Hier noch ein paar Tips, was man machen kann:
1) Öfter mal mit geschlossenen Augen spielen!
Die Wahrnehmung über die Ohren wird dann deutlich besser und detaillierter. Schließlich werden 60% der für die Sinnesorgane bereitstehenden Hirnverarbeitungskapazität von den Augen verbraucht; bei "Ausschaltung" der Augen stehen diese also quasi den Ohren zur Verfügung. (Simplifizierung, klar.)
2) Aus dem Hören heraus anfangen zu spielen!
Das heißt konkret: Normalerweise findet entweder vor dem Spielbeginn Denken statt (man denkt z.B.: "So, jetzt die Finger hier und hier hin, hoffentlich geht alles gut, schön locker bleiben, hoffentlich klappen die beiden ersten Achtel..." etc.pp.) oder aber (immerhin schon besser) man stellt sich innerlich die Musik vor, z.B. um ins richtige Tempo zu kommen.
Versucht mal, das nicht zu tun! Denkt nicht, stellt Euch nichts vor, sondern hört nur einfach, was gerade zu den Ohren hereinkommt. "Stellt auf Empfang" oder, wie der legendäre Heinrich Jacoby zu sagen pflegte, werdet "antennig". Interpretiert nicht, selektiert nicht, sondern nehmt alle feinen Umgebungsgeräusche (Vogelzwitschern, Heizungsklackern, Atmen, alles) einfach urteilslos wahr.
Und dann fangt einfach an zu spielen. Registriert, wie genau und detailliert Ihr den Klang des Gespielten jetzt hören könnt.
3) Übt, alle Nuancen des Klavierklangs wahrzunehmen!
Spielt einzelne Töne oder Akkorde. Nehmt wahr, daß nicht nur ein Ton erklingt, sondern auch Nebengeräusche. Nehmt wahr, daß diese je nach Tonhöhe und Anschlagsart unterschiedlich sind. Untersucht, woher die Nebengeräusche kommen. Spielt mit Pedal und hört die Nebengeräusche des Pedals. Spielt einen tiefen Ton und versucht, die Obertöne (z.B. Duodezime) herauszuhören; nehmt wahr, daß ein Ton nicht nur ein Einzelton, sondern bereits ein Mehrklang ist. Spielt einzelne Töne und hört, ob er gut gestimmt ist und inwiefern Schwebungen durch unterschiedliche Stimmung der Einzelsaiten zu hören sind.
4) Spielt ohne Metronom, sondern übernehmt Verantwortung fürs Metrum!
Übung dazu: Die eine Hand klopft deutlich hörbar auf einem Oberschenkel das Metrum / den Puls des Stückes. Singt dazu die Melodie des Stückes und stellt fest / probiert aus, wie Ihr gerne das Tempo haben wollt, so daß es dem Charakter des Stückes angemessen ist. Dabei auf absolute Gleichmäßigkeit in Tempo & Lautstärke der klopfenden Hand achten - niemals "automatisch" klopfen, sondern das Klopfen immer wahrnehmen! Könnt Ihr das - also gleichmäßig klopfen plus das Stück dazu singen (genaue Tonhöhen sind nicht erforderlich, ein skizzierendes Brummen reicht völlig), dann ersetzt Ihr das Singen durch Spielen mit der anderen Hand (klopfen tut Ihr nach wie vor). Auch hier die ganze Zeit das Klopfen wahrnehmen und nicht leiser oder langsamer oder schneller werden! Dann für das Einzeln-Üben der anderen Hand Seiten tauschen. Schließlich ohne Klopfen beide Hände zusammen spielen.
Tempohalte-Schwierigkeiten kommen sehr oft daher, daß man nicht gelernt hat, selber einen Puls zu fühlen und zu erzeugen. Dies kann mit Obigem gut üben.
Mit Metronom üben ist wie Fahrradfahren mit Stützrädern. Da muß man möglichst schnell von weg.
LG,
Hasenbein