ich teile Deine Herangehensweise. Sie funktioniert gut, aber nur wenn das Gegenüber sich einlässt. Irgendwie. Was aber, wenn das Gegenüber sich auf den ehrlichen, authentischen Dialog nicht einlässt oder nicht einlassen KANN?
Liebe Barratt,
herzlichen Dank für deinen interessanten Erfahrungsbericht und deine Fragen, die sich bei intensiver Beschäftigung mit der humanistischen Psychologie und dem darauf aufbauenden Gordon-Modell oft einstellen.
Die Grundlage jedes Kontaktes mit Menschen und auch jeder pädagogischen Arbeit ist die Beziehung zueinander. Wenn eine Beziehung intakt ist, wird es Bewegung in der Kommunikation geben, in welcher Weise auch immer.
In welcher Weise auch immer kann bedeuten, dass es Widerstand gibt. Tatsächlich erfolgen auf konfrontierende Ich-Botschaften sehr oft Widerstände, die sich in Widerwillen, Schweigen, Abwehr, Wut etc. ausdrücken können. Ich drücke mit einer konfrontierenden Ich-Botschaft ja nur MEIN Bedürfnis aus - in der Regel hat der Gegenüber aber ein ganz anderes Bedürfnis, sonst gäbe es den Konflikt nicht. Wenn ich Glück habe, reagiert er auf die Offenbarung meines Bedürfnisses verständnisvoll und entgegenkommend - oft ist es anders.
Ein Grundsatz des Gordon-Modells lautet:
Widerstand ist akzeptabel. Die einzigen Grenzen, die das Modell diesbzgl. setzt, betrifft körperliche An- und Übergriffe.
Diesem Widerstand begegne ich als Lehrerin oder als diejenige, die in einem Konflikt das Gordon-Modell anwenden will, mit aktivem Zuhören. Diesen Prozess nennt man "Umschalten". Man hört immer wieder aktiv zu, bleibt aber auch immer wieder bei seiner Ich-Botschaft, bei seinem Bedürfnis.
Manche Kinder (und Erwachsene

) haben nur einen eingeschränkten Zugriff auf ihre Authentizität. Die Fragen "Was willst Du wirklich?" oder auch "Beschreib doch mal, was genau bei Dir los ist" können leider oft nicht beantwortet werden.
Ich würde nicht nur "manche", sondern "viele" sagen. Gerade Kinder können sich einfach noch nicht so ausdrücken und wissen nicht, warum sie sich gerade so verhalten.
Ehrlich gesagt, geht es mir auch manchmal so. Wenn ich wirklich ein Problem habe und eine konfrontierende Ich-Botschaft senden möchte, muss ich manchmal mir sehr viele Gedanken über die Formulierung machen. Was ist wirklich mein Gefühl, was möchte ich, was ist mein Bedürfnis, welche Folgen hat das Verhalten des anderen für mich? Es wird einem vieles klar dabei über sich selbst.
Deshalb gibt es ja das aktive Zuhören. Es dauert lange, sehr lange, bis man das gelernt hat und ich lerne immer noch dazu. Ich nutze dabei meine Wahrnehmung und meine sprachlichen Möglichkeiten - der andere braucht seine Bedürfnisse, seine Gefühle zunächst nicht selbst ausdrücken, was er vielleicht auch noch nicht kann. Der andere braucht kein Humanist sein, wenn ich es bin.
Es wird noch nicht einmal versucht, sich diskursiv dem Kernproblem anzunähern. Man erntet Schweigen. Da kommt einfach gar nichts außer Schulterzucken.
Ja, das kann sein. Dann kann man aktiv zuhören, indem man z.B. sagt: "Du möchtest dazu nichts sagen, oder?" oder "Dir ist ziemlich egal, was ich sage, oder?" Der andere wird dann vielleicht "ja" sagen, er wird aber mit seiner Körpersprache oder Gesichtsausdruck irgendein Gefühl ausdrücken. Das kann ich wiederum verbalisieren, z.B.: "Du siehst sehr sauer aus - ich habe das Gefühl, du hast eine Stinkwut auf mich." Oder man sagt: "Ich habe das Gefühl, du willst im Moment überhaupt nicht mit mir reden. Mir ist das Thema aber sehr wichtig, ich habe ein großes Problem damit. Ich möchte dann gern später mit dir reden, wenn dir es besser passt." Man kann dann eine Vereinbarung treffen, wann man darüber spricht. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, die ich hier nur sehr rudimentär ansprechen kann. Aber es gibt immer Bewegung!
Es existieren für denjenigen, der aktiv zuhört, aber entscheidende Vorbedingungen, ohne die es nicht funktioniert:
- aufrichtiges Interesse am anderen und seinen Bedürfnissen
- KEINE manipulativen Absichten und KEINE Absichten, mit dem Gespräch zu einer (bestimmten) Lösung zu kommen!
Das Gordon-Modell ist nicht lösungsorientiert, sondern bedürfnisorientiert und personenzentriert. Das aktive Zuhören dient dazu, das Bedürfnis des anderen kennen zu lernen, das hinter seinem Verhalten steht! Und nichts anderes! Erst wenn die Bedürfnisse klar sind, können Lösungen gefunden werden. Das ist fundamental wichtig!
- Offenheit, Empathie, Zugewandheit
- Annahme sog. negativer Gefühle wie Trotz, Wut, Abwehr/Widerstand
- Wertschätzung dem anderen gegenüber und Vertrauen, dass er und nur er weiß, wie sein Problem zu beheben ist.
Rogers vertritt die Annahme: "
Keiner weiß besser, was ihm gut tut und für ihn notwendig ist, als der Betroffene selbst. Wir können einander also nicht beibringen, was für uns gut ist. Nicht mit noch so ausgeklügelten Techniken. Aber wir können einander dabei unterstützen, es selbst herauszufinden.“ Peter F. Schmid
- https://www.carlrogers.de/
Das ist nicht einfach. Es bedeutet, nur (passiv oder aktiv) zuzuhören und nicht zu führen oder zu bewerten.
Diese innere Haltung ist die Grundlage der humanistischen Psychologie überhaupt! Man begegnet nicht nur dem anderen in dieser Weise, sondern auch
sich selbst! Es lohnt sich ungemein.
Wie ich aber schon zu Beginn des Beitrags angedeutet habe, hat das Gordon-Modell Grenzen und zwar dann, wenn eine Beziehung nicht mehr intakt ist. Die Übergänge sind fließend - auch bei konfliktbeladenen Beziehungen können Beziehungen intakt sein. Wenn aber keine Bewegung mehr möglich ist, wenn jeder der beiden Gesprächspartner nur noch auf den eigenen Positionen beharrt ohne dem anderen zuzuhören, ist die Beziehung geschädigt. Dann kann eine Therapie helfen.
Ob in deinem geschilderten Fall die Beziehung zu Lehrern, Eltern etc. geschädigt ist, kann ich nicht beurteilen. Du bist an dem Punkt in die Familie gekommen, an dem schon vieles im Argen war und Verhaltensmuster deines Schülers sich schon sehr verfestigt haben. Es ist für dich sehr schwer gewesen, an ihn ranzukommen. Er weigerte sich, zu lernen und mitzuarbeiten. Du hattest also von Anfang an eine sehr schwere Aufgabe.
Ich werde im Folgenden ein paar Punkte nennen, die mir aufgefallen sind:
Auftrag: "Der muss von seiner Fünf runter" (die war Ende der 7. Klasse zusammen mit anderen ungenügenden Leistungen zum Damoklesschwert geworden)
Das für dich kaum lösbare Problem ist, dass dieser Auftrag offenbar von den Eltern kam und nicht vom Schüler. Von den Bedürfnissen des Schülers hast du nicht geredet - ich fürchte, dass eventuelle Gespräche der Eltern mit ihrem Sohn in ähnlicher Weise einseitig bestimmend geführt wurden.
Es ist nicht möglich, jemandem etwa beizubringen, was der nicht lernen will. Insofern hattest du wenig Chancen. Aus deiner Schilderung heraus vermute ich, dass dein Schüler Latein nicht lernen wollte und wahrscheinlich vieles/alles andere auch nicht. Es hört sich für mich an, als sähen die Eltern ihn als Versager und als jemand, der nun wieder auf die richtige Spur gebracht werden müsse. Mit so einer mangelnden Wertschätzung gegenüber seinem Sohn kann man ein sinnvolles Gespräch mit dem Ziel der Verständigung nicht führen. Wenn es so war wie vermutet, finde ich es völlig verständlich, dass der Sohn sich allem verweigert. Es ist schlimm, als "Versager" gesehen zu werden, vor allem, weil die beiden Schwestern so prima funktionieren nach dem Willen der Eltern.
Vielleicht war der Sohn ja auf der Schule ganz falsch. Vielleicht wäre er woanders besser aufgehoben gewesen, vielleicht lagen seine Stärken eher im handwerklichen als im kognitiven Bereich. Das alles hätte in einem Gespräch klar werden sollen.
Dass du ein Gespräch über den "Schmock" geführt hast, finde ich toll! Nur - ich weiß, dass du ehrliche Worte zu schätzen weißt - , zweifle ich an der notwendigen Wertschätzung, Offenheit und deinem Zutrauen gegenüber deinem Schüler, wenn ich dieses lese:
Dieser Schüler war so "daneben", (...)
(...)machte auf obercoolen Macker und merkte natürlich nicht, wie erbärmlich er eigentlich war.
Dann funktioniert ein Gespräch nicht, mit dem du ihn besser verstehen, ihn erreichen willst. Ich fürchte, er machte ständig die Erfahrung, dass alles (auch die Therapie) für ihn gemacht wird, damit er wieder so funktioniert, wie die ELTERN es wollen und für ihn als gut befinden. Er hat dann das Mittel der Verweigerung und des Rückzugs gewählt.
Humanismus funktioniert nur unter Humanisten = Personen, die aufrichtig an Lösungen orientiert sind.
Noch einmal: die humanistische Psychologie ist NICHT lösungsorientiert, sondern bedürfnis- und personenzentriert. Wer sie und das Gordon-Modell anwendet, um Lösungen zu produzieren, gern auch die, die nur seinem eigenen Bedürfnis entsprechen, wird scheitern!
Liebe Grüße
chiarina