Bundesverfassungsgericht

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18. Feb. 2008
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hallo,

das ist doch mal eine frohe Botschaft :)

Zitat:
"Bach-Präludien sind keine Ruhestörung
Das Bundesverfassungsgericht hat Hausmusikern den Rücken gestärkt. Eine Nachwuchspianistin sollte wegen "erheblicher Ruhestörung" 50 Euro zahlen - zu Unrecht, wie die Richter entschieden.
.Eine 16-jährige Berlinerin sollte 50 Euro zahlen, weil sie sonntags Präludien von Bach geübt hatte - nun hat das Bundesverfassungsgericht der jungen Musikerin recht gegeben. In dem Beschluss hoben die Karlsruher Richter Entscheidungen der Berliner Justiz auf, die die einstündigen Klavierübungen einer 16-Jährigen an einem Sonntag im Februar 2008 als "erhebliche Ruhestörung" eingestuft und ihr eine Geldbuße auferlegt hatte. Für die musikbegeisterte Familie sei nicht vorhersehbar gewesen, dass die sonntägliche Übungsstunde strafwürdig sein könnte, urteilte das Gericht.

Ein Reihenhausnachbar der Berliner Familie mit sechs Kindern, darunter einige praktizierende Musiker, hatte entnervt die Polizei angerufen, als sich die bereits in Wettbewerben erprobte Nachwuchspianistin - wie jeden Tag - auch am Sonntag für eine Stunde ans Klavier setzte. Wochentags wollte der Nachbar die musikalische Beschallung hinnehmen, sonntags jedoch forderte er Ruhe. Der herbeigeeilte Polizist stimmte ihm zu: Das Klavierspiel sei in der Wohnung deutlich wahrnehmbar und außerdem "belästigend". Woraufhin das Bezirksamt 75 Euro Bußgeld verhängte, das später vom Amtsgericht Tiergarten auf 50 Euro reduziert wurde. (Az: 1 BvR 2717/08 - Beschluss vom 17. November 2009)

Eine Kammer des Ersten Senats hob die Entscheidung auf und verwies den Fall ans Amtsgericht zurück. Nach den Worten der Richter versteht es sich jedenfalls nicht von selbst, dass das sonntägliche Musizieren in der eigenen Wohnung als "Lärm" oder "erhebliche Ruhestörung" im Sinne der Berliner Lärmschutzvorschriften zu werten ist. Der "normative Gehalt" dieser Begriffe müsse präzisiert werden, damit der Betroffene vorhersehen könne, wann er wie lange üben dürfe und wann nicht. Dies folgt aus dem "Bestimmtheitsgebot" im Grundgesetz, wonach ein Verhalten nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit hinreichend bestimmt und damit vorhersehbar war."

Zitatquelle: www.n24.de/news/newsitem_5646294.html
(auch in der Zeitung war ein Miniartikel)

...ob die Karlsruher Richter auch so entschieden hätten, wenn sonntags Vers la Flamme (Skrjabin) oder suggestion diabolique (Prokovev) geübt worden wäre?

egal: Bach ist keine Ruhestörung :D

Gruß, Rolf
 
das ist doch mal eine frohe Botschaft :)
egal: Bach ist keine Ruhestörung :D

www.bundesverfassungsgericht.de/.../rk20091117_1bvr271708.html

wow... da ist zwar sehr viel zu lesen (es ist das Urteil), aber auch viel staunenswertes... es ging um spätnachmittags eine Stunde Klavierüben, und zwar sonntags

...8000.- Euro Streitwert (Anwaltskosten)...

wie auch immer, das Urteil ist lesenswert (wenngleich die juristischen Gedankengänge für Laien wie mich kaum nachvollziehbar sind)

Gruß, Rolf
 
Hi Rolf,
der link funzt bei mir nicht, leider!
Aber ich koennte schon wieder so eine Wut bekommen auf unser unmusikalisches Deutschland...
Ich finde nicht, dass das Urteil sich danach anhoert, dass das Ueben in Zukunft erlaubt ist -sondern es scheint vielmehr so zu sein, dass der Nachbar vorher ankuendigen muss, dass es ihn stoert, und dann ist die Laermbelaestigung wieder strafbar. Ich bin empoert! GRRRRRRRRRRRRRRRRRR

lg
 
Ich warte auf den Tag, an dem die Kirchenglocken verboten werden und man den Abonnenten (Kirchensteuer...) einen Empfänger in der Wohnung installiert, damit man dort weiterhin dieses anachronistische Zeitzeichen hören darf.

Wie auch immer: ein positives Signal für die Kultur!
 
Hi Rolf,
der link funzt bei mir nicht, leider!

hallo,

ich hatte nach dem Zeitungslesen bei Google "bundesverfassungsgericht urteil bach präludien" eingegeben, und dann findet sich an 7. Stelle:
Das Bundesverfassungsgericht
17. Nov. 2009 ... lang Präludien und Französische Suiten von Bach am Klavier. ... Mit Urteil des Amtsgerichts vom 4. Juni 2008 wurde gegen ihn unter ...
www.bundesverfassungsgericht.de/.../rk20091117_1bvr271708.html

und wenn man da draufklickt, kann man das Urteil im Namen des Volkes durchlesen (sehr lang)

...wie links zum funzen bringt, da hab ich keine große Ahnung... :D

Gruß, Rolf
 
Rolf, jetzt funzt es, und ich hatte es auch schon bei Google gefunden.
Ich verstehe allerdings nich wirklich, dass das Gericht uns damit sagen will...
 
Das meinst du jetzt ironisch, oder hast du ernsthaft was gegen Kirchenglocken? Gut, in Berlin ist es ja auch was anderes als in Bayern. Wir sind ja praktisch damit aufgewachsen.
Das war natürlich Spaß! Wobei: Sonntags früh um 7 Uhr würden sie mich schon stören. Um 9 oder 10 Uhr geht in Ordnung.

Und was wären die schönen italienischen oder auch bayrischen Städtchen ohne den friedlichen Glockenklang?
 
scherzando!!


das hier auch:

I never dreamt
that with my own two hands
I could touch the sky.

(Sappho)

...Sappho im antiken Griecheland, genauer auf einer Insel mit interessantem Namen, konnte schon englisch, obwohl sich dessen früheste Form (anglo-saxon - altenglisch) erst ab dem 5.Jh. nach Christus zu entwickeln begann...

altenglisch ist ulkig (z.B. Beowulf oder Zaubersprüche) with ymbe nim eorthan

Gruß, Rolf
 
Ich finde nicht, dass das Urteil sich danach anhoert, dass das Ueben in Zukunft erlaubt ist -sondern es scheint vielmehr so zu sein, dass der Nachbar vorher ankuendigen muss, dass es ihn stoert, und dann ist die Laermbelaestigung wieder strafbar. Ich bin empoert! GRRRRRRRRRRRRRRRRRR

lg

Das Bundesverfassungsgericht sagt nur, dass im Gesetz nicht für Jeden erkennbar steht, dass einstündiges Klavierspiel am Nachmittag eine Lärmbelästigung ist und deshalb auch nicht so einfach pauschal bestraft werden darf. Denn hierzulande muss für jeden schon bei normaler objektivierter Betrachtungsweise erkennbar sein, wenn er etwas strafbares tut.
Somit hat das BVerfG das Verfahren wieder an das Amtsgericht zurückverwiesen, damit das klärt, ob es sich auch wirklich um eine Lärmbelästigung gehandelt hat (dem Nachbarn klingelten die Ohren/pflegebedürftige Tante ist davon aus dem Bett gefallen und er hat die Pianistin schon darauf hingewiesen, dass es arg schlimm für ihn ist... etc) und sein Urteil dementsprechend fällen soll, mit dem Hinweis, eine Lärmbelästigung ist nicht einfach eine solche, weil irgendjemand dieses Wort in den Mund nimmt.

Interessant wäre es zu erfahren, wie das Urteil des Amtsgerichtes diesmal lautet. Wenn jemand das findet, wäre ein Hinweis schön.
Aus diesem (Amts-)Gerichtsurteil erst lassen sich dann nämlich Tendenzen ablesen, ob das Klavierspiel demnächst als Lärmbelästigung eingestuft werden kann.
 

Man sollte den Musikgeschmack der Nachbarn kennen und ab und zu ein passendes Stück (Schunkellieder, lustige Musikanten, Gröhlemüller, Maffay o.ä.) in den Übeablauf eingliedern. Das erhöht die positive Erwartungshaltung des Nachbarn und hilft über die anderen Stücke hinweg...:D
 
Habs auch heute Nacht im Radio gehört:-D.

Als mein Bruder mit Schlagzeug angefangen hat und sich regelmäßig die Nachbarn beschwerten, haben wir mal beim Ordnungsamt angerufen und die meinten das ein Instrument nicht unter Ruhestörung zählt, solange es keine Bandproben sind bzw. "Kommerzieller" Hintergrund dahinter ist, wie Auftritte etc.

Ich hab auch schon beschwerten bekommen, von einen Typen der über 20 Meter weiter weg wohnt, naja gut...kann mal passieren, vorallem am Mittag in den Sommerferien, wo jeder draußen hockt und bei mir das Festern offen ist :D.

Ich finds etwas übertrieben da gleich eine Klage einzureichen.
Ich glaub das Mädchen hatte dann bei einen Wettbewerb den 1ten Platz erreicht, zumindest laut den Radionachrichten :)
 
Man sollte den Musikgeschmack der Nachbarn kennen und ab und zu ein passendes Stück (Schunkellieder, lustige Musikanten, Gröhlemüller, Maffay o.ä.) in den Übeablauf eingliedern. Das erhöht die positive Erwartungshaltung des Nachbarn und hilft über die anderen Stücke hinweg...:D
Und wer ein Faible für die Moderne hat, investiert am besten in Schallschutz :D
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Kam gestern oder vorgestern im TV. Die junge Dame hat gut gespielt! :)

Das (nicht allgemeingültige) Urteil betrifft Berlin, da es dort keine Regelungen wie in anderen Bundesländern gibt, was das Musizieren betrifft.

Da ein herbeigerufener Polizist das Klavierspiel ebenfalls als "Lärm" empfand, hatte das Amtsgericht damals so geurteilt.

Übrigens: der Mieter ist mittlerweile ausgezogen... :D
 
das hier auch:

I never dreamt
that with my own two hands
I could touch the sky.

(Sappho)

...Sappho im antiken Griecheland, genauer auf einer Insel mit interessantem Namen, konnte schon englisch, obwohl sich dessen früheste Form (anglo-saxon - altenglisch) erst ab dem 5.Jh. nach Christus zu entwickeln begann...

altenglisch ist ulkig (z.B. Beowulf oder Zaubersprüche) with ymbe nim eorthan

Gruß, Rolf
Das habe ich aus dem Buch "Mit eigenen Händen" von Seymour Bernstein entnommen. Mag sein, daß das Originalzitat griechisch ist, die Originalausgabe des Buches ist jedenfalls englisch.

Danke übrigens einmal für diesen Literaturhinweis hier im Forum.
 
Also, dann will ich mal versuchen, für ein bisschen juristische Aufklärung zu sorgen. In Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz (GG) heißt es "(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde." Konkret angewendet auf unseren Fall liegt hier tatsächlich auch eine Bestrafung, eine sog. Beschwer (Geldbuße), für die junge Musikerin auf Grundlage der Auslegung einer landesrechtlichen Bestimmung (Berlin) zum Thema Immissionsschutzrecht (Auch "Klaviermusik" im Sinne von Lärm ist eine Immission) vor.

Jetzt kann sich aber auch Berlin mit seinen landesrechtlichen Lärmschutzbestimmungen und seiner Auslegung durch die Exekutive auf Grundlage von Art. 20 GG (Exekutive in Berlin z. B. Bezirksamt als Behörde) nicht im rechtsfreien Raum bewegen, sondern ist an verfassungsrechtliche Schranken und Rahmenbedingungen entsprechender grundrechtlicher Schutzbereiche gebunden. Es liegt in diesem Fall eine entscheidende Schranke nach der sog. Wesentlichkeitstheorie und dem Schrankentheorem in den Grundrechten (Art. 6 Abs. 2 S. 1) vor, wonach es als positiv zu würdigen ist, dass die Eltern die Tochter zum Üben anhalten (Auslegung dieses Grundrechtes).

Damit liegt seitens der Rechtsanwendung Berlins ein Verstoß gegen das sog. Übermaßverbot vor, denn die Auslegung Klaviermusik sei Lärm und damit eine Ordnungswidrigkeit oder gar Straftat nach immissionsschutzrechtlichen Vorschriften, geht ja wohl nach sog. "Verkehrsauffassung" völlig am Thema vorbei. Die Grundrechte (z. B. Art. 6) dienen ja eben gerade dazu, die Exekutive bei der Gesetzesausführung im "Zaum" zu halten, damit der Bürger bei der Kontrolle durch das Mittel der Judikative, also der Gerichtsbarkeit, die sog. "Waffengleichheit" hat und behördliche Entscheidungen auf dem Rechtswege (Widerspruch, Klageverfahren, Normenkontrolle usw.) überprüfen kann. Der Verstoß gegen das Übermaßverbot durch Berlin zeigt hier eklatant, dass die juristische Rechtsauslegung, nach der Klaviermusik Lärm sei, völlig falsch ist.

Es kann also niemand für etwas bestraft werden, was als "Lärm" im Sinne von Immissionen gar nicht zu werten ist. Dies gilt insbesondere im Zusammenhang mit dem sog. Rückwirkungsverbot. Existierte also eine bestimmte Vorschrift, nach der die Verursachung von Lärm (oder die Auslegung, es handele sich um Lärm) zum Zeitpunkt der "Tat" (also des Klavierspiels) als Lärm zu werten und damit strafrechtlich oder im Wege einer Ordnungswidrigkeit zu sanktionieren sei, gar nicht oder wurde eine "scheinbar passende" Vorschrift im Sinne der juristischen Auslegung (vier Formen der Auslegung: a) nach dem Wortlaut, b) nach Sinn und Zweck, c) nach der Historie, also wie eine Vorschrift entstand oder d) nach ihrer systematischen Einordnung der in Rede stehenden Norm im Rahmen der Gliederung / Struktur z. B. des Gesetzes) falsch angewendet, so kann die Rechtsfolge daraus selbstverständlich nicht strafbewehrt (im Sinne der Geldbuße) sein. Insoweit hat das BVerfG den Bürgern im Sinne der Nachprüfbarkeit behördlicher Entscheidungen tatsächlich den Rücken gestärkt und das ist auch gut so, denn in unserer Demokratie ist der Souverän keinesfalls dazu verpflichtet, jede "Entscheidung" von oben einfach so hinzunehmen. Sie muss transparent, begründet und vor allem juristisch nachprüfbar sein.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Also, Das war in Kürze eine allgemeine Zusammenfassung des Urteilstenors und seiner Begründung zum erwähnten Thema. Ich habe versucht, Wesentliches möglichst einfach zusammenzufassen, da wir es hier vielfach mit musikalischen Profis, aber eben zu einem großen Teil (sicherlich) mit juristschen Laien zu tun haben, damit deutlich wird, um welchen entscheidenen Inhalt es im erwähnten Urteil geht.

hallo,

ganz herzlichen Dank für Deine Übertragung der komplizierten juristischen Sprache, Denkweise und Begründung in für jur. Laien wie mich verständliche Sätze!!!

mit etwas Humor und musikalisch formuliert: da hast Du ein exzellentes ossia piu facile der juristischen piu difficile Partitur erstellt :)

also nochmals herzlichen Dank!!!

Gruß, Rolf
 
Bitte sehr - gerne geschehen. Auf dieser "Klaviatur" bin ich täglich dienstlich unterwegs, da meine Aufgabe u. a. in der Anfertigung komplexer konjunktivischer juristischer Gutachten liegt. Wenn es der Vereinfachung dient, immer wieder gerne.

Abendlichen Gruß

Razo!
 
Ich versuche es noch etwas einfacher:

Ruhestörung ist prinzipiell verboten aber es ist nicht präzise festgelegt, was Ruhestörung ist. Das Ordnungsgeld war nicht gerechtfertigt, weil die Familie nicht davon ausgehen konnte, daß die Hausmusik eine Ruhestörung ist. Das Urteil wurde auch deswegen gekippt, weil der Richter die Beurteilung des gerufenen Polizeibeamten und des Nachbarn als ausreichend erachtet hatte.

Von der Art der Musik ist in dem Urteil keine Rede, ob nun Bach, Mozart, Rachmaninoff oder Liszt, es wäre genauso ausgegangen.

Ich muß ehrlich sagen, daß mir früher die Proben unserer Nachbarn für die Weihnachtszeit (Gesang, Flöten und Klavier) fürchterlich auf die Nerven gegangen sind (ich hasse C-Blockflöten, wenn sie nicht perfekt gestimmt sind und gut gespielt werden) aber ich wäre niemals auf die Idee gekommen, dagegen vorzugehen. Was manche Leute sich unter Berufung auf ihre eigene persönliche Ruhe herausnehmen, finde ich unglaublich!
 

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