Ich lerne Stücke zu schnell auswendig...

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Sunstorm76

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17. Sep. 2020
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Schon länger hatte ich den Wunsch, Klavier zu spielen. Früher als Kind habe ich einige Jahre Querflöte gespielt, auf ganz passablem Niveau. Doch dann kam die 1. Ausbildung, Wohnung, Freundin, Ferien etc. man kennt es ja.

In diesem Jahr wurde ich 44 Jahre alt und habe mir noch gerade vor Corona ein kleines Klavier angeschafft. Eigentlich hätte es nur ein E-Piano werden sollen, damit ich auch abends noch üben kann, ohne die Nachbarn zu stören. Doch der Verkäufer meinte, es gäbe echte Klaviere mit Silentfunktion. Da spielte er nun auf diesem kleinen schwarzen Schimmel 109 von 1989. Welch schöner warmklingender Ton. Der Preis war nur leicht über einem guten E-Piano also schlug ich zu. Und habe mich umgehend zum Klavierunterricht angemeldet. Meine KL ist toll, sie lässt mir extrem viel Freiraum - d.h. ich kann Stücke schon selber wählen, und sie unterstützt mich jederzeit bei schwierigen Stellen. Früher bei der Querflöte hatte ich einen sehr altmodischen Lehrer und musste tonnenweise technische Übungen machen - nicht so bei meiner KL. Das finde ich super. Wenn mir ein Stück gefällt, habe ich auch die Motivation und den Ehrgeiz, es zu lernen und gut zu spielen. Natürlich noch auf einem sehr bescheidenen Niveau, das ist klar.

Nun bin ich ein gutes halbes Jahr dabei und die Fortschritte sind sehr gut, das hätte ich nie gedacht. Nur habe ich ein Problem und weiss nicht, ob es anderen Anfängern auch so geht. Ich bin offenbar der Lerntyp, der sich Melodien und Muster sehr rasch merken kann. D.h. die Noten benötige ich nicht sehr lange und kann ein Stück sehr rasch auswendig. Mein Taktgefühl ist auch sehr gut, da ich auch einige Jahre Schlagzeugunterricht hatte. Ich sehe und fühle die Melodie quasi auf der Tastatur und weiss welcher Akkord jetzt kommt und merke mir dabei immer nur eine Taste oder eben ein Muster. Amelie kann ich z.B. auch im Dunkeln spielen.

Aber ich habe das Gefühl, dass ich mit dem zu raschen auswendig lernen meinen Fortschritt schlussendlich doch behindere, weil ich bei jedem neuen Stück natürlich zu Beginn wieder mehr Zeit benötige die Noten zu lesen als jemand, der per se nur nach Noten spielt. Ihr seht mein Problem. Oder ist es gar keins? Wie sind eure Erfahrungen damit? Ein anderes Problem dabei ist auch, dass ich ja nicht unendlich Stücke speichern kann sondern das immer wieder üben muss/darf. Das wäre dann auch meine nächste Frage an die geübten Pianisten: könnt ihr mehr als 10-20 Stücke auswendig spielen? Klar, das kommt auf die Komplexität der Stücke an...

Witzig in dem Zusammenhang ist auch, dass sowohl meine Mutter als auch meine Schwester beide sehr gut Klavier spielen können (die hatten beide viele Jahre Unterricht) und im Gegensatz zu mir ausschliesslich nach Noten spielen.
 
Du, da sitzen wir wohl im selben Boot. Das hängt wohl mit einem akustischem Gedächtnis zusammen, dies kommt wohl häufig vor in Verbindung mit einem hervorragendem Orientierungssinn. Eine mit mir befreundete Psychiaterin erklärte mir des mal ungefähr so. Ich selbst weiß nicht wie Orientierungsinn und akustisches Gedächtnis miteinander zusammenhängt - mein optisches Gedächtnis hingegen ist mehr als grenzewertig.
Nach Noten zu spielen oder zu singen - ja da tue ich mich auch schwer damit. In der Kirche beim Gottesdienst müssen erst mal alle die erste Strophe singen (bei mir noch unbekannten Stücken) erst nach der 1. Strophe kann ich einsteigen, da ich nun die Melodie kenne.
Ich weiß allerdings nicht, ob des ne ADHS typische Eigenschaft ist - Mozart hat des auch drauf gehabt, der hat einfach mal Sachen nachgespielt die ihn mal vorgespielt wurden. Schade daß er sich mit Bleizucker verschnörkeltem wein vergiftet hat - die Probleme haben wir heute seit dem Reinheitsgebot nimmer.
 
Ich glaube, es gibt einfach unterschiedliche Lerntypen. Solange du kein Problem hast, den Notentext dechiffrieren zu können, würde ich mir keine Sorgen machen, ganz im Gegenteil. Ich bin jemand, der es nie mit dem auswendig spielen hatte und klammere mich sehr an das Notenblatt. Systematisches Auswendigspiel habe ich mir erst mit dem Klavierlernen angeeignet. Auf meinen anderen Instrumenten (Violine, Gesang) mache ich so ein Zwitterding. Irgendwann kann ich die Stücke quasi auswendig, lege aber die Noten nicht beiseite, sondern schaue gelegentlich doch ins Buch.
 
Mozart hat des auch drauf gehabt, der hat einfach mal Sachen nachgespielt die ihn mal vorgespielt wurden. Schade daß er sich mit Bleizucker verschnörkeltem wein vergiftet hat

Da verwechselst Du was. Die Hypothese mit dem Bleizucker im Wein bezieht sich auf Beethoven, der ganz andere Mengen in sich hineingeschüttet hat als Mozart.

Das Gift im Wein, das Beethovens Tod verursacht hat, war allerdings nicht das Blei, sondern der Alkohol.
 
Ich habe mir über den Sommer "Take five" gegeben, und wie der KL meinte davor, soll ich knallhart auf die Noten schauen. Natürlich kann ich es nun auswendig, ein Teil ärgert mich aber noch beträchtlich, aber eher technisch, ich kann es ja auswendig. Der Vorteil vom Notenschauen ist aber, dass ich es ziemlich blind spielen kann. Das gelang mir bei anderen Stücken noch nie so gut. Die 6 b waren aber echt ein Klopfer am Anfang , der Rhythmus ist auch eine Challenge gewesen.
 
Ich habe festgestellt, (ich lerne die Stücke auch sehr schnell auswendig,) dass sich im Laufe des dann Übens Fehler einschleichen können, in Noten, aber auch was die Gestaltung angeht. Ich überprüfe das öfter am Blatt.
Ich denke, man kann viel auswendig lernen. Wie lang sich das im Körper hält, ist dann wohl die andere Frage.
 
Merci für eure ersten Antworten. Mir ist schon klar, dass es unterschiedliche Lerntypen gibt - wobei wir alle mehr oder weniger immer Mischformen sind (Audio, Haptik, Visuell etc.).

Das mit den Fehlern mit auswendig lernen stimmt natürlich auch. Genau dort kommt dann die KL zum Einsatz, die merkt natürlich jeden noch so kleinen Fehler. Wenn ich bei meinem Spiel nicht zufrieden bin frage ich sie um Rat. Z.B. wenn der Pedaleinsatz zwar so ist wie angegeben, aber es trotzdem nicht so klingt, wie es sollte und es zu sehr hallt. Ich bin sehr kritisch mit mir selber und möchte es natürlich so spielen können wie ein richtig guter Pianist. Eine völlige Illusion nach nur einem halben Jahr Unterricht. Aber man soll sich ja smarte Ziele setzen ;-)
 
Da verwechselst Du was. Die Hypothese mit dem Bleizucker im Wein bezieht sich auf Beethoven, der ganz andere Mengen in sich hineingeschüttet hat als Mozart.

Das Gift im Wein, das Beethovens Tod verursacht hat, war allerdings nicht das Blei, sondern der Alkohol.

Da hast Du durchaus Recht, Beethoven hat sich schlichtweg totgesoffen - die Leber hat irgendwann nimmer mitgespielt. Zu Mozarts Zeiten wurde allerdings tatsächlich lieblicher Wein mit Bleiacetat gesüßt - der Giftigkeit des Bleiacetates wwar man damals unkundig, es diente als hervorragendes Süßungsmittel.
Mozart trank gern seinen lieblichen Weißwein, auch nicht unbedingt zu knapp. Eine Bleivergiftung ähnelt sehr derer einer Arsenvvergiftung, nur daß Blei etwas länger braucht.
 
Wo ist das Problem?

Eigentlich prima, dass Du schnell auswendig lernst. Nichts gegen zu sagen.

Wenn Du mit Deinen Notenlesefähigkeiten unzufrieden bist, übe einfach auch jeden Tag Prima-Vista-Spielen. Peng, aus, feddich.
 
Der Post könnte von mir sein. Hab auch lange Querflöte gespielt und dann mit 46 mit dem Klavier angefangen.

Ich habe anfangs auch alles schnell auswendig gespielt, egal wie komplex. Das ist einerseits hilfreich, denn wenn die Augen den Noten nicht folgen müssen, können sie auf die Finger gucken und das brauche ich nach wie vor. So habe ich denn auch nach wie vor Probleme bei Stücken, die nicht auswendig sitzen, gleichzeitig Noten zu lesen und auf die Finger zu gucken. Und bei komplexeren Stücken geht ohne auswendig nicht viel, denn so viele Noten auf einmal in dem Tempo kann ich auch nach drei Jahren nicht lesen. Mir fehlt der Blick des Profis, der auf den ersten Blick Muster und Harmonien erkennt. Quasi der Unterschied, Wörter im ganzen zu lesen gegenüber dem Buchstabieren.

Aber das auswendig Spielen verhindert natürlich auch, dass man beim Notenlesen besser wird. Das kann man kompensieren indem man immer mal wieder unbekannte Stücke vom Blatt spielt, wie Hasenbein schon angemerkt hat.

Vermutlich gibt sich das aber mit der Zeit, ich merke, dass je länger und komplexer die Stücke sind und je mehr Stücke ich noch bruchstückhaft im Kopf habe, desto schwerer lerne ich neue Stücke auswendig. Schade drum!
 

Mir geht das auch so mit dem schnellen Auswendiglernen. Und das ist bei mir schon oft ein Problem, denn wehe ich komme doch mal raus, dann habe ich Schwierigkeiten wieder ins Stück zu finden. Bei älteren Stücken (die ich nicht mehr ganz auswendig kann) muss ich dann auch immer wieder erheblichen Lernaufwand betreiben, um mir das Stück wieder richtig zu erschließen. Und Fehler merke ich mir leider auch sehr gerne... wenn ich dann rein nach Noten zuspielen versuche, verliere ich aber den Fluss.

Interessanterweise hatte ich das Problem mit der Gitarre nie, im Gegenteil da konnte ich mir Stücke auch mit größter Mühe nie merken und war eine recht gute Blattspielerin, aber ohne Noten verloren.

Vielleicht liegt es daran, dass die Klaviertastatur einfach so schön übersichtlich und gut merkbar ist? Oder dass ich beim Spielen viel mehr auf die Hände schauen muss (und kann)?
 
So ist es. Neben dem motorischen Gedächtnis sollte man weitere Verankerungsarten einsetzen. Z.B. das Einprägen von harmonischen Strukturen, inneres Hören, mentale Visualisierung des Notenbildes, Aufschreiben des Notentextes, Benennung von Patterns (xy Tonleiter,Dreiklang, usw.usw.), Kopplung an bildhafte Vorstellungen u.v.m.
 
Vielen Dank Ralph_hh für deinen Post. Du bist mir 2.5 Jahre voraus und schilderst genau meine Befürchtung. Das Notenlesen wird ja später umso wichtiger, je komplexer die Stücke werden. Und heute habe ich meine KL darauf angesprochen. Sie sieht grundsätzlich kein Problem und hält es sogar für gut, dass ich es so rasch auswendig kann. Nur - vie Viva La Musica das so schön beschreibt: genau das hatte ich heute.

Ich habe heimlich Nuvole Bianche geübt. Was heisst geübt: ich habe mir viele Versionen davon auf youtube angesehen und fand die von Marnie Laird (vom Brooklyn Duo) am schönsten. D.h. die Melodie war bald mal im Ohr. Vermeintlich. Dann habe ich es erst nach Noten gelernt, das hat lange gedauert. Natürlich, denn das Stück ist für einen Anfänger nach (damals) 4 Monaten noch deutlich zu schwer. Ein typischer Anfängerfehler übrigens.

Ich habe dies dann meiner KL gebeichtet, dass ich bereits an diesem Stück übe, obwohl wir noch beim Joy of the First Piano Year sind (neben mein liebstes Hobby Klavierspielen Band 1). Erstaunlicherweise hat sie nicht mit mir geschimpft im Gegenteil. Sie meinte ich könne mich weiter daran probieren, solange ich die anderen Aufgaben mache.

Nun habe ich ihr gerade heute Nachmittag das Stück vorgespielt (kein Vergleich zu jemandem, der es kann - nicht falsch verstehen!). Ich bat sie um ihre Meinung und sie fragte, ob sie denn bei Fehlern sofort eingreifen soll. Und ja, ich machte viele kleine Fehler (Noten nicht gehalten sondern neu angespielt ist der Klassiker), aber auch das Pedal. Ich selber habe ja gemerkt, dass einige Passagen viel zu sehr hallen. Auf dem Notenblatt ist - wie leider so oft - kein Pedal eingetragen. Und siehe da, durch ihre Korrekturen hallte es nicht mehr. Genau da bin ich so dankbar um eine gute Lehrerin. Die letzte - schwierigste Passage des Stücks (wo es wirklich rasant wird und toll klingt) kann ich übrigens noch nicht sehr gut, schon gar nicht in dem Tempo. Sowieso komme ich jetzt in den Teil des Lernens, wo die Fortschritte nicht mehr in Lichtjahren geschehen sondern eher gemächlich. Aber ich erkenne immerhin die täglichen Fortschritte - darauf kommts ja an. Und die Freude wird auch grösser, wenn man SEINE Lieblingsmelodien immer besser spielen kann.

Lange Rede kurze Zusammenfassung: auswendig lernen hat Vor- und Nachteile. Wenn man es gut kann so wie ich dann muss ich mich selber VIEL mehr am Riemen reissen die Passagen MIT Noten ein paar Mal zu spielen und nicht nach Ohr/Gefühl. Denn dann habe ich das Problem wie heute: wo ich mitten im Stück weiterfahren soll und komplett aufgeschmissen bin und die Noten neu entschlüsseln muss - in Echtzeit :009:

Fehler erkannt.
 
Denn dann habe ich das Problem wie heute: wo ich mitten im Stück weiterfahren soll und komplett aufgeschmissen bin

Ach geh her, da improvisierste einfach darüber hinweg - Hauptsache Du kommst wieder in dem Stück an. Mach dann bloß ned den Fehler wie ich, in der Improvisation mal schnell die Tonarten zu wechseln - wennst denn plötzlich in Es Dur gelandet bist und Du mußt auf A Dur zurück.....ja, des braucht denn schon ein wenig Modulation, und dann noch auf das eigentliche Stück zurückzukommen...mei o mei.
 
irgendwie durch vieles Durchspielen ins Fingergedächtnis gewandert.
Ja, das stimmt am Anfang. Aber ich habe die Stücke nach einigem Üben auch mental im Kopf, ich kann sie auch sehr klar in Gedanken durchspielen. Das ist dann kein Fingergedächtnis mehr, oder?
Aber wenn ich dann doch den Anschluss verliere, kann ich nicht schnell in den Noten nachsehen, weil ich mich da erst wieder neu in den Noten überhaupt orientieren muss.
 
da improvisierste einfach darüber hinweg -
Super Tipp! Da muss ich mal dran arbeiten! :idee:
Ein bisschen mache ich das ohnehin schon, weil grad so Stücke, in denen sich ständig Teile mit kleinen Variationen wiederholen, wer will sich da schon die Details merken, wann jetzt genau welche Variation dran ist? :coolguy: das ruft doch nach dynamischer und spontaner Abwechslung...
 

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