Bewegungstörungen

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13. Feb. 2007
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Hallo liebe Kollegen,

mal ein Problem, dass mir in letzter Zeit häufiger begegnet: Ich habe Schüler mit offensichtlichen Bewegungproblemen, auch im Bereich der Feinmotorik. Also Verkrampfungen bei simpelsten Übungen, ständig durchgedrückte Finger etc. Bin leicht genervt... Wenn Klavierunterricht schon so losgeht, dann wird das ja nie etwas. Kann mir das auch nicht erklären, es kann doch nicht so schwer sein, einfach eine Taste zu drücken?

Wer weiß da Rat?

Grüße
Axel
 
Kann es sein dass deine Schüler schon älter, also so 16, 17 und noch nicht lange Klavier spielen? Dann könnte es ja sein, dass das Gehirn die Bewegungsabläufe nicht mehr so gut speichern kann.

Ich meine das wäre ja vergleichbar mit dem Üben von Tonleitern, da kommts einem ja auch öfters so vor, als wollen die Hände einfach nicht mitmachen.

Oder deine Schüler sind einfach feinmotorisch total unterbegabt, was wir aber mal nicht hoffen wollen;)
Wenns noch Kinder sind dann kannst du das ja ganz einfach testen:
Lass sie mal was malen oder etwas aus Legoklötzen bauen. Wenn sie das hinkriegen, dann kanns schon mal nicht an der Feinmotorik liegen.
 
es kann doch nicht so schwer sein, einfach eine Taste zu drücken?

Und ob das schwer sein kann! Ich arbeite daran seit ca. 40 Jahren, und manchmal klappt es jetzt schon :)

Wer das kann: "einfach eine Taste zu drücken" der hat das größte erreicht, was man beim Klavierspielen erreichen kann. Klingt vielleicht etwas seltsam, aber das meine ich absolut ernst.

Gruß
Haydnspaß
 
Oder wie es Chopin einmal trefflich formulierte:
"Meine Herren, mit dem Klavierspiel ist es ganz einfach, alles was Sie tun müssen, ist es, den rechten Ton zur rechten Zeit zu treffen"
Auf die Frage, warum Chopin sich in seinem komponistischen Schaffen ausgerechnet dem Klavier widme, antwortete dieser gänzlich trocken:
"Haben Sie je versucht, ein Glas Bier auf einer Violine abzustellen?"

Vermutlich hat Chopin auf diese Frage mit seiner feinen Selbstironie schon lange zuvor eine Antwort gefunden. Ich glaube nicht, dass wir es uns leisten können, nur Luxusschüler trimmen zu lassen. Gelegentlich gewinne ich den Eindruck, dass die pädagogische Verantwortung nur zu gern auf das Elternhaus abgewälzt wird, der Griff zum Stempel fällt sehr leicht, der eigene Auftrag gerät ins hintertreffen.
Aber welchen Einfluss hat das Kind auf sein Elternhaus und seine Erziehung? Nicht jeder genießt das Privileg, in einer Aristokratenfamilie aufzuwachsen, vollends gefördert vermutlich.
 
...dem wir in solchen Fällen durch eine deutliche Herabsetzung unseres beruflichen Anspruchs Rechnung tragen müssen

Auf die Gefahr hin, hier als Laie Schelte zu beziehen: Besteht denn der berufliche Anspruch nur daraus, exzellente Pianisten auszubilden? Ist es nicht auch eine Herausforderung, den einen oder anderen Problemschüler zu betreuen - zumindestens solange, bis sich herausstellt, daß es wirklich keinen Sinn hat?

"Wenn Klavierunterricht schon so losgeht, dann wird das ja nie etwas. Kann mir das auch nicht erklären, es kann doch nicht so schwer sein, einfach eine Taste zu drücken?" von Axel ist der eigentliche Grund für meinen Beitrag aber ohne das obige Zitat hätte ich nichts gesagt.
 
mit "Luxusschüler"(...) ohne materiellen Hintergrund-

Und zwar egal, aus welcher "sozialen Schicht".

So hab ich das auch nicht gemeint, für mich klang das eher nach Hartz IV Generation in deinem ersten Post, zumindest was die intellektuelle und soziologische Reife betrifft. Natürlich macht es keinen Spaß, nur verhaltensauffällige Kinder zu unterichten, es sei denn, man hat sich dafür entschieden, aber vielleicht ist das gerade DIE Chance für die Kleinen, aus diesem Milieu zu entfliehen und etwas Respektables auf die Beine zu stellen.
 
ein Problem, dass mir in letzter Zeit häufiger begegnet: Ich habe Schüler mit offensichtlichen Bewegungproblemen, auch im Bereich der Feinmotorik. Also Verkrampfungen bei simpelsten Übungen, ständig durchgedrückte Finger etc.

Habe wiederholt gehört/gelesen, dass mittlerweile ein Großteil aller Kinder - ich ermute in unteren Einkommens- und Bildungsschichten mehr als in höheren, aber definiv nicht ausschließlich - mehr oder weniger ausgeprägte Probleme mit ihrer Motorik und auch der Feinmotorik haben. Teilweise wird versucht, das durch therapeutische Maßnahmen in den Griff zu bekommen, das Problem wird dadurch sicher nur verkleinert aber nicht aufgelöst.

Wobei es nur natürlich wäre, wenn sich der Anteil der Kinder mit solchen Schwierigkeiten im Klavierunterricht ebenfalls erhöhte. Wobei das dann nicht nicht "Hartz IV-Kinder" sein sollten, ich kann mir nicht vorstellen, dass Hartz IV für Klavierunterricht ausreicht.

Abgesehen davon, dass es den Unterricht erschwert: kann Klavierunterricht das überhaupt ganz oder teilweise korrigieren?
 
Hätte es zu meiner Kindheit schon das Klavierforum gegeben, hätte ich mich auch wesentlich weniger draussen bewegt und kaum die wenigen motorischen Fähigkeiten erwerben können, die mich heute wenigstens lausig Klavier spielen lassen
Gibt es in diesem Forum Kinder? Die jüngste ist hier doch 15?;)

die wenigen motorischen Fähigkeiten erwerben können, die mich heute wenigstens lausig Klavier spielen lassen
Es kann doch aber eigentlich nur um die feinmotorischen Fähigkeiten gehen, oder? Denn das hieße ja sonst, dass musikalisch begabte die aber sportlich total unterbegabt sind von vorn herein keine Pianisten werden könnten.
 

Noch ein Rat an Axel: Wenn die Störungen wirklich aus dem Rahmen fallen, sprich bitte mit den Eltern. Vielleicht ist es an der Zeit, einen Arzt zu konsultieren - was natürlich nicht deine Aufgabe ist.
 
Ich meine eben, das hat viel mit den Medien zu tun. Hätte es zu meiner Kindheit schon das Klavierforum gegeben, hätte ich mich auch wesentlich weniger draussen bewegt und kaum die wenigen motorischen Fähigkeiten erwerben können, die mich heute wenigstens lausig Klavier spielen lassen :p

Was immer die Ursache ist - vielleicht ist es weniger das spielen draußen, sondern das Fehlen von Basteln, Ausschneidearbeiten und sonstigem - man muss einfach sehen, dass es jetzt tatsächlich häufiger auftritt (oder auch nur häufiger auffällt? keine Ahnung).
 
Hallo zusammen,

erst mal Danke für die lebhafte Diskussion.

Also, wir haben es hier nicht mit Schülern einer sozialen Unterschicht zu tun, im Gegenteil. Das wäre nahliegend, ist aber erschreckenderweise nicht so.

Gestern hatte ich wieder so einen Fall. In 30 Minuten habe ich ihn 4x ermahnt sich gerade hinzusetzen. Ich hätte mich nie getraut, im Klavierunterricht wie ein nasser Sack mit übergeschlagenen Beinen auf dem Hocker zu hängen.

In diesem Fall ging es um einfachste 3-Ton Übungen, c-d-e und wieder zurück. Er schafft es nicht, die Finger rund zu lassen. Er sieht zwar den Fehler, aber ich habe den Eindruck, dass er es nicht schafft, die richtigen Muskeln zu verwenden, damit der Finger nicht durchgedrückt ist.

Habe darüber nachgedacht, wahrscheinlich ist einfach ein Bewegungsdefizit da. Durch Bewegung und Geschicklichkeitsspiele lernen Kinder ja sehr viel. Gut möglich, dass Fernsehn und Computer ein Problem sind. Vor dem Bildschirm werden solche Fähigkeiten ja nicht trainiert.

Eine weitere Sache: Es wird automatisch ein Zusammenwirken der beiden Gehirnhälften trainiert. Auch da sehe ich Defizite, wenn er Buchstaben spiegelverkehrt schreibt.

In Summe weiß ich in diesem Fall noch nicht, ob ich da nicht an einen Lehrer verweisen soll, der sich besser mit so etwas auskennt.

Grüße
Axel
 
Gestern hatte ich wieder so einen Fall. In 30 Minuten habe ich ihn 4x ermahnt sich gerade hinzusetzen. Ich hätte mich nie getraut, im Klavierunterricht wie ein nasser Sack mit übergeschlagenen Beinen auf dem Hocker zu hängen.

In diesem Fall ging es um einfachste 3-Ton Übungen, c-d-e und wieder zurück. Er schafft es nicht, die Finger rund zu lassen. Er sieht zwar den Fehler, aber ich habe den Eindruck, dass er es nicht schafft...

Wenn ich hier mal meine Meinung als Laie und Nicht-Klavierlehrer kundtun darf: Was du da schilderst, hört sich für mich nach blankem Desinteresse des Schülers an. Suchst du nicht möglicherweise nach Bewegungsstörungen, wo schlichtweg Unlust am Klavierspiel vorliegt?
 
störungen

Und ob das schwer sein kann! Ich arbeite daran seit ca. 40 Jahren, und manchmal klappt es jetzt schon :)

Wer das kann: "einfach eine Taste zu drücken" der hat das größte erreicht, was man beim Klavierspielen erreichen kann. Klingt vielleicht etwas seltsam, aber das meine ich absolut ernst.

Gruß
Haydnspaß

Auch wenn sich einige wundern mögen, es ist bereits eine Begabung, wenn mna eine Taste ordentlich spielen kann. Wenn man gründlich darüber nachdenkt, gibt es ja viele Aspekte, die sich mit dem Anfassen der Taste beschäftigen - da gibt es Zug, Schub, Strecken, Krallen, Fallenlassen, flache finger, gekrümmte Finger und auch noch millionen von verschiedenen fingertypen vom streichholz bis zur Bratwurst mit Haaren.

Ich habe während meines Studiums einen Meisterkurs bei Ludwig Hoffmann (der auch in Kaisers berühmtem Pianistenbuch aufgeführt ist) belegt. Zu anfang nahm er sich erstaunlich viel Zeit, solche elementaren Dinge, wie man eigentlich Tasten anfasst, zu verdeutlichen.

Das Problem bei Anfängern ist, ihnen das so spannend zu vermitteln, dass ihre Aufmerksamkeit erhalten wird. Wenn diese Schüler auf dem Tisch fingerspiele machen sollen, klappt das oft viel besser aber bei der Übertragung dieser natürlichen Bewegungen auf das Klavier, passiert dann das Malheur. Sie haben Scheu vor der gefährlichen aussehenden Tastatur. diesen Übergang müssen wir als Lehrer eben leisten. Das ist ähnlich im Gesangsunterricht. In der Freizeit können die Schüler gewaltig laut sein, werden sie im Unterricht aufgefordert mal laut "mama" zu singen, kommt nur was Erbärmliches heraus.)Das mit dem Gesangsunterricht kenne ich, weil ich ja zuerst Lehramt Sekundarstufe II studiert habe und da natürlich Gesang als Fach hatte und ausserdem viele Projekte mit Gesangskollegen aufgeführt habe - also deren und meine Schüler zusammen wie z.b. Brahms Liebeslieder und dgl.)
 
@Axel,

ich weiß der Beitrag ist schon etwas älter, ich will trotzdem etwas dazu schreiben, weil ich über einen Punkt gestolpert bin, der vielleicht dem einen oder anderen noch mal begegnet.

Eine weitere Sache: Es wird automatisch ein Zusammenwirken der beiden Gehirnhälften trainiert. Auch da sehe ich Defizite, wenn er Buchstaben spiegelverkehrt schreibt.


Dieses spiegelverkehrte schreiben, taucht öfters mal bei Personen auf, die von Linkshändigkeit auf Rechtshändigkeit oder umgekehrt geschult wurden.

Das hat dann tatsächlich etwas mit dem Zusammenwirken der beiden Gehirnhälften zu tun. Hier muss nämlich eine Gehirnhälfte eine Arbeit übernehmen für die sie ursprünglich nicht gedacht war. Dieses Defizit wird dann ausgeglichen indem sehr viel mehr Informationen zwischen den Gehirnhälften fließen.

Diese Verbindung hat so aber schon genug zu tun und ist bei "in ihrer Händigkeit" umtrainierten Personen meißt notorisch überlastet. Ausserdem kann nun mal etwas was die Arbeit ersatzweiße übernimmt es nicht so locker wie etwas was dafür gedacht war.


Diese Person kann dann tatsächlich Defizite in solchen Bereichen oder anderen haben.



Viele Grüße

Tastenfuchs
 
Was immer die Ursache ist - vielleicht ist es weniger das spielen draußen, sondern das Fehlen von Basteln, Ausschneidearbeiten und sonstigem - man muss einfach sehen, dass es jetzt tatsächlich häufiger auftritt (oder auch nur häufiger auffällt? keine Ahnung).
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Hätte ich auch vermutet - nur: Wieso sind gerade es dann gerade die "schrägen" Kids, die an der Computer- und Handytastatur oder am Controller der Playstation wahre Virtuosität entfalten? Da drängt sich dann doch der Verdacht nach mangelnder Motivation auf...
 

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