Ich muß schlicht nachfragen
Hallo Mindenblues,
ich denke, wir reden einfach vonverschiedenen Epochen: Du von Deinen gegenwärtigen Erfahrungen, ich von meinen weit zurückliegenden Erinnerungen an meine Zeit als Dorforganist (Ende der 60er, Anfang der 70er). Wenn ich damals gelgentlich versuchte, Deinem Ansatz zu folgen und während des Abendmahls irgendeinen Bachband aufzuschlagen, gab es einen Verweis wegen Störung der Konzentration auf das Wesentliche; der Meister hatte sich mit dem Platz vor und nach dem Gottesdienst zu begnügen. Stattdessen ließ man die Gemeinde lieber iterativ laut, falsch und viel zu langsam versichern, wie sehr doch "glänzet Christen inwendiges Leben / obgleich sie von außen die Sonne verbrannt". Katechese durch Gesang (die Lieder konnte *man* natürlich auswendig, und überallumherschweifend waren die Blicke der ehrbaren Matronen und giftigen alten Schachteln, ob es etwa jemand nötig hatte, ein Gesangbuch aufzuschlagen) war neben der Predigt und der sog. Christenlehre (wo die Lieder gelernt wurden) eines der drei Hauptinstrumente religöser Unterweisung nach der Zeit des Konfirmandenunterrichts. Vielleicht war das eine Extremform, die mit der starken rationalistischen Tradition in der weiland markgräflich-ansbachischen Kirche zu tun hatte.
Daß heutzutage die Praxis vor und während des Abendmahls sogar in den Kernlanden des bayr. Protestantismus anders ist, ist mir nicht entgangen, und ich konstatiere nur vor dem Hintergrund von Gomez' Ausführungen, daß damit ein, sagen wir mal, quasi-katholisches "zeichenhaftes" Element in die Gemeindemusik hineingekommen ist, in dem man ein Stück formaler ökumenischer Annäherung sehen könnte, weil es das es früher eben nicht gab (nota bene in meiner Region; die Zersplitterung protestantischer Formen ist natürlich in Rechnung zu stellen). Einen "Nachholbedarf" auf wessen Seite auch immer: hilfe - nein, in solch normativen Kategorien betrachte ich die Sache nicht; eher als der brechtsche "rauchende Zuschauer". Was die historische Entwicklung insgesamt betrifft, hast Du zweifellos recht, generell lag der Nachholbedarf in punkto Kirchenmusik auf katholischer Seite; aber immerhin ist da seit dem Konzil doch etliches geschehen.
>Realpräsenz (was für ein Wort - "Real" im >Zusammenhang mit Dingen, wo es um "Glauben" geht, nebenbei...)
Nicht von mir, sondern Theologenjargon; ich kann Zeugen aus beiden Fakultäten dafür anrufen, um Deinen Zorn von mir abzuwenden :)
Es wäre im übrigen interessant zu hören, ob ähnliche kirchenmusikalische Tendenzen auch bei den "echten" Reformierten vorhanden sind, wo die Wortzentriertheit traditionell ja noch größer ist.
Wer weiß, am Ende einigen sich Lutheraner und Reformierte gar auf eine "protestantisch-ökumenisch" Variante des alten Kampfliedes das da lautet (zu singen auf die Melodie "nun danket alle Gott"):
Die Reformierten sind mit uns vom Papst geschieden /
und dennoch leben wir mit ihnen nicht in Frieden. /
Zum einen lehren sie die Gnadenwahl nur schlecht /
zu andern feiern sie das Abendmahl nicht recht.
Friedrich