 30 dem gefürchtet strengen Kontrapunktunterricht eines Simon Sechter. Was er da gemacht hat? Werke analysiert, und das über etliche Jahre!

Wenn die Meister die Regeln gebrochen haben, dann nicht aus irgendeinem "genialen" Affekt heraus, sondern ganz bewusst, um bestimmte Wirkungen zu erzielen, die mit den bisherigen Mitteln nicht zu erzielen waren.

Man kann ohne profunde Meisterschaft des Handwerks vielleicht - und dann mit viel Glück! - eine kleine Miniatur erfinden, die künstlerischen Ansprüchen genügt. Ein großformatiges Werk? Nie und nimmer!
 
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@Ambros_Langleb
Es ist, wie ich oben geschrieben habe, ein „böser, aber teilweise wohl wahrer Satz“. Also ein Satz, der erzählt wurde und wird.

In meinem Studium wäre es mir durchaus möglich gewesen, eine Seminararbeit z.B. über die Erzählung „Das öde Haus“ von E.T.A. Hoffmann zu schreiben, indem ich nur eine Inhaltsangabe und Sekundärliteratur gelesen hätte. Natürlich habe ich auch den Primärtext gelesen, aber es wäre auch wie beschrieben möglich gewesen: ein reines Gegenüberstellen, Abwägen und Vergleichen verschiedener Texte der Sekundärliteratur, woraus dann eigene Schlüsse folgen.
 
Es war ein Seminar im Grundstudium. Aber auch später in anderen Seminaren wäre es vermutlich möglich gewesen. Ich habe damals oft über diesen Satz nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass es nicht nur an der Idee des Studierens vorbeiginge, sondern auch sehr mühsam wäre, Primärtexte über die Sekundärliteratur zu „rekonstruieren“.
 
Ich hab mich in der Schule immer drüber aufgeregt, wie wir Gedichte seziert (sic...) haben. Ob dem Autor wirklich ständig bewusst war, dass er hier ein Homoioteleuton oder einen Neologismus zweiter Klasse eingesetzt hat? Ich glaubte nicht!
Ich glaube es noch immer nicht, denn Schreiben ist für mich ein intuitiverer Vorgang als Musizieren. Denn Sprechen lernt der normale Mensch automatisch, Klavierspielen eher nicht.
vielleicht passt dies ja ein wenig zum Thema:
https://www.diepresse.com/5819254/r...atura-interpretation-ihres-textes?xtor=CS1-15
 

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