Wie geht Ihr mit Konflikten im Klavierunterricht um?

Anna_

Anna_

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8. Dez. 2019
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Es empfiehlt sich auch, diesen Faden mit ausgelagerten Beiträgen aufzurufen.

Tatsächlich geht es mir nicht in erster Linie um kleine Kinder. Ich habe z.B. einen erwachsenen Schüler, der definitiv motiviert ist, aber beruflich auch sehr eingespannt. Zudem hat er ein kleines Kind. Dementsprechend dauert es einige Wochen, bis wir ein kurzes Stück einigermaßen durch haben. Die Antwort von @chiarina fand ich sehr gut. Also, dass auch sie der Meinung ist, im Unterricht könne man das Stück vertiefen oder eben andere musikalische Themen behandeln, z.B. Gehörbildung, Impro...das vierhändige Blattspiel finde ich auch sehr gut, da sollte ich mir mal passende Literatur anschaffen. Was empfehlt ihr da ?

Und wo sich das Thema jetzt auch in Richtung Motivation entwickelt hat ..... ;) Ich habe einen recht neuen Schüler, der laut Aussagen der Mutter super gerne am Klavier (eigentlich ein E-Piano) spielt und am liebsten den ganzen Tag und auch nachts spielen würde. Er hatte auch schon etwas Unterricht bekommen, aber die Lehrerin hat außer Fingerzahlen wohl nichts zum Thema Rhythmus, selbstständig Noten lesen etc. beigetragen....nun will ich diese Themen mit ihm aufarbeiten, und habe heute mit ihm besprochen wie man herausfindet, welche Noten auf dem Blatt stehen, wie man den Rhythmus hält, wir haben zusammen gespielt usw. Fazit: Obwohl er "so gerne spielt", war er plötzlich total erschöpft, lustlos und hat ständig gefragt, wann die Stunde zu Ende ist...... :015: Da könnt ich an die Decke springen ! Will er es nun lernen oder nicht ??
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
....kann es sein, daß Du ihn überfordert hast mit den geballten Anforderungen?

Das denke ich nicht. Wenn er sich richtig konzentriert, schafft er auch einiges ! Aber der Rhythmus ist teilweise total daneben und es werden einfach irgendwelche Töne gespielt, ohne dass darüber nachgedacht wird, ob das überhaupt die richtigen Töne sind. Ich versuche ihn langsam dorthin zu führen, dass er erkennt, wie man Rhythmus beibehält und wie man die korrekten Töne auf der Tastatur zuordnet. Das kann ja nicht zu viel verlangt sein. Oder soll er einfach irgendwas spielen und nichts lernen und ich sage dann am Ende des Tages "ja super gemacht" ? :)
 
Als jemand, der das Klavier als Hobby begreift - einen Beruf habe ich schon, gestehe ich übrigens auch meinen Kindern zu, neben dem "Beruf" Schüler ihre Hobbies nach dem Kriterium "macht Spaß" auszuwählen.

Das ist an sich, finde ich, eine vernünftige Überlegung.
Übergeordnet lässt sich aber die Grundfrage stellen, ob Musik für ein Kind nun als Hobby oder als fester Bestandteil der Erziehung und schulischen Ausbildung zu sehen ist. Ich plädiere für zweiteres.
 
Anna, er möchte nichts wissen oder erkennen.

Er möchte einfach irgendwas klimpern, was sich dann für ihn "schön anhört".

Mir ja eigentlich auch unverständlich (weil ich nie so war), aber es gibt jede Menge Leute, ob jung oder alt, die leider so sind.
 
Anna, er möchte nichts wissen oder erkennen.

Er möchte einfach irgendwas klimpern, was sich dann für ihn "schön anhört".

Mir ja eigentlich auch unverständlich (weil ich nie so war), aber es gibt jede Menge Leute, ob jung oder alt, die leider so sind.

Haha, das habe ich schon befürchtet.
Ich denke auch, dass er einfach irgendetwas auf dem Klavier machen will, ohne groß nachdenken zu müssen. Dabei bin ich bei dem Stück extra kleinschrittig rangegangen und er hat seine Sache auch gut gemacht, nur eben mit viel Genörgel zwischendrin und vielem Gefrage nach der Uhrzeit.
Wenn ein Schüler jedoch nur klimpern will, verstehe ich nicht ganz, was ich als Lehrer in seiner Vorstellung machen soll :denken:
 
Vielleicht erst mal klimpern lassen bis er Geschmack auf mehr bekommt? Aber ich weiß es auch nicht :konfus:
 
Ich sag's nur mit eingezogenem Kopf, aber... Sinnvoll gestalteter Gruppenunterricht (mit zwei oder drei Kindern) motiviert in Anfangsunterricht und bei Kindern oft mehr, als Einzelunterricht. Dazu empfehle ich Literatur von Peter Heilbut. Er hat in den 70er Jahren über ca. 10 Jahre hinweg ausgiebigst experimentiert, wie so ein Unterricht (ausdrücklich mit Durchschnittsschülern!) funktioniert und für wen.

Guten Gruppenunterricht zu geben ist allerdings ziemlich anspruchsvoll und muss gelernt sein, das kann man nicht einfach so.
 
Hallo Anne, es könnte vielleicht helfen, mit ihm die vierhändigen Diabellistücke zu spielen. Die Schülerstimme ist einfach und das Ganze hört sich nach viel an. Die Aussicht darauf, auch mal die Lehrerstimme zu spielen, könnte ein Anreiz sein.
Gruẞ Klaus
 
Sinnvoll gestalteter Gruppenunterricht (mit zwei oder drei Kindern) motiviert in Anfangsunterricht und bei Kindern oft mehr, als Einzelunterricht.
Das ist in der Schule ja auch so. Eine entscheidende, wenn nicht sogar die entscheidende Frage bei der Wahl von Musik-AGs ist, wer außer einem selbst außerdem noch dabei ist. Die soziale Komponente spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle.
 

Wenn ein Kind insgesamt nicht oder kaum übt, dann muß man wohl den Sinn des ganzen insgesamt in Frage stellen. Entweder die Eltern sind da nicht genug hinterher oder das Kind hat schlicht so gar keine Lust.

Dieser Aspekt kommt mir hier etwas zu kurz. Bei vielen Leuten ist "Scheitern" durchaus eingepreist. Sie bieten ihren Kindern fünf verschiedene Hobbies an. Es ist ein Fehler zu erwarten, dass das Kind allen Hobbies mit dem gleichen Elan und der gleichen Freude nachgeht.

Normalerweise würde man sagen: Sich irgendwo durchzubeißen ist ein extrem wichtiges pädagogisches Ziel (Old-School, ich weiß, ganz böse). Genauso wichtig ist aber auch die Prioritätensetzung! Es ist keine Schande, wenn das Kind nicht in allen x einmal begonnenen Hobbies die gleiche Leidenschaft einbringt, und irgendwann sollte man auch mal Bilanz ziehen. :007:

Fazit: Obwohl er "so gerne spielt", war er plötzlich total erschöpft, lustlos und hat ständig gefragt, wann die Stunde zu Ende ist...... :015: Da könnt ich an die Decke springen ! Will er es nun lernen oder nicht ??
Ich versuche ihn langsam dorthin zu führen, dass er erkennt, wie man Rhythmus beibehält und wie man die korrekten Töne auf der Tastatur zuordnet. Das kann ja nicht zu viel verlangt sein.

Kognitive "Erschöpfung" gibt es tatsächlich. Wenn das Großhirn überfordert ist, steigt es buchstäblich aus - es stellt seine Arbeit ein. Nicht jeder verfügt auf jedem Gebiet über die gleichen kognitiven Ressourcen, und schon gar nicht von Anfang an. :001: Wenn ein Overload entsteht, braucht das Gehirn eine Pause, sonst ist der Lerneffekt hinsichtlich des Lerninhalts gleich Null. Es wird nur (sehr schnell und sehr nachhaltig!) abgespeichert: Klavierunterricht ist Quälerei.

Ich vermute, dieser Schüler ist ein Junge? ;-) Gib ihm Zeit und verlang kürzere Einheiten der Hochkonzentration, lass ihn zwischendurch auch mal "nur spielen". Er scheint ja Motivation und auch Talent zu haben (das lese ich jedenfalls aus Deinem Text heraus). Es könnte sich lohnen, ihn nicht "sauer zu fahren".

wird das Klavierüben fest im Tagesablauf verankert, sodass die Kinder nicht mehr darüber nachdenken müssen, wann sie denn noch das Üben in den Tag hineinquetschen. Kinder brauchen Rituale.

Ja, ja, ja. :super: Aber nicht direkt nach dem Essen etwas lernen lassen. Wenn der Bauch arbeitet, hat das Hirn Sendepause. Auch bekannt als "Suppenkoma".
 
Liebe Chiarina,

ich teile Deine Herangehensweise. Sie funktioniert gut, aber nur wenn das Gegenüber sich einlässt. Irgendwie. Was aber, wenn das Gegenüber sich auf den ehrlichen, authentischen Dialog nicht einlässt oder nicht einlassen KANN?
Manche Kinder (und Erwachsene ;-)) haben nur einen eingeschränkten Zugriff auf ihre Authentizität. Die Fragen "Was willst Du wirklich?" oder auch "Beschreib doch mal, was genau bei Dir los ist" können leider oft nicht beantwortet werden. Es wird noch nicht einmal versucht, sich diskursiv dem Kernproblem anzunähern. Man erntet Schweigen. Da kommt einfach gar nichts außer Schulterzucken.

Meine Erfahrungen mit diesem Modell sind hervorragend und es überrascht mich immer wieder, was hinter einem "Nicht Üben" stecken kann. Es ist für Schüler und Lehrer gleichermaßen wichtig, dass man hinter die Dinge schaut, die eigenen Bedürfnisse erkennt und sich nicht mit einem Nicht-Üben zufrieden gibt.
Ich bin deswegen so glücklich mit der humanistischen Psychologie, weil es dort keine Gewinner und Verlierer gibt, weil jeder so sein kann, wie er ist und auch so angenommen wird. Wenn ich als Lehrerin mir selbst einen Maulkorb verpassen würde, weil ich eine Rolle spiele (die des Pädagogen), wäre ich m.E. der Verlierer. Das ist nicht mein Verständnis einer Lehrer-Schüler-Beziehung. Gleichzeitig gestehe ich das dem Schüler ebenso zu und es entsteht eine fruchtbare Beziehung, in der Konflikte schnell gelöst werden

Ja. Falls geredet wird.

Ich nehme ein reales Beispiel, das mich bis heute beschäftigt. Mein pädagogisches Trauma gewissermaßen.

Setting:
  • Eine erfahrene und durchaus erfolgreiche freiberufliche Nachhilfelehrerin (ich),
  • ein Schüler 8. Klassenstufe altsprachliches Gymnasium
  • (sehr) wohlhabende und erfolgreiche Akademikerfamilie, zwei jüngere Schwestern (liebenswerte, unproblematische und fröhliche Kinder, normale Schulleistungen), die Eltern freundlich, zugewandt, Mutter "daheim", auch die Oma wohnte in der Villa
  • Lerninhalt: Latein. Beide Eltern auch "Lateiner". Daher die korrekte Einschätzung, dieses vergleichsweise übersichtliche Fach berge die reale Chance zur Verbesserung des Gesamtdurchschnitts.
  • Auftrag: "Der muss von seiner Fünf runter" (die war Ende der 7. Klasse zusammen mit anderen ungenügenden Leistungen zum Damoklesschwert geworden)
Dieser Schüler war so "daneben", dass ich bis heute seine kognitive Kapazität schlicht nicht einschätzen kann.

Du stößt dich nach meinem Eindruck hauptsächlich an dem im Fallbeispiel geäußerten Gefühl "ich ärgere mich", oder? Du würdest das nicht sagen.[...]Es ist aber wichtig, authentisch zu sein.

Glückwunsch, wenn das bislang bei Dir funktioniert hat. Dann bist Du noch nie an eine wirklich a-soziale Person geraten, die bei Deiner Ich-Botschaft nur die Schultern zuckt. Eltern, Lehrer, auch ich waren in ganz authentischer Sorge, sowohl hinsichtlich des schulischen wie des a-sozialen Verhaltens. Der Bub hatte z. B. Sprüche drauf, die ich in so einem seriösen Umfeld, privat wie schulisch, nie erwartet hätte. Er "redete" nicht, auch nicht mit seinem Therapeuten, machte auf obercoolen Macker und merkte natürlich nicht, wie erbärmlich er eigentlich war.

Mit Deinem und meinem humanistischen Ansatz kam ich nur so weit, dass ich erfuhr: Alles sei "Schmock". Diesen Begriff habe ich vorher und nachher noch nie bzw. nie wieder gehört. Humanistisch wie ich bin, lud ich ihn ein zu erzählen, was er unter "Schmock" verstehe bzw. warum alles so sei. Bitte glaub nicht, dass er das auch nur näherungsweise artikulieren konnte/wollte. Es war kein Zugang zu finden und es gab keine Reaktion außer Schulterzucken. Logo sagte ich den Eltern, dass ich keinerlei Sinn in dieser Nachhilfe sah (die keine war). Die Eltern wünschten, ich solle trotzdem weitermachen.

Naja, als Sanktionsmittel gibt es (immerhin) Schulnoten :chr03:, denn es ging ja nicht "nur" um ein Hobby, das man auch schadlos aufgeben kann, sondern um ein Hauptfach. Sie führten (immerhin) dazu, dass er im Laufe der 8. Klasse von der Schule flog und in ein Internat gesteckt wurde. Einige Zeit später kam ich mit einem seiner Gymnasiallehrer ins Gespräch und erfuhr wenigstens, dass nicht nur ich, sondern auch alle anderen an dem Vollpubertierenden gescheitert waren. Das hat mich ein bisschen beruhigt. :puh:

Humanismus funktioniert nur unter Humanisten = Personen, die aufrichtig an Lösungen orientiert sind.
 
Was aus der einen Perspektive Ausgrenzung ist, bedeutet aus der anderen Sicht Eingrenzung, nämlich auf einen Personenkreis, der nicht nur an Lösungen interessiert ist, sondern auch am Klavierspielen generell, und zwar unter den Bedingungen, die der Lehrer stellt (dass Schüler und Lehrer dabei immer im Gespräch bleiben, ist selbstverständlich). Übrigens müssen Lehrer nicht mit jedem Schüler klarkommen können. Es ist ja kein Geheimnis, dass es gerade dann professionell ist, wenn z.B. Psychologen sich von Patienten trennen, wenn die gemeinsame Arbeit nicht zum Ziel führt. Das lässt sich direkt auf Instrumentalunterricht übertragen.
 
Zuletzt bearbeitet:
ich teile Deine Herangehensweise. Sie funktioniert gut, aber nur wenn das Gegenüber sich einlässt. Irgendwie. Was aber, wenn das Gegenüber sich auf den ehrlichen, authentischen Dialog nicht einlässt oder nicht einlassen KANN?

Liebe Barratt,

herzlichen Dank für deinen interessanten Erfahrungsbericht und deine Fragen, die sich bei intensiver Beschäftigung mit der humanistischen Psychologie und dem darauf aufbauenden Gordon-Modell oft einstellen.

Die Grundlage jedes Kontaktes mit Menschen und auch jeder pädagogischen Arbeit ist die Beziehung zueinander. Wenn eine Beziehung intakt ist, wird es Bewegung in der Kommunikation geben, in welcher Weise auch immer.

In welcher Weise auch immer kann bedeuten, dass es Widerstand gibt. Tatsächlich erfolgen auf konfrontierende Ich-Botschaften sehr oft Widerstände, die sich in Widerwillen, Schweigen, Abwehr, Wut etc. ausdrücken können. Ich drücke mit einer konfrontierenden Ich-Botschaft ja nur MEIN Bedürfnis aus - in der Regel hat der Gegenüber aber ein ganz anderes Bedürfnis, sonst gäbe es den Konflikt nicht. Wenn ich Glück habe, reagiert er auf die Offenbarung meines Bedürfnisses verständnisvoll und entgegenkommend - oft ist es anders.

Ein Grundsatz des Gordon-Modells lautet: Widerstand ist akzeptabel. Die einzigen Grenzen, die das Modell diesbzgl. setzt, betrifft körperliche An- und Übergriffe.

Diesem Widerstand begegne ich als Lehrerin oder als diejenige, die in einem Konflikt das Gordon-Modell anwenden will, mit aktivem Zuhören. Diesen Prozess nennt man "Umschalten". Man hört immer wieder aktiv zu, bleibt aber auch immer wieder bei seiner Ich-Botschaft, bei seinem Bedürfnis.
Manche Kinder (und Erwachsene ;-)) haben nur einen eingeschränkten Zugriff auf ihre Authentizität. Die Fragen "Was willst Du wirklich?" oder auch "Beschreib doch mal, was genau bei Dir los ist" können leider oft nicht beantwortet werden.

Ich würde nicht nur "manche", sondern "viele" sagen. Gerade Kinder können sich einfach noch nicht so ausdrücken und wissen nicht, warum sie sich gerade so verhalten.

Ehrlich gesagt, geht es mir auch manchmal so. Wenn ich wirklich ein Problem habe und eine konfrontierende Ich-Botschaft senden möchte, muss ich manchmal mir sehr viele Gedanken über die Formulierung machen. Was ist wirklich mein Gefühl, was möchte ich, was ist mein Bedürfnis, welche Folgen hat das Verhalten des anderen für mich? Es wird einem vieles klar dabei über sich selbst. :003:


Deshalb gibt es ja das aktive Zuhören. Es dauert lange, sehr lange, bis man das gelernt hat und ich lerne immer noch dazu. Ich nutze dabei meine Wahrnehmung und meine sprachlichen Möglichkeiten - der andere braucht seine Bedürfnisse, seine Gefühle zunächst nicht selbst ausdrücken, was er vielleicht auch noch nicht kann. Der andere braucht kein Humanist sein, wenn ich es bin.

Es wird noch nicht einmal versucht, sich diskursiv dem Kernproblem anzunähern. Man erntet Schweigen. Da kommt einfach gar nichts außer Schulterzucken.

Ja, das kann sein. Dann kann man aktiv zuhören, indem man z.B. sagt: "Du möchtest dazu nichts sagen, oder?" oder "Dir ist ziemlich egal, was ich sage, oder?" Der andere wird dann vielleicht "ja" sagen, er wird aber mit seiner Körpersprache oder Gesichtsausdruck irgendein Gefühl ausdrücken. Das kann ich wiederum verbalisieren, z.B.: "Du siehst sehr sauer aus - ich habe das Gefühl, du hast eine Stinkwut auf mich." Oder man sagt: "Ich habe das Gefühl, du willst im Moment überhaupt nicht mit mir reden. Mir ist das Thema aber sehr wichtig, ich habe ein großes Problem damit. Ich möchte dann gern später mit dir reden, wenn dir es besser passt." Man kann dann eine Vereinbarung treffen, wann man darüber spricht. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, die ich hier nur sehr rudimentär ansprechen kann. Aber es gibt immer Bewegung!

Es existieren für denjenigen, der aktiv zuhört, aber entscheidende Vorbedingungen, ohne die es nicht funktioniert:
  • aufrichtiges Interesse am anderen und seinen Bedürfnissen
  • KEINE manipulativen Absichten und KEINE Absichten, mit dem Gespräch zu einer (bestimmten) Lösung zu kommen!
Das Gordon-Modell ist nicht lösungsorientiert, sondern bedürfnisorientiert und personenzentriert. Das aktive Zuhören dient dazu, das Bedürfnis des anderen kennen zu lernen, das hinter seinem Verhalten steht! Und nichts anderes! Erst wenn die Bedürfnisse klar sind, können Lösungen gefunden werden. Das ist fundamental wichtig!
  • Offenheit, Empathie, Zugewandheit
  • Annahme sog. negativer Gefühle wie Trotz, Wut, Abwehr/Widerstand
  • Wertschätzung dem anderen gegenüber und Vertrauen, dass er und nur er weiß, wie sein Problem zu beheben ist.
Rogers vertritt die Annahme: "Keiner weiß besser, was ihm gut tut und für ihn notwendig ist, als der Betroffene selbst. Wir können einander also nicht beibringen, was für uns gut ist. Nicht mit noch so ausgeklügelten Techniken. Aber wir können einander dabei unterstützen, es selbst herauszufinden.“ Peter F. Schmid - https://www.carlrogers.de/

Das ist nicht einfach. Es bedeutet, nur (passiv oder aktiv) zuzuhören und nicht zu führen oder zu bewerten. Diese innere Haltung ist die Grundlage der humanistischen Psychologie überhaupt! Man begegnet nicht nur dem anderen in dieser Weise, sondern auch sich selbst! Es lohnt sich ungemein.

Wie ich aber schon zu Beginn des Beitrags angedeutet habe, hat das Gordon-Modell Grenzen und zwar dann, wenn eine Beziehung nicht mehr intakt ist. Die Übergänge sind fließend - auch bei konfliktbeladenen Beziehungen können Beziehungen intakt sein. Wenn aber keine Bewegung mehr möglich ist, wenn jeder der beiden Gesprächspartner nur noch auf den eigenen Positionen beharrt ohne dem anderen zuzuhören, ist die Beziehung geschädigt. Dann kann eine Therapie helfen.

Ob in deinem geschilderten Fall die Beziehung zu Lehrern, Eltern etc. geschädigt ist, kann ich nicht beurteilen. Du bist an dem Punkt in die Familie gekommen, an dem schon vieles im Argen war und Verhaltensmuster deines Schülers sich schon sehr verfestigt haben. Es ist für dich sehr schwer gewesen, an ihn ranzukommen. Er weigerte sich, zu lernen und mitzuarbeiten. Du hattest also von Anfang an eine sehr schwere Aufgabe.

Ich werde im Folgenden ein paar Punkte nennen, die mir aufgefallen sind:
Auftrag: "Der muss von seiner Fünf runter" (die war Ende der 7. Klasse zusammen mit anderen ungenügenden Leistungen zum Damoklesschwert geworden)

Das für dich kaum lösbare Problem ist, dass dieser Auftrag offenbar von den Eltern kam und nicht vom Schüler. Von den Bedürfnissen des Schülers hast du nicht geredet - ich fürchte, dass eventuelle Gespräche der Eltern mit ihrem Sohn in ähnlicher Weise einseitig bestimmend geführt wurden.

Es ist nicht möglich, jemandem etwa beizubringen, was der nicht lernen will. Insofern hattest du wenig Chancen. Aus deiner Schilderung heraus vermute ich, dass dein Schüler Latein nicht lernen wollte und wahrscheinlich vieles/alles andere auch nicht. Es hört sich für mich an, als sähen die Eltern ihn als Versager und als jemand, der nun wieder auf die richtige Spur gebracht werden müsse. Mit so einer mangelnden Wertschätzung gegenüber seinem Sohn kann man ein sinnvolles Gespräch mit dem Ziel der Verständigung nicht führen. Wenn es so war wie vermutet, finde ich es völlig verständlich, dass der Sohn sich allem verweigert. Es ist schlimm, als "Versager" gesehen zu werden, vor allem, weil die beiden Schwestern so prima funktionieren nach dem Willen der Eltern.

Vielleicht war der Sohn ja auf der Schule ganz falsch. Vielleicht wäre er woanders besser aufgehoben gewesen, vielleicht lagen seine Stärken eher im handwerklichen als im kognitiven Bereich. Das alles hätte in einem Gespräch klar werden sollen.

Dass du ein Gespräch über den "Schmock" geführt hast, finde ich toll! Nur - ich weiß, dass du ehrliche Worte zu schätzen weißt - , zweifle ich an der notwendigen Wertschätzung, Offenheit und deinem Zutrauen gegenüber deinem Schüler, wenn ich dieses lese:

Dieser Schüler war so "daneben", (...)

(...)machte auf obercoolen Macker und merkte natürlich nicht, wie erbärmlich er eigentlich war.

Dann funktioniert ein Gespräch nicht, mit dem du ihn besser verstehen, ihn erreichen willst. Ich fürchte, er machte ständig die Erfahrung, dass alles (auch die Therapie) für ihn gemacht wird, damit er wieder so funktioniert, wie die ELTERN es wollen und für ihn als gut befinden. Er hat dann das Mittel der Verweigerung und des Rückzugs gewählt.

Humanismus funktioniert nur unter Humanisten = Personen, die aufrichtig an Lösungen orientiert sind.

Noch einmal: die humanistische Psychologie ist NICHT lösungsorientiert, sondern bedürfnis- und personenzentriert. Wer sie und das Gordon-Modell anwendet, um Lösungen zu produzieren, gern auch die, die nur seinem eigenen Bedürfnis entsprechen, wird scheitern!

Liebe Grüße

chiarina
 
Auf die Gefahr, mich zu wiederholen:
1) KL sind keine Therapeuten, und sie sollten auch nicht so tun, als wären sie welche.
2) Ich würde lieber kellnern/putzen/strippen, als mich mit nervigen Idiotenschülern abzugeben.
3) Die Befindlichkeiten der Lehrperson dürfen im Unterricht keine Rolle spielen. "Ich ärgere mich, dass du nicht geübt hast" und ähnlicher Privatkram ist in meinen Augen übergriffiger Unsinn.
4) Anschließend an 2): Rausschmeißen.
 
Noch einmal: die humanistische Psychologie ist NICHT lösungsorientiert, sondern bedürfnis- und personenzentriert. Wer sie und das Gordon-Modell anwendet, um Lösungen zu produzieren, gern auch die, die nur seinem eigenen Bedürfnis entsprechen, wird scheitern!
Dann ist deine geliebte Gordon Variation für solche Dinge nicht geeignet.
Es muss wohl in der Praxis eine Lösung her. Und ob deine persönlichen Empfindungen die 7 Jährige tangieren (sollen) und auch relevant sind, frage ich mich.
Viel entscheidender ist warum spielt die 7 jährige und wohin soll die Reise gehen. Was ist das Ziel?
Bin schon auch der Meinung das man einfach so, sagen wir aus "Spaß", auch Klavier spielen kann, man wird zwar nicht gut und vielleicht aufhören, aber so what. Mehr wollte man ja nicht.

Der Lehrer sollte seine Erwartungshaltung der Zielvorgabe anpassen.

VLV
 
Liebe @chiarina , danke für Deine ausführliche Einlassung. Die Vertiefung der Chancen und Grenzen würde leider zu weit führen. In "meinem" Fall ging es nicht um ein Hobby, sondern um ein gymnasiales Hauptfach. :001:

Nur so viel:
1. Ein bisschen wollen müssen sie.
2. Ich bin kein Psychotherapeut. Hätte ich Spaß an so was, hätte ich diesen Beruf ergriffen.

Vielleicht war der Sohn ja auf der Schule ganz falsch. Vielleicht wäre er woanders besser aufgehoben gewesen, vielleicht lagen seine Stärken eher im handwerklichen als im kognitiven Bereich. Das alles hätte in einem Gespräch klar werden sollen.

Definitiv war er auf dem Gymnasium falsch, deshalb flog er ja auch. Sein einziges Interesse galt dem Zeichnen. Er zeichnete hervorragend. Mit Zeichnen bekommt man aber kein Abitur. :005:
 
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Auf die Gefahr, mich zu wiederholen:
1) KL sind keine Therapeuten, und sie sollten auch nicht so tun, als wären sie welche.
2) Ich würde lieber kellnern/putzen/strippen, als mich mit nervigen Idiotenschülern abzugeben.
3) Die Befindlichkeiten der Lehrperson dürfen im Unterricht keine Rolle spielen. "Ich ärgere mich, dass du nicht geübt hast" und ähnlicher Privatkram ist in meinen Augen übergriffiger Unsinn.
4) Anschließend an 2): Rausschmeißen.

Liebe @chiarina , danke für Deine ausführliche Einlassung. Die Vertiefung der Chancen und Grenzen würde leider zu weit führen. In "meinem" Fall ging es nicht um ein Hobby, sondern um ein gymnasiales Hauptfach. :001:

Nur so viel:
1. Ein bisschen wollen müssen sie.
2. Ich bin kein Psychotherapeut. Hätte ich Spaß an so was, hätte ich diesen Beruf ergriffen.

Lieber schmickus, liebe Barratt,

Klavierlehrer sind keine Therapeuten, aber sie sind Pädagogen und arbeiten mit Menschen. Deshalb sind im jedem pädagogischen Studium Fächer wie Entwicklungspsychologie, pädagogische Psychologie u.a. Pflicht.

Das Gordon-Modell hat mit Psychotherapie nichts zu tun. Die einzige Gemeinsamkeit besteht im aktiven Zuhören, das auch in der Psychotherapie verwendet wird. Das Gordon-Modell ist in erster Linie für die Kommunikation und Konfliktlösung in Familien konzipiert worden und wurde dann übertragen auf medizinische und pädagogische Berufe, Management etc..

Man muss dieses Modell überhaupt nicht anwenden. Man muss auch nicht einen herausfordernden Schüler unterrichten, wie Barratt ihn hatte. Da kommt man schon an die Grenzen. Sie hatte mich aber gefragt und sich auf die humanistische Psychologie bezogen und dementsprechend habe ich geantwortet.

Wenn jemand bei einem Schüler seine persönlichen Grenzen sieht und ihn nicht (mehr) unterrichten will, sollte er das auch nicht machen. Die Befindlichkeiten des Lehrers spielen normalerweise keine Rolle, sehr richtig, im Konfliktfall aber schon.

Ich will mit allem darauf hinaus: wenn man das Gordon-Modell anwendet und dadurch eine deutlich vielfältigere Bandbreite an Handlungsmöglichkeiten hat, spielen Konflikte im Unterricht kaum eine Rolle. Die Unterrichtsatmosphäre ist spannungsfrei, vertrauensvoll und offen und man kann deutlich besser arbeiten, weil man sich nicht auf Nebenkriegsschauplätze begibt. Man kann also genau das machen, was euch wie mir am Herzen liegt: Klavier spielen. :002:

Liebe Grüße

chiarina

P.S.: @Viva La Vida: das Gordon-Modell ist ein Kommunikations- und Konfliktlösungsmodell. Es baut auf der humanistischen Psychologie auf und es ist wichtig, dass man zuerst immer die Bedürfnisse klärt. Die Bedürfnisse der Beteiligten (die Personen) stehen im Vordergrund und dann kann eine Lösung gefunden werden, bei der es keine Gewinner und Verlierer gibt. Du kannst bei Interesse gern die links anklicken, die ich in meinem vorherigen Beitrag genannt habe.

P.S.S.: @Anna_: wie alt ist denn der Schüler?
 
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