ZEIT ONLINE: Egal, ob Fritzi flennt

Ich schimpfe hier auf so Spielchen wie "Jetzt werden wir alle mal wach".

So platt sollte man das ja auch nicht ankündigen/einführen. Wird leider oft falsch gemacht. Viele Möchtegern-Seminarleiter haben wenig oder gar keine Ahnung von Spielen und setzen diese ohne Plan ein. Bei sowas mache ich selbst auch ungern mit, obwohl ich generell kein Problem damit habe, mich vor anderen zum Affen zu machen.

Wenn Bewegungen einem didaktischen Ziel folgen, wie von @trialogo beschrieben, ist das ganz was anderes.

Alle Methoden, die ich in meinen Seminaren einsetze, haben ein Ziel oder einen Sinn; wie auch immer man es nennen möchte. Und ich steige nicht gleich zu Anfang mit einem Spiel ein, das Menschen, die sich als "verklemmt" oder "schüchtern" wahrnehmen oder bezeichnen, gleich vor Schreck den Raum verlassen lässt.

So, jetzt aber genug des Exkurses, sonst werde ich gleich noch zu Recht gerügt, welche Nebenschauplätze ich hier einführe.

Zum Thema Kinder weinen lassen gibt es viele Meinungen. Ich gehöre zu denen, die Kinder eher nicht weinen lassen, auch wenn ich weiß, dass sie "nur" trotzen. Aber da es, wie einige schon geschrieben haben, stark situationsabhängig ist, wann man wie eingreift, ist es schwierig zu sagen, "genau so ist es richtig" oder "so ist es falsch".

Meine erste Klavierlehrerin war ziemlich streng und ich bin nicht jede Woche gerne hingegangen. Weinen musste ich allerdings in ihrem Unterricht nie. Gelernt habe ich eine Menge. Meine zweite Klavierlehrerin hat alles durchgehen lassen und ich ging immer gern zu ihr. Gelernt habe ich außer Vom-Blatt-Spiel kaum etwas. Es hätte aber vermutlich auch nicht geholfen, wenn sie strenger gewesen wäre, denn sie war einfach keine gute Klavierlehrerin.
 
nd Kinder "heulen" in einer bestimmten Situation natürlich "nur", um
Da haben wir es wieder, das Entweder - Oder (aka "Polarisierung", sorry).

Natürlich sind Kinder manchmal überfordert, und weinen dann. Manchmal haben sie Hormonschwankungen. Und manchmal testen sie Grenzen aus. Jedem Geheule nachzugeben ist deshalb genauso falsch, als wenn man ihm grundsätzlich mit Härte begegnet. Es kommt eben drauf an.

Jeder, der schon mal mit einem Kind an einer Supermarktkasse stand, kennt den Unterschied zwischen Grenzen setzen und Empathiefreiheit. Und weiß zugleich, wie schwer der Unterschied Außenstehenden (wie z. B. Großeltern) zu vermitteln ist. Ich bitte darum, mit dem Vorwurf der Empathiefreiheit behutsam umzugehen. Ein Kind heulen zu lassen, ist kein hinreichendes Kriterium.

Hinzu kommt die gesundheitsfördernde Wirkung auf den Bewegungsapparat des Menschen, der wesentlich davon profitiert, bewegt zu werden und nicht dauernd "sitzt".
Das ist ja richtig. Aber wenn ich einen Kurs über Teamdynamik besuche, möchte ich nicht mit einer Bewegungstherapie beglückt werden, sondern etwas über – tataaaa! – Teamdynamik erfahren. Sonst hätte ich nämlich einen Sportkurs ausgewählt.
 
Mir geht es übrigens immer so, dass ich Fluchtimpulse empfinde, wenn in einer Gruppe gemeinsame Bewegungsspiele anstehen. Beim Improtheater ist das so, wo ich als Klavierspieler vor Auftritten die Warmups mit den Schauspielern mitmache, und es ging mir auch beim Bach-Kurs so. "Oh nein", dachte ich, "wie komme ich hier am besten weg...?" Erstaunlicherweise verfliegt der Unmut aber jedesmal sofort, wenn ich erstmal drin bin, und hinterher fühle ich mich besser als vorher. Keine Ahnung, woran das liegt, aber dem Spieltrieb scheint eine gewisse Trägheit vorgeschaltet zu sein, die erstmal überwunden werden muss.
 
Bisher war mein Fluchttrieb immer größer als der Spieltrieb. :-D
 
@dilettant: Ja, das "nur" ist mir allerdings auch aufgefallen.
Natürlich sind Kinder manchmal überfordert, und weinen dann. Manchmal haben sie Hormonschwankungen. Und manchmal testen sie Grenzen aus. Jedem Geheule nachzugeben ist deshalb genauso falsch, als wenn man ihm grundsätzlich mit Härte begegnet. Es kommt eben drauf an.
Wobei es aber auch noch etwas anderes außer "Nachgeben" oder "Härte" gibt. Auch Kinder, die scheinbar "nur" ihre Grenzen austesten, brauchen Halt und Vertrauen. Man muss - um bei Deinem Beispiel zu bleiben - einem sich heulend am Boden wälzenden Kleinkind an der Supermarktkasse nicht nachgeben, indem man ihm dann kauft, was es gerade unbedingt haben will (in fünf Minuten womöglich aber schon wieder vergessen hat). Man muss es aber auch nicht einfach liegen und heulen lassen bzw. ignorieren. Auch ein Nein lässt sich ggf. freundlich und zugewandt vermitteln. Meiner Erfahrung nach hat das meist recht gut geklappt. Aber es ist für einen selbst natürlich eine peinliche und ärgerliche Stresssituation, und die Versuchung, sich dem möglichst kurzerhand und einfach zu entziehen oder sie durch ein "basta!" möglichst schnell zu beenden und kurzen Prozess damit zu machen ist groß, je nach den eigenen nervlichen und sonstigen Ressourcen. Auch eine Art Angriffs- oder Fluchtinstinkt vielleicht ;-) . Aber eine wirklich angemessene Reaktion auf die Situation? Wohl kaum.
 
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Das sehe ich anders, einem Kind eine Grenze aufzeigen bedeutet klar und in Tonfall, Mimik und Gestik unmissverständlich " Nein" zu sagen, Grenzen setzen bedeutet Orientierung geben und Halt, meine Erfahrung mit Kindern ist, dass genau das oft fehlt und ich beobachte, das Erwachsene eben keine klaren Grenzen ziehen, sondern gar keine oder mit Kleinkindern diskutieren oder so weichgespuelt " Nein" sagen, dass es als Botschaft beim Kind nicht ankommt. Halt geben - Halt sagen, das gehört zusammen.
 
Natürlich sind Kinder manchmal überfordert, und weinen dann. Manchmal haben sie Hormonschwankungen. Und manchmal testen sie Grenzen aus. Jedem Geheule nachzugeben ist deshalb genauso falsch, als wenn man ihm grundsätzlich mit Härte begegnet. Es kommt eben drauf an.

Lieber dilettant,

und genau deswegen ist diese Äußerung Smesnys sehr problematisch:

"Sylvia Smesny beobachtet in ihrer Schule eine Rückbesinnung auf den Respekt vor dem Lehrer, sagt sie. "Weil im Grunde genommen die Eltern sehr dankbar sind, einen Partner zu haben", sagt sie, und erzählt dann ein einprägsames Beispiel: "Und wenn eben Fritzi flennt, bricht nicht das Gefüge zusammen, sondern Fritzi macht einfach sein kleines Verweigerungsding, und damit kann Fritzi halt nicht weiterkommen. Aber Otto und Karla und der taffe Lehrer und die stoisch-neutral dreinblickenden Eltern machen es, dass Fritzi merkt: Oh, mein Verhalten, das ist jetzt nicht hundertprozentig altersgerecht, hier flennt doch kein anderer. Wenn Fritzi losheult, weil das sein Muster ist, dann durchbrechen wir hier unter Umständen sehr erfolgreich mit den Eltern das Muster.""

Sie hat eine Regel aufgestellt, wenn ein Kind in ihrem Unterricht weint. Diese Regel basiert auf der Annahme, dass Kinder aus Berechnung weinen (Muster).

Ob das Kind weint, weil es sich gerade weh getan hat, weil ein Mitschüler sich gerade über ihn lustig gemacht hat, weil es nicht verstanden hat, was es tun soll, weil es etwas falsch gemacht hat, weil es dringend aufs Klo muss und sich nicht traut, es zu sagen, ..... tja,, was soll man dazu sagen... .

Das Weinen von Kindern sollte man nicht ignorieren. Wie man darauf reagiert, kann sehr unterschiedlich sein und hängt von vielen Faktoren ab. Es ist außerdem sehr schade, dass die natürliche Anstrengungsbereitschaft von Kindern nicht/wenig gesehen wird. Was für eine vertane Chance!

Heute im Unterricht mit zwei Siebenjährigen beim Spiel zu dritt am Klavier: wir mussten mitten im Spiel aufhören, weil einem der beiden so sehr die Nase juckte und er sich gewaltig kratzen musste. Das Aufhören hat ihn so gestört, dass er, bevor wir wieder anfingen sagte: "Wartet, ich kratze mich lieber noch mal vor, damit wir nicht nochmal mittendrin aufhören müssen." :003:

Liebe Grüße

chiarina
 
Liebe Lichtgestalt,

wenn ich das von Dir Zitierte versuche, unvoreingenommen zu lesen … ja, dann gebe ich Dir Recht: Das ist eine sehr primitive Aussage von Fr. Smesny, und wenn sie es so durchzieht, wie es da steht, ist es falsch.

Lese ich es vor dem Hintergrund eines Schulsystems, in dem die Kinder in der dritten Klasse noch den Ranzen voller Plüschtiere, aber noch nie eine Zensur bekommen haben, vor dem Hintergrund eines Zeitgeistes, nach dem die Kinder um Gottes Willen nicht überlastet werden sollen, man ihnen auf Augenhöhe begegnen und sie selbst entscheiden lassen will, von Helikoptereltern, die alle Misserfolge von Kindern fernhalten und ihnen alle Hindernisse aus dem Weg räumen wollen, und Freizeitangeboten, die diesen Wünschen entgegenkommen (spielerisch lernen, bla bla bla), dann ist es wohltuend, mal eine andere Richtung wahrzunehmen. Dann nehme ich das nicht unbedingt gleich wortwörtlich, sondern erstmal als Gegenentwurf gegen einen (von mir als übertrieben wahrgenommenen) Trend. Da bin ich also etwas entspannter. Das mag leichtfertig sein, aber es ist vermutlich ungefähr das, was die Dresdner Eltern empfinden, wenn sie ihre Kinder dort anmelden.

Und ich möchte erwähnen, dass ich das Konzept mit den Kleingruppen so verstehe, dass die Eltern dabei anwesend sind. Es wird also nichts gegen die Eltern gemacht, was die nicht mitbekommen.

Ich denke, man kann die Aussagen so oder so lesen. Was die Dame am Ende wirklich tut, können wir alle nicht wissen.

Gut's Nächtle
- Karsten
 
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Fritzi macht einfach sein kleines Verweigerungsding
Die Aussage ist doch eigentlich recht klar und beschreibt die Situation verständlich. Man darf jedem normalen Menschen und Pädagogen erst Recht zutrauen, dass sie die Situation richtig einschätzen und sie bei z.B. einer Verletzung selbstverständlich anders mit dem Weinen umgehen würden.

Wartet, ich kratze mich lieber noch mal vor, damit wir nicht nochmal mittendrin aufhören müssen.
Geil. :-D

Pssst! Ich mache das bis heute so.
 
Um das erforderliche gute Lernklima zu schaffen, muss es aus meiner Sicht keine
[Unterwerfung]
geben, sondern eine Akzeptanz von Regeln. Ich mag das Wort "Unterwerfung" überhaupt nicht - ich muss da an die unterwürfige Geste eines Hundes denken.

Weder Kinder noch Hunde sollten "unterwürfige Gesten" abgenötigt werden.

"Unterwerfung" & "Nötigung" sind Begriffe aus der Philosophie. Unterwerfung bedeutet die freiwillige Akzeptanz der Regel aus Einsicht in ihre Notwendigkeit. Solange der Dreijährige keine Einsicht in Notwendigkeiten hat, die Regel aber trotzdem wichtig ist (Händewaschen, Zähneputzen u.dgl.) muss man der mangelnden Einsicht eben ein Äquivalent entgegengesetzt werden.
 
Unterwerfung bedeutet die freiwillige Akzeptanz der Regel aus Einsicht in ihre Notwendigkeit.
Was sicherlich die interessante philosophische Frage aufwirft: kann man sich freiwillig unterwerfen? (wer Zeit und Lust dazu hat, siehe zB:
View: https://www.youtube.com/watch?v=kA-kvzf4IKI
). Ansonsten empfehle ich allerdings auch einen Blick in: Carl von Clausewitz: Vom Kriege, Frankfurt/M und Berlin 1980, S. 662: "Das Ziel des Krieges sollte nach seinem Begriff stets die Niederwerfung des Gegners sein; [...]". Oder auch in einen gleichnamigen Roman neueren Datums von Houellebecq.

Nun reden wir hier vom Umgang mit Kindern, mit Minderjährigen und Schutzbefohlenen. @dilettant: Bei allem Verständnis für den Überdruß an antiautoritärem "laisser faire", überfürsorglicher Behelikopterung und Verwöhnung von vorne bis hinten: wenn das zeitgeistige Pendel dann wieder in die entgegengesetzte Richtung ausschlägt, muss das aber ja nun wahrlich nicht heißen, dass damit schon ein guter und ausgeglichener Mittelweg gefunden wäre...

Immerhin, ja, haben die anwesenden Eltern bei Smesny offenbar die Möglichkeit, sich ein eigenes Bild zu machen. Und entsprechende Konsequenzen zu ziehen.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
das aber ja nun wahrlich nicht heißen, dass damit schon ein guter und ausgeglichener Mittelweg gefunden wäre...
Nein, keinesfalls muss es das heißen. Drum schrieb ich ja schon in meinem zweiten Beitrag in diesem Faden:
Ich bin wieder mal der Meinung, dass die Wahrheit in der Mitte liegt.
Wir sind uns also offenbar ziemlich einig.
 
Ich bin der Meinung: Man kann nicht nur, man tut es, ständig.
Schmeiß 10 unbekannte Menschen in eine Gruppe und schau zu, wie sie ihre Rolle finden. Schmeiß die gleichen Menschen in andere Gruppen und schau zu... Sehr schön gerade bei Kindern zu beobachten.
Man findet sich immer in ganz unterschiedlichen Rollen je nach Gruppe (Arbeit, Sportverein, Familie, Freunde...). Unterwerfen ist eine davon und für mich ganz normal und alltäglich.
 
Das ist doch Wortklauberei. Man kann meinetwegen die Benutzung drastischer Begriffe kritisieren. Das ist aber kein Grund, sie gleich misszuverstehen, wenn doch aus dem Kontext klar wird, was gemeint ist.

Im übrigen, wenn wir schon Haare spalten: Akzeptanz ist kein besserer Begriff. Ich kann Regeln nämlich akzeptieren, ohne sie zu beachten. Ich halte die Regel, bei Rot nicht über die Straße zu gehen, für sinnvoll, ich akzeptiere sie. Trotzdem missachte ich sie manchmal.
:zunge:
 
Schmeiß 10 unbekannte Menschen in eine Gruppe und schau zu, wie sie ihre Rolle finden. Schmeiß die gleichen Menschen in andere Gruppen und schau zu... Sehr schön gerade bei Kindern zu beobachten.
Sicher, es gibt stets so etwas wie Gruppendynamik. Mit Freiwilligkeit muss das aber auch nicht unbedingt viel zu tun haben, siehe z.B. das bekannte Milgram-Experiment. Ähnliches ist ja oft auch bei Kindern zu beobachten, wenn etwa eines von den anderen in die Rolle des Paria und Außenseiters gedrängt wird.

Anders kann der Fall liegen, wenn es um Führungs- und Kompetenzfragen geht. Mein Klavierlehrer etwa ist zweifellos kompetenter und erfahrener beim Klavierspielen als ich, das erkenne ich an, also bin ich gut beraten, mich auch seinen Hinweisen Anweisungen in der Klavierstunde zu fügen, wenn ich etwas von ihm lernen will. (An die eigene Einsicht kann man - natürlich abhängig vom Alter - auch schon bei Kindern appellieren.) "Unterwerfung" - die nun einmal einen fragwürdigen Beigeschmack von Zwang und Gewalt hat; wem ich mich "unterwerfe", vor dem kapituliere ich irgendwie eben auch - würde ich das dennoch nicht nennen; schon eher scheint mir der Autoritätsbegriff hier passend ("Wortklauberei" ist bekanntlich ja auch das Geschäft der Philosophen ;-) ): https://www.deutschlandfunk.de/auto...gensaetze.1184.de.html?dram:article_id=231123. Wobei zu viel Dirigismus aber wohl auch hier zu viel des Guten sein kann... schließlich würde ich gerne auch irgendwann in der Lage dazu sein, mir meine Stücke selbständig zu erarbeiten; und es gibt auch Verhältnisse, die auf Dauer kleinhalten, unfrei und abhängig machen.
 
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"Unterwerfung" - die nun einmal einen fragwürdigen Beigeschmack von Zwang und Gewalt hat
Für Dich offensichtlich, für mich gar nicht.
Ich z.B. unterwerfe mich in den meisten Bereichen sehr gerne, will niemals die erste Geige spielen, will folgen und nicht führen. Im Berufsleben ist es oft umgekehrt. Da leide ich unter Kontrollzwang. :-D
 

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