Beethovens Sturmsonate und die Sonatenhauptsatzform

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Romantiker

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Hi,

ich beschäftige mich schon ziemlich lange (mit Liegenlassen zwischendrin) mit dem ersten Satz der 17. Sonate Beethovens und habe mir auch immer wieder Gedanken zur Form gemacht. Ich habe nun bald ein Vorspiel im Musik Neigungskurs und werde diesen Satz spielen und danach wird es zur Übung fürs Abi ein kurzes Interpretationsgespräch geben.
Das nennt sich zwar so, aber es geht nicht (nur) um Interpretation, sondern auch um Formalia und Besonderheiten des Stückes und was zur Einordnung.
Nun wollte ich meine Gedanken hier mal zur Diskussion stellen und sehen, was ihr davon haltet.

Also diese Sonate ist die 17. der 32 Klaviersonaten Beethovens. Sie ist wenn man so will seiner "mittleren Periode" zuzuordnen. Ihr kommt insofern ein besonderer Platz zu, als das op.32 die ersten Sonaten waren, die Beethoven auf seinem "neuen Weg" geschrieben hat.
Der Kopfsatz ist in jeder Hinsicht einzigartig in seiner Form.
Er steht in d-Moll und die Tempoangabe ist Largo-Allegro. Eine langsame Einleitung war noch nicht so sehr außergewöhnlich, aber die Tatsache, dass diese in sich einen starken Kontrast zwischen gebrochenen Largo-Akkorden und schnellen Allegro-Abschnitten ist ungewöhnlich. Außerdem beginnt die Einleitung mit dem Quint-Sextakkord und erreicht die Grundtonart d-Moll erst in Takt 21 mit dem Beginn der Exposition. Die Einleitung ist sozusagen der Schlüssel zum Kopfsatz, da alle späteren Themen aus Motiven bestehen, die bereits in der Einleitung exponiert werden. Dies sind zum einen ein steigendes Sext-Motiv (im gebrochenen Akkord), sowie eine auftaktige Halbtonumspielung.
Grob zerfällt die Exposition in die gewohnten Teile Hauptthema, Seitenthema und Schlussgruppe, doch die Form ist auch hier leicht modifiziert.
Das Hauptthema besteht aus dem steigenden Sextmotiv begleitet von einem Triolen-Tremolo im Wechsel mit einer auftaktigen Halbtonumspielung als Einwurf. Auch hier zeigt sich wieder, dass die Sonate eindeutig auf Kontrastwirkungen abzielt.
Mit Takt 41 ist gewissermaßen das Seitenthema erreicht, das ungewöhnlicherweise in der Moll-Dominant-Tonart steht. In der linken Hand findet sich wieder eine Umspielung und in der rechten ein ähnliches entgegen gerichtetes Motiv.
Das besondere ist, dass das ST hier gewissermaßen ein Themenkomplex ist, da noch zwei weitere Themen folgen. Im ersten (T.55-68) findet sich in den Akkorden jeweils wieder das Sextmotiv. Im zweiten (T.68-74) findet sich in der rechten Hand und in der linken Hand sogar noch deutlicher wieder eine Umspielung.
Der Rest bis Takt 92 ist eine Schlussgruppe.

Am Anfang der Durchführung wird wieder mit einer Tradition gebrochen, indem es wieder einen Largo-Einschub gibt, der durch die gebrochenen Akkorde und das Sextmotiv an die Einleitung erinnert.
Dann folgt wieder im Tempo die eigentliche Durchführung. Hier wird im wesentlichen das Hauptthema verarbeitet, dass fast notengetreu transponiert in der entfernten Tonart fis-Moll auftritt. Darauf folgt ein Abschnitt der an die Umspielung im Seitenthema erinnert.

In Takt 143 beginnt dann die Reprise. Hier wird erneut ein Largo eingeschoben, dem eine ganz besondere Bedeutung zuzumessen ist. Denn bei den beiden Teile von 143-148 und 153-158 handelt es sich um so genannte instrumentale Rezitative, wie sie zu Beethovens Zeit untypisch waren. Nach einem gebrochen Akkord erklingt eine einzelne Stimme in rezitativischer Art. Es folgt ein Abschnitt zur Modulation zum Seitenthema, das Hauptthema taucht also gar nicht auf in der Reprise. dafür steht das Seitenthema nun in der Tonika-Tonart d-Moll. Es finden sich wieder die beiden angefügten Themen und die Schlussgruppe alle in Grundtonart. Ab 217 folgt noch eine kurze Coda und sogar im vorletzten Akkord haben wir noch einmal die Sexte, wenn auch nicht so exponiert wie zuvor.
Man sieht also, dass hier eine ganz starke "Einheit der Gedanken" herrscht. Die Sonate ist außerdem ein Beispiel von Nicht-Programmmusik, die trotzdem einen außermusikalischen Gehalt haben, den die Freiheiten in der Formgebung unterstützen.


Also das war das, was ich mir hier so grundsätzlich zur Form gedacht hatte.
Habt ihr noch Anmerkungen, vielleicht Dinge, die falsch sind oder die ihr anders seht?
Beispielsweise bin ich mir nicht sicher, dass man bei den zwei "Episoden", die auf das Seitenthema folgen wirklich von Themen sprechen kann oder ob das nur Motive sind und man das ganze vielleicht Themenbereich oder so nennen sollte (statt Themenkomplex
Ich bin immer offen für Kritik.

Liebe Grüße,

Romantiker
 
Hi Romantiker,

im Prinzip finde ich deine Beobachtungen ganz gut.

Ich würde allerdings in T. 41 nicht von einem Seitenthema sprechen. Grund: man befindet sich noch mitten im Modulationsprozess. Ein Seitenthema fordert eine vorhergehende Kadenz und muss in der Zieltonart stehen. Der Passage T. 41f. geht aber keine Kadenz voraus und außerdem kadenziert sie auch selbst nicht! Sie bewegt sich die ganze Zeit über dem Basston e, also funktional auf D64 u. D7.

Das Eigenartige dieses Satzes ist überhaupt, dass es eigentlich keine "Themen" gibt.

Der Satz beginnt - wie ein Rezitativ (daher erklären sich auch die Rezitative zu Beginn der Reprise) - mit einem gebrochenen Sextakkord (sehr ungewöhnlich!! Normalerweise ist der erste Akkord in Grundstellung. Beethoven geht übrigens in der 7. Sinfonie noch einen Schritt weiter und beginnt und endet den 2. Satz mit einem Quartsextakkord!).

(warum Quintsextakkord?)

Es gibt also kein Thema und es gibt auch keinen "Expositionsbeginn", den du nach deiner "Einleitung" ansetzt, denn das dort auftretende "Thema" (im Bass) ist 1. aus den Akkordbrechungen des Anfangs gewonnen, 2. Anfangsglied einer modulierenden Sequenz, hat also auch schon Überleitungscharakter (genauso wie die von dir als Seitenthema bezeichnete Passage T. 41f.) und 3. - wie du schon richtig bemerkst - taucht es in der Reprise gar nicht mehr auf.

Ich würde also grundsätzlich vorsichtig mit dem Begriff des Themas umgehen, gerade bei dieser Sonate! Versuch dir erst einmal klar zu machen, wie du überhaupt "Thema" definierst.

Ich hoffe der Beitrag hilft dir! :)
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Hallo Romantiker,

dein Text ist recht umfangreich. Ich hoffe, du verzeihst mir, wenn ich nur Kleinigkeiten anmerke und nicht deinen ganzen Text durchdacht habe.

Dein Text sieht wie eine schriftliche Ausarbeitung aus, daher solltest du den Tippfehler "Op.32" korrigieren. Dass am Anfang ein Quint-Sextakkord steht, kann ich nicht nachvollziehen. Die Terz liegt im Bass, aber solange keine Septime (g) da ist, fehlt dem Quint-Sextakkord ja die Quinte (cis-g-a). Was spricht gegen einen Sextakkord?
Warum bezeichnest du das Hauptthema (T.21) als aufsteigenden Sextsprung? Wäre Akkordbrechung analog zum 1.Takt nicht treffender? Irgendwo habe ich mal gelesen, jede gute Sonate beginne mit dem Wesentlichen. Ein Hinweis, der sich in meinen Beobachtungen, sehr oft als richtig erwiesen hat.

Du hast herausgestellt, dass der Beginn der Durchführung ungewöhnlich ist. Vielleicht wäre es spannender zu vergleichen wie Op.13 (Pathetique) ganz ähnlich vorgeht und in der Eröffnung der Durchführung auch nochmal den Grave-Teil zitiert und dann erst das Allegro durchbricht. Hier in Op.31 würde ich das als weiteren Versuch dieser Art betrachten.

Was mir gefehlt hat in deiner Darstellung ist, wie Beethoven in die Reprise zurückfindet.

Das mal als Anregungen. Ich hoffe meine Gedanken können dir nützlich sein. Viel Freude mit dieser schönen Sonate!

lg marcus
 
danke schonmal für die hilfreichen antworten :)
OHHHHH mein gott!! tut mir leid, dass mit dem quint-sextakkord war ein flüchtigkeitsfehler, was ich meinte war dominant-sextakkord (habe iwie im kopf nur an "5" gedacht und dann ausversehen in die falsche richtung..)
 

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