Pianisten verändern Klavierstücke

"Einen Praller gibt es übrigens in Barockmusik nicht!"
"...der ist doch sogar oft notiert"
Ein so kurzer Beitrag, und er enthält gleich zwei Mißverständnisse:

Natürlich gab es im Barock den Praller, denn manches Trillerzeichen über einer arg kurzen Note läßt sich nur als Praller ausführen, nicht als Barocktriller, der von oben beginnt. Gelernt habe ich zudem ganz schulmäßig, belehrt von einem Spezialisten für Alte Musik an einer Hochschule:
1. Folgt der Triller auf einen Vorhalt, schlägt man den Vorhalt nicht noch einmal an, sondern spielt einen Praller.
2. Ist die Note, über der der Triller steht, selber ein Vorhalt, stellt man ihr nicht noch einen Vorhalt voran, sondern spielt ebenfalls nur einen Praller (Bsp: Bachs h-moll-Invention).
Beide Regeln, ob sie nun für bare Münze zu nehmen sind oder nicht, haben immerhin den Vorteil einer gewissen Logik.

Das zweite Mißverständnis betrifft die irrige Meinung, daß der geläufige Zickzack-Krickel für einen Praller steht. Dann wäre im Barock der Praller "sogar oft notiert". Nur ist damit im Barock keineswegs ein Praller notiert, das Zeichen steht gleichrangig neben "tr", beide meinen dassselbe und können einen langen wie einen kurzen Triller bedeuten und, wo sinnvoll, auch einen Praller. Der Zickzack-Krickel kommt in der Klassik selten vor, erst in der Romantik ist er eindeutig ein Praller. Im Barock und auch noch in der Frühklassik gibt es neben "tr" und Prallerzeichen manch andere regional und personal verschiedene Schreibweise.

Zeisig rät: All das nicht allzu wichtig nehmen. Ein stilistisch falscher Triller ist weniger schlimm als ein Spiel, das -- in den Augen irgendeines allzu verbissenen Alte-Musik-Spezialisten -- richtig ist, aber sonst nix verstanden hat.

Ratsam ist zudem: Mal über den eigenen instrumentalen Tellerrand gucken. Wer Barockmusik nur aus den gängigen Klavierausgaben kennt und meist nur von Bach und Händel, weiß darüber nicht genug. Ein Blick in eine Violinsonate von Corelli und dortige Ausführungsempfehlungen von Herausgebern lehrt ihn schon ein bißchen mehr. Barocke Musizierpraxis lebte nicht nur von der Improvisation, das damalige Publikum erwartete das geradezu. In einigen wenigen "Doubles" Bachs ist das dokumentiert, wobei allerdings Bachs Musik wohl zuviel eigene Substanz hat, um sie noch unnötig auszuzieren.
 
nein es gab wirklich keinen Praller in der Barockmusik

siehe hier:

quelle wiki

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grüße
 
den Mordant. (noch nie gehört:shock:) hätte ich als Praller bezeichnet....??
 
Ich würde ihn eigentlich auch eher als "MordEnt" bezeichnen... ;)
 
Die obige Wikipedia-Tabelle ist Friedemanns Clavierbüchlein entnommen. Sie ist nur eine von vielen anderen Quellen. Um Verzierungspraxis des Barock zu kennen, reicht, fürchte ich, durch Wikipedia erworbenes Halbwissen nicht aus. Man findet den Praller in ausgeschriebener Form und in Stichnoten bei Keiser, Händel, Buxtehude u.a. In vielen Fällen ist er dem Barocktriller vorzuziehen, nämlich aus technischen Gründen z.B. dann, wenn gar nicht genügend Zeit für einen längeren Triller bleibt, Beispiele dafür gibt es viele.
Aber hier ist nicht der Raum für eine historisierende Abhandlung der Verzierungspraxis, die zudem nicht mit letzter Gewißheit gesegnet sein könnte. Es empfiehlt sich, die gängige Fachliteratur zu konsultieren. Nützlich und nicht zu umfangreich: Hans Martin Linde. Dort kann man zwar lesen, daß der Praller in verschiedenen Verzierungstabellen nicht erwähnt wird, aber auch: "Offensichtlich war er ... nicht völlig unbekannt".

Der Mordent heißt tatsächlich auch "Mordant", z.B. bei C. Ph. E. Bach, es ist die französische Wortform; ein anderes frz. Wort dafür ist "pincé" (auch "pincement").

Ist aber alles nicht so wichtig, wenn auch nützlich, ein paar Regeln zu kennen, an die man sich aber nicht sklavisch halten muß. Unsympathisch erscheint mir die Haltung, daß man etwas nur auf bestimmte Art und Weise machen dürfe, denn mit letzter Bestimmtheit kann das niemand sagen. Das gilt auch für gelegentliche Baßverdopplungen durch Oktavierung. Da weiß man immerhin, daß ein Organist selbstverständlich den 16-Fuß dazuschaltet. Warum sollte ein Klavierspieler das mangels Registrier-Möglichkeit nicht auch tun dürfen?
 
@Zeisig
dafür, dass du dich als Nicht-Bach-Experte bezeichnet hast, kennst du dich verdammt gut (im Barock?) aus.... :rolleyes:
 
@ Zeisig:

Ich habe es aus der
Verzierungstabelle nach Johann Sebastian Bach entnommen.

Also wenn es Bach höchstpersönlich so notiert., wird es wohl auch stimmen...

Hier noch mal der Link...:
Klick

Ich persönlich spiele aber auch nur manchmal den Praller, da wie gesagt einfach nicht die Zeit ist einen Triller auszuführen.

Aber warum gerade Bach den Praller icht notiert hat, müsste man diskutieren.
 
"...der Verzierungstabelle nach Johann Sebastian Bach entnommen."
Ja, Piano player, diese Tabelle findet sich im Clavierbüchlein für Bachs Sohn Wilhelm Friedemann Bach; vielen, die die Inventionen in der Henle-Ausgabe besitzen, ist sie geläufig, weil sie dort im Vorwort abgedruckt ist.
"Aber warum gerade Bach den Praller nicht notiert hat, müsste man diskutieren." Wie bereits erwähnt, findet er sich auch in anderen Anweisungen jener Zeit nicht, warum ist unklar, denn Praller sind vor dem Barock (im 16. Jh. als "tremoletti", "senzillo") und nach dem Barock bekannt; klar ist nur, daß er sich in ausgeschriebener Form in der Musik jener Zeit findet und daß nicht selten gar nichts anderes als ein Praller ausführbar und sinnvoll ist.

"Aber warum gerade Bach den Praller nicht notiert hat, müsste man diskutieren."
Nö, lohnt sich nicht, dafür gibt es genügend Literatur der Alte-Musik-Spezialisten, in der solche Fragen hinreichend angeschnitten sind. Es lohnt sich aber auch deswegen nicht, weil es wichtigere Probleme gibt als die Frage, ob ein Triller c-d-c oder d-c-d-c heißen müßte, es sei denn, man rechnet sich zu jenen, die die Wahrheit gefunden zu haben glauben und diese um der allein seligmachenden Wahrheit willen verteidigen müssen.
 
Änderung durch den Interpreten?

Da gibt es aus meiner Sicht ein hervorragendes Zitat von Alfred Brendel:

"If I belong to a tradition it is a tradition
that makes the masterpiece tell the performer what he should do
and not the performer telling the piece what it should be like,
or the composer what he ought to have composed."
 

Triller

Hallo,

den umfassenden Ausführungen von Zeisig ist nicht viel hinzuzufügen. Am Rande noch: Im Frühbarock waren Triller von der Hauptnote durchaus üblich. In Frankreich nahm man gerne die obere Nebennote, weil sie meist dissonant ist (zumindest bei Französischer Musik) und reizvoll klingt. Um 1700 musste dann in ganz Europa alles französisch sein, jeder kleine Graf imitierte den Sonnenkönig. Damit wurden auch frz. Verzierungen populär. Bach hat im Wesentlichen von D'Anglebert abgeschrieben.

Ich schließe mich auch an: im Zweifelsfall nicht dogmatisch, sondern das Ohr entscheiden lassen. Es gibt Flötenuhrstücke (also Richtung Drehorgel) von Händel, die schon damals auf die Walze gestochen wurden und erhalten sind als quasi authentisches Tondokument...mit chaotischen Verzierungen....

Grüße
Axel
 
@ Zeisig
Ich glaube in den modernen ditionen ist im Barock schon angegeben ob Praller oder Triller.
Früher wurde warscheinlich nur das Prallerzeihen angegeben-
Gruß
David
 
Frage:

Ist Alfred Brendel ein Amerikaner?

Der Retter der Deutschen Sprache.

Chief
 
Alfred Brendel ist ein Österreicher. Chief
 
Ha, ha, ich weiss das,
aber warum spricht er dann Englisch?

Gruß
Chief
 
das weiß ich leider auch nicht, vielleicht wollte er zeigen was er außer Klavier noch so alles kann.
 
Beim Stichwort Tradition fällt mir folgendes Zitat von G.B. Shaw ein:
„Tradition ist eine Laterne, der Dumme hält sich an ihr fest, dem Klugen leuchtet sie den Weg.“

Edit: Bitte nicht persöhnlich nehmen.
 
Bravo. Bravo,
ein Zitat von G.B Shaw auf Deutsch!
Haben doch meine Bemühungen Erfolg.

Gruß
Chief
 
@Piano player:
"Ich glaube in den modernen ditionen ist im Barock schon angegeben ob Praller oder Triller. Früher wurde warscheinlich nur das Prallerzeihen angegeben"
"Moderne" Editionen sind Urtext-Editionen. Falls dort angegeben ist, wie ein Triller auszuführen ist, könnte das allenfalls als Zutat des Herausgebers dort stehen und sollte als solche gekennzeichnet sein. Bei Bach z.B. gibt es keinen Unterschied zwischen "tr" und dem Prallerzeichen, und das Prallerzeichen kann durchaus für einen längeren Triller stehen (Bsp: Haltetriller der d-moll-Invention). Editionen, die einen Unterschied zwischen beiden irgendwie klarstellen, sind nicht "modern", sondern "altmodisch", da sie zu den "Interpretations-Ausgaben" gehören, die man als Anregung benutzen kann, aber in den Schredder tun sollte, wenn darin nicht klar wird, was original und was Zutat des Herausgebers ist -- nicht weil man es vielleicht nicht durchaus so spielen könnte, wie der Herausgeber empfiehlt, sondern weil sie einem vorgaukeln, man dürfte es nur so spielen.

@Retter der Deutschen Sprache
sollte sich vielleicht mal mit deutscher Rechtschreibung, ob alter oder neuer, und mit deutscher Grammatik vertraut machen, außerdem sich ein Nietzsche-Wort zu Herzen nehmen: Den Stil verbessern heißt den Gedanken verbessern...
 

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