methodische Rekapitulation
Hier geht es in der Tat um essentielle Grundlagen des Klavierspielens - allerdings anhand eines Stücks was so ganz und gar nicht zum Einstiegsrepertoire ins Klavierspielen zählt.
(erst mal Verzeihung für einen kleinen Umweg)
Manche Kommentatoren fanden es unnötig, dass in Wagners Ring-Tetralogie immer wieder "Rekapitulationen" vorkommen, also irgendeine der Opernbühnenfiguren gibt eine Inhaltsangabe von sich; dass damit einerseits die Themenstruktur variiert und vertieft wird, hatte man übersehen - andererseits dienten die vielen integrierten Inhaltsangaben (Rekapitulationen) denen, die erst im dritten oder vierten Teil dazukamen (damals war es noch nicht wie heute üblich, auf einen Rutsch gleich alle vier Karten zu erstehen: damals gab es Einzelkarten)
ja, die Rigoletto-Parphrase zählt nicht ins Einstiegsrepertoire, wenn man ans Klavierspielen denkt:
im Zusammenhang mit der Paraphrase hier (über die ich eindeutig gesagt hatte, dass wohl 90 % aller Klavierspielenden mit ihr nicht glücklich werden)
aber sie zählt wegen ihrer
Vorlage - der Oper
Rigoletto, und speziell aus dieser das berühmte
Quartett - zu denjenigen Klavierwerken, die quasi
leichter verständlich sind - - also kann man an ihrem Beispiel
nachvollziehbar Schritt für Schritt demonstrieren, wie es um
das Verstehen von Musik bestellt ist:
Und damit stellt sich die Frage der Nutzanwendung:
einerseits läßt sich an dieser Paraphrase sehr deutlich klarmachen, was Musik verstehen bedeutet - andererseits ist diese Paraphrase nun mal verdammt schwierig, sodass man ziemliche Probleme haben wird, das Verstehen in die Praxis umzusetzen
[und]
Sollen wir sie, wozu ich gerne bereit bin, dennoch als ein exemplarisches Klavierstück durchsprechen, an welchem Interessantes zum Verstehen und zum Ausführen demonstriert werden kann (im Rahmen dessen, was Worte leisten können)?
Und wie ich schon mehrfach erklärt habe, geht dem Ausführen das Verstehen voraus - und gerade im Bereich Musik zählt zum Verstehen auch das Erleben (hören wahrnehmen) und das sich-Hineinfühlen (was letztlich dann auch in der Praxis, am Instrument, geschieht). An einem Beispiel: das Prahlerische und Verlogene der Melodie des Duca (bella figlia Melodie - zur Erinnerung: eine kantable da capo Melodie als Mittel der Darstellung der lüge!) lässt sich ohne weiteres
verstehen, es kann ja vermittels des Nachschauens und sich Informierens (sich Aneignen von Hintergrundwissen etc.) auch erklärt palusibel werden. Damit sind genügend Hinweise gesammelt, wie man diese Melodie
emfpnden, auffassen, fühlen soll - und auch das ist zunächst noch nicht schwer zu verstehen! Sogar das praktische Umsetzen dieser Kenntnisse ist unproblematisch: was prahlerisch daherkommt, wird man kaum duch ppp-Gesäusel darstellen können - also muss es
übertrieben schmalzig und im Vordergrund prunkend zum klingen gebracht werden: große Geste, sehr "Tenor-Pavarotti-sängerisch" (deutlich crescendo-diminuende), und von vornherein mit großem Ton, also mezzoforte (und der kommentierende Kontrast der Begleitung ppp)
aber so plausibel und eigentlich einfach diese Verständnisschritte sind -sie betreffen eigentlich als musikalische Arbeitsschritte einen Bereich, für welchen die Vokabel
Klangvorstellung bzw "Klangvorstellungsvermögen" (letzteres bei Czeslaw Marek als Indiz für Talent/Begabung) gerne verwendet wird. An dieser Stelle gönne ich mir einen methodischen Scherz: schreibt man, erst müsse das Wissen/Verstehen da sein, so erhebt sich Geheul - schreibt man, erst muss die Klangvorstellung da sein, so nickt alles mit dem Kopf... :) - - - jetzt habe ich es ja deutlich genug ausgesprochen: ich versuche unter anderem
und mit anderen Worten (und dafür habe ich Gründe, die ich nicht nenne - man muss immer einen Trumpf im Ärmel haben) am Beispiel der Paraphrase klar zu machen, was Klangvorstellung beinhaltet.
und da ergeben sich Probleme - es sind Probleme, die mit den Grundlagen des Klavierspielens zu tun haben: Defizite in der Klangdifferenzierung und im Cantabile. Wie ich zuvor (#73 & 74) erklärt hatte, resultieren diese oftmals (wenn nicht gar immer) aus der Konzentration auf eine Nebensache (z.B. Hektik in einer Verzierung) anstelle Konzentration auf die Hauptsache; ebenso wird nicht immer von Anfang an darauf Wert gelegt, die natürliche Grundlage des Differenzierens (gleichzeitig verschiedene Bewegung
en zu machen) anzulegen. Mit fortschreitender Spielpraxis verfestigen und potenzieren sich solche Defizite: man hört dann oft zwar mechanisch ordentliches (schnell, sauber usw.) Spiel (schließlich wird ja geübt, und nicht wenig!), aber musikalisch fades und klanglich unklares Spielen.
zwei Hinweise, wie man
praktisch was für diese Grundlage tun kann, habe ich in #73 gegeben - diese gelten für jedes Klavierstück.
übrigens wäre weitaus schwieriger, dasselbe an einem Beispiel aus der "absoluten Musik" zu erklären: bei einem Nocturne von Chopin haben wir keinen außermusikalischen Inhalt - in der Paraphrase haben wir so einen, haben dazu Liszts die Verdische Intention verdeutlichende Klanginszenierung,
und der große Vorteil ist, dass das alles an einer Partitur verdeutlicht werden kann, an der man noch nichts spielt: das umgeht eine gewisse Betriebsblindheit!
Und was ich hier alles jetzt mitgeteilt habe, ist weder ironisch noch sonderliche Ansprüche stellend - dass nicht gänzlich falsch ist, was ich hier erkläre, kann man an einem sehr einfachen Umstand feststellen:
- wem war die Intervalländerung Liszts aufgefallen?
- wer hat die ungewöhnliche Harmonik Liszts wahrgenommen?
usw usw - und damit meine ich jetzt nur die kinderleichten ersten 4 oder 8 Takte des
Andante.
Partituren müssen mit Entdeckerfreude -
nochmals allerbesten Dank an pppetc für diesen Begriff - und Neugier, aber auch mit größtmöglicher Akribie "enträtselt", "entschlüsselt" oder kurzum verstanden und erfühlt werden - - und wenn man sie dann umsetzen will, sollte das mit ebenso viel und detailliertem klanglich-motorischem Einfühlungsvermögen geschehen. Dieses setzt als Grundlage voraus, dass man mindestens zwei verschiedene Bewegungen simultan ausführen kann (alles andere, Tonleitern, Doppelgriffe usw usw sind sekundäre Folgen, schlimmstenfalls trainiert man solche eine lange Zeit).
so gesehen hat die sauschwierige Paraphrase hier ja durchaus positive Nebeneffekte:
- ohne dogmatische Bewegungsmuster-Streitigkeiten eine Grundlage des Klavierspielens klar zu machen (und hier bin ich hartnäckig: wer das zweite Auftreten der bella figlia Melodie nicht so deutlich hinkriegt, wie das erste [Notenbeispiele #73], der muss entweder sehr viel an der erwähnten Grundlage arbeiten, oder die Finger von dieser Paraphrase lassen)
- auf dem Umweg über eine andere Wortwahl (verstehen, wissen, Hintergründe etc.) aufzuzeigen, was für ein großer Brocken die oft genannte Klangvorstellung ist
tröstlich bei all dem aber ist: das gilt für jedes Klavierstück - in diesem Sinne relativiert sich "schwierig contra leicht" ein wenig.
Gruß, Rolf
demnächst wieder mehr zum Mittelteil und seinen Besonderheiten