BWV 940 - Welche Stimme hat hier Pause

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Wiedereinsteiger123

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Guten Morgen liebes Forum,

ich übe gerade das Kleine Präludium in d-moll (BWV 940) und habe Probleme mit dem Takt, den ihr in dem hochgeladenen Bild seht. Dazu habe ich zwei Fragen:

1. Habe ich mit der blauen Linie korrekt die beiden Stimmen getrennt? Das letzte a gehört glaube ich noch in die obere, da habe ich mich verzeichnet.

2. Welche Stimme hat bei der Viertelpause in der Mitte des Takts Pause? Wenn ich zusammenzähle, komme ich bis dahin in der oberen Stimme auf 1/4 + 1/16 + 1/16 + 1/8 + 1/4 = 3/4 und in der unteren auf 1/16 + 1/16 + 1/16 + 1/16 + punktierte 1/8 + 1/16 + 1/2 = 4/4. In der oberen kommt danach noch eine Viertel, also komme ich in beiden Stimmen ohne die genannte Pause auf 4/4.
Irgendwo muss ich einen Denkfehler gemacht haben, nur wo? :konfus:
 

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In der rechten Hand kommt ab Mitte des von dir betrachteten Taktes noch eine 4. Stimme hinzu - zumindest der Notation nach, d. h. zu der halben Note e' kommt zeitgleich das mit Haltebogen weiter gehaltene d'' mit der viertel Pause für die neue Stimme, dann auf den 4. Schlag kommt eben das a' als weitere Stimme zu c'' und immer noch d' dazu.

Meine Aussagen betreffen nur dein gepostetes Notenschnipsel. Manchmal hilft auch die Sicht in andere Ausgaben.
upload_2015-12-7_10-23-45.png
http://petrucci.mus.auth.gr/imglnks/usimg/9/96/IMSLP62058-PMLP08244-Bach-Busoni_BWV_940.pdf
Bei Betrachtung des folgenden Taktes sieht man eindeutig die zeitweilige 4. Stimme.
 
Ah, jetzt wird es mir klar, Danke dir! Kann man sagen, dass die Viertelpause hier primär zur Vorbereitung des Lesers auf das Dazukommen der vierten Stimme gedacht ist, weil für sie sonst eigentlich auch eine halbe Pause zu Beginn des Takts hätte angegeben werden müssen?
 
@Wiedereinsteiger123 zu 1.) ja das a gehört noch zur oberen Stimme. Hinweis ist der nach oben gesetzte Notenhals.
 
@elli hmm... ja hast recht. So wie Du das erläuterst mit weitere Stimme ist es korrekt.
 
Bei Betrachtung des folgenden Taktes sieht man eindeutig die zeitweilige 4. Stimme.
In diesem Falle wird die vierte Stimme nicht nur zeitweilig eingeführt, sondern bis zum Schluss beibehalten. Da in den letzten drei Takten jeweils eine der Stimmen in Doppelgriffen gesetzt ist, erklingen dann sogar fünf Töne gleichzeitig. Echte Fünfstimmigkeit erfordert allerdings eine selbständige Führung aller Stimmen, die hier nicht gegeben ist.

Fazit? Es ist keineswegs so, dass Mehrstimmigkeit in vollem Umfang durchnotiert werden muss, wenn Stimmen über längere Zeiträume ohnehin pausieren. Die kurzzeitig ergänzten Pausen vor und nach dem Einsatz dienen eher der Orientierung, an welcher Stelle die neue Stimme innerhalb des Satzbildes auftaucht - ein durchgetaktetes Auffüllen der Systeme mit Pausen ist nicht erforderlich.

LG von Rheinkultur
 
Da in den letzten drei Takten jeweils eine der Stimmen in Doppelgriffen gesetzt ist, erklingen dann sogar fünf Töne gleichzeitig. Echte Fünfstimmigkeit erfordert allerdings eine selbständige Führung aller Stimmen, die hier nicht gegeben ist.

Das ist ein interessanter Punkt: Wann ist eine Stimme selbstständig geführt, also woran kann man es festmachen? Dass z.B. ein Haufen Oktaven keine zwei selbstständigen Stimmen sind, leuchtet mir ein, aber wo ist der Übergang zur Selbstständigkeit bzw. ist der überhaupt eindeutig?
 
Und noch eine Frage zum zweiten Takt der zweiten Zeile in Ellis Ausgabe:
Da ist ein e mit mehrfachem Haltebogen, aber die obere Stimme spielt g#. f#, e. Wie ist das zu spielen? Doch nicht als drei sechszehntel e's hintereinander? (Ich weiß, solche Fragen klärt man schneller im Klavierunterricht, aber meiner beginnt erst nächsten Monat und ich bin ungeduldig ;-))
 
Und noch eine Frage zum zweiten Takt der zweiten Zeile in Ellis Ausgabe:
Da ist ein e mit mehrfachem Haltebogen, aber die obere Stimme spielt g#. f#, e. Wie ist das zu spielen? Doch nicht als drei sechszehntel e's hintereinander? (Ich weiß, solche Fragen klärt man schneller im Klavierunterricht, aber meiner beginnt erst nächsten Monat und ich bin ungeduldig ;-))

Erstmal ist das nicht die obere Stimme, sondern die zuvor als neu einsetzende 4. Stimme aus dem Vortakt - das erste 1/16 gis ist mit Haltebogen verbunden.

Zur Spielweise des e' in der untersten Stimme im Violinschlüssel kann ich nur mutmaßen, wenn das Prelude eigentlich für Orgel ist, gibt es ja mehrere Manuale, wo man dann gleichzeitig spielen kann, auf das Piano übersetzt, müsste man für die Dauer des Ton eigentlich Pedal einsetzen: ist es Fingerpedal, gibt es die Möglichkeit die 1/16 einfach als gegeben zu betrachten (also nicht neu anschlagen), oder die Taste nur soweit hochkommen zu lassen, dass die Dämpfungsaufhebung für den Ton noch immer wirkt und in den Klang neu anschlagen, oder mit Fußpedal den Ton halten und mit neuem Anschlag sozusagen hineinspielen,
keine Ahnung, was da so üblich ist (man könnt ja auch mal das mittlere Pedal bei Flügel und Digi benutzen)
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Wann ist eine Stimme selbstständig geführt, also woran kann man es festmachen?
Wenn sie nicht nur in vertikaler Richtung (Tonhöhe) eigenständig fortschreitet, sondern auch in horizontaler Richtung. Letzteres geschieht durch eine Rhythmisierung, die nicht identisch mit derjenigen anderer Stimmen ist, und vor allem durch eine eigenständige melodische Führung. Insofern ist die Anzahl der gleichzeitig erklingenden Noten nicht identisch mit der Anzahl real ausgeführter Stimmen. Näheres zum Thema ist unter dem Stichwort "Kontrapunkt" zu finden: Es wird dann nicht nur Wert auf Selbständigkeit, sondern auf Gleichrangigkeit der Stimmen gelegt, indem beispielsweise die thematische Substanz in allen Stimmen auftauchen kann.

LG von Rheinkultur
 

Ich muss die Frage nochmal aufwärmen, weil das Stück jetzt soweit sitzt, dass sie für mein Spiel relevant wird. Die meisten Aufnahmen des Stücks sind wesentlich schneller als die oben gepostete, wodurch vor allem auch die Achtel*/Sechszehntel-Ketten (wie zB in Takt 1 und 3) für mein Gefühl an Ausdruck verlieren. In der Busoni-Ausgabe heißt es "Un poco largamente", obige Aufnahme ist wohl schon etwas mehr als nur un poco? Was sagt ihr, gibt es Gründe anzunehmen, dass das Tempo - bzw. eher die Tempi, konstant ist es ja nicht - im Bachschen Sinne ist, oder ist da schon viel pianistische Freiheit enthalten?
 
Die gefiel mir auch am besten wegen des Tempos und des Ausdrucks. Die meisten würden aber vermutlich sagen, das sei so zu langsam?

Die ist nicht nur viel zu langsam, sondern auch total wackelig im Tempo. Als Vorbild taugt die Aufnahme überhaupt nicht.

Die meisten Aufnahmen des Stücks sind wesentlich schneller als die oben gepostete, wodurch vor allem auch die Achtel*/Sechszehntel-Ketten (wie zB in Takt 1 und 3) für mein Gefühl an Ausdruck verlieren.

Was ist denn deiner Meinung nach der "Ausdruck"? Möglicherweise nur etwas diffus "gefühliges"? Sowas ist in der Regel kein guter Ratgeber.

Auch, wenn Bach keine Tempovorschrift notiert hat, gibt es objektive Kriterien für ein angemessenes Tempo. Bach notierte beispielsweise einen 4/4-Takt, und im Viertel-Rhythmus wechseln auch die Harmonien. Das heißt, es gibt zwei betonte Zeiten und zwei unbetonte. Ist das Tempo zu langsam, bekommt man fast unweigerlich vier Schwerpunkte. Als kleinster Notenwert kommen Sechzehntel vor, auch das macht klar, dass hier kein Adagio gemeint ist. Vom Notenbild ähnelt der Satz dem Typus der spätbarocken Allemande (abgesehen vom fehlenden Auftakt). Und genau so würde ich ihn auch spielen: wie eine (langsame) Allemande. Also ca. 60 Viertel pro Minute. Auf keinen Fall viel langsamer.

LG, Mick
 
Danke für eure Antworten!

Auch, wenn Bach keine Tempovorschrift notiert hat, gibt es objektive Kriterien für ein angemessenes Tempo. Bach notierte beispielsweise einen 4/4-Takt, und im Viertel-Rhythmus wechseln auch die Harmonien. Das heißt, es gibt zwei betonte Zeiten und zwei unbetonte. Ist das Tempo zu langsam, bekommt man fast unweigerlich vier Schwerpunkte. Als kleinster Notenwert kommen Sechzehntel vor, auch das macht klar, dass hier kein Adagio gemeint ist. Vom Notenbild ähnelt der Satz dem Typus der spätbarocken Allemande (abgesehen vom fehlenden Auftakt). Und genau so würde ich ihn auch spielen: wie eine (langsame) Allemande. Also ca. 60 Viertel pro Minute. Auf keinen Fall viel langsamer.
LG, Mick

Die Begründung leuchtet mir ein, aber die Folgerung verwundert mich. Wenn ich mich nicht verzählt habe, besteht das Stück aus 10 Takten, also 40 Vierteln. Das würde bei deinem Vorschlag 40 Sekunden Spieldauer bedeuten. Die Aufnahmen bei Spotify rangieren größtenteils zwischen 50 und 70 Sekunden, das Extrem ist eine mit 36 Sekunden auf einem Cembalo und die klingt ein bisschen nach Gemetzel. Die Aufnahme von Tatiana Nikolayeva gefällt mir auch sehr gut - ich weiß, das ist ein reines Geschmacksurteil - und ist auch bei 65 Sekunden. Ich finde die Mehrstimmigkeit kommt da mehr zur Geltung.

Der Durschnitt scheint also irgendwo bei 40 Vierteln pro Minute zu liegen, also einem langsamen Largo?
 
Letztendlich gibt es kein objektiv "richtiges" Tempo. Entscheidend ist, dass der Puls in Vierteln und nicht in Achteln empfunden wird und dass man das auch dem Zuhörer vermitteln kann. Ein schnelleres Tempo wirkt oft ruhiger als ein langsameres, wenn letzteres dazu führt, dass sich die Anzahl der Schwerpunkte im Takt verdoppelt.

Wenn der Puls also in Vierteln läuft (und das hat Bach durch die Taktvorzeichnung bestimmt), ist ein langsameres Tempo als 50 Schläge pro Minute kaum denkbar. Und sinnvoll ist es meiner Meinung nach auch nicht, denn dann entsteht bereits in der zweiten Hälfte des ersten Taktes ein Stillstand, dem man nur durch kunstvolle Auszierungen begegnen könnte. Das würde aber wieder einen Adagio-Charakter hervorrufen, und den hätte Bach durch eine entsprechende Vortragsangabe kenntlich gemacht. Ein Adagio ist im Barock eine Ausnahme von der Regel - wenn nichts da steht, muss man also davon ausgehen, dass kein Adagio gemeint ist.

LG, Mick
 
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