Technisches Ritardando ?

- dass man mit Stücken ja nie "fertig" wird. Irgendwas geht immer besser und das entscheidende Wörtchen ist "kann". Wann kann man ein Stück ? Wenn man 90% unfallfrei spielen kann ? Wenn auch die letzte dynamische Anweisung befolgt und das Pedal himmlisch bedient wird ? Wenn man alle Töne getroffen hat ?
Ich traue mich zwar nicht, präzise zu definieren, wann man ein Stück kann. Aber man kann es noch nicht, wenn es eine Stelle gibt, an der man IMMER hängen bleibt.

Es ist meiner Meinung nach (insbesondere für Laien) nicht nötig, dass jede Stelle jedes Mal funktioniert, um zu sagen, dass man ein Stück "kann".
 
Jedesmal, wenn ich mich durch eine schwierige Stelle durchpfusche, übe ich damit Fehler und mache es schwieriger, die Stelle später zu lernen.

Zum Üben des Vorspiels nimmt man besser Stücke, die man bereits kann.

Im Unterricht kann man vorher kommunizieren, wenn eine Stelle noch nicht geht und dann mit KL abstimmen, mit welcher Option man umgeht, diese verpfuscht zu spielen.
 
Wobei pfuschen „können“ auch hilfreich ist. Nicht dass man ständig was pfuscht das ist klar! Aber wenn man es im Unterricht vorspielt und es geht noch nicht soll ich weiterspielen und lernen mich drüberzuhangeln statt rauszufliegen. Das zu „können“ find ich nicht unwichtig…..
 
Abram Chasins erzählt in seinem lesenswerten Buch 'Speaking on Pianists' folgende Anekdote, die man nach Geschmack deuten kann:
In einem seiner Stücke hatte er einen Höhepunkt komponiert, der - technisch sehr anspruchsvoll - mit allargando bezeichnet war (also langsamer und lauter). Horowitz, dem er das Stück zeigte, spielte es einige Tage später privat für ihn und spielte - was Chasins für unmöglich gehalten hatte - diesen Höhepunkt technisch überwältigend mit accelerando.
Die Reaktion war bewundernder Zweifel an der Musikalität des Übeltäters.
 
Im Unterricht kann man vorher kommunizieren, wenn eine Stelle noch nicht geht und dann mit KL abstimmen, mit welcher Option man umgeht, diese verpfuscht zu spielen.
Finde ich auch die beste Option. Zum einen merken KLs sowieso, wo und warum es hakt, egal ob man drüberspielt oder langsamer wird. Die haben dafür sehr feine Riecher, auch bei all den Stellen, die scheinbar gut klappen. Zum anderen kommen solche Problemstellen, wenn ein KL zuhört, besonders gut raus (Vorspieleffekt). Das ist gerade das Gute daran, weil man dadurch weiß, wo es noch hakt. Der KU als schonungsloser Aufdeckungsprozess :-).

Bei ganz normalen Zuhörern spiele ich über nicht-funktionierende Stellen einfach drüber. Hauptsache, der Gesamtzusammenhang im Stück bleibt erhalten.

In dem Moment wo die Stelle naht und man weiß, ich bin zu schnell für das was ich geübt habe ist es ja zu spät für die obigen "Lösungen" und was macht man dann ?
In diesem Moment sage ich, während ich spiele, "das kann ich jetzt noch nicht" und spiele sie mehr schlecht als recht oder auch ganz langsam.
Danach frage ich direkt nach Lösungs- und Übetipps für diese Stellen.

Interessanterweise laufen aber vermeintlich technisch schwierige Stellen viel besser, wenn ich viel allgemeinere Interpretationstipps umsetze. Also gar nicht die technischen, sondern die musikalischen Empfehlungen der KL.
 
KL kommt, ich WILL zeigen was ich geübt habe.
P.S.: .... davon muss man sich vielleicht lösen. Vielleicht den Fokus mehr auf eine gemeinsame Arbeit an der Musik, auf die gemeinsame Liebe zur Musik und die Interpretation legen. Dein Ziel ist es, Deinen Skriabin oder Deinen Beethoven (was spielst Du denn gerade?) so zu spielen, wie es Dein inneres Idealbild verlangt, und nicht, um einem KL etwas zu zeigen. Und ein KL (der diesen Prozess selbst seit Jahrzehnten täglich durchläuft) soll Dir dabei helfen, dieses Idealbild zu erreichen, u.a. indem er blinde Flecken sichtbar macht und Dir konstruktive Tipps gibt.
 
Im Unterricht würde ich auch so vorgehen, dass man sagt: ab Takt 30 kann ich es noch nicht im Tempo, deshalb ab T. 28 langsamer und ab 33 wieder a tempo. Und dann auch ganz bewusst die Änderungen spielen. Der Lehrer merkt doch ohnehin, was gut geht und was nicht. Temposchwankungen würde ich nicht grundsätzlich "mitüben", das sollte (wie Hasenbein anmerkte) eben bewusst passieren.
 
absolute Priorität vor dem Tempo! Falsche Bewegungen - und Du kannst dann langsam oder schnell spielen, da wird nix draus.
Aber dafür gibt‘s Klavierlehrer, das zu erklären.
frühzeitig Erfahrung sammeln will mit dem Vorspielen eines neuen Stücks
(Immer diese ewige Vorspielerei…)
Denn meist ist nicht die Motorik das Problem, sondern das Denken ist zu träge …
Absolute Priorität vor der Motorik. Und da hilft auch zum Beispiel lautes Zählen. Bis hin zum Hochgeschwindigkeitszählen von @Alter Tastendrücker (Boppard, Mai 2023).
——
Problemstellen für eine definierte Zeit bewußt in „Quarantäne“ stecken; die betreffenden Takte vom Rest isolieren. Diese nach allen Regeln der Kunst beharken - vor allem: nicht immer wieder zusammen mit den „leichten“ Stellen „durchspielen“ - da lernt man nur die leichten Stellen immer besser zu spielen und die schlechten bleiben schlecht (Graham Fitch)
—-
Das ist jetzt schon speziell: schnelle Sprünge bei ansonsten sehr langsamem Metrum. (@Carnina sprach das oben an, Methode auch nachzulesen bei Graham Fitch)
 
Das ist jetzt schon speziell: schnelle Sprünge bei ansonsten sehr langsamem Metrum.
wobei ich vergessen hatte dass man nicht nur schnell springen soll, sondern dort angelangt sofort entspannen üben soll. Das ist wohl der limitierende Faktor. Also nicht draufhauen und festhalten. Sondern nur hinhüpfen und dann spielen als wär man die ganze Zeit schon da gewesen oder so ähnlich hab ich das verstanden.

Was ist Hochgeschwindikeitszählen? @Debösi @Alter Tastendrücker
 
angenommen eine schnelle 8er Gruppe aus 16teln 1-2-3-4-5-6-7-8 laut mitzählen - grob erklärt.
Das muss man selbst schon mal üben.
Eine gute Übung. Ich hab es für mich mal aber in dem Sinne vereinfacht angewendet, dass die Zunge weniger sich potentiell verhaspelnd zu tun hat. Also eher nur so ein Lippensprech mit immer gleichen Lauten. Auch schon bei 1-2-3-4 dann nur Ta-Ta-Ta-Ta oder noch einfachere Laute nur vorne mit den Lippen. Geht ja nicht um korrekte Zahlenfolgen, sondern um Gleichmäßigeit von Tönen. Oder ist das dann weniger wirksam als Übung?
 

8er Gruppe aus 16teln 1-2-3-4-5-6-7-8 laut mitzählen
Statt auf 8 (sieben hat 2 Silben!), besser 2 mal auf vier zählen.
Das sehr schnelle Mitzählen von 16teln u. Ä. habe ich als hilfreich erkannt, als ich noch als Student, eine spanische Professorin (Rosa Sabater) dabei beobachtet habe, wie sie bei Chopin Etüden (z. B. op. 10,4) fast im Originaltempo mit solmisiert hat, d. h. zu jeder 16tel den Notennamen gesprochen hat! Es war absolut erschreckend. Französische Musiker können das auch, aber mit dieser trockenen Präzision habe ich das nie wieder erlebt.
Da ich solmsieren auf diesem Niveau für außerhalb meiner Fähigkeiten erkennen musste, habe ich begonnen - erfreulicherweise mit gutem Erfolg - die 16tel einfach metrisch mitzusprechen.
 
@Alter Tastendrücker : 1-2-3-4 - gute Idee, auch wenn ich als Bayer ("sieben" --> "sibmn", bekenne mich schuldig - ) weniger Probleme hätte auf 8 zu zählen.
Werde die norddeutsche Version gerne testen
 
a) wenn die benötigte Zeit vorhanden ist
b) wenn's schneller sein muss.
 
@Alter Tastendrücker Grundsätzlich ja, aber das war auf @Carnina s Beschreibung bezogen und bei der Übung ist per Definition viel Zeit vorhanden. Würde man dann nach a) üben, auch wenn beim Vorspiel b) nötig ist?
 
Heißt das:
a) Hinhüpfen, die Bewegung komplett stoppen, Tasten anschlagen, oder
b) Hinhüpfen und die Hüpfbewegung in die Anschlagsbewegung überführen?

ich mache beides. Aber letzteres dann nicht mehr bewusst und nur wenn ich a genug gemacht hab.

Wenn ich was langsam übe und es ganz frisch ist, dann probiere ich die Stelle mit einer Hand aus und gucke wo ich Zeit verliere. Diese Stelle Versuch ich dann mit a) zu sichern. Also schnell und sicher dort sein, dann spiele ich ab der zielstelle weiter und überlege welche Handposition würde ich verwenden würde wenn ich dort beginnen würde. Und dann schau ich mir an wie ich von A nach B komme, um bei B dann möglichst in der Ausgangslage zu sein die mir ermöglicht entspannt dort weiterzuspielen.

Und die zweite Sache ist dass ich gedanklich nie „ins Klavier“ spiele sondern immer aus dem Klavier. Ich glaube das deckt dann bei dir den Punkt b) ab. Aber über den denke ich nicht nach. Ich springe jedenfalls gedanklich nie von einem Punkt ab (sofern die Ausgangs Note nicht sowieso einen Akzent bekommen soll) sondern bin gedanklich beim nächsten schon „dort“. Man kann ja auch blitzschnell ein Glas auffangen bevor es runterfällt. Da denkt man auch nur an „ich hab’s“ und nicht daran dass man erst vom Sessel aufspringen muss oder dass man es nicht zerdrücken sollte.

Aber wie gesagt keine Ahnung, das ist nur das was ich mache wenn ich an solchen Stellen bin und meine das so verstanden zu haben. Und ich kann nicht sagen ob ich das richtig verstanden habe noch ob ich es richtig erkläre.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich würde unterscheiden zwischen technisch schwierig und physikalisch unmöglich. Mein Gitarrenlehrer sagte mal treffend: "ich kann die Hand ja schließlich nicht da hin beamen."
Dabei ging es um weite Lagenwechsel. Da man auf der Gitarre kein Pedal hat, fällt der Rat von mick leider aus.

Wenn man verlangsamen muss, dann vor dem Sprung. Oft kann man das dann gesanglich gestalten. So war der Rat meines Gitarrenlehrers.
Ein Sänger kann große Sprünge auch nicht durch "umschalten" bewältigen. Irgendwie muss die Spannung der Stimmbänder da hinübergleiten.

Wenn du aber in eine schwierige Stelle reinstolperst, verspannst und dadurch langsamer wirst, wird das jeder merken.
Bei "technischem Ritardando", dachte ich erst an diese Empfehlung meines Gitarrenlehrers.
 

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