Künstlerischer Schaffensprozess vs Rezeption

Kannst du Beispiele nennen für Persönlichkeiten, die sich in den Mittelpunkt drängen?
Irgendwie entsinne ich mich, daß hier im Forum immer wieder mal eine Professorin(?) genannt wurde, die einen Jazz-Musiker analysiere, ihn aber nicht verstanden habe.
Vielleicht kann uns @hasenbein auf die Sprünge helfen, ich erinnere mich nicht genau genug.
 
Ich hab mich in der Schule immer drüber aufgeregt, wie wir Gedichte seziert (sic...) haben. Ob dem Autor wirklich ständig bewusst war, dass er hier ein Homoioteleuton oder einen Neologismus zweiter Klasse eingesetzt hat? Ich glaubte nicht!

Und welche Rolle spielt die Farbe Grün? Warum musste ausgerechnet eine grüne Tür sein? Warum konnte es nicht hinter einer blauen Tür sein? Fragen über Fragen.

Grüße
Häretiker
 
Und könntest Du bitte auch erklären, inwiefern eine Aussage über den Kunst- bzw. Feuilletonbetrieb mit einer über das Germanistikstudium "verbunden" ist?
Diese hatte ich vergessen, zu beantworten. In diesem Fadenthema sind beide Bereiche, nämlich Analyse und Persönliches (der Feuilletonbetrieb und seine Eitelkeiten) miteinander verbunden. Glücklich ist das nicht, aber darauf bezog ich mich.
 
Ich hab mich in der Schule immer drüber aufgeregt, wie wir Gedichte seziert (sic...) haben. Ob dem Autor wirklich ständig bewusst war, dass er hier ein Homoioteleuton oder einen Neologismus zweiter Klasse eingesetzt hat? Ich glaubte nicht!

Man sollte immer zwischen dem Phänomen und seiner Benennung unterscheiden.
Die Stilmittel wuerden sicher von guten Dichtern in guten Gedichten bewusst eingesetzt, davon bin ich (eventuelle Überinterpretationen ausgenommen) absolut überzeugt! Ob dieses aber in jedem Fall vom Autor korrekt bezeichnet wurde, lassen wir mal lieber dahingestellt.
Aber ich bin kein Germanist und bin daher eher vorsichtig.
Aber dass ein Komponist quasi unbewusst moduliert oder 'versehentlich ' einen doppelten Kontrapunkt schreibt, oder bei der Reprise ohne bewusste Absicht mit dem zweiten Thema (Chopin op. 35 I) einsetzt halte ich für äußerst unwahrscheinlich.
 
Es gibt in der Literaturwissenschaft die werkimmanente Interpretation, bei der der literarische Text mit seiner inneren strukturellen Gesetzmäßigkeit im Mittelpunkt steht (im Gegensatz z.B. zur Hermeneutik, bei der auch Außertextliches die Interpretation beeinflusst).
Roland Barthes sprach vom „Tod des Autors“, womit er meinte, dass Texte eine Art Eigenleben führen und nicht alles, was in einem Text steht, vom Autor intendiert bzw. kontrolliert werden kann.

Interessant ist die Frage, ob man analog vom „Tod des Komponisten“ sprechen kann. Allerdings sind Texte semiotische Zeichensysteme, deren Komplexität möglicherweise über die von Musikstücken als Zeichensysteme hinausgeht. Da bin ich mir aber überhaupt nicht sicher.
@Ambros_Langleb Was meinst du, gibt es da eine Analogie?
 
Roland Barthes sprach vom „Tod des Autors“, womit er meinte, dass Texte eine Art Eigenleben führen und nicht alles, was in einem Text steht, vom Autor intendiert bzw. kontrolliert werden kann.?
Da bin ich mir ziemlich sicher, das habe ich nämlich schon an mir selbst mehrfach erfahren! Warum sollte es auch anders sein als im "echten" Leben - da kann man Verhaltensweisen und Geschehnisse auch aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten.
 
Ich hab mich in der Schule immer drüber aufgeregt, wie wir Gedichte seziert (sic...) haben. Ob dem Autor wirklich ständig bewusst war, dass er hier ein Homoioteleuton oder einen Neologismus zweiter Klasse eingesetzt hat? Ich glaubte nicht!

Wenn Kunstwerke "seziert" (= untersucht, analysiert, interpretiert, kontextualisiert) werden, geht es selten darum, herauszufinden, was der Künstlerin oder dem Künstler "bewusst" war. Ist ja auch schwierig, es sei denn, wir haben Sekundärquellen (Briefe, Tagebücher, etc.), die das rekonstruieren lassen.

Nein, es geht um das Material, das als Werk vor uns liegt, erst mal unabhängig davon, wann wer es geschaffen hat (manchmal wissen wir das nicht). Die Kontexte für Interessenhorizonte können u.a. sein: das Werk innerhalb der ästhetischen Strukturen, in denen es verortet ist; das Werk soziologisch und historisch innerhalb seiner "Zeit" (Produktion und Rezeption).

Das Zurückführen auf Intentionen und Ideen der Künstlerin/des Künstlers ist ein eigenes, separates und schwieriges Verfahren, wenn es ernstgenommen werden möchte. Gerade in der Musik.

Der Unwille, ein Werk zu analysieren, ist selbstverständlich legitim (solange es nicht das bewusst gewählte Studienfach ist). Gerade, wenn Emotionen, Projektionen und Identifikationen mit dem Kunstgenuß, dem Kunstschaffen und/oder der Kunstaufführung verbunden sind. Aber häufig ist nicht die Analytik an sich mangelbehaftet, sondern das Motiv, sie abzulehnen.

Der Poststrukturalismus übrigens hat vorübergehend (und eher als Methode als unmittelbar gemeint) die Künstlerin/den Künstler komplett eliminiert, "ermordet"*: Wer nachgucken möchte: Roland Barthes: Der Tode des Autors; Michel Foucault: Was ist ein Autor?

* Wie Demian bereits erwähnt hat.
 
Zuletzt bearbeitet:
Zu jeder Zeit gab es ein mehr oder weniger festes Regelwerk dessen, was für gut und richtig befunden wurde. Dieses Regelwerk haben sich alle großen Komponisten mit viel Fleiß und Mühe angeeignet und diese Regeln weitgehend befolgt.

Zuweilen mit einer derartigen Souveränität, dass es für den Außenstehenden wie Zauberei (oder übermenschlich) wirken muss (J. S. Bach).
War es nicht J. S. Bach, der - ich befürchte im vollen Ernst! - meinte, er habe sehr fleißig sein müssen, wenn andere denselben Fleiß aufbrächten, so würden sie Gleiches schaffen können.
 
Der Poststrukturalismus übrigens hat vorübergehend (und eher als Methode als unmittelbar gemeint) die Künstlerin/den Künstler komplett eliminiert, "ermordet"*:

Das ist ein sehr interessanter Ansatz für die Betrachtung von 'großer Musik'!!
Ist die Matthäus Passion (oder op. 111 oder.... ) im Jahr 2020 wertvoller, besser, wichtiger, .... als zur Zeit ihrer Entstehung, da seit über 250 Jahren viele intelligente und musikalische Menschen sich mit ihr befasst haben und sich das Werk vom Komponisten und von den Gegebenheiten seiner Entstehung völlig abgelöst hat.
 

Hier hat er angeblich erst im Nachhinein erkannt, dass hinter seiner Kompositionsweise ein System steckt.

Das halte ich in Anbetracht seines erklärenden Buchs über die Technik seiner musikalischen Sprache für ein Gerücht.
Ein besseres Beispiel wäre eventuell Scriabin, den mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einige modernere Analysen seiner Spätwerke sehr überraschen würden. Der Prometheus Akkord hat sich jedenfalls sehr langsam in seinem Werk in die zentrale Position und (in den allerletzten Werken) wieder eher in den Hintergrund entwickelt. Dennoch hat Scriabin das Handwerk des Komponierens sehr kompetent beherrscht und seine Werke harmonisch und formal und polyphon/motivisch bewusst gestaltet. Dies ist durch intelligente Analyse auch im Detail nachvollziehbar und damit für einen Interpreten nutzbar zu machen. Und darum ging es hier ja primär.
 
Messiaen ist das Paradebeispiel für einen Komponisten, der den musiktheoretischen Überbau beherrscht hat wie kaum ein Zweiter. Er hat während seines ganzen Lebens Harmonielehre, Kontrapunkt und musikalische Analyse intensivst studiert und unterrichtet; sogar Bücher darüber geschrieben. Bei ihm ist jede Note präzise gewogen und kalkuliert, er hat nichts, aber auch gar nichts dem Zufall überlassen.

Was die Modi angeht: die sind ja in Teilen (u.a. Ganztonskalen) schon in den Werken Liszts und Debussys vorhanden. Und mit denen hat er sich akribisch auseinandergesetzt. Pelléas et Mélisande war für ihn ein Schlüsselwerk, das er über Jahre studiert und analysiert hat. Dass Messiaen die Modi per Zufall gefunden hat, kann man wirklich ausschließen. Er hat auch seine Rhythmen nicht per Zufall gefunden, sondern diese mathematisch konstruiert. Und dass ausgerechnet er eines der ersten seriellen Werke überhaupt geschrieben hat, verrät viel über seine Arbeitsweise.
 
Dass Messiaen die Modi per Zufall gefunden hat, kann man wirklich ausschließen. Er hat auch seine Rhythmen nicht per Zufall gefunden, sondern diese mathematisch konstruiert. Und dass ausgerechnet er eines der ersten seriellen Werke überhaupt geschrieben hat, verrät viel über seine Arbeitsweise.
Zumindest erzählt Jean Langlais aus seinen Erinnerungen an Messiaen auf dieser CD, dass ihm Messiaen selbst gesagt habe, das System seiner Kompositionen erst durch Analyse derselben entdeckt zu haben.
Zitat:
"He did not know his system and he told me that later on. He discovered his system by analysis, analyzing his works. He discovered the scales and everything that he did not decide before. He discovered afterwards. That is very strange! And this is artistic personality."

Natürlich hatte er das System bereits in jungen Jahren entdeckt, wenn sein Buch "Technique De Mon Langage Musical" schon 1944 erschien.
 

Zurück
Top Bottom