Talent wird überbewertet

DonMias

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Hallo miteinander,

in einem anderen Faden, den ich zwar gebannt verfolge, zu dem ich mangels Kenntnissen und Fähigkeiten aber nichts beitragen kann, und den ich daher auch nicht mit OT belasten möchte, bin ich auf folgende Aussage gestoßen:
Ich finde Begabung ist mit das gefährlichste Konzept. Der Mensch, der "einfach so" alles kann, den gibt es nicht. Da steckt immer eine Menge Arbeit - teils halt im frühkindlichen Alter, wenn man das noch nicht so empfunden hat - dahinter. Und dieses nicht-existente Ideal-Fantasy-Konzept emporzuheben führt nur dazu, dass man denkt, dass die eigene Arbeit am Spiel sich nicht lohnt. Aber das stimmt nicht, es lohnt sich total. Dauert nur manchmal halt Jahre.
Diese Aussage von jemandem, der mit Sicherheit mehr von der Materie versteht als ich, spricht mir aus tiefster Seele. Immer wieder lese ich hier (und anderswo) von "Talent", das man eben "hat oder nicht". Und immer wieder wollte ich dazwischen gehen. Jetzt - ermutigt von @alibiphysiker - traue ich mich und konstatiere:

Talent wird überbewertet

Zumal die Frage, ob man dieses ominöse, aber eher undefinierte Konzept überhaupt benötigt. Und wenn ja, wozu?

Im (anvisierten) Profi-Bereich mag es evtl. so gerade noch sinnvoll sein, sich die Frage nach dem eigenen Talent zu stellen, bzw. sie von anderen beantwortet zu bekommen. Das kann und will ich hier gar nicht beurteilen.

Mir geht es vielmehr um den Amateurbereich. Und da habe ich das Gefühl.

Talent wird fast immer als Ausrede verwendet.

Die, die meinen es zu haben, ruhen sich drauf aus. Wozu mehr, anders oder besser üben, wenn man doch Talent hat?
Die die es nicht haben, behaupten, sie könnten es nicht so gut, weil sie kein Talent haben, dabei üben sie vielleicht einfach nur falsch oder zu wenig um so zu spielen, wie die angeblichen Talente.
Und dann gibt es sogar immer wieder die Fälle, in denen anderen ihr vorgebliches Talent fast schon vorgeworfen wird ("Wenn ich so viel Talent hätte, ja dann ...") und die sich genötigt fühlen, es abzustreiten. (einmal dürft ihr raten, auf wen ich hier anspiele).

Wie seht ihr das?
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich sehe da kein Widerspruch zu dem was ich und @alibiphysiker betr. Begabung geschrieben hat.

Zitat aus Wiki:
Mit Begabung oder Talent wird ein Aspekt bezeichnet, welcher zu besonderer Leistungsfähigkeit einer Person auf einem bestimmten Gebiet beiträgt. In Abgrenzung zu erlerntem Wissen und durch Übung erlangte Fähigkeiten, ist Begabung eine besondere Anlage einer Person, auf dem entsprechenden Gebiet vergleichsweise schnell Fortschritte zu machen sowie ein überdurchschnittliches Leistungsniveau erreichen zu können.

Was z.B. Mozart in seinem kurzen Leben auf dem Gebiet Musik geleistet hat, dafür hätte ich trotz fleissig lernen und üben u.U. fünf Leben gebraucht. Das andere Extreme ist, gib mir genug Zeit, dann erreiche ich alles .... ja nu, wieviel Zeit ..... 100 Jahre ;-)
 
Zuletzt bearbeitet:
Warum sollte im Amateuerbereich Talent nicht auch wichtig sein?

Was saugferkel in 1 Jahr erreicht, ich würde mich schwertun das nach 3 Jahren hinzubekommen und müsste wohl jeden Tag 3h üben. Klar ist das auch Übemethodik etc., aber bei gleicher Übemethodik wäre er trotzdem x mal flotter.

Ich sehe es entspannt: Was bin ich im Leben schon verzweifelt bin, manchen Freunden Mathe/Physik/Informatik-Dinge beizubringen. Bei manchen dachte ich schon, der will mich doch jetzt verarschen, so dumm kann man net sein, ich kenn den doch. Mir ist das meiste davon einfach zugefallen.

Talent + harte Arbeit ist unschlagbar - ab einem gewissen Niveau kommt man ohne beide Dinge gar nicht weiter.
Mit harter Arbeit kann man zumindest ein gewisses Niveau erarbeiten, aber man sollte sich keine Illusionen machen gegenüber jemanden, der obendrein auch noch talentiert ist.
 
Ich interpretiere deine Aussage so:
Als Anfängerin neigte ich oft dazu, fast allen Amateuren, die besser spielten als ich, Talent zu unterstellen. Doch echtes Talent kommt vermutlich nicht so oft vor. Saugferkel hat es. Ansonsten hat es im Amateurbereich doch viel mehr mit dem Üben zu tun, vor allem mit der Effizienz des Übens.

Umgekehrt glaube ich, wird die Wichtigkeit des richtigen Übens unterbewertet. :idee:
Mein erster (studierter!) Klavierlehrer hat mir in meinem ersten Jahr keinerlei Übertipps gegeben! Man, hab ich mich abgerackert... Mit neuem (pädagogisch versiertem) Lehrer ging es schon besser voran.
 
Was z.B. Mozart in seinem kurzen Leben auf dem Gebiet Musik geleistet hat, dafür hätte ich trotz fleissig lernen und üben u.U. fünf Leben gebraucht.
Wie kannst Du das wissen? Bist Du von frühester Kindheit an so gefördert worden wie er?

Ich denke, dass "Talent" eine Tatsache ist.
Und genau da habe ich tatsächlich große Zweifel. In dem von @Steinbock44 genannten Wikipedia-Eintrag ist das unter "Kritik" ganz gut beschrieben:
Kritiker des Begabungskonzeptes heben hervor, dass im Unterschied zu körperlichen oder geistigen Leistungen, die beobachtet werden können, Begabung ein Konstrukt ist, mit dem beobachtete Leistungen erklärt werden sollen. Begabung ist im Sinne dieser Kritik nicht etwas, das man beobachten kann und das es empirisch gibt, sondern etwas, mit dem man Beobachtetes deutet, interpretiert, erklärt. Das Problem, diese gedankliche Konstruktion als Realität zu betrachten, stellt sich gemäß dieser Kritik so dar, dass man beobachtbare Leistungen mit einer vermuteten „Anlage“ verwechseln kann, wenn man Leistungen als den Ausdruck oder Nachweis von Begabungen ansieht. Es entsteht eine „zirkuläre Denkfigur“, bei der von Leistung auf Begabung geschlossen wird, diese jedoch als Begründung für Leistung herhalten soll, obwohl nur eines von beiden, nämlich Leistung, objektiv messbar ist.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Begabung#Kritik

Warum sollte im Amateuerbereich Talent nicht auch wichtig sein?
Weil es auf Amateur-Niveau meiner Meinung nach im Vergleich zur Qualität und Quantität von Üben und Unterricht von sehr untergeordneter Bedeutung ist.

Ich habe ehrlich gesagt sogar bei @saugferkel Zweifel, ob er tatsächlich außergewöhnliches musikalisches Talent hat. Vielmehr habe ich nach seinen Beschreibungen eher den Eindruck, dass er sich - auch außerhalb des Übens am - extrem viel mit seinen Stücken beschäftigt und offensichtlich - wenn er denn Zeit hat - auch extrem konzentriert und zielgerichtet übt. Wenn ich beispielsweise lese, dass er die Stücke immer und immer wieder im Auto hört und sich vorstellt, dass er sogar im Auto "Fingerübungen" macht (also im Prinzip mental übt), dann bin ich mir relativ sicher, dass er letztlich eben doch wesentlich mehr und intensiver übt, also viele andere.

@saugferkel, damit will ich Dein Klavierspiel in keinster Weise abwerten, im Gegenteil. Ich glaube nämlich nicht, dass Dir das alles so zufliegt, wie manche hier oft andeuten.
 
Vielmehr habe ich nach seinen Beschreibungen eher den Eindruck, dass er sich - auch außerhalb des Übens am - extrem viel mit seinen Stücken beschäftigt und offensichtlich - wenn er denn Zeit hat - auch extrem konzentriert und zielgerichtet übt.
Aber das genau bedeutet unter anderem "er hat Talent": Effizientes Ueben, wissen, was man tun musz, um etwas zu lernen, ohne dasz einem das staendig einer sagt. Fuer die gelungene Auffuehrung eines Stueckes im Konzert braucht man allerdings ganz verschiedene Talente, z.B. schnelle und genaue Auffasungsgabe, gutes Gedaechtnis, musikalische Vorstellungskraft, den Willen, genau und sorgfaeltig zu ueben, gute koerperliche Koordinationsfaehigkeit, musikalische Auffassungsgabe, ein sehr gutes Gehoer, Kreativitaet und wahrscheinlich noch viel mehr.
Talent heiszt eben nicht, dasz einem etwas "zufliegt",z.B. weil man die Noten nachts unter dem Kopfpolster liegen hat. So eine Art Talent habe ich bisher noch nicht getroffen. Selbst wenn es Auszenstehenden so scheinen mag, als ob jemandem die Noten durch den Kopfpolster in den Kopf gesickert waeren. Leider oder vielleicht zum Trost aller, ist das Wunschdenken.
Jannis
 
Menschen sind verschieden groß, manche haben Locken, einige kommen schon kurzsichtig zur Welt. Warum fällt es uns schwer, anzuerkennen, dass jemand ein besonderes Talent hat? Dass es tatsächlich auch zum Tragen kommt, hängt natürlich von äußeren Faktoren ab, und es braucht vor allem auch Neigung, also Wollen.

Ich finde es wichtig, meine Grenzen zu akzeptieren. Manch einer macht sich unglücklich, weil er nach etwas strebt, das ihm nicht wirklich liegt. Zwischen Wollen und Können ist halt oft ein tiefer Graben. Das ist doch überall so. Und zu spekulieren, was aus einem hätte werden können, wenn nur ... Was soll das bringen?

Ich musiziere, weil es mir Spaß macht. Was draus wird, wenn man sich drauf einlässt, weiß man nie. Talent ist ein Faktor. Man sollte ihn tatsächlich nicht überbewerten. Aber ignorieren kann man ihn auch nicht.
 
@DonMias
Bist Du Einzelkind?
Im Allgemeinen haben Geschwister schon unterschiedliche Begabungen.
War zumindest bei uns so. Wir bekamen auf allen Gebieten die gleiche Grundförderung.
Zur Musik: Ich mußte viel mehr üben, für viel weniger schöne Ergebnisse.
Inzwischen weiß ich, daß meine Schwester zwar begabter war als ich, aber es auch da immer noch Steigerungen gibt, die nicht einfach durch "mehr und besser üben" erklärt werden können. Begabung eben, die uns mit ins Leben gegeben wurde.
Es gibt Menschen, die haben die Musik "im Blut".

Vor kurzem hat mir eine alte Klavierlehrerin (weit über 80) das zweifelhafte Kompliment gemacht, daß sie sich vor Schülern mit meinem (etwas kräftigeren) Körperbau immer gefürchtet hat. Die konnten von den physischen Voraussetzungen her nie so gut und durchlässig spielen. Aha, nicht nur das Talent, sogar der Körperbau ist beim Kind schon ein ernstzunehmender Faktor. Genau wie beim Sport.

Auch wenn ich weiß, daß "ich nie KonzertpianistIn" werde, hab ich trotzdem Freude an meinen bescheidenen, durch viel Üben erarbeiteten Fortschritten, an der Klaviermusik im Allgemeinen und dem Klang unseres Flügels im Besonderen.

Mangelndes Talent kann einfach nur bis zu einem gewissen Grad durch Arbeit ersetzt werden. Das ist keine "Theorie", eher jahrzehntelange Lehr- und Lebenserfahrung.

LG Barbara
 
Ich finde ihr habt alle Recht. Natürlich sind Menschen unterschiedlich veranlagt. Dass das nicht messbar ist reicht als Begründung nicht aus, damit man das leugnen könnte. Ist ja auch ein spannendes Thema für die Hirnforscher.

Aber ja: Talent wird überbewertet. Das beweist auch der Umstand, dass "Wunderkinder" von "Normalokindern" eingeholt und auch überholt werden (egal ob in der Musik, Sport oder Wissenschaft...).

Und im Amateur- /Hobbybereich ist Talent völlig vernachlässigbar. Hier scheint mir das wichtigste die Motivation zu sein.
 

Interessant wären auch Korrelationsstudien: Musikalität-mathematische Begabung, und Musikalität-Intelligenz. Wobei zumindest ich die Erfahrung gemacht habe, dass viele intelligente Menschen auch eine gute musikalische Anlage besitzen, keineswegs aber alle Intellektuellen musikalisch sind. Ferner ist die "Gleichheitsthese" der 60er/70er- Jahre Unfug, die behauptet, dass alle Menschen musikalisch seien. Die Musikalität ist m.E. genauso vielfältig, wie es die Menschen sind. Letztlich führt das in die Anlage-Umwelt-Diskussion der Psychologie, die auch dort nicht eindeutig beantwortet werden kann. Natürlich verhilft ein musikalisches Elternhaus Musikalität zu entwickeln, angefangen bei schon praenatalen Hörgewohnheiten, das Angeregtwerden durch die Eltern gute Musik zu hören und zu machen, etc.
Die genetische, bzw. vielleicht sogar epigenetische Komponente ist ja auch z.B. an Familie Bach hinreichend bekannt geworden.
Bei der musikalischen Anlage ist es wie in der Landwirtschaft: ein guter Boden und ein günstiges Klima sorgen dafür, dass Säen und harte Ackerarbeit schnellen und guten Erfolg zeigen.
Aber die Boden-und Klimabeschaffenheiten divergieren extrem, wie auch die "Ackerarbeit":faule Schüler verschütten mitunter eine hervorragende Anlage (eine Todsünde..), und sehr schwach begabte Schüler ackern bis über die Frustrationsgrenze. Daher ist es als Pädagoge wichtig, 1.) niemals die Begabung und Anlage, sondern stets nur den durch Fleiss erworbenen Erfolg zu belobigen, und 2.) talentfreien Schülern liebevoll zu vermitteln, dass es auch andere schöne Hobbys gibt; dass sie diese Zuneigung dann erst einmal in sich erhorchen müssen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich möchte hier mal kurz, nachdem ich diese Diskussion schon quasi angezettelt habe, mal meinen Standpunkt erörtern. Leider habe ich gerade nicht ausreichend Zeit um mir hier nun alle Beiträge durchzulesen und darauf einzugehen, aber ich hoffe dies noch nachholen zu können.

1.) Talent existiert, aber es kommt nicht aus dem nichts.

Natürlich gibt es "talentiertere" und "weniger talentierte" Menschen. Man muss sich dafür nur den Generalbassunterricht an Musikhochschulen anschauen. Manche Leute, welche noch nie zuvor mit Generalbass in Berührung kamen spielen bereits nach einigen Stunden sicher funktionierende Sätze, während andere nach einem halben Jahr des Generalbassunterrichtes noch immer nicht in der Lage sind flüssig Generalbasssätze zu spielen. Man sieht hier also, dass Menschen mit scheinbar (!) gleichen Voraussetzungen stark unterschiedlich schnell lernen. Was hier auffällt sind in erster Line nach meinem Empfinden zwei Dinge:
- Musikalisch "begabte" Jugendliche haben meist schon sehr begeistert, viel und eigeninitiativ Musik in früher Kindheit betrieben.
- Musikalisch "begabte" Jugendliche beschäftigen sich auch außerhalb des Unterrichts und der "Übezeit" intensiv, spielerisch, kreativ und eigeninitiativ mit den Inhalten.
- Die Begabung erstreckt sich meist nicht nur auf die Musik, die Menschen lernen generell auch in anderen Bereichen schnell.
Wenn man das so analysiert bin ich versucht zu behaupten: Talent ist einerseits die Gewöhnung an schnelles, kreatives, selbstreflektierendes Denken, welches sich nicht nur auf einen Lebensbereich erstreckt, gekoppelt mit einer hohen Motivation. Andererseits ist es auch der Vorsprung, welchen man mit diesem Prinzip bereits in früher Kindheit erreichen konnte.

Sprich, mir kommt es so vor: Jemand der "talentiert" ist, ist zu einem großen Teil auch einfach gewohnt sich selbstkritischer, intensiver, kreativer und ausdauerender mit dem "Stoff" auseinanderzusetzen. Es sieht nur danach aus, dass der talentiertere scheinbar weniger tun muss, eben weil er von kleinauf gewohnt ist mehr zu tun, und ihm das nicht viel ausmacht.

2.) Wird Talent überbewertet?

Nein, ich denke nicht. Wenn jemand wirklich talentiert ist im oberen Sinne, nämlich, in der Lage ist viel und kreativ zu arbeiten, und dies gleichzeitig auf diesem Themenfeld eigeninitiativ seit frühester Kindheit tut...dagegen kann man denke ich kaum Anstinken. Aber "kein Talent haben" wird meines Erachtens überbewertet. Wenn man etwas wirklich will, sich intensiv über den ganzen Tag mit etwas beschäftigt, davon überzeugt ist und das über Jahre durchhält kann man wirklich bemerkenswerte Resultate erzielen, obgleich man zu Beginn vielleicht nicht sonderlich viele Fähigkeiten hatte. Aber das erfordert halt harte und intensive Arbeit, die zu Beginn - wenn man es nicht gewohnt ist - vielleicht unangenehm ist, aber mit der Zeit gewöhnt man sich daran. Aber der Gedankengang, "dass man selbst untalentiert ist, anderen alles zufliegt, und es sich deswegen eh nicht lohnt" verhindert halt so ein Verhalten inhärent und wird damit zur self-fulfilling prophecy. Eine so intensive, spielerische und kreative Arbeit kann halt nur dann lange und ausdauernd betrieben werden, wenn sie einem wirklich Spaß und Freude bereitet, und man dahinter steht. Und das geht halt nicht, wenn man dauernd von Selbstzweifeln geplagt ist. Deswegen meinte ich: Talent ist ein gefährliches Konzept, wenn man es auffasst als "manche können etwas ohne was dafür zu tun, und ich armer Tor werde es nie können *schnief* ". Kinder denken ja auch nicht so, sie denken: "Juhuu, ein Klavier... *klimperklimperklimper* "

3.) Meine Erfahrungen

Ich möchte hier noch kurz meine Erfahrungen wiedergeben, weil ich denke, dass sie aufmuntern können. Ich hielt mich nie für stark musikalisch begabt, und vor 3 Jahren konnte ich gefühlt - ok ich übertreibe etwas, so schlimm war es nicht - nicht einmal die Subdominante von der Dominante unterscheiden. In meinem Freundeskreis befinden sich musikalisch stark begabte Menschen, unter anderem ein Student der Orchesterleitung, der nicht nur Partituren vom Blatt spielen kann, sondern gefült auch in jeder Stilrichtung absolut sicher und überzeugend improvisieren kann. Und natürlich ein untrügliches Gehör hat. Ich dachte da auch "Ok, die haben es, ich hab es halt nicht", und hab mich in Selbstmitleid suhlend auf diesem Status Quo ausgeruht, obwohl ich wirklich absolut unzufrieden damit war. Aber ich hab dann etwas nachgedacht, und mich damit beschäftigt, woher bei diesen Menschen diese "Begabung" kam. Und sie hatten alle irgendwie die selbe Geschichte, Eltern spielten Instrumente, sie saßen von klein auf spielerisch am Klavier, haben einfach alle Noten durchgespielt die es zuhause gab, und das waren bei den jeweiligen Fällen doch scheinbar recht viele, haben viel Musik gehört als Kleinkind, etc. Und dann hab ich an meine Kindheit zurückgedacht, und gesehen, dass es das alles nicht gab: Wir hatten keine Instrumente, ich war der erste in meiner Familie der ein Instrument spielen wollte, Noten hatten wir keine, CDs hatten wir keine, etc. Also woher sollte bitte die gewünschte musikalische Begabung kommen? Ich hab mir dann gesagt, dass ich es einfach versuche und mich so intensiv wie möglich, so lange wie möglich und so ausdauernd wie möglich mit Musik beschäftige. War am Anfang natürlich hart, weil ich gefühlt so viel "nicht konnte", aber mittlerweile bin ich selbst davon überrascht, was mir alles gelingt. Habe z.B. den ersten Satz der g-Moll Sonate in einer Woche gelernt und konnte ihn dann auch auswendig, den dritten Satz in 3 Tagen auswendig gelernt, war in den Gehörbildungsprüfungen sehr gut, etc. Das wäre noch vor einem Jahr undenkbar gewesen, und ich habe schon das Gefühl, dass es der Weg immer weitergeht. Und meine Quintessenz ist: Wenn man gut und schnell lernen kann, kreativ und intensiv arbeiten kann und an sich glaubt kann man auch in höherem Alter sehr viel erreichen. Man muss es halt nur tun. Und genau deswegen sollte man das Konzept des "Talents" nicht zu hochhalten, weil es als Ausrede dienen kann.
 
Zuletzt bearbeitet:
Vor kurzem hat mir eine alte Klavierlehrerin (weit über 80) das zweifelhafte Kompliment gemacht, daß sie sich vor Schülern mit meinem (etwas kräftigeren) Körperbau immer gefürchtet hat. Die konnten von den physischen Voraussetzungen her nie so gut und durchlässig spielen.

Da fallen mir aber auf Anhieb mehr als 10 großartige stark übergewichtige bis adipöse Pianisten ein, die dem widersprechen. Aber jetzt habe ich wenigstens ne Ausrede für mein Klavierspiel:-D.
 
Interessant wären auch Korrelationsstudien: Musikalität-mathematische Begabung, und Musikalität-Intelligenz. Wobei zumindest ich die Erfahrung gemacht habe, dass viele intelligente Menschen auch eine gute musikalische Anlage besitzen, keineswegs aber alle Intellektuellen musikalisch sind. Ferner ist die "Gleichheitsthese" der 60er/70er- Jahre Unfug, die behauptet, dass alle Menschen musikalisch seien. Die Musikalität ist m.E. genauso vielfältig, wie es die Menschen sind. Letztlich führt das in die Anlage-Umwelt-Diskussion der Psychologie, die auch dort nicht eindeutig beantwortet werden kann. Natürlich verhilft ein musikalisches Elternhaus Musikalität zu entwickeln, angefangen bei schon praenatalen Hörgewohnheiten, das Angeregtwerden durch die Eltern gute Musik zu hören und zu machen, etc.
Die genetische, bzw. vielleicht sogar epigenetische Komponente ist ja auch z.B. an Familie Bach hinreichend bekannt geworden.
Bei der musikalischen Anlage ist es wie in der Landwirtschaft: ein guter Boden und ein günstiges Klima sorgen dafür, dass Säen und harte Ackerarbeit schnellen und guten Erfolg zeigen.
Aber die Boden-und Klimabeschaffenheiten divergieren extrem, wie auch die "Ackerarbeit":faule Schüler verschütten mitunter eine hervorragende Anlage (eine Todsünde..), und sehr schwach begabte Schüler ackern bis über die Frustrationsgrenze. Daher ist es als Pädagoge wichtig, 1.) niemals die Begabung und Anlage, sondern stets nur den Erfolg durch Fleiss zu belobigen, und 2.) talentfreien Schülern liebevoll zu vermitteln, dass es auch andere schöne Hobbys gibt; dass sie diese Zuneigung dann erst einmal in sich erhorchen müssen.
Zumindest im Tanz mache ich immer wieder die Erfahrung, dass Kinder die Instrumente spielen auch im Tanzbereich viel erreichen und auch höhere Schulen besuchen.
Natürlich liegt all das meist auch im Elternhaus begründet.
Ich konnte über die Jahre aber auch beobachten, dass die Schülerinnen die am Begabtesten waren irgendwann das Interesse am Tanz verloren, während die mit etwas weniger Begabung mit so viel Herzblut dabei blieben, dass sie sehr lange begeistert und erfolgreich tanzten.

Im Klavierbereich kann ich da nicht so viel dazu sagen. Ich habe zeitgleich mit meinem Mann zu spielen begonnen, spiele jetzt sehr viel schwerere Stücke als er. Ich bin mir aber sehr sicher, dass das der mehr als doppelten Übezeit und dem regelmäßigen Unterricht geschuldet ist.
Eigentlich denke ich, dass er sehr viel mehr Talent hat.


Talent ohne Üben führt einen nirgendwohin. Gleichzeitig kann man mit Sicherheit weniger Talent durch viel Üben ausgleichen.
Lg
 
@Stephan
Voll einverstanden, bis auf den letzten Satz..
Ganz ehrlich: würde mir meine Klavierlehrerin jetzt egal wie "liebevoll" eröffnen, daß ich musikalisch talentfrei bin und mich auf ein anderes meiner vielen Hobbys konzentrieren soll, ich wäre am Boden zerstört. Als erwachsener freiwillig Lernender mit "Biß" weiß ich, daß ich auch ohne Talent/ Begabung bis zu einem gewissen Grad Erfolg haben kann.

Mich würde in Diesem Faden auch die Erfahrung und Meinung der Klavierlehrer interessieren.

Außerdem sollten wir vielleicht unterscheiden zwischen begabten/ weniger begabten Kindern und begabten/ weniger begabten Erwachsenen.

Traurig ist es, wenn Begabung (wie ich es, allerdings auf völlig anderen Gebieten, oft erleben mußte) nicht genutzt wird.
Ideal, wenn Begabung, Lebensumstände und Fleiß zusammenkommen.
Wichtig ist, aus allem das Beste zu machen und zufrieden zu sein ohne sich zufrieden zu geben.
LG Barbara
 
Es gibt mit Sicherheit den einen oder anderen Aspekt den man unter angeborenem Talent verbuchen könnte, aber ich halte eine generelle pauschale Aussage über Talent nicht für aussagekräftig genug im Bezug auf den Lernfortschritt. Ich nehme z.B. jede Woche vom Klavierunterricht Hausaufgaben mit nach Hause die ich binnen einer Woche (in den meisten Fällen nach 2 - 3 Tagen) in und auswendig kenne und spielen kann. Mein Klavierlehrer ist immer wieder erstaunt darüber, dass ich das so schnell drin habe.

Ich kann an der Stelle versichern, dass ich kein besonderes "Talent" dafür habe. Die Stücke sind sehr einfach weil ich eben noch nicht lange spiele und zum anderen ist etwas ganz anderes viel entscheidender meiner Meinung nach: Motivation. Ich habe einfach Bock darauf mich jeden Tag mit dem Klavier auseinander zu setzen, zu üben und mich weiter zu entwickeln. Und wenn man Lust zu etwas hat, ist man auch wesentlich konzentrierter bei der Sache und lernt dementsprechend schneller.
 
Ich habe in 35 Jahren schon einiges an Talenten und auch talentfreie Personen erlebt.

Mein Eindruck:
Es geht nicht um Talent. Es geht um Defizite.

Es gibt fleißige völlig talentfreie Eleven, die Großartiges erreichen. Der Ansporn (meiner Beobachtung nach): die Überwindung eines Defizites.

Es gibt Super-Begabungen, die lieber Diabolo statt ihr Klavierspiel perfektionieren, nur weil sie beim Diabolo in ihrer Koordination Probleme haben.

Die Beurteilung von "Begabung" ist im übrigen auch kritisch. EInige Kinder haben einfach "zufällig" die richtigen Ideen, das muss noch nicht einmal mit einer guten Beobachtungsgabe zusammen hängen. Man merkt das, wenn man versucht, diese Ideen noch zu verbessern um sie auf ein höheres Niveau zu bekommen. DAS ist oftmals sehr sehr schwierig bis unmöglich.

Achte Klavierstunde: die 6-Jährige hat begriffen, es gibt hohe und tiefe Töne, lange und schnelle, hat sich die "Für Elise"-Noten der Mutter geschnappt und huddelt das ganze Stück viel zu schnell runter. Falsche Fingersätze, falsche Betonungen, falsche Rhythmik, falsch gelernte Töne. Aber: erst einmal eine super Leistung. Nur absolut nicht ausbaufähig. Leider gibt es solche Leute. Mit neun Jahren habe ich sie raus geschmissen. Sie hat nichts gelernt. Klavierspielen fand sie doof und das einzige Stück, was sie je lernen wollte war "Für Elise". Sonst interessierte sie sich für NICHTS. Sie hat dann noch einige Impromptus gehuddelt, Sonaten usw... aber wenn etwas nicht beim ersten Mal klappte (maximal 3. Mal) blieb es eben so. Aber: Diabolo hat sie täglich trainiert und konnte alle Tricks, ohne Lehrkraft, ohne Anleitung, nur durch eigene Tüftelei...
 
Wow. Spannende Diskussion mit tollen Beiträgen. :super:

Ich will gar nicht leugnen, dass es etwas wie "Talent" gibt. Deswegen habe ich den Faden ja auch nicht "Es gibt kein Talent" genannt. Aber nach dem Lesen Eurer Beiträge komme ich zu der Überzeugung, dass ich den Gedanken, der mich diese Diskussion hat starten lassen, nicht optimal formuliert habe. Da gefällt mir die Formulierung von @alibiphysiker wesentlich besser:

Aber "kein Talent haben" wird meines Erachtens überbewertet.

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Menschen sind verschieden groß, manche haben Locken, einige kommen schon kurzsichtig zur Welt. Warum fällt es uns schwer, anzuerkennen, dass jemand ein besonderes Talent hat?
Zum einen, weil Haarfarbe, Größe etc. objektiv messbar sind. Talent nicht. Und zum anderen: Da gibt es meiner Meinung nach nichts "anzuerkennen", im Sinne von "bewundern". Anerkennen kann ich einen überzeugenden musikalischen Vortrag. Aber möglicherweise habe ich Dich falsch verstanden, und Du meinst mit "anerkennen" "akzeptieren, dass es das gibt". Dann: Siehe oben. :-)
Ich finde es wichtig, meine Grenzen zu akzeptieren.
Da stimme ich Dir zu. Aber bevor man sie akzeptiert, sollte man versucht haben, sie zu überschreiten.

Vor kurzem hat mir eine alte Klavierlehrerin (weit über 80) das zweifelhafte Kompliment gemacht, daß sie sich vor Schülern mit meinem (etwas kräftigeren) Körperbau immer gefürchtet hat. Die konnten von den physischen Voraussetzungen her nie so gut und durchlässig spielen.
Hm, könnten die im Durchschnitt anscheinend schlechteren Ergebnisse von kräftiger gebauten Schülerinnen und Schülern bei dieser KL nicht auch etwas damit zu tun haben, dass sie ihnen weniger zutraut? Wobei ich nicht bestreiten will, dass bestimmte anatomische Voraussetzungen zum Klavierspiel mindesten hilfreich sind.
 
Zuletzt bearbeitet:
@Village's Äußerung bezügl. der 80 Jährigen KL: der Körperbau ist völlig egal, man muss ihn in jedem Fall lernen zu überwinden und die Grenzen erkennen.

@Anerkennung des Talentes:
Als Kind "konnte" ich gewisse Dinge einfach. Dann kamen die Erwachsenen und meinten: Du bist aber ein fleißiges Mädchen, stunden lang Klavier üben ist sehr löblich, und: ich solle weiter "hart arbeiten", dann würde mal was aus mir.
Ich kam mir vor wie eine Hochstaplerin: ich habe NIE geübt und nie "hart gearbeitet"! Ja, ok, ich habe viel am Klavier gesessen, wollte irgend einen Sprung noch schneller spielen als die Polizei erlaubt, habe rum getüftelt, Spaß gehabt - wie andere mit ihrem Skateboard eben. Die "üben" ja auch nicht und "arbeiten hart". Die haben Spaß.
Und: ich habe immer gedacht: hä... das ist doch leicht, das kann doch JEDER. Das muss man einfach nut tun und machen. Das hat weder was mit Talent, Fleiß oder harter Arbeit zu tun.

Ich habe mich geschämt, weil ich die Leute in dem Glauben gelassen habe, ich wäre ein artiges, fleißiges und zielstrebiges Mädchen. Das Gegenteil war der Fall.
 

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