Fingergedächtnis

D

Doc88

Guest
Liebe Clavianer,
wie geht Ihr vor, wenn ein Stück auswendig sitzen soll :
ins Fingergedächtnis einschleifen, also wiederholen bis der Arzt kommt oder
die Notenstruktur optisch ins Gedächtnis einprägen und beim Spiel ein geistiges Notenblatt sehen.
Es soll ja eine Methode geben, wo erst dann in die Tasten gegriffen wird, wenn man die Noten auswendig hinschreiben kann.
Strukturen einprägen wie Akkorde, Passagen, Modulationen etc.
Mentales Spielen ?
Kleine Portionen einzeln, dann beidhändig üben und mit der Zeit immer länger werden lassen ?
Kennt Ihr sonstige evtl. sinnvolle Methoden ?

LG Doc
 
Am besten: Alles zusammen! Verlässt Du Dich nur auf eine Methodik, so kann (wird) die im Stress versagen.
 
Na ja, wie Fisherman geschrieben hat, eine Mischung aus allem. Es sind ja in dieser Hinsicht Stärken und Schwächen verschieden verteilt, es gibt schließlich eher visuell und eher auditiv veranlagte Typen.
Rudolf Kratzert gibt in seinem Buch an, er merke sich Stücke in erster Linie auditiv.
Ich erlebe es bei Schülern manchmal, dass sie irritiert sind, wenn sie für ein Stück eine andere Notenvorlage vor der Nase haben als gewohnt.
Das mechanische Gedächtnis ist das unsicherste und störanfälligste, was sich vor allem in Vorspielsituationen bemerkbar macht.
Mentales Training ist unbedingt zu empfehlen. Wer (noch) nicht in der Lage ist, jeden Ton und Klang sich mit dem zugehörigen Spielimpuls vorzustellen, für den kann dennoch bereits das Lesen des Notentextes etwas bringen. Unpräzise Klangvorstellungen können am Instrument kontrolliert und korrigiert werden. Mein Lehrer nannte das Sesselarbeit.
Die ultimative Nagelprobe: auswendig transponieren.
Der Jazzgitarrist Joe Pass konnte an guten Abenden jedes Stück in jeder Tonart spielen.
 
...ich finde das REINE auditive Merken am gefährlichsten. Ist das Klavier verstimmt, hauts Dich raus. Falscher Ton? Oder falsche Taste? Das ist dann bei einem verstimmten Instrument nicht mehr das gleiche. Da ist das Fingergedächtnis sogar noch besser...
 
auditiv mag für Profis funzen. Ich als Anfänger spiele - der Ton klingt schräg - das Gehirn schaltet sich ein - und aus ists ;-). Solche Klaviere stehen zuhauf in Privathaushalten und auch Musikschulen. Es genügt ja, dass eine Taste ziemlich daneben ist.

Ja, @40er: Deshalb fange ich nun - nach 5 Jahren - endlich gaaaaanz vorne mit "Sight Reading" (Kemble) an ;-)
 

Früher als ich kaum Noten lesen konnte, habe ich mir Stücke mechanisch-auditiv gemerkt: ins Fingergedächtnis übertragen und dann die Noten weggelegt und per Gehör kontrolliert, ob es richtig ist. Dabei gingen dann meistens als erstes die Vortragsanweisungen flöten. ;-) Heutzutage lege ich mir immer die Noten hin und versuche wenigstens mitzulesen, was das Fingergedächtnis gerade macht. Vom echten Sight Reading bin ich allerdings ganz weit weg, allerhöchstens Einstimmiges unrhythmisch und nicht im Tempo.
 
Fingergedächtnis ist was ganz Normales und stellt sich automatisch nach ausreichendem Üben ein. Für das Auswendigspielen finde ich es aber nur bedingt hilfreich. Wie fisherman schon andeutet: anderer Klang oder Anschlag führt schon dazu, dass es einen raushaut.

Wie war doch die Frage... Ach ja, das Auswendiglernen kommt zuerst, dann das Üben und damit dann das Fingergedächtnis...

Sollte der oder die KL dringend einen anderen Fingersatz empfehlen, steht man mit etabliertem Fingergedächtnis erstmal schlecht da, gell? Oder man soll im Unterricht plötzlich ganz langsam spielen...

Klavirus
 
@walsroderpianist
bitte (!) versteh´ meine Anmerkungen nicht als Wiederspruch (ich hab´ ja deinen Beitrag gelikt, und das nicht grundlos!)
Das mechanische Gedächtnis ist das unsicherste und störanfälligste, was sich vor allem in Vorspielsituationen bemerkbar macht..
ja und nein.
eigentlich (je fortgeschrittener!) mehr nein: man muss (!) in der Lage sein, Bewegunsgruppen (z.B. 4 oder 8 Sechzehntel irgendwo) automatisch ausführen zu können - da genügt es, den Anfangsimpuls einer Bewegungsgruppe zu "wissen", und danach läuft sie automatisch ab.
und das umso mehr, umso schneller das ist, was man spielt.

ein schönes Beispiel dafür ist die Etüde op.25 Nr.12 von Chopin: da muss man eigentlich nur Bewegungsfolgen internalisiert haben und ansonsten einen Choral bzw. dessen Akkordfolge (ca. 100 Akkorde, geordnet in melodische Gruppen) kennen --- plakativ gesagt laufen mehr als 90 % der Töne dieser Etüde "automatisch" ab (und man muss den Mut haben, das einfach laufen zu lassen (nachdem man es akribisch motorisch geübt hat, wofür es sehr gute Übungsmuster gibt))

In diesem Kontext mag ich den Begriff "Fingergedächtnis" überhaupt nicht, sofern damit gemeint ist "die Finger finden schon ihren Weg, ich muss nicht jeden Ton vorher bewußt kennen" ---- andererseits finden die Finger sehr wohl ihren Weg, mit dem richtigen Klang (Anschlag usw.), wenn zuvor jede Klang- und Grifffolge begriffen und durchdacht wurde.

verkürzt gesagt: wir müssen uns auf automatische, auf internalisierte Bewegungsgruppen verlassen können - ohne das ist schwierige schnelle Literatur nicht spielbar.

oder anders gesagt: auf sehr fortgeschrittenem bis professionellem Niveau ist "das mechanische Gedächtnis" alles andere als unsicher! ein Exempel dafür: ich hatte vor langer Zeit das widerborstige fugato der Lisztsonate akribisch und detailliert mir antrainiert, um es als Temposteigerung (accelerando) su spielen; natürlich kann ich den Notentext auswendig hinschreiben, kann jede Stimme einzeln im Tempo demonstrieren, aber das ist pillepalle: während ich das öffentlich spiele, denke/miterlebe ich nur die Klangfolge und die dazu gehörende Expression - ich weiß währenddessen nicht, welcher Finger gerade spielt und wie die flugs angeschlagene Taste gerade heißt (isses eis oder f?) - die Bewegunsfolgen und Bewegungsmuster habe ich so sehr internalisiert, dass jedes unnütze mitdenken weggeblendet ist. ------------------- ist das "Fingergedächtnis" oder "können"? Ich halte das für: können.

Wer (noch) nicht in der Lage ist, jeden Ton und Klang sich mit dem zugehörigen Spielimpuls vorzustellen, für den kann dennoch bereits das Lesen des Notentextes etwas bringen.
jepp!!!

Unpräzise Klangvorstellungen können am Instrument kontrolliert und korrigiert werden. Mein Lehrer nannte das Sessel.
und hoffentlich korrespondieren dann die Bewegungs"vorstellungen"!...

Die ultimative Nagelprobe: auswendig transponieren
ja, zumeist (es sei denn, es ist nicht spielbar (glissandi entziehen sich der Spielbarkeit, wenn man transponiert))
 
Hallo rolf,

klasse Beitrag, und ich stimme allem absolut zu (als Amateur, der sich mit virtuosen Sachen wie Campanella, Pathetique usw. beschäftigt hat, und die beschriebenen Vorgänge beim Klavierspiel quasi körperlich/geistig "erforscht" und ergründet hat).

Explizit dazusagen könnte man noch, daß einiges hiervon natürlich nur das (Hoch)Virtuosspiel betrifft, und für den Anfänger beispielsweise erstmal ohne Belang ist.
eigentlich (je fortgeschrittener!) mehr nein: man muss (!) in der Lage sein, Bewegungsgruppen (z.B. 4 oder 8 Sechzehntel irgendwo) automatisch ausführen zu können - da genügt es, den Anfangsimpuls einer Bewegungsgruppe zu "wissen", und danach läuft sie automatisch ab.
Bei mir ist es bei virtuosen Passagen sehr oft so, daß mein Auge kurz vorher auf die Taste schaut, die sozusagen dann den Anfangsimpuls für die nächste Bewegungsgruppe "antriggert" (ist das bei Dir auch so?)
man muss den Mut haben, das einfach laufen zu lassen (nachdem man es akribisch motorisch geübt hat, wofür es sehr gute Übungsmuster gibt))
Du sprichst z.B. von der Stationenübung, oder? (das könnte allerdings offtopic hier im Faden sein)

Schönen Gruß, Dreiklang
 
@walsroderpianist
bitte (!) versteh´ meine Anmerkungen nicht als Wiederspruch (ich hab´ ja deinen Beitrag gelikt, und das nicht grundlos!)

ja und nein.
eigentlich (je fortgeschrittener!) mehr nein: man muss (!) in der Lage sein, Bewegunsgruppen (z.B. 4 oder 8 Sechzehntel irgendwo) automatisch ausführen zu können - da genügt es, den Anfangsimpuls einer Bewegungsgruppe zu "wissen", und danach läuft sie automatisch ab.
und das umso mehr, umso schneller das ist, was man spielt.

ein schönes Beispiel dafür ist die Etüde op.25 Nr.12 von Chopin: da muss man eigentlich nur Bewegungsfolgen internalisiert haben und ansonsten einen Choral bzw. dessen Akkordfolge (ca. 100 Akkorde, geordnet in melodische Gruppen) kennen --- plakativ gesagt laufen mehr als 90 % der Töne dieser Etüde "automatisch" ab (und man muss den Mut haben, das einfach laufen zu lassen (nachdem man es akribisch motorisch geübt hat, wofür es sehr gute Übungsmuster gibt))

In diesem Kontext mag ich den Begriff "Fingergedächtnis" überhaupt nicht, sofern damit gemeint ist "die Finger finden schon ihren Weg, ich muss nicht jeden Ton vorher bewußt kennen" ---- andererseits finden die Finger sehr wohl ihren Weg, mit dem richtigen Klang (Anschlag usw.), wenn zuvor jede Klang- und Grifffolge begriffen und durchdacht wurde.

verkürzt gesagt: wir müssen uns auf automatische, auf internalisierte Bewegungsgruppen verlassen können - ohne das ist schwierige schnelle Literatur nicht spielbar.

oder anders gesagt: auf sehr fortgeschrittenem bis professionellem Niveau ist "das mechanische Gedächtnis" alles andere als unsicher! ein Exempel dafür: ich hatte vor langer Zeit das widerborstige fugato der Lisztsonate akribisch und detailliert mir antrainiert, um es als Temposteigerung (accelerando) su spielen; natürlich kann ich den Notentext auswendig hinschreiben, kann jede Stimme einzeln im Tempo demonstrieren, aber das ist pillepalle: während ich das öffentlich spiele, denke/miterlebe ich nur die Klangfolge und die dazu gehörende Expression - ich weiß währenddessen nicht, welcher Finger gerade spielt und wie die flugs angeschlagene Taste gerade heißt (isses eis oder f?) - die Bewegunsfolgen und Bewegungsmuster habe ich so sehr internalisiert, dass jedes unnütze mitdenken weggeblendet ist. ------------------- ist das "Fingergedächtnis" oder "können"? Ich halte das für: können.


jepp!!!


und hoffentlich korrespondieren dann die Bewegungs"vorstellungen"!...

ja, zumeist (es sei denn, es ist nicht spielbar (glissandi entziehen sich der Spielbarkeit, wenn man transponiert))

Danke für die Antwort, die (natürlich wieder einmal) punktgenau (zu)trifft.
ich meinte in meinem Beitrag keineswegs, dass das mechanische Gedächtnis nicht vorhanden sein oder sozusagen künstlich ausgeschaltet werden sollte. "Klangfolge und Expression" sind natürlich, je virtuoser die Aufgabe, desto mehr, zu dem zusammengefasst, was Gerhard Mantel ("Einfach üben") chunks nennt.
In meinem Berufsalltag , wo ich es unterrichtenderweise meist nicht mit Profis zu tun habe, gibt es manchmal Menschen, die sich fast ausschließlich auf das mechanische Gedächtnis verlassen. Nur dieses finde ich problematisch. Denn sie wissen nicht was sie tun.
 
Und wie funktioniert dieses "Sight reading" ?
Hoch lebe das Denglish. ;-) Das ist einfach: "Vom-Blatt-Spielen". Man beginnt mit einfachsten Tonabfolgen im Fünftonraum und steigert sich ... Ziel ist es, sich diese Übungen eben nicht zu "erarbeiten", sondern möglichst rhythmisch und tonal richtig ad hoc vom Blatt zu spielen.

Ich habe den Begriff verwendet, weil er den dafür gut geeigneten Übebüchern von Kemble entspricht (Sight reading 1-...)
 
Zitat von Waldesrodepianist.:
...gibt es manchmal Menschen, die sich fast ausschließlich auf das mechanische Gedächtnis verlassen. Nur dieses finde ich problematisch. Denn sie wissen nicht was sie tun.
Ja, ich kann das so was von bestätigen :-D
Bei Stücken, die nicht zufällig in C-Dur sind, weiß ich fast nie was ich da gerade mache....
 
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