Begrifflichkeiten: Stimme versus Motiv/Phrase/Thema

H

HbMuth

Dabei seit
13. Sep. 2017
Beiträge
804
Reaktionen
347
Gibt es leicht verständliches Wissen nachzulesen darüber, was in der Klavierliteratur eine Stimme* ist? Ich stelle mir das laienhaft vor, wahrscheinlich komplett falsch: analog zum Marionettisten, der ja auch mehrere Figuren in der Hand führen kann, wenn er gut ist. Eine Figur kann mit anderen Figuren interagieren, aber nicht mit ihnen verschmelzen, auch der Rollentausch ist (nicht ganz) unmöglich. Zudem würde mich der Zusammenhang zwischen Stimme und Motiv*/Phrase*/Thema* interessieren: Können sich letztere Strukturbegriffe auf mehrere Stimmen beziehen? Oder umfassen sie, d.h. vor allem Phrase und Thema(=wiederholte, variierte, charakteristische Phrase?), immer die ganze vertikale Dimension der Partitur? Die Analogie zu den Marionetten hilft mir nicht weiter: Figuren können unabhängig voneinander agieren, interagieren, und koagieren - wie interagieren, nur mit gemeinsamen Ziel -, aber vielleicht kann das auf Komposition und Analyse bezogen auch nicht so bestimmt sagen.

Wenn Musikkenner über Kammermusikwerke sprechen, ist mir ein Satz wie "erste Geige nimmt das Fagott-Thema auf" nicht unbekannt. Da das Klavier im Gegensatz zu Geige und Fagott ein polyphones Instrument ist, stör ich mich daran, dass auf den Wikipediaseiten der obigen mit Sternchen versehenen Begriffe die Stimme keine Erwähnung findet, und umgekehrt sich die Seite zum vierstimmigen Satz nicht auf Thema, Motiv, und Phrase bezieht. Könnte ein Hinweis darauf sein, dass ich mir auch hier wieder mal was Hübsches zurechtkonstruiert habe.

*) Für die üblichen Verdächtigen: Falls es nicht durch Lesen bis hierher klar geworden sein sollte – ja, die Wikipediaseiten zu den mit Sternchen versehenen Begriffen habe ich gelesen, und die Lektüre hat bei mir obige Fragen aufgeworfen.

UPDATE: Der durch eigenes Nachdenken aufgekommene Erklärungsansatz, dass es unabhängige Stimmen gibt und abhängige, begleitende Stimmen, und dass es eben auf das Werk ankommt (Popsong vs. Fuge oder Kanon), das ginge schon in die Richtung der Beantwortung meiner Frage. Wenn auch es keine eindeutige Antwort ist, gibt es vielleicht auch keine bessere in so einem Kunstfach wie der Musik? Unabhängige Stimmen hätten demnach unabhängige Themen, Phrasen und Motive bzw. können diese untereinander ausleihen oder übernehmen. Abhängige Stimmen haben dagegen gemeinsame T./P./M. – für den Fall, dass der Thread bei dem einen Post bleibt, und es aber vielleicht wen anders später interessiert.
 
Zuletzt bearbeitet:
Der durch eigenes Nachdenken aufgekommene Erklärungsansatz, dass es unabhängige Stimmen gibt und abhängige, begleitende Stimmen, und dass es eben auf das Werk ankommt (Popsong vs. Fuge oder Kanon), das ginge schon in die Richtung der Beantwortung meiner Frage. Wenn auch es keine eindeutige Antwort ist...

Welche Frage genau möchtest Du beantwortet haben?

Solange Du keine eindeutige Frage gestellt hast, dürfte es kaum möglich sein, eine eindeutige Antwort zu finden.
 
Anders, hoffentlich besser, aber auch weniger differenziert formuliert: Hat jede Stimme in der Klavierliteratur ihre eigene Struktur oder besteht jede Struktureinheit aus Stimmen? Kann man das grundsätzlich entscheiden oder kommt es worauf auch immer an?

Das ist eigentlich die Frage, oder die beiden Fragen. Was folgt, sind meine laienhaften Überlegungen dazu, falls sie wen interessieren. Aber sind halt irgendwie ein Klops verknotete Wolle ...

Unter Struktur verstehe ich Abfolge von Themen/Phrasen, oder – kleinteiliger – Motiven nebst Wechselnoten, Übergängen, Füllungen und Verzierungen. Ein Wechsel größerer Struktureinheiten wird durch Kadenzen vorbereitet, nicht wahr?

Eigentlich kann die Antwort, wenn ich es nicht unnötig verkompliziere (das, ihr kennt mich, ist selbstverständlich absolut ausgeschlossen bei mir :-D ) nur lauten: Ja.

Oder ist es so, dass, wenn beispielsweise eine der aufgezählten Struktureinheiten von der Melodiestimme in den Bass wandert, diese Teile – Teil (= hier grob: ganzes System also li./re. über mehrere Takte, sei es Phrase, Periode oder "Teil" im engeren Sinne) als zwei verschiedene zu betrachten sind, die lediglich ähnlich sind, Variationen voneinander. Dann wäre die Stimmeneinteilung nämlich zweitrangig, die Struktur des Stückes würde umgekehrt beschreiben, was jeweils alle Stimmen in welchem Teil tun.

Andererseits besteht ein einfaches Lied "nur" aus Melodie und Begleitung und gut. Hier könnte man sich also hinstellen und sagen: Bei einfachen Liedern ist es so, bei virtuoser Klavierliteratur ist es so. Mein analytischer Verstand würde mich dann dazu zum Wiedewiedewitt verleiten: auch die Begleitstimmen haben ihre Struktur, die lediglich sehr vereinfacht ist, primitive Figuren aneinanderreiht. Hier drängt sich wieder der Vergleich zur Dramaturgie auf: Hauptcharaktere im Vordergrund, in allen Einzelheiten ausziseliert, während die Statisten im Hintergrund vor allem Stereotypen repräsentieren, also nur für Leben auf der Bühne sorgen. Analog dazu sorgt die Begleitung in der Musik für mehr Klangfülle und Schattierungen und stützt den Spannungsbogen.

Mit welcher Sicht kommt man in eigenen Werkanalysen eher weiter? Mir fällt übrigens auf, dass Werkanalysen sich schnell auf die funktionsstufentheoretische Betrachtung stürzen und ich bald den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehe, was mir literaturgestützte Analysen verleidet und ich lieber selbst irre durch den Nebel. Und meine eigenen Werkanalysen bewegen sich noch auf naiv-interpretierenden Niveau.

Zur Zeit sitze ich an Burgmüllers Schwalbe. Diese Etüde ist formtechnisch interessant, da es zwei Stimmen gibt, eine für die linke, eine für die rechte Hand. Zwei Stimmen, zwei Themen: Da ist die Schwalbe (Thema 1), die mal über, mal unter dem Wind (Thema 2) fliegt. Wie ich Themen begreife, sind sie hier, bezogen auf diese Etüde, nahezu deckungsgleich mit Stimmen. Eh müssen Etüden ja keine Themen haben, sind ja gemeinhin keine Werke.
 
Ich habe mir jetzt keine Wikipediarecherche gegönnt.
Also eine Stimme ist eine Stimme - wie im Chor, im Orchester, auf dem Klavier.
Ein Motiv ist das, was eine Stimme singen kann. Wenn sie dann mehrere Motive hintereinander zusammenfasst, dann wird daraus vielleicht eine Phrase. Diese Phrase kann auch ein Thema sein. Ein Thema ist eben länger als ein Motiv, ist im Klassischen gerne 8 oder 16 Takte lang und gefällt sich darin, einigermaßen wichtig zu sein und also später nochmal aufkreuzt, evtl. auch mehrmals.
Deine Frage habe ich jetzt aber eher nicht verstanden. Oder war es das, was Du wissen wolltest?
Stimmen sind Figuren, Themen, Motive, Phrasen sind die Kleider, die sie tragen.
 
ich würde da nicht von Themen sprechen. In der rechten Hand sowieso nicht. Eines der Probleme ist sicherlich, daß die Begriffe nicht so hundertprozentig definiert sind. Z.B. könnte diese Etüde auf zwei Instrumente aufgeteilt sein. Sagen wir Cello und Geige. Dann würde die Geige die rechte Hand spielen und hätte ihre "Stimme" auf dem Notenständer stehen. Wenn der Geiger ein Chefgeiger ist, dann spielt er seine "Stimme" über drei Saiten. Das ist intonationsmäßig nicht leicht, aber man hört ziemlich schnell, daß seine "Stimme" eigentlich aus drei Stimmen besteht, denn es sind ja gebrochene Akkorde. Man spricht da auch, jedenfalls wenn der Satz nicht ganz so primitiv wäre, von "verdeckter Mehrstimmigkeit". Immer schön in den Bach-Solosonaten für Geige zu hören.
 
Hat jede Stimme in der Klavierliteratur ihre eigene Struktur oder besteht jede Struktureinheit aus Stimmen?
...
Unter Struktur verstehe ich Abfolge von Themen/Phrasen, oder – kleinteiliger – Motiven nebst Wechselnoten, Übergängen, Füllungen und Verzierungen.

Deine Frage habe ich jetzt aber eher nicht verstanden.

Ich verstehe es auch nicht.

Als Antwort fällt mir nur ein:
"Seh'n Sie, Herr Doctor, manchmal hat man so 'nen Charakter, so 'ne Struktur. "
 
Meine These (darf gerne diskutiert werden):

Wenn man nicht in der Lage ist, eine Frage verständlich und strukturiert zu stellen, ist sehr fraglich, ob es sich wirklich um eine relevante Frage handelt.

Beziehungsweise: Wenn man sich einfach mal bemüht, eine Frage in eine wirklich verständliche und möglichst kompakte Form zu bringen, beantwortet sich schon durch diesen Prozess vieles von selbst.
 

Stimmen sind Figuren, Themen, Motive, Phrasen sind die Kleider, die sie tragen.
Ist das jetzt eher im Sinne einer dicken mehrschichtigen Wintergarderobe gemeint? oder geht's schon Richtung Sommer, wo es eher luftig zugehen darf?
In jedem Fall ein schöner "Tastatula"-Satz, der eigentlich auch ohne erschöpfende Verständlichkeit auskommt :-)
 
Ich habe mir jetzt keine Wikipediarecherche gegönnt.

Hättest du besser machen sollen.

Stimmen sind Figuren, Themen, Motive, Phrasen sind die Kleider, die sie tragen.

In jedem Fall ein schöner "Tastatula"-Satz, der eigentlich auch ohne erschöpfende Verständlichkeit auskommt :-)

Die Stimme ist das Wer, die anderen Worte bezeichnen das Was.
 
Stimmen sind Figuren, Themen, Motive, Phrasen sind die Kleider, die sie tragen.

Die Stimme ist das Wer, die anderen Worte bezeichnen das Was.

Du meinst die 3 darauffolgenden?

Ich hätte das eher so verstanden, dass die Stimmen "Figuren" im Sinne handelnder Subjekte sein sollen. Der Rest des Satzes dann eine Beschreibung dieser Subjekte.
Eigentlich ja 2 Sätze.. wo trennen? Ich schreib da mal ein par ..... zuviel, damit sich @Tastatula ggf. einen ausborgen kann:-)
 
@Felix Hack ja, bitte! Schreib mir ein paar Sätze zum Sammeln!!Manchmal fehlen mir die Worte, dann bin ich froh, wenn ich in einem Kästchen suchen kann! ;-)
 
Du meinst die 3 darauffolgenden?

Ich hätte das eher so verstanden, dass die Stimmen "Figuren" im Sinne handelnder Subjekte sein sollen. Der Rest des Satzes dann eine Beschreibung dieser Subjekte.
Eigentlich ja 2 Sätze.. wo trennen? Ich schreib da mal ein par ..... zuviel, damit sich @Tastatula ggf. einen ausborgen kann:-)

Ach, dann ist nur der Begriff Figur falsch verwendet im Kontext der Musik. Ein Motiv ist nämlich z.B. eine Figur.
Eine Figur dir ein Klavier oder ein Motiv spielt, mag man in anderen Kontexten gerne Figur nennen, aber wenn es um den Inhalt der Musik geht, ist das Wort Figur schon vergeben.
 
Zuletzt bearbeitet:
Eine Figur dir ein Klavier oder ein Motiv spielt, mag man in anderen Kontexten gerne Figur nennen, aber wenn es um den Inhalt der Musik geht, ist das Wort Figur schon vergeben.
Ich verstehe, dass man es auch anders hätte verstehen können, aber aus dem Kontext meines Satzes kann man erkennen, dass das Wort Figur auch durch das unschönere "Person" hätte ersetzt werden können, denn ich hatte ja nicht im direkt musikalischen Kontext geschrieben - musikalische Figuren können ja gar keine Kleider tragen... ;-)
Das war also ein Bild.
 
@tasteur Da siehste mal, wie solidarisch wir nun schon alle mit Dir sind, wenn es darum geht, Verwirrung zu stiften:-)

@Felix Hack ja, bitte! Schreib mir ein paar Sätze zum Sammeln!!Manchmal fehlen mir die Worte, dann bin ich froh, wenn ich in einem Kästchen suchen kann! ;-)

@Tastatula Wollte Dir nur ein paar Pünktchen zur Satztrennung anbieten, ohne damit zu rechnen, dass dann gleich ganze Sätze abverlangt werden:-) Sätze kannst Du selbst deutlich besser!

@Sven tatsächlich, hast Recht! der TE hat anfangs so herummarionettiert, auf diesen "Person" Kontext war ich dann auch eingestellt.
 
Hm, okay. Dann bin ich halt geistig auf Abwege gekommen. Vergesst es einfach. War nur so ne Idee, dass es da genauere Begriffe und Zusammenhänge geben könnte. Aber wo denke ich wieder hin. Da kommt sogar mein Kopf ja kaum noch mit.

Fassen wir zusammen: Zwischen der Stimme und den Begriffen Motiv, Phrase, und Thema gibt es keinerlei Zusammenhang insofern, dass man irgendwelche Gesetzmäßigkeiten aus dem Fundus vieler (um nicht zu sagen alle) Stücke ableiten könnte.

Also beim Klavier. Im Orchester kann ich mir zwar vorstellen, dass sich die Instrumente Motive zuwerfen, aber beim Klavier gibt es halt nur zwei Hände, von Stücken zu vier Händen abgesehen. Da wird das offenbar nicht mehr so gesehen. Wenn es dann vier Stimmen gibt, die von den zwei Händen gespielt werden, habe ich vermutet, dass man diese Tonverläufe jeweils pro Stimme sehen sollte, statt Akkord für Akkord. Eventuell war für mich auch denkbar, Stimme für Stimme innerhalb jedes Formteils (Teil, Periode, Satz ... wie auch immer) zusammen zu sehen ist, einen musikalischen Sinnzusammenhang jeweils bilden, nicht teilübergreifend.

Im Theater gibt es ja auch Dramaturgien in mehreren Akten und die Figuren interagieren ebenfalls in Harmonie und Disharmonie, das macht den Spannungsbogen aus. Es macht da halt wenig Sinn, das Handeln einer Figur akt-übergreifend zu verstehen, losgelöst von der Gruppe. Es schien mir, als könnte es bei der Musik auch so sein.

Wenn ich beim Hören klassischer Musik nicht dem Gesamthöreindruck folge, sondern nur der tiefsten Stimme, habe ich das Gefühl, ich höre die Musik besser, detaillierter, differenzierter. Folge ich der Oberstimme, ist dem nicht so. Ob die Ursache etwas mit dem Thread-Thema zu tun hat, weiß ich nicht. Jedenfalls hat mich das gedanklich dazu geführt.

Okay, es bleibt wie gehabt: Kompliziertere Literatur ist für mich, der ich diese nicht spiel, sondern nur trocken analysieren kann, und nämlich nicht mal das, ein Buch mit sieben Siegeln. Sind halt auch Noten drin. Nebenbei kann ich mir diese auf Youtube anhören und vielleicht versuchen den Noten zu folgen. Ein tieferes Verständnis würde eigenes Spielen-können voraussetzen. Analysen, die sich auf die Funktionsstufen beschränken, wirken auf mich jedenfalls etwas unnütz. Was indes nicht als Behauptung verstanden werden soll, dass sie es wären. Ich kann nur nix damit anfangen, das ist wie ein Kochbuch essen, um zu wissen, wie die Zubereitungen schmecken.

Das war also mein Versuch, kunstgattungsübergreifend Gemeinsamkeiten zu erkennen.
 
Wenn es dann vier Stimmen gibt, die von den zwei Händen gespielt werden, habe ich vermutet, dass man diese Tonverläufe jeweils pro Stimme sehen sollte, statt Akkord für Akkord.
??? natürlich hört und liest/sieht man Motive, Phrasen etc. innerhalb der jeweiligen Stimmen! Stimmen sind zunächst nichts anderes als Tonlinien - in einem vierstimmigen Satz (völlig wumpe ob für Klavier oder Flötenquartett) sind das dann Sopran, Alt, Tenor und Bass.
Ganz überdeutlich kannst du das bei Fugen erkennen, z.B. hier https://www.musik-verstehen-lernen.de/index.php/das-barock ist das schön farblich dargestellt.
Der Verlauf oder Ablauf der "Stimmen" ist quasi die Horizontale - die Akkordik/Harmonik quasi die Vertikale aufm Notenblatt.
 

Zurück
Top Bottom