I
Ijon Tichy
Guest
Hallo.
Angeregt von meinem eigenen Beitrag in einem anderen Strang (https://www.clavio.de/forum/sonstiges/473-videos-129.html#post272875), will ich hier eine kleine Grundlage
schaffen, auf welcher ein Austausch zur Musik eines der mir bedeutsamsten Komponisten stattfinden
kann, wenn entsprechendes Interesse besteht.
Mit Allzubiographischem kann ich leider nicht dienen, weil ich es in all den Jahren, die ich seine Musik nun
liebe, noch nicht zustande gebracht habe, mir Josef Beks Schulhoff-Monographie zu besorgen, die mir das
führende Werk in dieser Sache zu sein scheint.
Im Folgenden nur ein wenig Grundsätzliches zum Lebenslauf.
Erwin Schulhoff begann im Jahre 1904 das Klavierstudium am Prager Konservatorium, wechselte 1906
nach Wien, wo er bis 1908 verblieb, um dann im selben Jahr nach Leipzig zu gehen. Dort studierte
er unter anderem Komposition bei Max Reger.
1911, nach einer Konzertreise durch Deutschland, setzte er seine Studien in Köln fort, bis er 1914 zum
Kriegsdienst antrat (oder antreten musste), welchen er bis zum Ende des Ersten Weltkriegs ausübte,
wodurch ihm die Möglichkeit des Studiums und der Komposition gänzlich versagt blieb.
1919 und 1920 nahm er an einer Reihe von »Fortschrittskonzerten« in Dresden teil, wobei er erstmals
mit dem Schaffen der Zweiten Wiener Schule sowie mit dem Jazz, der ihn sein ganzes Leben lang
beschäftigen würde, in Berührung kam — auch wendete er sich hier dem Dadaismus zu.
In den folgenden Jahren war er als Pianist und Klavierlehrer (unter anderem in Saarbrücken) tätig; —
hier eignet sich ein zeitlicher Sprung hin in die 1930er Jahre.
Nach der Machtübernahme zog er sich zurück in sein Heimatland Tschechien, von wo er 1938 durch
den Einmarsch der Nationalsozialisten nach Russland vertrieben wurde. Dort, nachdem er unter
verdecktem Namen noch Konzerte in Tschechien gegeben und an verschiedenen Projekten partizipiert
hatte, erwägte er die Emigration ins Vereinigte Königreich, nach Frankreich oder in die Vereinigten
Staaten, nahm jedoch schlussendlich die sowjetische Staatsbürgerschaft an.
1941, nach dem Kriegsangriff der Nazis auf die Sowjetunion wurde er gefangen genommen und
ins bayrische Wülzburg deportiert, wo er 1942 an Tuberkulose starb.
Charakteristisch für Schulhoffs Schaffen ist die scheinbar schier unendliche Inspiration, die er aus
der amerikanischen Jazzmusik seiner Zeit zog. Das betrifft die ganz ausdrücklichen Jazzkompositionen
wie die »Suite dansante en jazz« für Klavier, aber auch die großartige erste Klaviersonate (eine kleine
Auswahl mittlerweile auf Youtube verfügbarer Werke hänge ich an), die, wie ich finde, ein Panoptikum
an Stilvielfalt ist.
Aber nie ist sein Werk homogen, stets offenbaren sich in seinen Kompositionen die unterschiedlichsten,
teilweise möchte man fast sagen: widersprüchlichsten Ausprägungen — da stehen freie Atonalität und
Foxtrott oftmals dicht beieinander, und seine Wurzeln, die im späten 19. Jahrhundert liegen, treten
nicht selten auch zutage. — Ironie ist ein tragendes Element seiner Musik, die sich auch durchaus
hin und wieder zum Witzhaften hinreißen lässt, ohne dabei aber jemals in die Gefahr der Lächerlichkeit
sich zu begeben.
Ein Kuriosum ist das kleine Stückchen In futurum aus den »Fünf Pittoresken« (unten verlinkt),
welches nur aus Pausen (und aus was für welchen! [Notentext im Youtube-Video inklusive]) besteht
und das Cages 4'33'' schon einige Jahrzehnte im Voraus antezipiert — abgesehen von der
Bedeutungsschwere des Titels, die sich aus der völligen Stille ergibt.
Ich will nun auch gar nicht zu viel darüber sagen, immerhin wäre es schön, wenn hier eine Diskussion
auf Grund nicht nur meiner bescheidenen Notizen entstünde.
Ein Verzeichnis aller überlieferten Werke Schulhoffs findet sich hier:
Klassika: Werkverzeichnis Erwin Schulhoff (1894-1942)
Die Auswahl, die ich getroffen habe, fokussiert vornehmlich Schluhoffs Klaviermusik, jedoch Youtube hält
noch einiges bereit, worauf man ja nur allzu leicht bei eigenen Nachforschungen stößt.
Schulhoff Suite Dansante En Jazz WV 98 - YouTube
Schulhoff - Fünf Pittoresken - YouTube
Erwin Schulhoff - Partita (1920) - YouTube
Schulhoff - Hot Music - YouTube
Erwin Schulhoff: Zehn Klavierst
Schulhoff - Piano Sonata No.1 WV.69 - YouTube
Erwin Schulhoff - Hot-Sonate - YouTube
Erwin Schulhoff: Sonata per violino e pianoforte No.2 (1927) Mov.1 e 2 - YouTube
Erwin Schulhoff: Syncopated Peter (ca. 1934) - YouTube
Erwin Schulhoff: Concerto per pianoforte e orchestra, Op.11 (1913) Mov.1 - YouTube
Erwin Schulhoff: Concerto per pianoforte e piccola orchestra op.43 (1923) - YouTube
Erwin Schulhoff: Concerto per quartetto d'archi e fiati (1930) - YouTube
Erwin Schulhoff : Flammen (1932) Atto I° - YouTube
Erwin Schulhoff: Le Bourgeois Gentilhomme Suite (1926) - YouTube
Erwin Schulhoff: Die Wolkenpumpe op.40 (1922) - YouTube
Ich hoffe, mit diesem kleinen Beitrag erbringe ich nichts Überflüssiges. Da ich in der Suchfunktion
kaum etwas zu Schulhoff gefunden habe und auch nicht weiß, wie bekannt oder unbekannt er
Euch ist, denke ich mir, dass es durchaus gut ist, wenn man hier in Ausführlichkeit über ihn
diskutieren kann.
Es würde mich freuen.
Herzliche Grüße!
Angeregt von meinem eigenen Beitrag in einem anderen Strang (https://www.clavio.de/forum/sonstiges/473-videos-129.html#post272875), will ich hier eine kleine Grundlage
schaffen, auf welcher ein Austausch zur Musik eines der mir bedeutsamsten Komponisten stattfinden
kann, wenn entsprechendes Interesse besteht.
Mit Allzubiographischem kann ich leider nicht dienen, weil ich es in all den Jahren, die ich seine Musik nun
liebe, noch nicht zustande gebracht habe, mir Josef Beks Schulhoff-Monographie zu besorgen, die mir das
führende Werk in dieser Sache zu sein scheint.
Im Folgenden nur ein wenig Grundsätzliches zum Lebenslauf.
Erwin Schulhoff begann im Jahre 1904 das Klavierstudium am Prager Konservatorium, wechselte 1906
nach Wien, wo er bis 1908 verblieb, um dann im selben Jahr nach Leipzig zu gehen. Dort studierte
er unter anderem Komposition bei Max Reger.
1911, nach einer Konzertreise durch Deutschland, setzte er seine Studien in Köln fort, bis er 1914 zum
Kriegsdienst antrat (oder antreten musste), welchen er bis zum Ende des Ersten Weltkriegs ausübte,
wodurch ihm die Möglichkeit des Studiums und der Komposition gänzlich versagt blieb.
1919 und 1920 nahm er an einer Reihe von »Fortschrittskonzerten« in Dresden teil, wobei er erstmals
mit dem Schaffen der Zweiten Wiener Schule sowie mit dem Jazz, der ihn sein ganzes Leben lang
beschäftigen würde, in Berührung kam — auch wendete er sich hier dem Dadaismus zu.
In den folgenden Jahren war er als Pianist und Klavierlehrer (unter anderem in Saarbrücken) tätig; —
hier eignet sich ein zeitlicher Sprung hin in die 1930er Jahre.
Nach der Machtübernahme zog er sich zurück in sein Heimatland Tschechien, von wo er 1938 durch
den Einmarsch der Nationalsozialisten nach Russland vertrieben wurde. Dort, nachdem er unter
verdecktem Namen noch Konzerte in Tschechien gegeben und an verschiedenen Projekten partizipiert
hatte, erwägte er die Emigration ins Vereinigte Königreich, nach Frankreich oder in die Vereinigten
Staaten, nahm jedoch schlussendlich die sowjetische Staatsbürgerschaft an.
1941, nach dem Kriegsangriff der Nazis auf die Sowjetunion wurde er gefangen genommen und
ins bayrische Wülzburg deportiert, wo er 1942 an Tuberkulose starb.
Charakteristisch für Schulhoffs Schaffen ist die scheinbar schier unendliche Inspiration, die er aus
der amerikanischen Jazzmusik seiner Zeit zog. Das betrifft die ganz ausdrücklichen Jazzkompositionen
wie die »Suite dansante en jazz« für Klavier, aber auch die großartige erste Klaviersonate (eine kleine
Auswahl mittlerweile auf Youtube verfügbarer Werke hänge ich an), die, wie ich finde, ein Panoptikum
an Stilvielfalt ist.
Aber nie ist sein Werk homogen, stets offenbaren sich in seinen Kompositionen die unterschiedlichsten,
teilweise möchte man fast sagen: widersprüchlichsten Ausprägungen — da stehen freie Atonalität und
Foxtrott oftmals dicht beieinander, und seine Wurzeln, die im späten 19. Jahrhundert liegen, treten
nicht selten auch zutage. — Ironie ist ein tragendes Element seiner Musik, die sich auch durchaus
hin und wieder zum Witzhaften hinreißen lässt, ohne dabei aber jemals in die Gefahr der Lächerlichkeit
sich zu begeben.
Ein Kuriosum ist das kleine Stückchen In futurum aus den »Fünf Pittoresken« (unten verlinkt),
welches nur aus Pausen (und aus was für welchen! [Notentext im Youtube-Video inklusive]) besteht
und das Cages 4'33'' schon einige Jahrzehnte im Voraus antezipiert — abgesehen von der
Bedeutungsschwere des Titels, die sich aus der völligen Stille ergibt.
Ich will nun auch gar nicht zu viel darüber sagen, immerhin wäre es schön, wenn hier eine Diskussion
auf Grund nicht nur meiner bescheidenen Notizen entstünde.
Ein Verzeichnis aller überlieferten Werke Schulhoffs findet sich hier:
Klassika: Werkverzeichnis Erwin Schulhoff (1894-1942)
Die Auswahl, die ich getroffen habe, fokussiert vornehmlich Schluhoffs Klaviermusik, jedoch Youtube hält
noch einiges bereit, worauf man ja nur allzu leicht bei eigenen Nachforschungen stößt.
Schulhoff Suite Dansante En Jazz WV 98 - YouTube
Schulhoff - Fünf Pittoresken - YouTube
Erwin Schulhoff - Partita (1920) - YouTube
Schulhoff - Hot Music - YouTube
Erwin Schulhoff: Zehn Klavierst
Schulhoff - Piano Sonata No.1 WV.69 - YouTube
Erwin Schulhoff - Hot-Sonate - YouTube
Erwin Schulhoff: Sonata per violino e pianoforte No.2 (1927) Mov.1 e 2 - YouTube
Erwin Schulhoff: Syncopated Peter (ca. 1934) - YouTube
Erwin Schulhoff: Concerto per pianoforte e orchestra, Op.11 (1913) Mov.1 - YouTube
Erwin Schulhoff: Concerto per pianoforte e piccola orchestra op.43 (1923) - YouTube
Erwin Schulhoff: Concerto per quartetto d'archi e fiati (1930) - YouTube
Erwin Schulhoff : Flammen (1932) Atto I° - YouTube
Erwin Schulhoff: Le Bourgeois Gentilhomme Suite (1926) - YouTube
Erwin Schulhoff: Die Wolkenpumpe op.40 (1922) - YouTube
Ich hoffe, mit diesem kleinen Beitrag erbringe ich nichts Überflüssiges. Da ich in der Suchfunktion
kaum etwas zu Schulhoff gefunden habe und auch nicht weiß, wie bekannt oder unbekannt er
Euch ist, denke ich mir, dass es durchaus gut ist, wenn man hier in Ausführlichkeit über ihn
diskutieren kann.
Es würde mich freuen.
Herzliche Grüße!