Gänsehaut

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Hallo,

ich bin mir nicht sicher, ob es dieses Thema schon gab. Aber warum bekommt man bei bestimmter Musik Gänsehaut?

Meine Meinung zum Thema: Wenn der Pianist das Stück sehr emotional gesteigert spielt, dann überträgt sich das auf den Zuhörer. Eigentlich könnte man das schon Telepathie nennen.

Ich habe auch im Internet gelesen, dass Gänsehaut bei Musik vergleichbar mit einem Kokainrausch ist. Dabei stellte sich mir auch die Frage: Wenn man mit Musik im Gehirn bestimmte Belohnungsmechanismen aktivieren kann, was ist es dann für ein Verbrechen, Musik als Untermalung von Werbung zu benutzen?

Aber dann hab ich noch weiter nachgedacht und stellte mir die Frage, ob man dieses Belohnungssystem nicht auch irgendwie sinnvoll nutzen kann. Zum Beispiel während des Sports, als Motivation.

Es scheint mir jedoch, wie bei jeder Droge zu sein: Je öfter man sie nimmt, desto schwächer ist die Wirkung. Deswegen stellte ich mir die weitere Frage: Warum wird dieser Gänsehauteffekt geringer, je mehr Musik ich bereits gehört habe?

Auch macht es den Anschein, dass je mehr man Musik hört (insbesondere klassische Musik), desto weniger emotional, sondern mehr analytisch hört man sie. Das finde ich ein wenig schade, dass so etwas verloren geht. Aber gleichzeitig steigert sich die Erkenntnis gegenüber Musik. Auch meiner Meinung nach ein Grund, warum viele Bach erst im späteren Alter anfangen zu mögen.

Ich freue mich schon auf eure Anregungen zum Thema! :D
 
Hallo,


Es scheint mir jedoch, wie bei jeder Droge zu sein: Je öfter man sie nimmt, desto schwächer ist die Wirkung. Deswegen stellte ich mir die weitere Frage: Warum wird dieser Gänsehauteffekt geringer, je mehr Musik ich bereits gehört habe?

Auch macht es den Anschein, dass je mehr man Musik hört (insbesondere klassische Musik), desto weniger emotional, sondern mehr analytisch hört man sie. Das finde ich ein wenig schade, dass so etwas verloren geht. Aber gleichzeitig steigert sich die Erkenntnis gegenüber Musik. Auch meiner Meinung nach ein Grund, warum viele Bach erst im späteren Alter anfangen zu mögen.
:D

Der Vergleich mit der Droge wird immer gern herangezogen und hinkt gleichzeitig gewaltig. Ich frage mich aber, warum bei dir der Gänsehauteffekt abnimmt, je mehr Musik du bereits gehört hast.

Meine Erfahrungen sind gegenteilig. Der Sinnesrausch durch Drogen (Alkohol , Marihuana usw ) wird doch eher durch eine Eintrübung des Bewusstseins hervorgerufen während Musik das Bewusstsein erweitert.

Die Fähigkeit des analytischen Hörens schliesst das Emotionale nicht aus sondern schliesst es eher auf.

Die Erkenntnis der wunderbaren Form und Konstruktion eines Werkes verläuft immer auf mehreren Ebenen. Und so passiert es, dass auch Mathematiker, die einen neuen Zusammenhang erstmals begreifen nicht nur einen Erkenntnisgewinn haben sondern auch emotional überwältigt sein können und ebenfalls Gänsehaut bekommen.
 
Die Fähigkeit des analytischen Hörens schliesst das Emotionale nicht aus sondern schliesst es eher auf.

absolut zutreffend!!

Zitat von ubik:
Deswegen stellte ich mir die weitere Frage: Warum wird dieser Gänsehauteffekt geringer, je mehr Musik ich bereits gehört habe?
das mag bei Dir so sein - mir geht es genau andersrum: der Gänsehauteffekt, das gerührt sein, hat zugenommen.
 
Bei mir ist es so, dass der Gänsehauteffekt nachlässt, wenn ich eine Gänsehautstelle zu oft gespielt habe, denn dann hab ich mich dran gewöhnt.
Er kehrt wieder, wenn ich vergesse, dass ich übe und alles in die Musik hineinlege, was ich habe.
Das mache ich beim Üben nicht immer aktiv zu 100%, sondern ich spiele sehr emotionale Stellen oft etwas abgeschwächt, während mir aber bewusst ist, dass und wie ich sie intensiver gestallten kann (rolf nennt das glaube ich "unengagiertes Üben"). Der Grund dafür ist, dass manches intensive Gestalten auf die Dauer emotional anstrengend ist.
Oder anders herum, ich spiele "pseudo-emotional", das heißt es klingt ähnlich wie später, aber ich stehe emotional nicht ganz dahinter, das gewisse Etwas fehlt also.

Sehr hilfreich ist auch, wenn mir ein Publikum zuhört. Dann bin ich (wieder) motiviert, egal, wie sehr mich evtl. ein Stück gerade nervt, ich entdecke neue Facetten und vieles erscheint mir intensiver und so schön wie am Anfang.
 
Das mache ich beim Üben nicht immer aktiv zu 100%, sondern ich spiele sehr emotionale Stellen oft etwas abgeschwächt, während mir aber bewusst ist, dass und wie ich sie intensiver gestallten kann (rolf nennt das glaube ich "unengagiertes Üben"). Der Grund dafür ist, dass manches intensive Gestalten auf die Dauer emotional anstrengend ist.

...wie kann es nur sein, dass ich Dir da nicht widersprechen kann? :)

beim selber spielen habe ich nur dann Gänsehaut, wenn ich voll und ganz bei der Sache bin, also im Konzert (nur selten nachts dheim, wenn mir danach ist)

beim Musik hören (z.B. in die Oper gehen) hat sich das bei mir im Lauf der Jahre sogar verstärkt - - wenn ich im August den Ring hören/sehen werde, weiss ich jetzt schon, dass ich vom ersten tiefen es bis zu dem Moment, da die Rheintöchter fertig gesungen haben, komplett von oben bis unten Gänsehaut habe!!! Dagegen ist kein Kraut gewachsen, und wenn doch, so will ichs nicht haben.

herzliche Grüße, Rolf
 
Ich frage mich aber, warum bei dir der Gänsehauteffekt abnimmt, je mehr Musik du bereits gehört hast.

Ist das bei dir nicht so? Ich meine, wenn ich eine gewisse Stelle, die Gänsehaut erzeugt, sehr oft gehört habe, ich dann keine Gänsehaut mehr bekomme. Anscheinend habe ich mich dann an die Harmonie gewöhnt.

Naja, das mit dem Mathematiker: Ich kann mir irgendwie nicht vorstellen, dass er so einen emotionalen Schock bekommt, wie wir Musiker. Oder doch?
 
also ich bekomme diese Gänsehaut immer wenn ich im Kino bin. Wenn kurz vor dem Hauptfilm die Filmvorschau(auch Trailer genannt) gezeigt werden und die mega geile orchestrale Musik einsetzt bekomm ich diese Gänsehaut! als Beispiel dafür kann man die Filmvorschau von dem 5. Harry Potter film nehmen. dort bekam ich 3 mal Gänsehaut. Mitten drinnen bei dem stimmungswechsel, am Anfang beim ersten schlag (tiefer bass wumms. von denen bekomm ich besonders Gänsehaut) und das ende wo die Musik leise ausgleitet.

bei stücken mit einigen extremen bass Passagen bekomm ich besonders Gänsehaut! Dazu zu nennen wäre das Lied von Unheilig "Das Meer", dort direkt nach den Nebelhorn kommt ein tiefer bass schlag.

ich mag dieses Gefühl wenn ich die Gänsehaut bekomme und habe. es fühlt sich irgendwie toll an und intensiviert das stück für mich emotional.
 
Ich kriege auch ganz oft Gänsehaut, wenn ich berührt bin, sei es positiv oder negativ.
Hätte ich ein Fell, stünde das vermutlich zu Berge......


Bei mir wird das Berührtsein auch nicht weniger, wenn ich ein Stück gut kenne, kann es sogar sein, dass ich nur bei dem Gedanken daran Gänsehaut kriege.:p

Was den Suchtfaktor betrifft, so würde ich sagen, Musik vertieft Emotionen, das Verstehen von Musik noch mehr.

Sucht im Sinne einer Abhängigkeit, die sich in Unfähigkeit zu Anderen Tätigkeiten äußert, ist Musik für mich keinesfalls.
Im Gegenteil, sie ist für mich wie Essen und trinken, wie atmen, ich brauche sie einfach zum Leben. Mag pathetisch klingen, aber naja. :confused:;)

Musik funktioniert für mich wie ein Katalysator.

LG
violapiano
 
Ich bekomme auch bei bestimmter Musik Gänsehaut. ;)

Das kann bei jeder Musik sein, hauptsache ist natürlich das sie so gut gespielt ist und das Instrument natürlich auch ein gutes ist. Oder hängt das von anderen Faktoren ab :confused:

Nur bei meinem Spiel tritt das nicht ein. Hm, obs an meiner Spielart liegt ? :D
 
Gänsehaut? pillepalle! Mir passiert es oft, dass ich weine (alle Haare stehen!) - nicht vor Rührung, sondern weils sooooo schön ist. Soviel zu "starken" Fishermen....

Das ist aber mit zunehmenden Konsum der gleichen Passage (ob gespielt oder gehört) massiv abnehmend. Dann braucht es eine Pause. Und dann wiederholt sich das Ganze. Oder auch nicht...
 
J.S. Bach - h-moll Messe,

wenn im Dona nobis pacem die Pauken einsetzen (Und schon die Entwicklung dorthin). Ich hab's schon oft gehört, es ist mir bekannt was kommt, und es läuft mir immer wieder kalt über den Rücken.

Grüße,
Kristian
 

J.S. Bach - h-moll Messe,

wenn im Dona nobis pacem die Pauken einsetzen (Und schon die Entwicklung dorthin). Ich hab's schon oft gehört, es ist mir bekannt was kommt, und es läuft mir immer wieder kalt über den Rücken.

J.S. Bach - Matthäus-Passion

Aria mache dich, mein Herze, rein

Gänsehaut, nasse Augen - jedesmal, egal wie oft ich das höre!

R. Wagner - Walküre

Todverkündungsszene Siegmund, sieh auf mich! im zweiten Akt, ebenso Wotans Abschied - jedesmal, egal wie oft ich das höre!

Gruß, Rolf
 
Das wär doch einen eigenen Faden wert: Musik, die mich zum Weinen bringt. Bitte - wer macht das mal? Muss ins Bett - morgen (So.) Büro ....
 
...oder "und es ward Licht" Joseph Haydn, Die Schöpfung

Hallo Moderato,

Der Sonnenaufgang in Haydns Schöpfung hat einen ähnlichen Effekt wie das Dona nobis pacem in der h-moll Messe, und da geht es mir genauso. Das liegt wohl an dieser ganz langsam aufsteigenden gleichsam himmelsstrebenden Tonleiter. Im Bachschen Orgelwerk gibt es da auch eine Stelle im Mittelteil der G-Dur Fantasie (Piece d' Orgue BWV 572). Dort gibt es eine Tonleiter im Bass in ganzen Noten über zwei Oktaven, das baut ordentlich Spannung auf.

Viele Grüße,
Kristian
 
Wenn wir jetzt alle unsere Stellen aufzeigen, bei denen wir solche Erscheinungen haben, dann wird der Faden noch in einem Jahr weiter gehen.

Hier interessiert aber doch, ob ein geübter analytischer Verstand einen Hinderungsgrund darstellt, weiterhin in intensiver Weise Gänsehaut zu erleben.

Für mich kann ich das glatt verneinen. Und auch wenn ich Stellen noch so gut kenne werde ich immer wieder gepackt.

Solange ich solche Stellen selbst einstudieren muss, ist es oft notwendig, etwas Abstand zu halten, denn wer könnte mit ständigem Gefühlsüberschwang noch richtig arbeiten. In solchen Situationen ist man ja etwas ausserhalb der Normalität.

Gute Musik weist immer über das Menschliche hinaus. Sie transzendiert aber wir kennen dieses Ziel nicht genau. Es scheint dahin zu führen, wo die Worte nicht mehr ausreichen und auch das Gefühl des Menschen sicher nur noch ein schwaches Abbild darstellt.

Immerhin scheinen wir aber zu ahnen, dass Musik aus Sphären gespeist wird, die unsere Vorstellungen übertreffen. Und so könnte das Gänsehautgefühl auch ein Schauer der Ahnung von Grösse sein, die wir nicht richtig einordnen können und die deshalb auch stets den Anschein des Ungeheuerlichen birgt.

Als Interpret auf dem Podium ist man deshalb auch ein Medium. Wir leiten die Energie aus der Musik auf das Publikum weiter. Die Anspannung während des Vortrags tut ein Übriges, um nicht Spielball der eigenen Gefühle zu werden. Wie könnte man seinen Vortrag gestalten, wenn man allenthalben von Schauern und nassen Augen übermannt würde.
 
Wenn wir jetzt alle unsere Stellen aufzeigen, bei denen wir solche Erscheinungen haben, dann wird der Faden noch in einem Jahr weiter gehen.

Hier interessiert aber doch, ob ein geübter analytischer Verstand einen Hinderungsgrund darstellt, weiterhin in intensiver Weise Gänsehaut zu erleben.

Für mich kann ich das glatt verneinen. Und auch wenn ich Stellen noch so gut kenne werde ich immer wieder gepackt.

da bist Du nicht allein, mir geht´s nicht anders
 
(...)
Hier interessiert aber doch, ob ein geübter analytischer Verstand einen Hinderungsgrund darstellt, weiterhin in intensiver Weise Gänsehaut zu erleben.(...)

Es kommt, denke ich, auf die Herangehensweise an Musik an.
Auch auf die Bereitschaft, sich emotional einzulassen auf die Musik.

Vielleicht ist es eine Frage des Focus: woraus konzentriert man sich speziell? Auf Struktur? Auf emotionalen Inhalt?

Ich kann mich ergreifender Musik nicht gefühlsäßig enziehen. Die Stimmung eines Stückes ist fast immer das erste, was ich erfasse.

LG
violapiano
 
Bei mir ist es so, dass ich niemals wieder denselben Zauber empfunden habe wie beim ersten Mal, wenn ich eine gänsehauterzeugende Stelle über Wochen hinweg immer wieder gehört habe. Irgendwann "kannte" ich diese Stelle. Ich fand sie dann zwar immer noch schön, aber dieses völlig überwältigende Staunen war irgendwann weg.

Trotzdem kenne ich es auch, dass ich mich in einen Zustand bringen kann, in dem ich bei solchen Stellen wieder eine - ich nenne es mal so - "neue Form von Gänsehaut" bekomme. Denn dieser Gewöhnungseffekt ist oft nur eine gewisse Faulheit, die Musik wieder neu auf sich wirken zu lassen und wirklich dafür offen zu sein, dass sie einem noch Neues zu sagen hat. Wenn ich mit so einer offenen inneren Haltung zuhöre und mich darauf einlasse, dass noch nicht alles gesagt ist, dann kriege ich durchaus wieder Gänsehaut. Anders als beim ersten Zuhören, aber auch sehr schön und berührend.

Grüße von
Fips
 
Habe gerade im Buch: "Musik im Kopf"; Hören, Musizieren, Verstehen und Erleben im neuronalen Netzwerk von M. Spitzner eine interessante Tabelle gefunden:

30 gemischten Probanden wurde Stücke von Klassik bis Jazz vorgespielt, die sie per Tastendruck bewerten sollten.

Ergebnis: Tränen/Gänsehaut/Pulserhöhung bei n/n/n Probanden

Quintfall 6/0/0

melodische Höhepunkte: 18/9/ 0

mel./harmonische Sequenz 12/4/1

enharmonische Verwechslung 6/6/0
( wer bitte kann das hören?)

mel./harmonische Beschl.
zur Kadenz 4/1/2

Verzögerung der
Schlusskadenz 3/1/0

unvorbereitete Harmonie 3/12/1

plötzl. Dynamikwechsel / Textur 5/12/ 3

Wiederholte Synkopen 1/1/3

Ereignis früher als erwartet 1/4/3


Also: Tränen bei Melodie = 18 Probanden, Gänsehaut bei plötzlichen Wechseln = 12 Probanden.
So viel zur Phänomenologie auf Seite 390.
Da ich noch auf Seite 120 lese, kann ich zum "Warum" nichts beitragen....


Gruß aus Hamburg, Reiner

Mist, der Editor hat mir meine schöne Tabelle zerschossen.
 
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