"Freiburger Regulierung" der Repetitionsmechanik

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dermb

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Liebe Freunde des Tastenkastens,

hier bin ich auf etwas gestossen:
http://www.das-andere-klavier.de/de/fluegel.html

Eine vom Standard abweichende Art und Weise, die Repetitionsmechanik einzustellen, wie sie Anfang der 20. Jahrhunderts üblich gewesen sei und unlängst noch in Freiburg praktiziert worden wäre. Der Effekt soll sein, dass der Druckpunkt weg ist und der Ton extrem leicht und sensibel zu erzeugen sei.

Folgende Eckdaten sind für die Regulierung genannt:

Zitat:
"
1. Den Punkt des Auslösen auf 1 mm stellen.
2. Die Repetierfedern viel schwächer stellen, so daß das
Auslösen knapp stattfindet.
3. Die Stoßzungen nach hinten (in Richtung der Fänger)
neigen.
4. Die Repetierschenkel so einstellen, daß die Köpfe der
Stoßzungen 0,3 - 0,5 mm über den Schenkeln hinausstehen.
5. Den Punkt des Abnickens so wie den des Auslösen stellen.
6. Die Steighöhe erweitern, so daß die Hammerköpfe das
Hammerklotzpolster leicht berühren.
"

Hierzu folgende Überlegungen meinerseits:

a) Warum könnte die Spielart leichter werden?
- Die Repetierfeder wird erst gespannt, wenn die Auslösung vorbei ist, d.h. im Nachdruck oder frühestens wenn der Hammer bereits in der Luft ist. Außerdem soll sie sehr schwach eingestellt werden.
- Das Hammerröllchen liegt unmittelbar auf der Stoßzunge und damit "an der Taste", und startet sehr früh mit der Kippbewegung Richtung Auslösung.
- Der Weg der Stoßzunge von der ausgelösten Position in die Ruheposition ist geringfügig kleiner, da sie bereits vor der Repetierschenkel-Oberfläche stoppt.
- Im Ergebnis wird der Druckpunkt einigermaßen auf den Hammerweg verteilt.

b) Welche Probleme könnte es geben?
- Wenn die Stoßzunge in Ruhe über dem Repetierschenkel steht, dann kehrt sie ohne Luft weniger gut unter das Hammerröllchen zurück und verkantet sich womöglich. Vielleicht gibt es einen höheren Verschleiß am Hammerröllchen.
- Ist die Stoßzunge weiter als üblich Richtung Fänger geneigt, muß sie zum Auslösen einen längeren Weg unter Reibung am Hammerröllchen zurücklegen, und die geometrischen Verhältnisse begünstigen die Bewegung nicht, sondern verhindern sie eher: Die Stoßzunge müßte erst zum Scheitel des Hammerröllchens gezogen werden, bevor sie zur Auslösung gleiten kann.
- Die größere Steighöhe muß zu einer größeren Spieltiefe führen.
- Womöglich repetiert die Mechanik überhaupt nicht mehr.

Hat das schon mal jemand von Euch ausprobiert? Kann das funktionieren? Und war diese Art der Regulierung tatsächlich gebräuchlich? Mein Gefühl ist eher, dass das nicht zielführend ist, und der Effekt des veränderten Druckpunktes (und der leichteren Repetierfedern) nicht so groß sein kann. Ich würde die Stoßzunge z.B. eher weiter Richtung Taste stellen, um den Druckpunkt abzumildern.

Den beschriebenen Effekt, dass die Taste extrem sensibel ist, kenne ich übrigens von alten Bechstein mit Herrburger-Schwander Mechanik, und habe sie aber immer auf die grundsätzliche Geometrie der Mechanik und das Gewicht der Hammerköpfe zurückgeführt, nicht auf eine spezielle Regulierung.

Viele Grüße

Michael
 
Hallo dermb/Michael,
was du schilderst und was entsprechend auch in der verlinkten Seite steht, ist in der Tat sehr absonderlich. Unter normalen Gesichtspunkten ist das Beschriebene eine Versammlung der meisten Albträume schlechter Regulierung:
- zu schwache Repetierfedern machen die Doppelrepetition zunichte,
- zu hoch stehende Stoßzungenspitzen führen systematisch zu Anschlagsausfällen (frustrierenden "Tritten in die Luft"),
- zu große Steighöhe bewirkt (gefühlt) übergroßes Spielgewicht, zu viel Wucht, die schlechter zu dosieren ist,
- zu weit unter dem Röllchen angreifende Stoßzungen bewirken zu große Auftriebsreibung und erst recht zu große Auslösereibung bei Verlängerung des Auslösevorgangs.
Wenn dies alles zusammen eine auf geheimnisvolle Weise geniale Spielart ergeben soll, kann ich derzeit nur mit Vorschuss-Respekt ein Dennoch des Glaubens aussprechen, dem sich bis dato meine Vernunft verweigert.

Für andere Formen der spielartmäßigen Leichtigkeit und Präzision, als die der gängigen Repetierschenkel-Mechaniken, gibt es bekanntermaßen z. B. die Blüthner-Patentmechanik, bei der konstruktionsbedingt der Auslöse-Druckpunkt wesentlich schwächer spürbar ist.
Fast in Vergessenheit geraten ist leider die Mechanik von Collard & Collard (England), die mit sehr wenig bewegter Masse ein extrem direktes und äußerst reibungsarmes Spielen ermöglicht. Sie steht in puncto Präzision und Nuancenvielfalt der Normalmechanik nicht nach, kommt aber (mindestens theoretisch) mit deutlich weniger Spielgewicht aus, weil der systembedingte Unterschied zwischen Niedergewicht und Aufgewicht geringer ist. In Deutschland hat gab es die Collard-Mechanik z. B. in den 1870er Jahren in Flügeln von J. L. Duysen.

Gruß
Martin
PianoCandle


... und aus Krach wird Klang
 
Collard-Mechanik

Hier nun noch zwei Bilder von der Collard-Mechanik in einem alten ca. 170 cm Duysen-Flügel.

-mj-
 

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Hallo Martin,

Was ist eine Normalmechanik?
Ich kenne englische (Doppelrepetitions)mechanik und halbenglische (Repetitions)mechanik. Beide sind Stoßzungenmechaniken im Gegensatz zur Prellmechanik (auch Deutsche oder Wiener Mechanik genannt). Dieses Modell ist eine halbenglische Mechanik, von derer es im 19. Jhdt sehr viele unterschiedliche Typen gab.

Übrigens - die Einstellungsänderungen der engl. Mechanik wie eingangs beschrieben erzeugt ein der Prellmechanik ähnliches Muster bzw. Spielgefühl.

LG
Michael
 
((Klammerbemerkung:
Danke der Nachfrage, Michael/klaviermacher.

- Als normal, weil seit vielen Jahrzehnten zu nahezu 100% überwiegend, betrachte ich die Repetierschenkel-Mechanik. Ihren Ursprüngen nach verbinde ich sie mit den Namen Erard (deutsch-französisches Grenzgebiet), Steinway (Amerika/Deutschland). Spätere bedeutsame Namen sind Herz, Keller, Schwander, Renner. Für mich gibt es keine Plausibilität, diese Mechanik heute weiterhin als "englisch" zu bezeichnen. Ich tue es demgemäß auch nicht. Der Begriff "Repetierschenkel-Mechanik" hat m. E. genug Aussagekraft.

- Als "englisch" betrachte ich die im Buch von Blüthner/Gretschel abgebildete Stoßzungen-Mechanik ohne zusätzliche Repetitionseinrichtung. Sie ist mir bislang erst einmal in einem alten Tafelklavier begegnet. Seitdem weiß ich auch, dass die dazu zeitgenössische "deutsche" ("Wiener") Prellzungen-Mechanik viel genialer war als diese einfache "englische".

- Die einfache Stoßzungen-Mechanik wurde auf vielfältige Weise mit Einrichtungen zur Repetitions-Verdoppelung verbessert. Durchgesetzt hat sich letztlich die Erard/Steinway-Konzeption. Wasm. E. nichts daran ändert, dass auch viele andere Konstruktionen mit Recht als Doppelrepetitions-Mechaniken zu betrachten sind. Der Blüthner-Patent-Mechanik kann man ggf. eine Dreifach-Repetition attestieren.

- Die in meinem vorigen Posting erwähnte Mechanik-Konstruktion geht, wie gesagt, auf Collard & Collard zurück und kommt demgemäß aus England. Sie als "halbenglisch" zu bezeichnen, kommt für mich, schon allein aus Pietätsgründen, nicht in Betracht.

Ein Bild aus Blüthner/Gretschel werde ich nachliefern. Allerdings werde ich zuvor die Copyright-Frage klären.


Gruß
Martin
PianoCandle


... und Ende Klammerbemerkung ))
 

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