Godowksy - letztmöglicher technischer Fortschritt

Asynchroner Anschlag zeitgleich auszuführender Stimmen ist in Aufnahmen von noch im 19. Jahrhundert geborenen Pianisten oft anzutreffen. Es handelt sich dabei nicht um eine unzulängliche Koordination der beiden Hände, sondern um ein beabsichtigtes Hervorheben bestimmter Einzelstimmen. Dazu gibt es zahlreiche prominente Beispiele.
oder Horowitz mit Schumanns Träumerei
in Maßen findet sich diese Ausführungs- bzw. Verdeutlichungsweise auch bei sehr vielen, die erst nach dem Ende des 19. Jhs. die Welt zu bevölkern begannen ;):)

aber mal wieder zurück zum ursprünglichen Thema, der Frage, ob mit Godowski die Steigerungen der technischen Schwierigkeiten ihren unübertrefflichen Höhepunkterreicht haben: in zwiefacher Hinsicht nein - erstens gibt es genügend Klaviersachen vor Godowski, die er nicht "toppte", zweitens auch nach ihm (man denke an Villa-Lobos Rudepoema, an Ginastera, Ornstein u.v.a.)
 
aber mal wieder zurück zum ursprünglichen Thema, der Frage, ob mit Godowski die Steigerungen der technischen Schwierigkeiten ihren unübertrefflichen Höhepunkterreicht haben: in zwiefacher Hinsicht nein - erstens gibt es genügend Klaviersachen vor Godowski, die er nicht "toppte", zweitens auch nach ihm (man denke an Villa-Lobos Rudepoema, an Ginastera, Ornstein u.v.a.)
Was vor Godowsky bereits Pianisten an Virtuosität abverlangt wurde, ist bereits schon grenzwertig. In Partituren von Alkan, Henselt oder Thalberg steckt schon eine Unmenge an gnadenlosen Höchstschwierigkeiten - sicherlich ein Grund dafür, dass vieles keineswegs häufig aufgeführt wird.

Nicht nur bei Edvard Grieg verbirgt sich hinter der Opuszahl 16 ein Konzert für Klavier und Orchester, sondern auch bei Adolph von Henselt. Warum wird wohl das eine gerne und oft gespielt, während das andere bis auf eine Ponti-Einspielung als Dokument im Netz vergeblich zu suchen ist? Die Leidenschaft eines Marc-André Hamelin für Höchstschwierigkeiten teilen in der extremsten Form nicht mehr allzu viele Pianisten. Den allermeisten ist auf diesem Gipfel die Luft dann doch zu dünn - aber die genannten Komponisten werden die Tatsache in Kauf genommen haben, nur noch für eine verschwindend kleine Minderheit von Spezialisten zu schreiben.

Dass nach Godowsky die Suche nach der größtmöglichen Virtuosität weitergegangen ist, dürfte mit der Rekordjagd im Sportgeschehen vergleichbar sein. Freilich ist die Kunst des "Toppens" mit zunehmender Dauer immer schwieriger zu meistern... .

LG von Rheinkultur
 
Den allermeisten ist auf diesem Gipfel die Luft dann doch zu dünn
aber wie erklärst du dir, dass Strawinskis Petrouchka und Liszts Tannh.-Ouv. gespielt werden, ersteres sogar relativ häufig? leichter als Henselts Konzert oder manche Godowskikacher sind die ja nicht...

Dass nach Godowsky die Suche nach der größtmöglichen Virtuosität weitergegangen ist, dürfte mit der Rekordjagd im Sportgeschehen vergleichbar sein.
warum sollte das nicht mit dem ausloten und erweitern der Möglichkeiten des Klavierspiels zu tun haben? das wäre eine musikalischere (und damit wahrscheinlichere) Erklärung als die rein sportive... ;);):):)
 
aber wie erklärst du dir, dass Strawinskis Petrouchka und Liszts Tannh.-Ouv. gespielt werden, ersteres sogar relativ häufig? leichter als Henselts Konzert oder manche Godowskikacher sind die ja nicht...
Leicht erklärbar ist so etwas nicht. Ein subjektiv gefärbter Versuch? Die drei Petruschka-Sätze sind exorbitant schwierig, aber die technischen Höchstschwierigkeiten haben sich vom musikalischen Gehalt möglicherweise nicht so weit losgelöst wie in so vielen "Krachern" der von mir benannten Komponisten. Mit der Bearbeitung der Tannhäuser-Ouvertüre gemeinsam hat dieses Stück auch die zusätzliche Präsenz im Repertoire durch die Existenz von wirkungsvollen Orchesterfassungen. Sicherlich motiviert ein günstiges Verhältnis zwischen Aufwand und Wirkung den entsprechend leistungsfähigen Spieler zur Entscheidung für ein bestimmtes Stück - oder eben nicht. Wenn sich die für den Spieler erstrebenswerten Faktoren überwiegend auf die technisch-manuellen Schwierigkeiten an sich beschränken, bleibt manches an der Oberfläche, ohne in eine Tiefe zu gehen, die einen zur Entscheidung für ein Stück bewegen könnte. Da sehe ich - rein subjektiv! - zwischen den beiden von Dir genannten Stücken und manchen Etüdenwerken und Opernparaphrasen durchaus Unterschiede.

Aber das ist nur meine ganz persönliche Einschätzung - und jeder wird höchstwahrscheinlich zu seiner ganz persönlichen Einschätzung gelangen, in welchem Verhältnis Aufwand und Ergebnis stehen.

warum sollte das nicht mit dem ausloten und erweitern der Möglichkeiten des Klavierspiels zu tun haben? das wäre eine musikalischere (und damit wahrscheinlichere) Erklärung als die rein sportive...
Bewältigen von Höchstschwierigkeiten, ohne dass der musikalische Gehalt damit vergleichbar wäre, hat sicherlich etwas Sportives. Aber auch hier kann man wohl selten genug das eine gänzlich vom anderen trennen... .

LG von Rheinkultur
 
Bewältigen von Höchstschwierigkeiten, ohne dass der musikalische Gehalt damit vergleichbar wäre, hat sicherlich etwas Sportives.
...die Vorlage der exorbitant schwierigen Fledermausparaphrase hat doch hoffentlich auch für deine Definition Substanz und musikalischen Gehalt genug ;)

allerdings bei mancher Verarbeitungsweise (wenn stilistisch die Bearbeitung zu weit entfernt von der Vorlage ist (teilweise bei Reger, bei Godowski auch)) kann zumindest ich nachvollziehen, dass man´s dann lieber doch nicht spielt - worum es mir aber ging: die Klavierliteratur weder vor noch nach Godowskis istein Spaziergang, d.h. es finden sich davor wie danach einige Sachen, die nicht leichter als die schlimmsten Godowskisachen sind.
 
mehrere Punkte fand ich interessant, fasse das kurz zusammen, denn es wird ja u.a. ein Konnotationsdiagramm über Begriff „Virtuose“ über Nachschlagewerke und Zeiten gezeichnet. Fange aber mit Punkt 7 an:

7. – Virtuosität gilt als nichts Bewundernswertes i. d. Musik, in anderen Bereichen schon
(antike) Kunst, z.B, oder Dichtung.

Was die Antike betrifft, sollte man den Artikel mit großer Vorsicht genießen. Daß etwa der Aulet Midas v. Akragas die Pythien nur aufgrund seiner überlegenen Virtuosität gewonnen haben kann, ist sicher falsch - der Autor kann es sich aus moderner Sicht einfach nicht anders vorstellen. Erstens bestehen die Richterkollegien bei den Pythien wie auch bei den anderen "Spielen" aus Laien, die keineswegs (ausschließich) künsterlischen Kriterien folgen, zum andern ist Kunst im 5. Jh. kultisch gebunden, d.h. "Gottesdienst". Und da wird es als äußerst störend empfunden, wenn die Künstler sich in den Vordergrund schieben; das wirkte v.a. auf die konservative Adelsschicht (der u.a. Platon angehörte) ungefähr so, wie wenn ein katholischer Priester die Wandlung durch einen Handstandüberschlag verzieren wollte.
Zum andern bedient sich die antike Kunstkritik oft fachfremder Kriterien, z.B. ethischer und psychologischer. Platon lehnt die Tragödie (das "Musikdrama") wegen seiner abstoßenden Stoffe, wegen seiner vermeintlichen schädlichen psychologischen Folgen (Tragödien anschauen erzeugt sozusagen Weicheier) und schließlich aus erkenntnistheoretischen Gründen (das Drama ist eine bloße Mimesis der Realität) ab, ästhetische Gründe spielen da keine allzugroße Rolle. Aber auch aus ästhetischen G'ründen wird das Virtuosentum gebrandmarkt: Aristoteles sieht im Geltungstrieb der Virtuosen den Grund für den Niedergang der Tragödie, weil er zur Folge hat, daß die subtile tragische Struktur zugunsten des virtuosen "Nummernstücks" vernachlässigt wird. Ganz bezeichnend ist in diesem Zusammenhang das Schiedsgericht ziwschen den Tragikern Aischylos und Euripides in der Komödie "Die Frösche" des Aristophanes, wo am Ende ersterer gewinnt und aus der Unterwelt zurückgeholt wird, weil seine Stücke patriotisch gewesen seien - aus politisch-ethischen Gründen also und nicht aus ästhetischen.

Erst in nachklassischer Zeit gewinnt das Virtuosentum an Raum, und auch da nur gegen den
erbitterten Widerstand der Kunstkritik. Haupt"einfallstor" ist der Dithyrambos, wo man
neben astrophischer Form, Rhythmenwechsel und Modulationen von einer Tonart in die andere
auch das Vokal- und Instrumentalsolo findet (NPauly, s.v. Dithyrambos).

Summa summarum: es ist gut, wenn wir versuchen, fremde Kulturen mit ihren eigenen Maßstäben zu verstehen; nur so lassen sich Fehlurteile wie die in der verlinkten Arbeit unter Nr. 5 vermeiden.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Summa summarum: es ist gut, wenn wir versuchen, fremde Kulturen mit ihren eigenen Maßstäben zu verstehen; nur so lassen sich Fehlurteile wie die in der verlinkten Arbeit unter Nr. 5 vermeiden.
was allerdings nichts an der Richtigkeit des Artikels bzgl. des 19. Jhs. und danach ändert (Riehtmüller hätte die Antike weglassen sollen, gibt eh keine Noten aus dieser ansonsten spannenden Zeit) :):)
 
Summa summarum: es ist gut, wenn wir versuchen, fremde Kulturen mit ihren eigenen Maßstäben zu verstehen; nur so lassen sich Fehlurteile wie die in der verlinkten Arbeit unter Nr. 5 vermeiden.

Und Zitat Rolf:

(Riehtmüller hätte die Antike weglassen sollen, gibt eh keine Noten aus dieser ansonsten spannenden Zeit)

Hi sla, + all,

;) ich weiß schon, warum ich mit Punkt sieben begonnen habe, und das andere weggelassen habe ;) ... (weil, diese URALTEN Zeiten, find ich, liegen einfach ZU weit zurück, und die Gedankengebilde oder Ideenkonstruktionen damaliger "Experten" wie Platon (z.B. Atlantis - Fetzen , i.d. Dialogen Kritias + Timaios) teils etwas schwer übertragbar auf heutige Zeit.. Atlantis hätte (bzw.: HAT *ggg*) bestimmt von Virtuosen gewimmelt - allerdings nur solchen in Platons Sinn.

Hmm. ich dachte eigtl nämlich eher, das mit der antiken Kunst wäre echt eher aufs Museum bezogen, wie ja AUCH im Text steht. Also wenn zum beispiel Erika und Heinrich reinkommen, sehen 2 Statuen:

Erika: "ooh, Heinrich, guck mal, der da mit dem Diskus...von einem "Myron", steht aufm Schild..findste nicht, dass der VIRTUOS gestaltet ist ? HEINRICH !!!! tzzz!!"

( H. schaut wo anders hin )...

Heinrich: "Menn, Erika, guck mal, diese Aphrodite hier, sind die..ähh..Falten ihres Gewandes nicht VIEL INTERESSANTER....und VIRTUOSER ausgestaltet?? Hat ein Praxitel(es) gemacht..ich find den VOLL virtuos !!"


Diskobolos: http://t771unit2.pbworks.com/f/1160445659/Shippey-Diskobolos.jpg

Aphrodite: http://2.bp.blogspot.com/-NwI7ov3EtfY/TjsUTFEIFzI/AAAAAAAABTw/dNBx2aAhdp8/s1600/AphroditePraxiteles.JPG


LG, Olli ;)
 
Übrigens, dieses Thema:

Zitat Rheinkultur:

[...]Asynchroner Anschlag zeitgleich auszuführender Stimmen der beiden Hände[...]

Zitat Ende

finde ich TOTAL WICHTIG, fast hätte ich schon vorhin einen Thread aufgemacht...ich glaub das mach ich mal jetzt, allerdings nicht "ganz oben", sondern in Klavierspielen, Klavierüben...

LG, Olli !!
 
Sehr interessant!! Danke!
Ich lerne gerade die Künstlerleben Paraphrase und es ist wirklich alles viel schwerer als es klingt!
 
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