Technisches Ritardando ?

ChristianN

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Der KL meiner Jugend hat immer wenn ich bei technisch schwierigen Stellen langsamer geworden bin gesagt: "Du machst wieder technisches Ritardando".

Ansich ein lustiger Begriff und was er eigentlich sagen wollte war "Du musst die Stelle besser üben", hängen geblieben ist aber "Man darf auf keinen Fall das Tempo verringern bloß weil es grad mal schwierig ist".

Mein derzeitiger Klavierlehrer sagt, wenn ich (oft) mit Vollgas ins Verderben stolpere ohne auch nur einen Gedanken an eine Reduzierung des Tempos zu verschwenden: "Im Straßenverkehr fährst Du doch auch langsamer wenn es kurvig wird oder Dein Fahrzeug der Straßenbeschaffenheit einfach nicht gewachsen ist.". Stimmt, da fahre ich seit Jahrzehnten unfallfrei, höchstwahrscheinlich wg. angepasstem Tempo, Beim Autofahren herrscht - zum Glück - quasi eine Art Null-Fehler-Toleranz.

Frage an die KL hier:

- Was machen Eure Schüler, brezeln die voll durch ohne Rücksicht auf Verluste oder mutieren die Stücke zu einem Monster-Rubato ?
- Wie handhabt ihr dieses Problem pädagogisch bei Euren Schülern ?

Das Thema ist inzwischen fast ein Dauerbrenner in der KS und ich komme aus meiner Haut einfach nicht heraus. Mir widerstrebt das Verringern des Tempos an schwierigen Stellen so dermaßen, dass ich mich meist für "im Tempo durchpfuschen" entscheide... Leider hört man in beiden Fällen, dass ich die Stellen nicht kann, also Pest oder Cholera...von den Lernfolgen eines solchen Vorgehens mal ganz abgesehen.

- Gibt es Strategien mit diesem Dilemma umzugehen ?

Freu' mich auf Eure Beiträge...

p.s. Sicher kommt jetzt "Problemstellen mehr üben" und "von vornherein langsamer anfangen", aber diese Lösungen lassen sich ja nur a-priori anwenden. In dem Moment wo die Stelle naht und man weiß, ich bin zu schnell für das was ich geübt habe ist es ja zu spät für die obigen "Lösungen" und was macht man dann ?
 
Wenn Du also an Deinem Klavier sitzt und die Übesession beginnst, dann tue, was Du gerne magst, z.B. gerne das Stück in einem Rutsch spielen, egal, was passiert. Dann erinnerst Du Dich an die Stellen, an denen Du es vergeigt hast und die nimmst Du Dir mit der Lupe vor.
Dann übst Du langsam und genau, achtest auf Choreographie, Fingersdatz, auf entspanntes Atmen - ja, wichtig! -.
Dann bettest Du die schwierige Stelle in den Kontext ein.
Dabei ist wichtig, die Übergänge ebenfalls langsam zu spielen, damit sich ein gleichmässiges Gefühl für die Stelle einstellt.
Dann erhöhst Du das Tempo für diese Stelle mit Übergängen.
Wenn Du dann neuerlich das ganze Stück spielst, dann wählst Du von Anfang an das Tempo, das Du spielen kannst. Soviel Disziplin kann sein.
Das schaffst Du!
Wenn Du es willst.
Und schwierige Stellen muss man immer extra üben, das ist normal.
 
Verteufeln würde ich das „technische Ritardando“ im Übestadium übrigens nicht: Es funktioniert ja als Übemethode auf dem Weg zum Ziel. Denn die meisten Klavierschüler werden bei schwierigen Stellen schneller und verlieren dabei die musikalische und technische Kontrolle. Wenn du langsamer wirst, behältst du in der Regel die Kontrolle. Als Zwischenschritt kann das also durchaus sinnvoll sein.
 
Zuletzt bearbeitet:
Da man selbst, gerade wenn es stressig wird nicht auch noch auf die Tempokontrolle achten kann, muss man dafür sorgen, dass Beschleunigen und drüberpfuschen schwierig bis unmöglich wird. Der Appell an die Disziplin geht oft ins Leere.
Sehr zuverlässig bremst das laute und deutliche Mitzählen in kleinen Einheiten; z. B.: Grieg Zug der Zwerge, bei der Stelle mit den Oktavsprüngen links zählt man gerne Achtel oder Viertel, aber 16tel zählen bremst zuverlässig ab und gliedert die sonst gerne mal verschmierten 32tel. Auch 'Akzente' auf Pausen, oder das Empfinden für die kleinen Zählzeiten zwischen den Schlägen (1UND2UND mit kräftiger Betonung auf UND) ist hilfreich. Wichtig auch überall und immer stoppen zu können. Wieder Zug der Zwerge, gleiche Stelle: immer direkt vor dem 2. Achtel stoppen, also nach dem vierten 32tel. Vierten Finger als letztem Anschlag sicher einsetzen!
 
Zuletzt bearbeitet:
In dem Moment wo die Stelle naht und man weiß, ich bin zu schnell für das was ich geübt habe ist es ja zu spät für die obigen "Lösungen" und was macht man dann ?
...dann "macht man" das, was man selber angeleiert hat: zuverlässig verkacken/verpfuschen. Unweigerlich.

"Kann" man einen Abschnitt irgendeines Stücks (noch) nicht im angemessenen/erforderlichen Tempo, dann ist es halt noch nicht vorspielreif. Peng. Aus. Mehr gibt es dazu eigentlich nicht zu sagen.

Mir widerstrebt das Verringern des Tempos an schwierigen Stellen
mir auch - nur deine "Lösung" (irgendwie durchpfuschen) widerstrebt mir genauso.

die klassische - und unwiderlegbare! - Variante ist
schwierige Stellen muss man immer extra üben, das ist normal.
und zwar sollten sie so lange extra geübt werden, bis sich die verfrühte (!!!) Tempofrage gar nicht mehr stellt.

Was du beschreibst, ist ist doch der typische Ungeduldsfall: man kann 90%, aber buhu 10% wollen noch nicht im Tempo gelingen - warum zum Teufel irgendwen mit der Vorführung der noch ungekonnten 10% behelligen und nun zu hoffen, es gäbe Kniffe/Tricks, wie man das kaschieren könne?

Nebenbei: man knackt keine schwierige Stelle, ohne ihr motorisch UND musikalisch auf die Schliche zu kommen. Der motorische Aspekt (wie kriegt man dies oder jenes hin) ist die eine Seite, der musikalische (warum muss das gerade hier gerade so sein?) ist der andere. Begreift man Sinn und Folgerichtigkeit einer "schwierigen Stelle", näher man sich ihr ganz anders - verständiger - als wenn man nur eine ärgerliche Hürde darin sieht.
 
"Kann" man einen Abschnitt irgendeines Stücks (noch) nicht im angemessenen/erforderlichen Tempo, dann ist es halt noch nicht vorspielreif. Peng. Aus. Mehr gibt es dazu eigentlich nicht zu sagen.
Völlig richtig, sehe ich auch so... und trotzdem tritt der Fall immer wieder auf und sei es im wöchentlichen KU ("vorspielreif" ist da gar nicht das Problem): Neues Stück, teilweise geübt, vorne besser als hinten, KL kommt, ich WILL zeigen was ich geübt habe. Vorne geht schon besser, also will ich nicht in Zeitlupe "vorführen" und Bums...Problem ;-). Und dafür beziehe ich (leider) regelmäßig zu Recht Schelte vom KL.

nur deine "Lösung" (irgendwie durchpfuschen) widerstrebt mir genauso.
Als eine "Lösung" würde ich das nicht bezeichnen, eher als einen der beiden schlechten Auswege.

Was du beschreibst, ist ist doch der typische Ungeduldsfall: man kann 90%, aber buhu 10% wollen noch nicht im Tempo gelingen
Korrekt, exakt, besser kann man es nicht auf den Punkt bringen. Mich hat eigentlich interessiert ob das ein weiter verbreitetes Problem ist und wie andere mit der Situation umgehen. Dass hier im Forum ein "Lösungsersatz" für ordentliches langsames Üben aus einem Post herausfällt habe ich nicht erwartet ;-)

warum zum Teufel irgendwen mit der Vorführung der noch ungekonnten 10% behelligen und nun zu hoffen, es gäbe Kniffe/Tricks, wie man das kaschieren könne?
Dafür könnte es schon Gründe geben, z.B.
- dass man bereits frühzeitig Erfahrung sammeln will mit dem Vorspielen eines neuen Stücks (z.B. "Übeabend")
- dass man als übezeitlich limitierter Spaß-Spieler trotzdem mal "Literatur" spielen will, obwohl da aktuell ungelöste (manchmal unlösbare) Aufgaben lauern
- überhaupt mal die (für Amateure) wenigen Gelegenheiten etwas vorzuspielen zu nutzen
- dass man mit Stücken ja nie "fertig" wird. Irgendwas geht immer besser und das entscheidende Wörtchen ist "kann". Wann kann man ein Stück ? Wenn man 90% unfallfrei spielen kann ? Wenn auch die letzte dynamische Anweisung befolgt und das Pedal himmlisch bedient wird ? Wenn man alle Töne getroffen hat ? usw... (Diese Diskussion wurde hier ja schon geführt.)

Ich denke mir manchmal, wenn ich ansatzweise der Meinung bin ich "könnte" ein Stück (was fast nie vorkommt), dann wird es Hunderttausende geben, die sich denken "Der weiß gar nicht wie schlecht er es kann. Der merkt's nämlich gar nicht, weil sein Horizont nicht erlaubt das zu sehen was wir sehen.".


In jedem Fall Danke für die "klare" Formulierung !
 
Dass hier im Forum ein "Lösungsersatz" für ordentliches langsames Üben aus einem Post herausfällt habe ich nicht erwartet
Wobei pauschal „langsam üben“ auch zu einfach ausgedrückt ist. Ich bin unlängst auf den Trichter gekommen dass man grottenfalsch langsam üben kann. Mir fällt es jetzt leichter zu denken „ich über die Schwierigkeit im langsamen Tempo“. Weil wenn man blitzschnell woanders sein muss, hilfts nicht viel wenn man es einfach so langsam übt dass man nicht mehr blitzschnell sein muss.
Da gingen mir neulich ein paar Lichter auf. Zwar „wusste“ ich das aber begriffen hatte ich es nicht.
 
Dafür könnte es schon Gründe geben, z.B. (........)
Das ist mir zu viel Hintertürchenphilosophie.

Willst du einen Abschnitt, der dir noch nicht im Tempo gelingt, dennoch integrieren, dann versuch, ihn leicht reduziert (paar unwichtige/unbequeme Töne auslassen) im Tempo zu spielen; also bastel dir für so einen Fall eine "erleichterte" Version, die du zuverlässig hinkriegst. Das ist besser, als am originalen Klaviersatz verpatzten - quasi die Korrepetitor-Methode für "vorspielen", und solche Notlösungen kannst du auch im Unterricht zeigen (a la "so gelingts mir, aber das und das muss ich auslassen im Tempo")

Mussorgskis/Rachmaninov "Gopak" (Transkription) hat gegen Ende links eine gräßlich weitgriffige Stelle - die meisten Ausgaben bieten da eine ossia Variante. Das wäre ein Beispiel zur Orientierung.

Natürlich funktioniert das nicht in irgendwelchen Glitzerkadenzen/Passagen ohne dass es auffällt. Geht also nicht überall.
 
Und wenn es denn wirklich notwendig sein muß, wg. technischer Probleme das Tempo zu reduzieren, dann strategisch vorgehen: sich einen Plan machen, an welchem Punkt man anfängt, „unmerklich“ langsamer zu werden, damit es so klingt, als sei es aus interpretatorischen Erwägungen so gewollt … Ist zwar nicht die feine pianistische Art, aber immer noch besser, als die Schleuderpassage im Tempo zu verkacken.
 
quasi die Korrepetitor-Methode für "vorspielen", und solche Notlösungen kannst du auch im Unterricht zeigen (a la "so gelingts mir, aber das und das muss ich auslassen im Tempo")
das würde übrigens im Unterricht eine - deine - akribische Beschäftigung mit dem Klaviersatz demonstrieren und das kann nützlich sein:
- du zeigst dein subjektives Auffassen von "was ist problematisch, was klappt nicht" (was nebenbei nicht die Ursache sein muss, die kann oft ganz woanders liegen)
- du zeigst deine dir mögliche (Not)Lösung und damit, was dir bei der speziellen Stelle gelingt und was nicht (das ist hilfreich, um Probleme einzugrenzen)
- wenn die Notlösung sich bzgl Dramatik/Ausdruck/Wirkung nicht zu weit vom Original entfernt, zeigst du - wirklich viel an Verständnis - - wenn die Notlösung ... bescheide klingt, dann ist die Stelle offensichtlich für dich nicht nur manuell schwierig
 
Weil wenn man blitzschnell woanders sein muss, hilfts nicht viel wenn man es einfach so langsam übt dass man nicht mehr blitzschnell sein muss.
Diese Diskussion habe ich kürzlich auch wieder. Auf den Hinweis eine Stelle langsam zu üben habe ich entgegnet "Der Sprung wird doch nicht dadurch schneller, das ich ihn verlangsamt übe". Mitunter (!, nicht immer) ist der Bewegungsablauf schnell anders ist als langsam. Wir haben uns dann auf "schnell springen, langsam spielen/üben" geeinigt und das ist denke ich genau das was Du sagst. Der Körper lernt die Bewegung schnell und das Gehirn hat genug Zeit mitzukommen.

sich einen Plan machen, an welchem Punkt man anfängt, „unmerklich“ langsamer zu werden, damit es so klingt, als sei es aus interpretatorischen Erwägungen so gewollt
Ach wie schön. Hatten wir exakt letzte Stunde... Empfehlung war, vorher gezielt ritardieren, dann entspannter die Problemstelle spielen und dazu noch so tun als ob gewollt.

Natürlich funktioniert das nicht in irgendwelchen Glitzerkadenzen/Passagen ohne dass es auffällt. Geht also nicht überall.
Vorschlag ist gut, aber ich könnte mir vorstellen, dass das generell erst ab einem bestimmten Schwierigkeitsgrad der Stücke funktioniert. Mit anderen Worten: "Es muss auch was zum Weglassen da sein." ;-)
 

Langsamst (!) spielen, damit man die zielgerichtete Bewegung im Voraus planen kann, so daß man sie auf den Punkt und blitzschnell ausführen kann. Und dann kommt es darauf an, das Denken und Planen zu beschleunigen. Denn meist ist nicht die Motorik das Problem, sondern das Denken ist zu träge …
 
Ist die Not am größten, ist das Pedal am nächsten. Mit diesem Leitsatz klappen auch schwierigste Stellen im Tempo!
Gut, dass es jemand mal ausspricht :021:

...kann halt oft genug deutlich gegen die Intention des Originals sein...
Klar, aber wir reden ja eh von Notlösungen ...

Wie ist denn so das Verhältnis zwischen den "Ritardierern" und den "Durchpfuschern" ?
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich kenn noch einen Spruch „Schwierigkeiten kenn ich nicht, lieber spiele ich falsch!“ 🤓😇
 
Einfach sich diese 2 Fragen stellen:

1) Nehme ich im Moment des Verlangsamens oder Schnellerwerdens oder Unrhythmisch-Spielens wahr, dass ich es tue? (Bzw.: Tue ich es vielleicht ohnehin bewusst?)

2) Könnte ich das Stück oder die Passage des Stücks in einem langsameren Tempo strikt "in time" bzw. mit korrektem Rhythmus durchspielen?

Bei 2x "JA" ist alles in Butter.

Bei mindestens 1x "NEIN" (oder "Öhm, ich glaube...") liegt etwas grundsätzlich im Argen, und Du übst falsch.
 
Klar, aber wir reden ja eh von Notlösungen ...
wenn die Notlösung sich bzgl Dramatik/Ausdruck/Wirkung nicht zu weit vom Original entfernt, zeigst du - wirklich viel an Verständnis - - wenn die Notlösung ... bescheide klingt, dann ist die Stelle offensichtlich für dich nicht nur manuell schwierig
Offensichtlich hatte ich was empfohlen? Etwa Temporeduktion? Nein! Die "Notlösungen" im Tempo, wenn es um - warum auch immer - durch/vorspielen geht.
Willst du einen Abschnitt, der dir noch nicht im Tempo gelingt, dennoch integrieren, dann versuch, ihn leicht reduziert (paar unwichtige/unbequeme Töne auslassen) im Tempo zu spielen; also bastel dir für so einen Fall eine "erleichterte" Version, die du zuverlässig hinkriegst. Das ist besser, als am originalen Klaviersatz verpatzten - quasi die Korrepetitor-Methode für "vorspielen", und solche Notlösungen kannst du auch im Unterricht zeigen (a la "so gelingts mir, aber das und das muss ich auslassen im Tempo")
 

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