Tropenfestigkeit beim Klavier

Klavirus

Klavirus

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Hallo, beisammen,

seit April habe ich mein Feurich, wie berichtet. Bisher brauchte noch kein Stimmer ins Haus, weswegen ich die erste Stimmung auf den Herbst verschoben habe:).

Im Inneren ist ein Schild angebracht: "Dieses Klavier ist tropenfest". Mich würde interessieren, welche Besonderheiten beim Bau und welche Auswirkungen das hat. Ist es deswegen so stimmstabil, dass es den Transport und die schwankende Luftfeuchtigkeit so gut wegsteckt? (war bei der Hitze bei uns unterm Dach extrem trocken, um die 30%RF)

Wer weiß etwas? Vielen Dank!

Klavirus
 
hab mal gegoogelt und nur gefunden: "alle Verleimungen sind tropenfest". Bedeutet wohl, dass der Leim sich auch bei hohen, feuchten Temperaturen nicht löst.
 
EIen "amtliche" Definition von "tropenfest" kenne ich nicht, aber neben den Verleimungen muss es auch damit zu tun haben, dass "kritische" Bauteile wie Stimmstock und Resonanzboden hohe (undeoder wechselnde) Temperaturen vertragen können und auch mit wechselnden Luftfeuchten klarkommen, ohne das Reißen zu bekommen.

Denn "Tropisch" heißt nicht nur "heiß" , das heißt auch "mal hohe Luftfeuchte " (Südostasien zB phasenweise gern 90-95-100%) und dann in NIcht-Regen-Zeiten auch mal andere Daten zur LF.

Mitunter wird das per laminierter Soundboards erzielt, oder indem das Soundboard gleich aus carbonfaserverstärktem Kunststoff gefertigt wird (das US-System "Phoenix", was Steingraeber anbietet)

Die Problematik "Stimmstock an mal nasser, mal trockener Luft" ist heutzutage ganz soo heikel wohl nicht mehr, da man mit Delignit bzw. vielfachen Schichtaufbauten von kreuzverleimten Schichten arbeiten. Klassische Resonanzböden aus Bergfichte pflegen jedoch Wechselfeuchte mitunter übelzunehmen..

Meines Wissens muss man daher zB bei Steinway eigens dabeisagen, ein tropenfestes Instrument haben zu wollen: deren Standard-Stimmstock hat "nur" fünf oder sieben Schichten, und der Lack auf dem Soundboard ist dann wohl auch ein anderer. UU gibt es noch mehr Detailmodifikationen für "tropenfest" - ggf. fragen. Bzw. die, die ein als "tropenfest" ausgewiesenens Instrument haben, werden hochvermutlich keine entscheidenden Nachteile darin haben.

Aber die, die das nicht lesen, werden fragen müssen, ob sie bei der Versetzung zB ins brasilianische Tochterwerk ihren Flügel schadfrei (Garantie?) mitnehmen dürfen..
 
Hi Klavirus, ruf doch einfach den Julius Feurich an.
 
Danke für Eure Antworten.
Fisherman: so dringend ist es doch auch wieder nicht, es gibt ja keine Probleme. Und das ist es ja, was mich stutzig macht! (Manchem kann man es nie recht machen, was?) Alle wundern sich, dass das Klavier nach dem Transport noch nicht verstimmt ist- bzw. nicht merklich... man gewöhnt sich vll., der Stimmer wirds schon merken.

Was ich wissen wollte, ist, ob die spezielle Verarbeitung direkt was mit der Stimmhaltung zu tun hat. - (Oder einfach: es ist halt ein Feurich! :rolleyes:)

Klavirus
 
He Clavirus - Du hast ein Plaste-Elaste-Crabon-Klavier erwischt ... (kann ja nix echtes sein, wenn es sich nicht verstimmt) :D
 
Fisherman, heute ganz vornehm? Clavirus?

Klar echt Plaste und Elaste! Naja, es ist ganz sicher ein wenig verstimmt, aber solche Ohren wie die unseren hören das gar nicht. Nur Klavierflüsterer-Ohren.

Klavirus

PS: den Trabi-Motor habe ich aber ausgebaut und duch echt Rolls Royce ersetzt!
 
Ich finde deine Beschreibung zur Verstimmung des Klaviers sehr relativ. Vielleicht gibt es ja viele Klavierspieler, die die Verstimmung deines Klaviers schon deutlich stören würde. Ich bin da sehr empfindlich und sowie auch nur ein Ton nicht mehr chörig rein gestimmt ist, habe ich massive Probleme mich damit abzufinden, und werde das dann auch beheben.

Tropenfest sind viele Klaviere und Flügel. Das heißt aber nicht umbedingt, dass sich LF-Schwankungen weniger auf die Stimmung auswirken! Das bedeutet lediglich, dass man das Klavier auch konstant bei einer höheren LF oder niedrigenen LF nutzen kann, ohne dass es einen Schaden davon trägt (Resonanzbodenrisse etc.).

Falls das hier schon einmal im Thread geschrieben wurde, so bitte ich um Entschuldigung, ich habe ihn mir nicht komplett durchgelesen.
 
"Tropenfest " steht besonders bei älteren Klavieren.
Bei extremen Trocken- Hitze- und Feuchtigkeitsbedingungen sind Leimstellen starken Beanspruchungen ausgesetzt. Wasserfeste Leime wurden im Klavierbau früher gar nicht verwendet. Daher wurden viele, normalerweise nur verleimte Teile einfach zusätzlich verschraubt. In der Regel erkennt auch der Laie im Flügel oder Klavier, dass beispielsweise die Rippen extra angeschraubt sind. Man sieht es, wenn man auf den Resonanzboden blickt. Dort wo normalerweise eine große, glatte lackierte Holzfläche das Innenleben schmückt, befinden sich in unregelmäßigen Abständen Schrauben - oft Messingschrauben. Zusätzlich sind viele Teile, die normalerweise nur aus Stahl bestehen, vernickelt. Teilweise wurden sogar die Blanksaiten vernickelt.

LG
Michael
 

Ja, ja, einst als man noch vom "Platz an der Sonne" träumte und es sich die Nashorntrophäe neben dem ausgestopften Nilkrokodil im Salon gemütlich machte :D

"Älter" ist relativ, Sesam. Gibt's den "Platz an der Sonne" nicht auch heute noch? Ich bin in diesem Punkt grausam schlecht informiert, da ich seit über zehn Jahren Fernsehverzichter bin.
Der Hinweis "Dieses Klavier ist tropenfest / finished for use in the tropics" findet sich typischerweise, wohl als Marktvorteil gedacht, in Klavieren der 70/80er Jahre aus Langlau, also Euterpe, Hoffmann, Haegele, Feurich. Find ich nicht sonderlich alt - aber ich bin halt ein Kind der 50er...

Und ich bin tatsächlich aufgewachsen mit einem richtig alten tropenfesten Klavier. Marke M.F.Rachals & Co., Hamburg, Baujahr 1912. Außen sah dieses ganz wie ein normales altes 130cm-Klavier aus. Aber im Inneren wurde ein extrem steifer Eisenrahmen verwendet, innerhalb dessen das Instrument geradsaitig bespannt war, noch dazu mit recht kurzen Saiten (ca. einem modernen 100cm-Klavier entsprechend). Und der Basssteg hatte keine Brücke. Der Klang war gut und voluminös, verbunden mit der typischen Knochigkeit der Geradsaiter. Und in der Tat, wie Michael schon sagte, die Rippen waren sämtlich zusätzlich verschraubt. Und außerdem waren rückseitig noch Querverstärkungen über dem Stegverlauf angebracht.
(Demnächst trage ich ein paar Erinnerungsfotos nach.)

Mein Vater kaufte dieses Klavier ca. 1955 einem geschäftlich wie privat befreundeten Nachbarn ab, der längere Zeit in Honduras (Mittelamerika) gelebt hatte.


Gruß
Martin
PianoCandle


... Klang hält viel aus
 
Eine sehr aufwändige Tropenausführung hat die Firma Langer einst in Repetitions-Mechaniken verbaut. Selten zu sehen!
Alle verleimten Filze und Leder wurden nicht nur verleimt, sondern zusätzlich genäht oder genagelt.

Hier die Bilder dazu...

3.jpg


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5.jpg


7.jpg


LG
Michael
 
Danke für die Bilder, ist völlig irre! Was es nicht alles gibt.

Gruß
Thilo
 
Alle verleimten Filze und Leder wurden nicht nur verleimt, sondern zusätzlich genäht oder genagelt.

Eine ketzerische Frage, Michael: angenommen, der Leim löst sich auf: bleibt die Mechanik dann aufgrund der mechanischen Befestigungen spielbar?
Dann könnte man sich den Leim eigentlich doch gleich sparen?

Ignorante, aber gelehrige Grüße,

Friedrich
 
... angenommen, der Leim löst sich auf: bleibt die Mechanik dann aufgrund der mechanischen Befestigungen spielbar?
Dann könnte man sich den Leim eigentlich doch gleich sparen?

Hallo,
ich würde vermuten, dass der Leim ja nicht verschwindet, wenn er bei tropischem Klima zwischendurch erweicht wird. Durch die zusätzliche Befestigung bleiben die Filzteile ungefähr dort wo sie hingehören bis der Leim wieder fest wird.

Das ist nur eine Vermutung, die mir im ersten Moment eingefallen ist.

LG
Thomas
 
Thomas hat den Nagel auf den Kopf getroffen. :D
Löst sich der Leim, würde der Filz runter fallen und das Werkl spielt nicht mehr. Durch die "Sicherung" kann das nicht passieren und man kann weiter spielen bis entweder der Leim wieder an zieht oder der Techniker kommt und etwas Leim dazu tut.

Friedrich, ohne Leim gehts nicht. :p Da würde es nurmehr klappern.
:klavier:

LG
Michael
 
Rachals, tropenfest, 1912

Hallo -
so, nun liefere ich, wie weiter oben angekündigt, ein paar Bilder hinterher.
(Worum es geht: https://www.clavio.de/forum/165110-post12.html)

Auf dem ersten Bild könnt ihr die solide geradsaitige Panzerrahmen-Konstruktion recht gut erkennen, und auch die moderne Unterdämpfungs-Mechanik. Auf dem zweiten und dritten die recht große Höhe und das klassisch-dekorative Design - mit einem Tick ins nüchtern-international "Kaufmännische", wie ich finde. Das dritte Bild zeigt meine beiden Geschwister und mich in der Kinderzeit zusammen an dem Klavier. Ich bin der ganz hinten, der in die Luft guckt...


Gruß
Martin
PianoCandle


... und aus Früher wird Jetzt
 

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