Bezaubern, Verzaubern, Entzaubern?

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Hallo :)

geht es euch auch manchmal so, dass ihr etwas übt und merkt, dass das Stück irgendwie seinen Zauber für euch verloren hat? Ich stelle bei mir eine eigenartige Diskrepanz fest zwischen der Verzauberung, die ein Stück bei mir auslöst, wenn ich es noch nicht übe und meinem Gefühl, wenn ich es eine Zeit lang geübt habe :(

Kennt das jemand?

Ich bin mir noch nicht sicher, woran das liegt. Vielleicht ist ein Grund schon mal, dass ich in 99% aller Fälle das Stück eben selbst nicht so gut spielen kann, wie die Aufnahme oder das Konzerterlebnis, das es mir bekannt gemacht hat. Andererseits ändert sich die Wahrnehmung ja zwangsläufig durch den Übeprozess.
Ich frage, weil ich es ein bisschen unheimlich finde, dass ich während des Übens von anderen Stücken träume, die sich dann aber, wenn ich sie übe, wieder nicht als befriedigend herausstellen werden.

lg marcus
 
Liegt es an den Stücken? (Beispiele?)

Mir geht es hin und wieder ähnlich.

LG

Pennacken
 
Hallo .marcus.,

Ich verstehe sehr genau, was du sagst. Bei mir ist es allerdings nicht ganz so - das "entzaubern" kann ich nachempfinden. Es ist sozusagen ein Aufdecken, man kann in die Karten gucken, alle Geheimnisse des Klanges werden offen gelegt. Das Mystische und "Höhere" scheint verloren zu gehen.
Ich sehe das aber eher als Veränderung, denn für das, was an Geheimnisumwobenem verloren geht, bekomme ich etwas anderes, nämlich aktive Einflussnahme auf die Musik und die Erfahrung, alles am eigenen Leib zu spüren und nach meinen Vorstellungen auszurichten.

EDIT: hab fast das Wichtigste vergessen - die Entdeckung an sich, warum etwas wie klingt und wie es gemacht ist, sozusagen die Genialität "begreifen" und anfassen, das ist doch etwas ganz tolles!!!
 
Kenn´ ich. Geht mir genauso, sehr häufig.
Eine Erklärung dafür habe ich nicht. Manche Stücke lege ich dann beiseite.
Aber ich muss mich ja nicht für meine Gefühlsausstattung bei mir selber entschuldigen. Die Dinge sind halt so.
CW
 
Hallo Marcus,

vielleicht sind die Stücke technisch zu anspruchsvoll für deinen jetzigen Stand.
Den Zauber legt man ja auch z.T. selbst in die Stücke hinein.

Statt dessen liegt die Konzentration darauf, das Notenmaterial zu erarbeiten. Wenn das aber zu viel Zeit braucht und die technische Herausforderung zu groß ist,(also kein "Land" in Sicht) dann kann ich mir vorstellen wird es langweilig?

Oder habe ich das jetzt falsch interpretiert?

Viele Grüße

Sweetchocolate
 
...mir ist das unbegreiflich -- je länger und besser und detailierter ich ein Musikstück kenne, umso bezaubernder und wunderbarer wird es
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Lieber marcus,

hm........das habe ich persönlich noch nicht erlebt. Wenn ich ein Stück so zauberhaft und wunderbar finde, bin ich so glücklich, es nun spielen und genauer kennen lernen zu dürfen. Ich staune auch immer wieder aufs Neue und entdecke Dinge darin, die ich vorher noch gar nicht wahrgenommen habe. Das Staunen und damit das Zauberhafte wird also wie bei Rolf immer größer. Wie wenn ich in eine fremdartige Landschaft gehe, die ich staunend betrachte und nun anfange, genauer hinzusehen. Da staune ich doch eher noch mehr. Auch als Kind/Jugendliche ging es mir so.

Ich bemühe mich aber, dich zu verstehen. Denn es muss ja an irgend etwas liegen und es betrübt dich ja auch, wenn ich das richtig verstanden habe. Der Grund dafür interessiert mich sehr und vielleicht kriegen wir/bekommst du ja etwas mehr Aufschluss in diesem Faden.

Meiner Meinung nach kann der Grund nur im Übeprozess selbst liegen oder vielleicht auch in bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen. Es könnte sein, dass man beim Üben immer nur auf das achtet, was der Lehrer gesagt hat und damit schon alle Hände voll zu tun hat, so dass man das Gefühl hat, nicht mehr mit Ohren und Geist selbstbestimmend aktiv zu sein. Es könnte sein, dass man sehr oft Dinge wiederholt und sich langweilt. Es könnte sein, dass wie Sweetchocolate gesagt hat, die Stücke zu schwer sind (oder auch nicht) und du ständig ein Gefühl der Unzufriedenheit hast. Es kommt also darauf an, den Übeprozess kreativ nach seinen Belangen zu gestalten.

Es könnte auch sein, dass alles falsch ist, was ich sage! :p:p:p

Auf jeden Fall lohnt es sich, dahinter zu kommen, denn ich meine, dass das nicht so sein muss.

Liebe Grüße

chiarina
 
Ich verstehe nicht, warum Marcus sich über das Phänomen wundert.

Das ist doch normalerweise mit allen Dingen so!

Wenn etwas neu ist, dann feiert man es vielleicht unfaßbar ab (z.B. wenn man etwas gekauft hat oder wenn man eine neue Freundin hat), und wenn man eine Weile damit zu tun hatte, dann wird der Umgang halt routiniert, und irgendwann langweilt es einen vielleicht sogar oder fällt einem nicht mehr weiter auf.

Daß es Ausnahmen gibt (sprich, Leute, die Dinge auch über lange Zeit feiern können oder dies sogar im Verlauf immer mehr tun, wie z.B. Rolf dies in bezug auf Stücke behauptet; oder daß man selber bestimmte Dinge, Tätigkeiten, Personen kennt, bei denen die eigene Begeisterung ausnahmsweise nicht abnimmt), heißt nicht, daß der Normalzustand deswegen "falsch" wäre und man sich in irgendeiner Weise bemühen müsse, eine "positivere", "dauerhaft enthusiastische" Einstellung zu den Dingen zu bekommen! Nein, es ist einfach so - bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger, peng, aus.

Schließlich gibt es doch auch unterschiedliche Temperamente bei den Menschen - klar, wir kennen alle einzelne Leute, die immer, wenn man sie trifft, lockere Sprüche draufhaben und fröhlich sind, aber die sind nun mal die Ausnahme, und hierzulande sind halt die meisten Menschen eher zurückhaltend und mäßig begeisterungsfähig. Man würde doch auch nicht daherkommen und sagen, daß die mäßige Begeisterungsfähigkeit des Durchschnittsbürgers "verkehrt" wäre und man dafür sorgen müsse, daß alle mehr so enthusiastisch sind wie die wenigen Ausnahmen!

Allerdings muß man sagen, daß viele falsch an Musikstücke herangehen - zu mechanische und zu kognitive Übe- und Spielweise! - und dies die Liebe zu den Musikstücken typischerweise tötet. Das Spielen des Stücks muß einen jetzt in ganzheitlicher Weise befriedigen, auch im Übestadium (z.B. indem man beim Langsamspielen jeden einzelnen Klang bewußt erlebt und "auskostet"); es reicht nicht, daß man sich mit der Aussicht "in 6 Wochen kann ich das Stück dann ja, und dann wird es ja hoffentlich gut klingen" über Wasser hält.

Wir Jazzmusiker haben's übrigens besser als die "Klassiker" - wir können jedes Stück jedes Mal ganz anders spielen und so die Langeweilefalle geschickt umgehen!

LG,
Hasenbein
 
Nein, es ist einfach so - bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger, peng, aus.

Lieber hasenbein,

das glaube ich nicht. Einmal meine ich, dass Begeisterungsfähigkeit und fröhliches Temperament nichts miteinander zu tun haben. Zum anderen hat es etwas mit der eigenen Wahrnehmungsfähigkeit und Betrachtungsweise zu tun. Wenn ich etwas Neues anschaue und es immer wieder vom gleichen Blickwinkel betrachte, ist das natürlich irgendwann langweilig. Aber welche Menschen, welche Gegenstände, welche Stücke sind schon derart eindimensional??? Es kommt also auf die persönliche Offenheit und den Willen an, etwas immer wieder neu zu sehen. Wenn man denkt 'boah, jetzt bin ich schon 20 Jahre mit meinem Partner verheiratet - wie öde'................, könnte man drauf kommen, dass man ihn offensichtlich immer gleich sieht, ihn in den immer gleichen Situationen erlebt. Es hängt also mit der eigenen Betrachtungsweise zusammen. Es gibt immer Seiten, die man noch nicht kennt, sogar an einem selbst.

Wenn deine Prämisse stimmen würde, würde man sich mit sich selbst gewaltig langweilen. 'Uah.............jetzt kenn ich mich schon 48 Jahre.............!' *würg* :D

Was die Herangehensweise an Stücke angeht, stimme ich mit dir aber vollständig überein.

Liebe Grüße

chiarina
 
@marcus

so etwas kenne ich auch. Während ich ein Stück übe, gefallen mir andere auf einmal wesentlich besser. Dies hat zur Folge, dass ich solche Stücke wieder weg lege, manchmal für immer, manchmal für 1-2 Jahre und dann doch wieder hervorkrame.

Manchmal stelle ich auch fest, das der Aufwand für dieses aktuelle Stück so groß wäre, das ich auf längere Zeit nichts neues mehr beginnen könnte, obwohl mich das Stück fasziniert und ich das gerne spielen würde (z.B. Birdland - mit einer Gitarre wirklich schwer zu spielen und endlos viele Seiten zum auswendig lernen :( )

Oder das Stück "Travels von Pat Metheny", das kann ich in Teilen auswendig spielen, versuche mich immer wieder daran und lege es dann nach einigen Tagen wieder zur Seite ...

Pat Metheny Group -'Travels' -Live in Spain 1987 - YouTube <- wer das mal hören möchte
 
Ich möchte noch ergänzen: den Zauber von Stücken zu bewahren und immer wieder neu zu entdecken, hat meiner Meinung nach nichts mit Enthusiasmus oder Euphorie, mit einem Verhalten nach außen zu tun (s. hasenbein). Eher kommt es aus dem Inneren heraus und hat etwas mit Tiefe zu tun.

Liebe Grüße

chiarina
 

Vielen Dank für eure Wortmeldungen! :)

Also von "ist doch alltäglich" bis zu "hab ich noch nie erlebt" war ja alles dabei :D

Ich stimme Hasenbein zu, dass es schon normal ist, dass man sich nicht Jahr und Tag gleichermaßen an einem Stück erfreuen und immer wieder fasziniert sein kann. Nur ist es nicht ein Zeichen dafür, dass irgendwas schief läuft, wenn das schon während der Erarbeitungszeit eintritt?

Am Schwierigkeitsgrad der Stücke liegt es zumindest im Moment nicht. Da bin ich mittlerweile schon sensibler geworden und bestehe auch darauf, dass mein Lehrer mich nachdrücklich darauf hinweist, falls ich mich übernehme. Das schließt ambitionierte Projekte nicht aus, aber eine realistische Einschätzung bzgl. Arbeitsaufwand, "Erfolgschance" sollte schon gegeben sein, finde ich.
Ganz konkret geht es mir um den Valse brillante Op.18 von Chopin. Aber prinzipiell sind eigentlich alle Stücke betroffen, die ich übe oder geübt habe.


Mich führt dieser Gedanke immer wieder zu der Frage zurück, was das Üben mit meiner Wahrnehmung anstellt. Stilblüte hatte das ja schon charakterisiert als "ein Aufdecken, man kann in die Karten gucken, alle Geheimnisse des Klanges werden offen gelegt."

lg marcus
 
Hallo Marcus,

Ich weiß ja nicht, was du sonst so spielst, aber falls du vorwiegend Stücke aus der Romantik und Klassik spielst, könnte es eventuell helfen, mal ein modernes oder barockes Stück einzuüben. Das bringt etwas Abwechslung und solltest du mit einer Epoche nicht so vertraut sein, gibt es auch größere Überraschungsmomente.

LG, PP
 
Vielleicht seid Ihr alle zu verkopft (oder zu brillant an den Tasten)? Mir geht es genau andersherum. Je länger ich ein Stück spiele, desto "verzauberter" werde ich. Und wenn das nicht eintritt - dann ist was faul, entweder am Stück oder an mir. Auf jeden Fall fliegt es dann aus dem überschaubaren "Repertoire"
 
Ich sehe da ein gewisses wiederkehrendes Muster bei mir. Ein Stück fasziniert mich, ich will es lernen, das macht Spaß und es kommen Fortschritte. Nach einiger Zeit tritt dann tatsächlich der Effekt des "Entzauberns" auf. Das Stück wurde oft geübt, viele Wiederholungen, die zuvor so "spannende" oder "faszinierende" Melodie (oder was auch immer) nutzt sich erstmal ab. Dann heißt es einfach: mit Disziplin weitermachen, bis das Stück richtig gut sitzt. Oft bin ich dann froh, wenn ich es erstmal abschließen und zu etwas Neuem übergehen kann.

Dann aber kommt es: Nach einiger Zeit hört man das Stück im Radio, ausschnittsweise als Untermalung in einem Film, bei einem Vorspiel, etc., und siehe da, die Faszination ist wieder da ! Und dann kann man in relativ kurzer Zeit wieder einsteigen und das Stück jetzt für sich selbst und sehr schön spielen. Das ist dann oft erst das "wahre" Erfolgserlebnis, und dabei erschließen sich (dann!) auch nochmal völlig neue Details des Stückes.

Gruß
Rubato
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
@rubato: Genauso geht es mir auch. Wobei es schon hin und wieder Stücke gibt die ihre Fazination nie verlieren.
 

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