Unterricht mit jungen Kindern mit geringer Aufmerksamkeitsdauer

Tastatula

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Ihr Lieben,
Nun unterrichte ich schon seit einigen Jahrhunderten, allerdings überwiegend erwachsenere Schüler oder solche im Teeniealter.
Ganz selten, wie jetzt gerade, läuft ein junges Kind über meinen pädagogischen Weg. Gerade im Verlust der Milchzähne seiend, ist dieses fantasievolle Junge nicht in der Lage, sich länger als zwei Minuten am Klavier zu konzentrieren, wenn ich ihm etwas Neues beibringen möchte. Ich nutze jede Sekunde, die mir bleibt, dann wechseln wir wieder zu spielerischen Dingen, wie Singen, Rhythmusklopfen, Geschichten erzählen - musikalisch.
Interessanterweise ist dieses Junge durchaus fleissig und kann immer seine Hausaufgaben. Ich finde allerdings, dass ich, wegen dieser wirklichen Minispannen der "Arbeitsphasen" sehr mühsam nur vorwärts komme.
Vielleicht ist das ok. Manchmal sitzt das Junge auch am Klavier und sagt, es möchte jetzt nicht Klavier spielen.
Die Atmosphäre im Unterricht ist durchaus positv, das Kind ist zugewandt, erfindet dauernd seine eigene Realität (sagt z.B. dass es Schlagzeugunterricht habe, dass es Blockflöte schon fast fertig gelernt hat...was alles nicht stimmt)
Habt Ihr irgendwelche Ideen, wie man solch jungen Kindern es schmackhaft machen kann, sich etwas länger auf etwas einzulassen?
Letztens hatte ich haribo auf dem Tisch stehen. Da fragte es, ob es eines haben dürfe. Ich sagte ihm: Ok, wir machen diese Aufgabe noch gut zu Ende und dann darfst du gerne eines haben. Das hat funktioniert.
Da dieses Kind sehr spannend ist, und ich mit solchen Menschen noch nicht soo viel Erfahrung gemacht habe, also meine Frage an Euch Wissende.:-)
 
Kann dir Erfahrungen mit meiner Tochter (ähnliches Alter) bieten.
Wenn ich meine, jetzt passt sie gar nicht mehr auf, fällt mir ständig vom Stuhl und sonst was: am nächsten Tag weiss sie alles, was ich ihr da erzählt habe und kann es umsetzen.
Was bei ihr super klappt: emotionale Verbindung zu einem Stück schaffen. Bei dem Piano Star Band von ABRSM sind immer farbige Zeichnungen zum Stück. Wir nehmen das dann als Bilderbuch und die Musik erzählt die Geschichte dazu. Bei Noten ohne Bildern klappt es dann mit zusätzlicher Info: für wen wurde das Stück geschrieben? Ist es ein Tanz, wie tanzt man das?
Was sie auch gern mag ist Echo singen und klatschen. Vierhändig spielen mag sie nicht so sehr, nur wenn sie ganz lieb zu mir sein will.
 
Wenn du den Unterricht planst, denk mal in Gegensätzen. Zum Beispiel:

Am Klavier - nicht am Klavier (stattdessen: Am Tisch, im Raum bewegen / stehen, unter dem Flügel, auf dem Stuhl...)
Intensivphase - Entspannungsphase
Genau deiner Anweisung folgen - eine frei zu gestaltende Aufgabe "bearbeiten"
Du entscheidest - Schüler entscheidet
Reden - nicht reden (kannst du drei Minuten ohne zu sprechen Unterrichten? Kann er das "Spiel" mitmachen, nicht zu reden?)
Selber spielen - Zuhören
Stärken fördern - Schwächen fördern

Sowie überlegen, was man alles mit Musik machen kann:

Am Klavier Spielen - Hören - Zuhören - Erfinden - Aufschreiben - Lesen - Singen - dazu bewegen - Musik verändern (Transponieren, einzelne Töne verändern etc.) - darüber sprechen etc. etc.

Auch kleine (Musik-)Spiele am Tisch einbauen, die "spannend" sind, wo man etwas erschaffen, gestalten oder herausfinden kann, aktiv sein kann.
 
Generell brauchen Kinder kurze Sequenzen und viel Abwechslung - und eine erfinderische flexible Lehrkraft. Ich kann mir gut vorstellen, daß kleine Spiele umfunktioniert werden können.
Ein musikalisches Memory, Karten ziehen lassen..Noten würfeln.
Bewegungsmöglichkeit ist ganz wichtig. (Es gibt auch Kinder, die generell mit/ unter Bewegung besser lernen!)
Die Gedächtnisleistung ist tatsächlich manchmal phänomenal.

Aus dem Sprachlehrkästchen: ich mache zur Zeit Deutsch per Skype mit den Enkeln. Die 6jährige, als sie sich nicht sicher war/ was nicht gleich wußte (als Jüngste die Ehrgeizigste):
„Augenblick, Oma, ich glaube da möchte jemand unbedingt Deutsch mit Dir machen“ und rief ihre Schwester. Ich bin auf das Ablenkungsmanöver nur abwinkend eingegangen und schwupps war die Konzentration wieder da. Will heißen: da geht mehr, als man manchmal vordergründig meint.
 
Ich sage das ohne Bitterkeit oder Hass:

Heutige Kinder sind einfach sehr oft verkorkst. Aus den offensichtlichen Gründen: ballaballa Eltern, Bildschirmmedien, zu wenig frische Luft und Bewegung, falsche Ernährung usw.

Man muss das wirklich nicht verklären, indem man das Kind als "sehr spannend" oder so was darstellt. Nein, sorry, es ist leider ein entwicklungsgestörtes Kind.
 
Will man Kindern heutzutage das Klavier spielen vernünftig beibringen, hat man glaube ich sehr schnell einen Anwalt am Hals.
 
Das ist doch jetzt eine Quatschdiskussion.

Wenn das Kind letzte Woche und heute sagt "Keinen Bock auf Klavier!", heißt das dann, das Kind will doch nicht Klavier lernen, und man sollte den Unterricht beenden?

Natürlich nicht.

Also ist offensichtlich die Einordnung "Kind will (oder will nicht) Klavier lernen" nicht ganz so einfach, Ihr Schlauberger...
 

Es könnte sich auch um eines der zahllosen Kinder handeln, die einfach noch "coronageschädigt" sind: zwei Jahre lang keinen kontinuierlichen Schulunterricht hat in den Klassen meiner Kinder (die wesentlich älter sind) eine Spur der Verheerung angerichtet. Die Kinder müssen eine klassische Unterrichtssituation überhaupt erst wieder lernen. Grundschullehrer in meiner Familie erzählen, gerade die Kleinen, die jetzt teilweise zwei Kindergartenjahre großenteils verpasst haben, haben teilweise die Schulbasics (still sitzen, warten bis man dran ist, eine Aufgabe erledigen, sich Sachen zurechtlegen...) überhaupt nicht lernen können.

Vielleicht musst du dem Kind einfach noch etwas Zeit geben.

Und alle, die hier auf die verzogenen heutigen Kinder schimpfen: für die Kinder waren die letzten beiden Jahre furchtbar und eine normale Kindheit völlig unmöglich. Dafür können die Kinder (und auch ihre Helicoptereltern, deren helicoptern als Homeschoolinglehrer ja nun zwei Jahre erwartet und erwünscht wurde) am wenigsten.

Vielleicht ist es übrigens ja auch ein hyperaktiven Kind, das zwischendurch immer wieder Bewegungseinheiten braucht.
 
@hasenbein und noch ein paar andere: es geht um ein sehr kleines Kind, maximal erste Klasse vom Alter her. Die kleinen leben absolut im Moment: wenn das Kind sagt: ich will nich Klavier spielen, dann stimmt das absolut im Moment. Aber 5 Minuten später kann es das wichtigste im Leben überhaupt sein. Damit muss man als Lehrer umgehen können! Meinen Respekt an alle, die es hinbekommen! Und nein, das war früher auch nicht anders.
 
Deshalb muss ein so kleines Kind auch überhaupt keinen Klavierunterricht bekommen. (Genausowenig wie Chinesischunterricht, Ballett oder ähnlichen Käse.)

Einzige Ausnahme: Wenn das Kind von sich aus außergewöhnliches Interesse / außergewöhnliche "Begabung" zeigt bei gleichzeitig überdurchschnittlicher Reife / Konzentrationsfähigkeit.
 
Das seh ich übrigens auch so. Mein Sohn wollte mit 6 Jahren bereits Klavierunterricht haben, konnte sich aber kaum 10 Minuten konzentrieren. Er ist jetzt auch nicht von sich aus stundenlang ans Klavier gegangen und hat es "erforscht " (wie ich im Kindergarten), so dass ich tatsächlich ihn erst mit 8,5/9 Jahren, als er sich zumindest mal ne halbe Stunde konzentrieren konnte angemeldet habe. Und selbst da war es eine Herausforderung für seinen KL. Man muss ja nicht sofort springen, wenn sein Kind was möchte!
 
Das:
Deshalb muss ein so kleines Kind auch überhaupt keinen Klavierunterricht bekommen. (Genausowenig wie Chinesischunterricht, Ballett oder ähnlichen Käse.)

Einzige Ausnahme: Wenn das Kind von sich aus außergewöhnliches Interesse / außergewöhnliche "Begabung" zeigt bei gleichzeitig überdurchschnittlicher Reife / Konzentrationsfähigkeit.

wollte ich damit:
Wenn man jemandem Klavierspielen beibringen will läuft schon was verkehrt.

Die Person sollte es es lernen wollen, sonst hat das doch alles gar keinen Sinn.

sagen.
 
@hasenbein Bei Klavier keine Ahnung, bei Ballett solltest du eher schon früher anfangen. Aber der Ballettunterricht läuft dann natürlich angepasst ans Alter ab.
@Muck Wenn der KL auf kleine Kinder unterrichten spezialisiert ist, hätte es geklappt. Wenn sich dein Sohn erst mit 8 Jahren eine halbe Stunde konzentrieren konnte, wie habt ihr da die Schule geschafft?
Was mich bei KLs wundert: Spezialisierungen sehe ich da selten. Es macht doch einen riesen Unterschied pädagogisch, welches Alter, Level und Intentionen (einfach so oder Prüfungsvorbereitung) ich unterricht?
 
Wenn sich dein Sohn erst mit 8 Jahren eine halbe Stunde konzentrieren konnte, wie habt ihr da die Schule geschafft?
War nicht einfach. Ihm wurde damals ADHS diagnostiziert, was ich ehrlich nicht geglaubt habe. Konzentration war aber echt bis 9 heftig. Vor den Hausaufgaben hats mir immer gegraut... Mit 11 Jahren alles gut. Er ist/war halt so.
 
@hasenbein Bei Klavier keine Ahnung, bei Ballett solltest du eher schon früher anfangen. Aber der Ballettunterricht läuft dann natürlich angepasst ans Alter ab.

Genau. Ballettunterricht bei den ganz kleinen ist dann auch kein eigentlicher Ballettunterricht, sondern Kindertanz. Wenn's an saubere Tendus geht, sind sie schon etwas älter.

Die Entsprechung zum Klavierunterricht wäre, erstmal ein paar Jahre nur Klatschen und Singen, bevor es "ernst" wird.
 
Man muß so aufpassen, was man sagt und tut, Helikoptereltern sind überempfindlich. Disziplin einzufordern wird schon mitunter als übergriffig empfunden.

Helikoptereltern sind die nervende Minderheit. In den vielen Jahren, die ich jetzt unterrichte, hatte ich nur zwei. Bei der einen hatte das Kind angeblich ADHS, war aber im Unterricht begeistert dabei. Die stressende Stimmung hat die Mutter erzeugt, indem sie, auch auf Kosten des Kindes, in den Unterricht eingriff.
(Damals war ich noch zu jung, und war noch nicht professionell genug, das zu unterbinden)
Die andere hat von der ersten Stunde an die Klavierschule bemeckert, dass da keine "Lieder" drin stehen, und wäre am liebsten 24/7 beim Unterrichten daneben gesessen (was ich nach 3 Stunden, in denen auch das Kind genervt war, freundlich unterbunden habe).
Beide Kinder (um die 8 Jahre) waren nicht ein halbes Jahr bei mir.
Ich unterrichte nur Kinder, die schon lesen können. Früher traue ich es mir nicht zu, und möchte das ehrlich gesagt auch nicht.
 

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