Pianisten verändern Klavierstücke

Stilblüte

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Hallo

ist euch das auch schon so gegangen, dass ihr festgestellt habt, dass Pianisten Klavierstücke leicht verändern?
Falls ihr zum Beispiel Martin Stattfeld (Stadtfeld?!) kennt, der so viel Bach spielt: Im Italienischen Konzert "erfindet" er einfach in der linken hand an manchen Stellen Oktaven hinzu, an denen keine stehen. Und auch bei anderen Stücken frage ich mich oft, ist das nicht anders in den NOten?
Ist es wirklich so, dass die Stücke einfach so verändert werden (dürfen) ?

Stilblüte
 
ich glaube das würde er nie machen, denn da fällt er bei den Kritikern eh durch...
 
Mir ist das bei Stadtfeld auch schon oft aufgefallen. Zum Beispiel oktaviert er in den Goldbergvariationen einfach ganze Passagen. Grund dafür sei die "Ekstase", in der er sich befindet. Ich denke, dass er sich mit sowas außergewöhnlichem eher zum Gespräch machen will.

Das Italienische Konzert kenne ich nicht so genau von ihm. Hab nur mal den dritten Satz im Radio gehört. Da ist mir nichts aufgefallen.
Manchmal liegt es aber auch an den unterschiedlichen Editionen.

Generell finde ich schon, dass Stücke leciht verändert werden dürfen.
Was der Komponist genau mit dem Stück ausdrücken wollte, wird man wohl nie erfahren und es kommt meiner Ansicht nach auch eher auf den eigenen persönlichen Ausdruck des Pianisten an. Wenn er eine Stelle leicht verändert und dies als sinnvoll bzw sinvoller betrachtet. Warum nicht?

Man sollte sich nicht zum Sklaven der Werke machen, sondern sie eher als Werkzeug für den eigenen Ausdruck benutzen.
 
Das machen doch alle, besonders bei Barock Komponisten ist das IMHO sogar so gewünscht -- die haben damals ja auch Dinge dazu improvisiert. Den ersten Teil spielt man original und in der Wiederholung darf man sich dann ein paar Kleinigkeiten herausnehmen, z.b. Triller verändern, Apreggios von oben nach unten spielen statt umgekehrt etc. etc. Das macht ja auch den Reiz aus. Aber Stadtfelds Idee Passagen eine Oktave höher zu spielen finde ich nicht sehr innovativ. Hört euch einmal die Goldberg Variationen von Andras Schiff an -- da kommt noch viel mehr dazu was sehr gut paßt.

Tom
 
In Chopins Nocturne, cis-moll, ist mir sowas auch aufgefallen. Ich habe die Henle-Ausgabe mit zwei Fassungen, eine Abschrift und ein "Orginal". Bei einer Aufnahme des Nocturnes von Ashkenazy und auch in dem Film "Der Pianist", wo das Stück am Anfang und Ende vor kommt, ist ein Takt anders als in meinen Ausgaben. Es klingt so schöner, steht aber nicht in (meinen?) Noten. Gibt es wohl noch andere Ausgaben? Oder warum wurde diese Stelle verändert?
Es handelt sich um einen Takt in der zweiten Zeile, den nach der ersten Triole in der rechten Hand.
wie ist das bei euch?

liebe grüße

stilblüte
 
da fällt mir auch noch etwas ein, Glenn Gould spielt in der 1. Französischen Suite im Menuet 2 auch eine Oktve höher obwohl es nicht da steht...
find ich trotzdem schön auch wenn es etwas zu hoch klingt.
 
Ist es wirklich so, dass die Stücke einfach so verändert werden (dürfen) ?
Das sind für mich keine Veränderungen, sondern Interpretationen, und diese sollten unbedingt ganz individuell gemacht werden. Ob das nun ganz leichte Unterschiede in Betonung, Dynamik und Tempo oder größere wie durch Einfügen von Triolen usw. sind, ist für mich einerlei. Pianisten sind in erster Linie Menschen, dann Musiker. Auf keinen Fall sind es Bandmaschinen.
 
das ist aber nicht wahr was du erzählst... du kannst doch nicht einfach das ganze stück verändern. Der Komponist hat sich bei jeder Note, die er niederschreibt eine ganz bestimmten Sachverhalt dahinter versteckt. Und wenn du einfach andere Sachrn spielst zerstört das die Struktur und den Inhalt des Liedes.

MfG David
 
Ich finde eigenmächtige Änderungen ohne entsprechende Ankündigung (z. B. bearbeitet von) auch nicht in Ordnung, dafür sind die Kadenzen da, um sich auszutoben.
Aber es scheint ja in letzter Zeit manchem Interpreten zugefallen, etwas an Verschnörkelung dazu zu spielen, was nicht in den Originalnoten steht. Das find ich nicht OK, aber man kann ja unterschiedlicher Meinung sein, wie weit man es noch akzeptieren kann.
Auf einem Video in YouTube habe ich gerade letztens von einer bekannten Japanerin ein Mozart-Klavierkonzert angehört/gesehen, wo sie auch Phrasen dazuspielte, was so gerade die Grenze meiner Toleranz überschritt. Aber ich kenne nicht die Originalnoten davon oder von Mozart evtl. andere Schreibweisen des Werkes im Entwurf z.B.

Gruß Hartwig
 
@ PP: Ich bezog mich ganz sicher nicht auf ganze strukturelle Veränderungen oder Variationen, sondern auf unterschiedliche Interpretationen. Glenn Gould z.B. hat das ritartando (bestimmt falsch geschrieben) oftmals extrem weit hinausgezogen, was eine ziemlich hohe Spannung entstehen liest. Das ist für mich mehr Veränderung als eine Oktavierung oder eine Triole.
Im Übrigen bezweilfe ich, dass die Komponisten selbst alle ganz genau an ihren Noten geklebt haben.
 
ich denke im berock haben die komponisten alles genauso gemeint, wie sie es aufgeschrieben haben. moderne musiker wohl meist nicht.
wenn ich was komponiere schreibe ich auch nur das auf, was mir grad einfällt und sobald ich es das nächste mal spiele sind schon wieder ganze passagen geändert... (aber trotzdem hätt ich was dagegen, wenn jamand das stück spielen würde und ganz neute passagen hinzuerfinden würde)
 

Hallo,

darf ich mal einhaken? Gerade bei Barockmusik hat der Spieler eine enorme Freiheit.

Verzierungen wurden eh massenhaft ergänzt. Man schaue sich einmal die verzierten Fassungen der 3 stg. Sinfonien von Bach an. Da die nur in wenigen Abschriften drin sind, tauchen sie in sog. "Urtext"-Ausgaben selten auf. Oft sind es aber Schüler von Bach, die diese Verzierungen eingetragen haben, vielleicht sogar im Unterricht.

Bei vielen geringstimmigen Sätzen bietet sich eine Ergänzung nach Generalbassregeln an, nicht bei Bach, aber z. B. bei Rathgeber, Telemann etc.

Oktaven bei Bach? Warum nicht, es ist Cembalomusik und auf dem Klavier eine Transkription. Ich glaube, man darf dass nicht so eng sehen, als Organist spiele ich auch Stücke mit einem 4'-Register allein, das ist historisch verbürgt. Von daher entlocken mir Stadtfelds Experimente bestenfalls ein müdes Lächeln.

Vieles lässt sich auch nicht spielen wie notiert (WTK 2, Präl. D-Dur), weil rhythmische Notationskonventionen anders waren. Die Tradition genau das zu spielen (aber auch wirklich genau das), was gedruckt ist, stammt aus der 2. Hälfte des 19. Jh.

Lasst Kreativität walten...

Viele Grüße
Axel
 
ich bleibe trotzdem der meinung das verfälscht das musikstück..
 
@ piano_player:

ganz richtig, der Meinung bin ich auch.
Man kann artikulieren und in der Geschwindigkeit variiren, wie es einem gefällt, doch an den Tönen oder dem Rhythmus darf doch nicht einfach etwas verändert werden!
Das ist, wie wenn ich ein Gedicht vorlese, und den Text abändere... Es ist einfach nicht mehr dasselbe.

ist aber auch nur meine meinung...
liebe grüße
stilblüte
 
Nein, ich stimme bei allen Punkten mit Axel überein. Vor allem in Barocker Musik (bei Bach:D) ist es meiner Meinung nach völlig legitim und eigentlich sogar gefordert, mittels diversen Verziehrungen, Oktaven, etc. als Stilmittel zu arbeiten. Gerade das macht gut Bach-Einspielungen aus.
Ivo Janassen z.B., spielt in einer Aufnahme anstatt nur den selben Ton acht mal hintereinander -wie es in Noten steht, nach dem vierten mal noch die kleine Sekund dazu, wobei durch die Dissonanz dies nochmal akzentuiert wird - ich find's genial:).
Bei Romantik und Klassik würde ich es mich nicht trauen, aber solang es den Charakter des Stückes nicht zerstört....
 
ich denke im berock haben die komponisten alles genauso gemeint, wie sie es aufgeschrieben haben.
das ist völllig falsch - wie kommst du drauf? Gerad im Barock war es gang und gebe "nur" ein Gerüst aufzuschreiben um das der Interpret dann rumspielen musste. Viele Barock-Komponisten sind kaum noch bekannt da kaum wirkliches Notenmaterial mit dem man noch was anfangen kann von ihnen verblieben ist (hab das gestern in einer Radiosendung gehört ;)).
 
hm... ich dachte eigentlich immer, dass es genau anders herum ist, dass man in der Romantischen ( und z.T. modernen) Musik viel mehr Freiheiten hat, eigene Ideen mit einzubringen (siehe Chopin), und im Barock eher exakter (natürlich nicht wie ein Computer...) spielen sollte...
anders habe ich das noch nie gesehen-- aber interessant!

stilblüte
 
das ist völllig falsch - wie kommst du drauf? Gerad im Barock war es gang und gebe "nur" ein Gerüst aufzuschreiben um das der Interpret dann rumspielen musste. Viele Barock-Komponisten sind kaum noch bekannt da kaum wirkliches Notenmaterial mit dem man noch was anfangen kann von ihnen verblieben ist (hab das gestern in einer Radiosendung gehört ;)).

naja, ich haber sehr bewusst geschrieben "ich denke", woher soll ich es auch wissen (mein klavierlehrer erzählt mir nichts über die zeitepchen und so).
ich habe halt sehr oft gehört, dass man barockstücke nicht im rhythmus variieren darf und ich habe ebenfalls (allerdings nicht ganz so oft) gehört, dass man die noten nicht verändern darf
geberalbass hab ich damit natürlich nicht gemeint aber das ist ja auch nichts ausgeschriebenes

allerdings gut zu wissen, das die aussage nicht stimmt ;)
 
hab's ja eigentlich bis gestern auch noch nicht richtig gewusst :rolleyes:

Ich selber als armseliger Musikant wage sowieso keine großartigen Experimente - höchstens hier und da mal ein Triller oder Praller :oops:
 
Hallo Christoph und die anderen,

ein spannender Thread. Einen Praller gibt es übrigens in Barockmusik nicht! Das nur am Rande.

Wir wissen natürlich nicht, wie die Brüder (und Schwestern) zu Bachs Zeiten wirklich gespielt haben, aber es gibt natürlich Dokumente dazu. Bekannt ist der "Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen" von Bachs Sohn Carl Philipp. Aber viele Anweisungen sind schon recht deutlich.

Man hat sicher sich enorme Freiheiten genommen. Allerdings gibt es eben auch Freiheiten, die man nicht hat. Das ist ein relativ spezielles Feld, meist kennen sich die Cembalisten da besser aus.

Ich bin sicher, dass man nicht weniger Freiheiten als in der Romantik hat, nur eben andere. Es mag daran liegen, dass man beim Klavier viele Vortragsbezeichnungen hat, die bei Bach & Co. natürlich fehlen. Das darf aber nicht dazu verleiten, den Notentext dröge und metronomisch abzuspielen. Vieles war damals einfach bekannte Konvention oder man lernte die oft nicht gedruckten Stücke beim Komponisten im Unterricht aus erster Hand.

Viele Grüße
Axel
 

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