Ein Griff in die Geschichte der Musikästhetik
- handwerkliche Ausführung (Notation, Einhalten der gewählten Regeln etc.)
Heikel wird es nur bei Verstößen gegen die Regeln und gegen die Konvention. Wer legt fest, was noch legitim und was nicht mehr zuträglich ist? Wie sehr solche Urteile dem Zeitgeschmack unterliegen, mag die Kritik verdeutlichen, die J.A. Scheibe, ein Vertreter des "galanten Stils", 1737 an der Musik J.S. Bachs geübt hat:
Dieser grosse Mann würde die Bewunderung ganzer Nationen seyn, wenn er mehr Annehmlichkeit hätte, und wenn er nicht seinen Stücken durch ein schwülstiges und verworrenes Wesen das Natürliche entzöge, und ihre Schönheit durch allzugrosse Kunst verdunkelte. Weil er nach seinen Fingern urtheilet, so sind seine Stücke überaus schwer zu spielen; denn er verlangt, die Sänger und Instrumentalisten sollen durch ihre Kehle und Instrumente eben das machen, was er auf dem Claviere spielen kann. Dieses aber ist unmöglich. Alle Manieren, alle kleine Auszierungen, und alles, was man unter der Methode zu spielen versteht, drücket er mit eigentlichen Noten aus, und das entzieht seinen Stücken nicht nur die Schönheit der Harmonie, sondern es machet auch den Gesang durchaus unvernehmlich. Alle Stimmen sollen mit einander, und mit gleicher Schwierigkeit arbeiten, und man erkennet darunter keine Hauptstimme. Kurz: Er ist in der Musik dasjenige, was ehmals der Herr von Lohenstein in der Poesie war. Die Schwülstigkeit hat beyde von dem Natürlichen auf das Künstliche, und von dem Erhabenen auf das Dunkle geführet; und man bewundert an beyden die beschwerliche Arbeit und eine ausnehmende Mühe, die doch vergebens angewendet ist, weil sie wider die Natur [1745 ersetzt durch: Vernunft] streitet.
- ist die musikalische Sprache stimmig; man kann ja völlig neue Wege gehen aber wenn das rein zufällig passiert, z.B. nach dem Motto "Hauptsache, es klingt völlig anders", ist das noch lange kein Kunstwerk.
Spätestens bei aleatorischer Musik [darf man hier von Lärm reden :confused:?] greift das Kriterium nicht. Erinnert si auch an die denkwürdige Habilitationsschrift von Brunhilde Sonntag über John Cage Anfang der 80er Jahre: Boshafte Studenten hatten der armen Frau einige Nonsense-"Partituren" untergejubelt, die dann auch glatt für echt gehalten und ausgiebig analysiert wurden ... [:D Dumm gelaufen]
Siehe oben (Scheibe vs. Bach). Beethovens Musik (vor allem den späten Klaviersonaten und Streichquartetten) wurde der Vorwurf der Unspielbarkeit gemacht, was dann ja zum Glück bald schon wiederlegt wurde.
[Liszt soll die Hammerklaviersonate bei seinen Konzertabenden angeblich immer zweimal hintereinander gespielt haben - das wären dann anderthalb Stunden Musik. Wer's glaubt? Wahrscheinlich kam sie dem armen Kritiker allzu lang vor, so daß er glaubte, Liszt müsse das Werk ein zweites Mal gespielt haben ...]
- Sinn [...] es geht darum, daß sich der Komponist etwas bei seinem Werk gedacht hat und man kann schon erkennen, ob er in der Lage war, das umzusetzen und auch beurteilen, ob er sich tatsächlich Gedanken gemacht hat - vorausgesetzt, man spricht mit ihm darüber.
Das Elend hat mit Berlioz angefangen, der glaubte, er müsse seiner "Symphonie fantastique ein Programm unterlegen. Liszt griff diese Idee auf, Richard Wagner litt dann vollends an Verbaldiarrhöe (eine Krankheit, die offensichtlich chronisch und ansteckend ist - Stockhausen hat zeitlebens darunter gelitten, Boulez zumindest in seinn aufrührerischen Jahren). Die Frage nach dem Sinn bedeutet ja die Frage nach dem Inhalt von Musik. Hanslick hat sich in seiner Schrift "Vom Musikalisch-Schönen" (1854) vehement dagegen ausgesprochen und die Formulierung von Musik als "tönend bewegter Form" geprägt (was ihm dann von Seiten der Programm-Musiker sehr viel Prügel einbrachte).
- Ästhetik; das hat nichts mit Geschmack zu tun, auch nichts mit "schön" oder "angenehm". Ästhetik zu beurteilen ist zwar ungefähr so einfach wie Farbmuster am Lagerfeuer zu unterscheiden aber hier liegt eigentlich der Kern. Es überschneidet sich mit "Sinn", nur daß es hier eher um das Offensichtliche geht. Hat das Werk einen erkennbaren Aufbau, Struktur, gibt es einen roten Faden, steht dahinter eine bestimmte Absicht, quasi die Effektivität der genutzten Mittel.
Es beschreibt in etwa das, was auch Hanslick als Beurteilungskriterien für Musik ansieht.
Was ich aufzeigen wollte: daß man sich immer schon mit der Beurteilung und den Beurteilungskriterien von Musik schwer getan hat. Jede Zeit hat ihre eigenen Antworten gefunden (die allerdings schon zu "Lebzeiten" nicht unwidersprochen blieben).
Was ich leider trotz intensiven Nachdenkens nicht geschafft habe: den klugen Gedanken einen weiteren hinzuzufügen. :(