Ich werde natürlich einen Deibel tun und die offensichtlich unseriösen Machenschaften dieser Münchner Dame zu relativieren. Klar ist, dass ihr Geschäftsmodell nicht darauf basiert, aktiv Karrieren aufzubauen und Konzerte eigenständig zu vermitteln, sondern einige Selbstläufer hat und ansonsten ihren 'Retainer' kassiert.
Die schon angesprochene Naivität junger Künstler muß aber in den genannten Fällen schon außergewöhnlich hoch gewesen sein, wenn man einen Vertrag mit dieser Agentur unterschreibt.
Ein Blick auf die Website und man sieht 12 Sänger, 20 Instrumentalisten und 5 Dirigenten/Komponisten. Und im Impressum sieht man, dass es ein Einzelunternehmen ist und genau ein weiterer Mensch genannt ist, für Finance and Administration. Da sollte die erste Alarmglocke losgehen. Es ist
unmöglich, auch nur einigermaßen seriös 37 Künstler zu vertreten, wenn man nicht eine entsprechende Anzahl an Mitarbeitern hat, die verantwortlich für einige wenige Künstler sind.
Den wenigsten ist klar, was zum Großteil die Arbeit eines Agenten ausmacht: Persönliche Meetings mit Veranstaltern zu arrangieren, mit ihnen zu telefonieren, einfach regelmäßig in Kontakt bleiben, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Um sich dann dennoch, egal wie toll der vertretene Künstler (geschweige denn 37) ist, eine Absage nach der anderen zu holen:
- Saison ist schon geplant
- Passt inhaltlich nicht
- Haben schon Ensemble mit gleicher Besetzung
- Kennen den Künstler nicht
- Hatte noch keine Zeit, mir eine Aufnahme anzuhören
- Muß ich erst mal selbst im Konzert hören
- Habe keine Zeit, ein Konzert zu besuchen
- Weiß von anderem Veranstalter, dass der Künstler schwierig ist
- Klaviertrio geht bei uns nicht, es passen keine drei Flügel auf die Bühne
- Honorar viel zu hoch
- Uninteressantes Repertoire
Die Liste kann man beliebig weiterführen, Gründe für eine Nichtverpflichtung werden sich immer finden lassen.
Und dann muß man überhaupt mal jemanden erreichen, idealerweise zu einem Zeitpunkt, wo auch tatsächlich eine Entscheidung zur Verpflichtung eines Konzertes getroffen werden kann. Die Begründungen dafür, warum man mit einem bestimmten Menschen nicht sprechen oder sich treffen kann, sind genauso abenteuerlich wie aber auch manchmal verständlich, was nichtsdestotrotz am Ende eines Arbeitstages dazu führt, dass man sich zwischen 95 und 100% Absagen holt.
Wunden lecken und am nächsten Tag weitermachen. Das ist Alltag eines Agenten.
Und dann kommen noch Künstler hinzu, die einen mit ständigen Nachfragen nerven, denen man Absagen sauber kommunizieren muß oder die das Zahlen der Provision für optional halten. Oder noch schlimmer, Ehe/Lebenspartner eines Künstlers, die viel Zeit haben und ständig anrufen, jammern, drohen, nerven.
Dann noch Material für einen Veranstalter vorbereiten, Fotos auftreiben, Biographien aktualisieren, Webseiten aktualisieren, mit Kollegen im Ausland sprechen oder gleich selbst mal für ein paar Tage ins Ausland reisen.
Und dann möchte ein Künstler natürlich auch betreut werden. Üblicherweise macht man das gerne, wenn man den Künstler eh mag und ihn gut findet. Aber da wird man dann mal eben sehr schnell zum Mädchen für alles. Da sind Reisen und Hotels buchen noch das einfachste. Visa besorgen schon nicht mehr so sehr. Mal ein wenig Geld vorstrecken, Chauffeur spielen, dafür sorgen, dass der Künstler nach einem Konzert verausgabt ist und unbedingt sofort ein Bier braucht. Oder ein Flügel derart beschissen gestimmt ist, dass man verzweifelt in der Pause selbst auf die Bühne rennt, um auch nur die übelsten Sachen auszubügeln. Tonaufnahmen organisieren oder selbst machen, vervielfältigen, weiterreichen, Interviewtermine organisieren, idealerweise nicht nur Konzerte vermitteln, sondern auch gleich die ganze PR übernehmen.
Alles selbst miterlebt - und das Geschriebene ist nur ein Bruchteil dessen, was da noch an weiteren Arbeiten anliegt, wenn man's einigermaßen seriös und gescheit machen will. Nach 5 Jahren in dem Business war ich fertig und komplett ausgebrannt und habe einen Schlußstrich gezogen.
Es ändert michts daran, dass dieser Job trotzdem ein toller ist, wenn man mal ein paar Erfolge erlebt hat, also Vermittlung an ein namhaftes Orchester, wichtigen Veranstalter oder auch nur einfach ein beglückend schönes Konzert eines seiner Künstler. Wer diese Begeisterung nicht unmittelbar versprüht, ist kein Agent, dem sich ein junger Künstler anvertrauen sollte.
Vielleicht können wir ja einfach gemeinsam einmal eine Checkliste erstellen, was man in einem Gespräch mit einem potentiellen Agenten erwarten darf und was sofort Alarmglocken auslösen sollte. Ein 'Retainer' ohne Garantie ist jedenfalls nichts, worauf man sich einlassen sollte.