Webern-Oper

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19. Juni 2013
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Anton Webern, dritte Person der Wiener Dreieinigkeit (und Boulez zufolge der Heilige Geist), fiel gegenüber Berg und Schönberg durch seine Bühnenabstinenz auf. Angeblich hat ihn das Musiktheater nicht gereizt, und es ist schön, in der Sekundärliteratur nachzulesen, was sich Webern-Hagiographen alles haben einfallen lassen, um diese Abstinenz zu erklären: Da wird auf bestimmte Persönlichkeitsmerkmale des Komponisten verwiesen, auf sein künstlerisches Selbstverständnis, die lyrische Grundstruktur seiner Musik, Weberns Abscheu vor jeder musikalischen Drastik, die nun mal zum Wesen aller bühnenwirksamen Musik gehört etc. etc. - - schön zu lesen vorallem deshalb, weil dieses Gesumms jetzt endlich falsifiziert worden ist, und zwar durch die schlichte Tatsache, daß Webern eben doch fürs Musiktheater komponiert hat.

Bisher geisterte es nur als eine Art Fußnote durch die Sekundärliteratur, daß Webern an zwei Bühnentexten Interesse gezeigt hatte – genauer gesagt: an der Vertonung zweier symbolistischer Dramen von Maurice Maeterlinck: „Alladine et Palomides“ und „Les Sept Princesses“. Im Schönberg-Kreis wurde der belgische Symbolist hochgeschätzt; Zemlinsky und Schönberg haben Maeterlinck-Gedichte vertont, und der symphonischen Dichtung „Pelleas und Melisande“ lag bekanntlich ein Opernprojekt zugrunde, dessen Material Schönberg nur deshalb in reine Orchestermusik verwandelt hatte, weil er mit Debussys Drame lyrique nicht konkurrieren wollte.

Auch Webern hat Maeterlinck sehr geschätzt, wie aus Briefen und Aufzeichnungen hervorgeht, und seine Beschäftigung mit den zwei Opernprojekten läßt sich anhand der Skizzenbücher ziemlich genau datieren: Sie fällt in die Zeit zwischen 1908 und 1910. Was aber selbst einem so engagierten Biographen wie Hans Moldenhauer entgangen ist – und gleich ihm allen, die bisher mit Weberns Nachlaß beschäftigt gewesen sind –, daß sich zu „Alladine et Palomides“ entschieden mehr als nur eine Skizze erhalten hat, genauer gesagt: daß eine kritische Neubewertung dieses Materials zu dem verblüffenden Resultat führt, in dem vorhandenen Skizzenblatt die Partitur-Reinschrift einer fertigkomponierten Oper zu erkennen, deren Verkennung als Torso mit dem Fragmentcharakter vieler Kompositionen Weberns aus jener Schaffensphase zusammenhängen mag und darüberhinaus dem Umstand geschuldet sein könnte, daß die Webern-Forschung den Doppelstrich, mit dem das Werk abschließt, bislang übersehen hat – wie auch immer: Webern darf ab jetzt zu den Musikdramatikern gezählt werden, und in der Spielzeit 2015/2016 wird uns das „Musiktheater im Revier Gelsenkirchen“ mit einer Welturaufführung erfreuen: „Alladine und Palomides“, Oper in fünf Takten von Anton Webern, Text von Ernst Diez nach Maurice Maeterlincks gleichnamigem Drama (in der Übersetzung von Friedrich von Oppeln-Bronikowski).

Der Aufführung dürfen wir mit Spannung entgegensehen. Webern macht es seinem Publikum nicht leicht. Die Musik ist nach Art des Wagnerschen Musikdramas durchkomponiert, in den Vokalpartien jedoch weniger deklamatorisch als vielmehr ariosohaft-gesanglich, mit großen Intervallsprüngen, wie sie für die Liederzyklen Opp.14 bis 18 so charakteristisch sind. Die Oper beginnt perdendosi mit einer punktierten Fermate über zwei triolisch verklammerten Achtelpausen, um dann in einem weitausschwingenden Diminuendo zu verklingen. Im kammermusikalisch durchhörbaren Orchester und auf der Bühne dominieren die gedämpften Klangfarben. Alle Instrumente erklingen con sordino, die Gesangsstimmen con bavaglio. Anstelle von Maeterlincks verschwurbeltem Text hört man, wenn überhaupt, nur vereinzelte, a bocca chiusa zu singende Silben. Insgesamt wird die verworrene Handlung auf ein paar wenige, bedeutungsvolle Gesten reduziert und somit verdichtet, dem japanischen Nō-Theater nicht unähnlich – ganz der von Webern erträumten Konzeption eines „Theaters der Innerlichkeit“ entsprechend.

Es bleibt abzuwarten, was Regietheater-Legende Burkhard Kosminski daraus macht. Das Bühnenbild soll nach einer Idee von Albert Speer gestaltet werden. Die SS-Uniformen schneidert Vivienne Westwood. Zwei weitere Kurzopern strecken das Projekt auf Abendlänge: Henzes „Tamerlano, Rè di Darmstadt“ und Adriana Hölszkys „Gorgonzola“. Es wird jedenfalls ein Opernabend der Extraklasse sein, und ich werde zu gegebener Zeit davon berichten.

G.d.R.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich schmeiß mich weg!
 
Hier schrieb doch ab und zu mal ein gewisser Schigolch; offensichtlich ein Kenner. Der könnte doch sicher dazu was sagen.
 
Lieber Gomez,

absolut göttlich!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! :herz:

(...)daß eine kritische Neubewertung dieses Materials zu dem verblüffenden Resultat führt, in dem vorhandenen Skizzenblatt die Partitur-Reinschrift einer fertigkomponierten Oper zu erkennen (...)

Dein Augenprobleme scheinen behoben und die rosarote Brille ist dir offensichtlich bestens bekommen!


Sensationell finde ich diese Vortragsbezeichnungen, die das Intime und Innerliche so wunderbar zum Ausdruck bringen und mit denen Webern ein geniales Gespür für die Musik der Folgezeit beweist, in der diese Bezeichnungen vermutlich nur vergessen wurden!

Vielen Dank für den Hinweis auf dieses Kleinod und liebe Grüße!

chiarina
 
Schade, daß der Blick auf den Kalender mich zwingt, diesen wundervollen Beitrag nicht mit einem Begeisterungsschwall, sondern con bocca chiusa zu rezipieren!
 

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