Das Klavierwerk von Grażyna Bacewicz

Troubadix

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Dieser Komponistin möchte ich hiermit einen eigenen Faden widmen. Irgendwie haben es mir die polnischen Komponisten wohl angetan und ähnlich wie bei Szymanowski kennt man auch von dieser Dame wohl eher weniger im deutschsprachigen Raum.

Bacewicz wurde 1909 in Lodz geboren. Dort wurde sie an der Violine und am Klavier ausgebildet und studierte nach ihrem Abitur 1928 Komposition am Konservatorium in Warschau, später auch bei Nadja Boulanger. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges setzte sie ihr Studium in Paris fort, lehrte aber in Lodz weiterhin Harmonielehre und Kontrapunkt, Violine (ihr bevorzugtes Instrument) und Komposition. 1936 wurde sie Konzertmeisterin von Polens erstem Rundfunksinfonieorchester, wurde als Violin-Virtuosin gefeiert und spielte unter anderem in Paris das gefürchtete, sauschwere 1. Violinkonzert von Szymanowski. 1955 hatte sie genug vom Virtuosentum und widmete sich nur noch dem Komponieren. Auch als Schriftstellerin wurde sie nun tätig, z.B. schrieb sie Kurzgeschichten unter dem Titel „Das besondere Zeichen“. Die letzten drei Jahre ihres Lebens unterrichtete sie am Konservatorium in Warschau, wo sie auch 1969 als bedeutendste Komponistin Polens starb.

Anfang des 20. Jahrhunderts war Polens Musikleben in zwei Lager gespalten. Die konservative Seite wurde zum Beispiel durch Witold Maliszewski vertreten, die eher progressive Seite wurde durch Szymanowski quasi angeführt. Szymanowski ermutigte die junge Komponisten die polnische Provinz zu verlassen und den eigenen Horizont zu erweitern. So tat es Bacewicz Chopin gleich und verließ Polen in Richtung Paris und machte dort vor allem mit dem Neoklassizismus Bekanntschaft, der sie zwar beeinflusste, sie selbst bezeichnete ihre Musik aber als nicht neoklassizistisch. Eine zentrierte Harmonik und eine kaum abreißende, toccatenhafte Figuration sind fester Bestandteil ihrer Komposition, ebenso eine oft vorhandene „im Grunde atonale“ (nach eigenen Worten) Harmonik. Sie selbst bezeichnete ihr kompositorisches Schaffen als „beständige Evolution“.

Für Szymanowskis gesamtes Klavierwerk bracht man zum Durchhören ca. 5 Stunden, für das von Bacewicz gerade mal 75 Minuten. Ein Grund dafür ist, dass viele Werke von ihrer Schwester nicht autorisiert und damit nicht veröffentlicht wurden. Auch gibt es zu den Hintergründen der einzelnen Stücke eigentlich nichts zu sagen. Den Grund hierfür liefert Bacewizc selbst.

„Über die kompositorische Werkstatt sage ich kein Wort. In dieser Hinsicht bin ich unerschütterlich. Meine Werkstatt, wie auch das Entstehen einer Komposition, ist für mich eine diskrete, rein persönliche Angelegenheit. Die zeitgenössischen Komponisten, zumindest deren Mehrzahl, sind diesbezüglich anderer Ansicht. Sie erklären, welche Systeme sie angewandt haben und auf welche Weise sie ein bestimmtes Ergebnis erlangten. Das mache ich nicht. Ich bin der Ansicht, dass der Weg, der zur Erlangung des Resultats eingeschlagen wurde, für die Zuhörer ohne Bedeutung ist. Wichtig ist hier das Endergebnis, das Werk selbst.“

In diesem Sinne werde ich nur äußerst kurz auf die Werke eingehen und komme auch im Gegensatz zum Szymanowski-Faden, hier mit einem Beitrag aus. :)

Klaviersonate Nr.2
1. Maestoso
2. Largo
3. Toccata Vivo
An erster Stelle ihres veröffentlichten Schaffens steht gleich das wohl bedeutendste und für mich auch beeindruckendste Klavierwerk ihres Lebens. Wolters beschreibt es als sehr eindrucksvolles, farbiges, auch pianistisch ergiebiges Werk in drei Sätzen und vergibt den die Schwierigkeitsstufe 13 (von 15).

Scherzo, Vivace
Rondino
Zwei kurze, fröhliche Stücke mit dem für Bacewicz typischen toccatenhaften Charakter. Sehr hübsch!!!

Sonatine
1. Allegro ma non troppo
2. Melodie
3. Oberek
Ein Stück mit drei sehr kurzen Sätzen, besonders schön der Mittelsatz. Mit einer heiteren Oberek als Schlusssatz wendet sie sich hier auch einer traditionellen polnischen Form zu.

Suite enfantine
Prelude
Marsch
Walzer
Lullaby
Burlesque
Menuett
Gavotte
Scherzino
Eine Suite für Kinder, die sich aber ganz eindeutig an schon etwas fortgeschrittene Schüler richtet. Auch für Erwachsene sind sie aber nicht uninteressant. Wolters beschreibt sie als etwas artifiziell wirkende Kindlichkeit. Die Stücke wirken gut, unalltäglich, wirken aber nicht urwüchsig. Er vergibt die Schwierigkeitsgrade 6-10. Für mich besonders interessant sind die letzten beiden Stücke „Gavotte“ und „Scherzino“.

Drei Burlesken
Molto Allegro
Allegro ma non troppo (nicht auf YT)
Vivo (nicht auf YT)
Auch hier ist wieder ganz klar Bacewiczs Handschrift zu erkennen. Besonders das letzte Stück „Vivo“ ist harmonisch sehr interessant.

Zwei Etüden für Doppelgriffe
Moderato (nicht auf YT)
Vivace (nicht auf YT)
Der Name ist Programm. Das zweite Stück besticht durch eine sehr prägnante Rhythmik.

Kleines Triptychon
Drei äußerst kurze Stücke (keines viel länger als eine Minute). Nach Wolters sind sie eher skizzenhaft, dafür aber nicht sonderlich schwierig. Wer mal gerne etwas kurzes, nicht zu schweres, atonales spielen möchte, kann sich die Stücke ruhig mal ansehen. (Wolters-Schwierigkeitsstufe 10)

10 Etüden
Nr.1;2;3;4
Nr.5;6;7
Nr.8;9;10
Ich zitiere hier Wolters: „Die Begabung von Frau Bacewicz, mit einfachen überschaubaren Spielformen originelle Wirkung zu erreichen, findet hier die beste Bestätigung. Es gibt sehr dankbare Vortragsstücke in diesem Opus, die auch spezifisch pianistischen Anreiz bieten.“ Bei Wolters-Schwierigkeitsgraden von 11-12 ist dort auch für den weit fortgeschrittenen Amateur was machbar.

So, das war’s auch schon wieder. Die Noten sind nicht legal frei erhältlich. Bleibt mir zum Abschluss noch zu wünschen, dass auch die deutschen User die Links öffnen können. Falls nicht und auch sonst kann ich jedem nur die Gesamteinspielung aller Werke von Ewa Kupiec ans Herz legen, die wirklich eine tolle Arbeit leistet.

Viele Grüße!
 
Danke für die interessante Vorstellung! Habe mir gerade die 2. Sonate angehört und finde sie auf irgendeine geheimnisvolle Weise sehr spannend, obwohl diese Art von Musik eher nicht mein Fall ist - das ist für mich also eher ungewöhnlich.
 
Mann kann die Gesamteinspielung von Ewa Kupiec auch bei Spotify hören, als Tipp, da einige der Links, bei mir zumindest, nicht funktionieren. Ansonsten ist die CD auch nicht teuer und absolut hörenswert! :)
 
Habe mir gerade die 2. Sonate angehört und finde sie auf irgendeine geheimnisvolle Weise sehr spannend

Ja, die zweite Sonate ist klasse und Ewa Kupiec spielt sie wirklich genial. Mit der Einspielung von Zimerman kann ich zum Beispiel gar nichts anfangen.

da einige der Links, bei mir zumindest, nicht funktionieren.

Das liegt daran, dass ich die Links vor 2 1/2 Jahren hier reingestellt habe und einige Videos entfernt wurden. Bei Gelegenheit werde ich die Links mal aktualisieren.

Viele Grüße!
 
Ja, die zweite Sonate ist klasse und Ewa Kupiec spielt sie wirklich genial. Mit der Einspielung von Zimerman kann ich zum Beispiel gar nichts anfangen.



Das liegt daran, dass ich die Links vor 2 1/2 Jahren hier reingestellt habe und einige Videos entfernt wurden. Bei Gelegenheit werde ich die Links mal aktualisieren.

Viele Grüße!

Oh, ich habe mir nur die von Zimmerman angehört! Zugegeben hatte ich manchmal den Eindruck, der Flügel würde den ganzen fffffffffffffffffffffffff Passagen nicht standhalten :D
 
Hi,

da es zu meinem Lieblingsstücken gehört (2. Sonate, gespielt von Zimerman) habe ich mal das von Ewa Kupiec rausgesucht, welches alle 3 Teile enthält:



Ich finde Zimmerman sehr viel besser, es ist viel dynamischer (was nicht zuletzt ggf. daran liegt, dass der Flügel-Bass in der obigen Aufnahme ziemlich schlapp ist).

Zimmermann, ich mag den Largo-Teil (2nd) am Liebsten:

 

Was mich bei Zimerman furchtbar stört, ist der erste Satz. Über weite Strecken ist mir das viel zu schnell und brutal. Über ein paar schöne Momente spielt er einfach hinweg. Schon das Hauptthema nervt mich. In der Reprise gibt es z.B. ein p sub., das er mehr oder weniger ignoriert und damit den ganzen Spannungsbogen zerstört und vieles mehr. Kupiec finde ich da viel differenzierter. Ihre Interpretation kommt meiner Vorstellung vom Stück am nächsten.

Wenn du das anders Empfindest, ist das natürlich in Ordnung. So hat halt jeder die Interpretation dieses tollen Stücks, die ihn glücklich macht. :-)

Viele Grüße!
 

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