So, jetzt hab ich die besagte Aufnahme gefunden, an der ich mich orientiert hatte beim Einüben:
schumann "little loss" - YouTube
Sehr frei gewählte Tempiwechsel. Wird diese Aufnahme noch dem vom Komponisten niedergeschriebenen Notentext gerecht oder nicht?
Hier eine bescheidene Einspielung von mir, nachdem mir gesagt wurde, ich solle mich doch bitte an den Notentext halten.
Schumann erster Verlust. - YouTube ( sind 2 Spielfehler drin, bitte nicht dran stören)
Liebe Leonie,
ich finde wirklich, dass du ein sehr schönes Klangempfinden hast! :)
Wie bekommt man heraus, was "in den Noten" steht, wo liegt der Spielraum des Interpreten, scheint hier die Frage zu sein.
Leider lässt sich die Frage nie völlig eindeutig beantworten.
Ich beantworte sie folgendermaßen, aber andere Klavierlehrer oder Pianisten mögen das anders sehen :D :
mir persönlich gefällt die Aufnahme des Pianisten gar nicht. Ich finde sie viel zu gekünstelt und auch zu langsam. Deine finde ich nun auch zu langsam. :)
Was steht in den Noten? "Nicht schnell" bedeutet, dass es nicht schnell klingen darf. Der Puls ist aber immer noch in Vierteln zu denken und zu hören (2/4-Takt) und daher muss m.M.n. das Tempo fließender sein. Zudem sind für die Bestimmung des Tempos die Bögen wichtig. Diese werden fast immer (bis auf den Höhepunkt in Takt 7) bis in die nächste "1" eines Taktes gezogen. Für mich bedeutet das, dass es zur nächsten "1" fließt, dann kurz atmet und weiter bis zur "1" des nächsten Taktes strebt.
Zu Beginn bedeutet das "fp", dass dort auch agogisch sich Zeit genommen werden darf, nicht nur dynamisch. Dann muss die Zeit aber wieder "eingeholt" werden, d.h. es fließt voran. Durch das "h1" in Takt2 stoppt der Komponist diesen Fluss automatisch, gleichzeitig geht die erste Teilphrase bis Takt4 (letztlich bis Takt8 bzw. Takt16) und sollte in einer Einheit sein. Wenn man diese ersten 4 Takte singt, atmet man automatisch nach den eingezeichneten Bögen und es ergibt sich zumindest für mich, dass die Begleitung der linken Hand diese Phrasierung unterstützt und nicht behindert. Was wiederum heißt, dass sich die linke Hand eingliedert und auf keinen Fall verzögert. Sie hat die Aufgabe, das "h1" zu "färben" und die Harmonik zu klären (tonika). Das "h1" in der Melodie in Takt2 ist ja schon eine auskomponierte Verzögerung. Wartet man da noch zusätzlich, wird die Einheit der ersten 4 Takte m.E. gesprengt. Nichts stimmt mehr.
Das z.B. steht für mich in den Noten, daher wähle ich ein fließenderes Tempo, was aber niemals schnell klingen darf. Die Rubati/Agogik des Pianisten gefällt mir deshalb nicht, weil wir es hier mit dem "ersten Verlust" eines Kindes (Album für die
Jugend!) zu tun haben und dazu eine schlichte Interpretation passt. Schlicht und sehr klangschön gespielt, bekommt das Stück einen ungeheuren Ausdruck, der nicht zu übertrieben romantisierend ist.
Man kann sich auch Gedanken machen, was denn der "Erste Verlust" eine Kindes nun ist, was also "verloren" ist.
Das steht meiner Meinung nach in den Noten, aber frag 10 Klavierlehrer, dann hast du womöglich 10 Meinungen. :D
Liebe Grüße
chiarina
P.S.: In meiner Henle-Ausgabe steht bei diesem Stück keine Metronomangabe. In anderen Ausgaben (s. imslp) schon. Da wäre zu klären, woher die stammen (vermutlich vom Herausgeber).