Neuer Ärger für Fazil Say

oder eher dadurch, dass seine Äußerungen als unbotmäßig empfunden wurden.

Oder zumindest von den Machthabern so bezeichnet wurden.

Die derzeitige Regierung in der Türkei hat ein massives Problem mit der Meinungsfreiheit. Und ein guter Teil der Wählerschaft entspricht dem hiesigen Typus des CSU-Stammtischwählers: wenn Papa Erdoğan sagt, das Internet ist voll Schweinkram und muss deshalb zensiert werden, dann stimmt das bestimmt. Bisher hat sich die Verfassung der Türkei als erstaunlich resistent erwiesen, aber das wird noch viel übler werden auf Dauer.
 
Die Welt entwickelt sich gerade rasant in zwei verschiedene Richtungen. Totalitarismus in Staaten, die schon immer totalitär waren (Russland, China, Iran etc.) und in solchen, die zwischendurch auf die Spur zu kommen schienen (Türkei, Ungarn, Weißrussland, Hongkong etc. etc.).
Auf der anderen Seite genießen die Menschen in den "westlichen" Ländern immer mehr Freiheit (Homosexuelle, Drogenfreigaben, uneheliche Paare und Kinder...) Genau das wird von den totalitären Staaten, in denen es nur eine Meinung zu geben hat, als Dekadenz des Westens dargestellt, vor dem man sich schützen müsse, und damit auch vor der Demokratie.
 
OT-Alarm: ... ich durfte gerade wieder für zwei Unternehmen die "Strukturerhebung im Dienstleistungsbereich" ausfüllen. Zwangsweise. Kostet nur 2h. Angefordert vom Bayer. Landesamt für Statistik und Datenerhebung (sic). Wieso? Weil irgendjemand das beschlossen hat. Das ist auch so eine Sch...-"freiheit", dass man da nicht sagen kann "Leckts mi doch am O....!". Und das Spiel wiederholt sich jedes Jahr. Ohne Bezahlung, ohne Gleichstellung etc....
 
OT-Alarm: ... ich durfte gerade wieder für zwei Unternehmen die "Strukturerhebung im Dienstleistungsbereich" ausfüllen. Zwangsweise. Kostet nur 2h. Angefordert vom Bayer. Landesamt für Statistik und Datenerhebung (sic). Wieso? Weil irgendjemand das beschlossen hat. Das ist auch so eine Sch...-"freiheit", dass man da nicht sagen kann "Leckts mi doch am O....!". Und das Spiel wiederholt sich jedes Jahr. Ohne Bezahlung, ohne Gleichstellung etc....

Wenn das hier der Grund ist, sich über Freiheitseinschränkungen zu beschweren, dann kann man Euch nur zum vergleichenden Blick in die Welt raten...

Abgesehen davon: Manch einer mag über unsere übereifrigen (D/CH/A) Verwaltungen klagen, aber wieviel Ärger man dagegen in einem Land mit wirklich schlecht funktionierendem und/oder von Korruption geplagten Verwaltungsapparat hat, kann man sogar von anderen Europäern hören, die hierher gezogen sind....
 
Pianovirus: Prinzipiell hast Du Recht. Aber verfasse doch mal ein Gestz, bei dem Du z.B. alle Frauen über 40 zwingst, sich einmal im Jahr ein, zwei Stunden irgendeinem statistischen Amt zu widmen...

Ja, wir leben im Vergleich zu anderen Regionen auf einer Insel der Seligen. Dennoch ist seit meiner Kindheit viel “Freiheit“ verloren gegangen. Und das hat erst mal gar nix mit dem Gesetzgeber zu tun. Wir konnten 20 km Landstraße radeln, ohne dass unsere Eltern sich Sorgen machen mussten. Wir konnten als Jugendliche ohne Gefahr um ein Uhr nachts am Bahnhof flanieren. Wir konnten Mofas frisieren. Mit dem Luftgewehr auch mal in Feld und Wald ziehen. Meine Großeltern konnten zur Bank gehen und sich die Überweisungen ausfüllen lassen. Der Arbeitgeber wurde NICHT gezwungen, alle Erklärungen online abzugeben. Bei Flügen in die USA ist man einfach eingestiegen. usw...

Wenn Du "Freiheit" als Menschenrecht und im Vergleich zu anderen Ländern verstehst, dann geht es uns so gut wie noch nie. Begreift man Freiheit aber als ganz persönliches, SUBJEKTIVES Gut, dann hat sich das nicht unbedingt zum Besseren gewandelt.
 
@pianovirus Angesichts des aktuellen Feedbacks wage ich es kaum, zu sehr in´s OT abzugleiten. :-)

Das ist gar nicht so einfach an Beispielen festzumachen.
Zum einen ist es natürlich der von Fishi angesprochene Bürokratismus. Es ist heute kaum noch möglich, aus reiner Eigeninitiative irgend was zu machen. Für wirklich jeden kleinen Pubs braucht man von irgend wem eine Genehmigung. Und dieser Trend wird immer schlimmer. Auch der Rahmen für sein Tun wird immer enger gesteckt.
Doch noch ein Beispiel eingefallen:
Es war einmal möglich, ein Gewerbe "Dienstleistungen aller Art" anzumelden. Ich zitiere einen Bekannten, als er dies tat und das Gewerbeamt schon diskutierte: "Und wenn mich eine Oma fragt, ob ich ihr über die Straße helfe und ihre Einkaufssachen trage, dann will ich das (gewerblich) tun können.". Er hat den Schein bekommen. Heute keine Chance. Jede Tätigkeit will bis in´s kleinste kontrolliert werden.
Dieser von oben diktierte Kontrollzwang schwappt derzeit auf ziemlich drastische Weise aus Übersee zu uns. Ich bin in der DDR aufgewachsen und Vieles, was gerade passiert, erinnert mich sehr stark an diese Zeit (Politik der Angst).

Und dann gibt es noch irgendwie so eine lemminghafte Grundeinstellung in der Gesellschaft, die ich nicht wirklich in Worte fassen kann, aber ich finde sie freiheitsgefährdend.

Ich bin natürlich dankbar, hier wohnen zu dürfen aber wir beschneiden uns unsere Freiheit selbst.
 

Und dann gibt es noch irgendwie so eine lemminghafte Grundeinstellung in der Gesellschaft, die ich nicht wirklich in Worte fassen kann, aber ich finde sie freiheitsgefährdend.

Danke, Peter - das ist auch mein nicht näher benennbarer Eindruck. Zwang zur political correctness. Zwang zur Erklärung. Zwang zur VERMEINTLICHEN Sicherheit.
 
Zum einen ist es natürlich der von Fishi angesprochene Bürokratismus. Es ist heute kaum noch möglich, aus reiner Eigeninitiative irgend was zu machen. Für wirklich jeden kleinen Pubs braucht man von irgend wem eine Genehmigung. Und dieser Trend wird immer schlimmer. Auch der Rahmen für sein Tun wird immer enger gesteckt.
Mein Lieblingsbeispiel ist: Für Internet-Livestreams benötigt man in der Bundesrepublik eine Rundfunklizenz. Also einfach mal so ein privates Klavierkonzert streamen ist de facto illegal.
 
Danke Euch beiden für Eure Antworten!

Das klingt für mich auch alles plausibel (wenngleich mir aber gesagt wurde, dass Start-Up-Gründungen heute viel leichter als früher sein sollen...ich kenne mich da zu wenig aus). All das betrifft aber (da sind wir uns wohl einig) weniger den elementaren Freiheitsbegriff, als vielmehr den gefühlten Grad von "Gängelung" bzw. die persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten.

Gleichzeitig beschweren sich aber oft ein und dieselben Leute über "Gängelung" von Verwaltung/Staat und klagen dann, ohne groß Luft zu holen, im nächsten Satz etwa über Abbau von Sozialmaßnahmen, Kürzung von Kulturförderung, usw.

Da wohl jeder von uns unterschiedliche Vorstellungen davon hat, in welchen Bereichen wir mehr Gemeinwesen oder staatliche Kontrolle/Regulierung (z.B. Kapitalmarkt?) und in welchen anderen Bereichen mehr Raum für ungeregelte Entfaltungsmöglichkeiten bleiben sollte, wird wohl jeder von uns über manche Dinge genervt sein... — ohne sich aber deshalb gleich in Unfreiheit fühlen zu müssen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Aktuell beklagen sich ja viele über Gängelung durch die Regulierung von Taxibranche (Uber) / Übernachtungen (Airbnb). Ich sehe das nicht ganz so und bin eigentlich eher froh, dass solchem Wettbewerb ohne jede Regeln auch Grenzen gesetzt werden.

Aber noch mal zurück zum Thema "Freiheit" – dabei geht es in erster Linie nicht um irgendwelche "Ärgernisse", sondern um Themen wie diese, die wir hierzulande vielleicht einfach als selbstverständlich ansehen (was sie aber, wie der Blick in Welt zeigt, nicht sind):
http://www.echr.coe.int/Documents/Convention_DEU.pdf

Pardon, Fazil war das Thema, ich weiß.... ;-)
 
(wenn mir auch gesagt wurde, dass Start-Up-Gründungen heute viel leichter als früher sind
Finanziell stimmt das! Diesen Trend finde ich auch sehr gut, da er an Banken vorbei funktioniert. Auch dass man anfängt, sich kommunalpolitisch zu organisieren und Entscheidungen an der Regierung vorbei zu treffen (Bürgerhäuser), lässt mich hoffen.

Artikel 8, 9, 10.... das sind genau die Dinge, die wir uns beschneiden, natürlich mit Nr. 15. Es ist nur ein ganz klein wenig, aber der Trend ist deutlich.
 
Wie Destenay schon sagte: Der Fall mag ärgerlich sein; aber er beschert Say mehr internationale Achtung (und führt u.a. zu dieser Diskussion hier), als wenn man seine Orchesterstücke in der Türkei aufgeführt hätte.
 
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(wenn mir auch gesagt wurde, dass Start-Up-Gründungen heute viel leichter als früher sind...
Hah - ein perfektes Beispiel. Reden wir mal nur übers Kapital: Früher bist Du zu einer Bank gegengen, hattest einen Termin mit dem Direktor, hast ihm Dein Geschäftsmodell MÜNDLICH erläutert und dann entschied der, ob er Dir das zutraut oder nicht. War sein ganz persönliches Risiko. Der Deal wurde mit Handschlag besiegelt.
Heute: Business-Plan als 10-faches Hand-Out, zusätzlich Powerpoint. Alles zigfach geprüft und abgesichert. Danach 5 cm Verträge....

Ist da etwas VERBESSERT worden? Gar nix wurde verbessert!

Was passiert ist: Die VERANTWORTUNG wurde abgegeben. Und zwar so, dass am Schluss möglichst niemand (oder ein "Schwacher") dran schuld ist. Und dieses "Aus-der-Verantwortung-nehmen" ist mittlerweile ein Krebsgeschwür, das unsere freiheitlich demokratische Ordnung ins Wanken bringen wird.

"Früher" haben Menschen Verantwortung übernommen - und die, die das in besonderem Maße taten, wurden belohnt. Heute hingegen überlebt der, der es am geschicktesten versteht, Verantwortung abzuwälzen. Wer lebt länger - der engagierte Verantwortungsbewusste - oder der lahmarschige Dienst-nach-Vorschruft-Leistende? Bei einem Börsencrash saßen früher jede Menge Bankdirektoren mit Pistole oder Revolver in der leblosen Hand am Schreibtisch - heute vergnügen sich die "Verantwortlichen" in Saus und Braus weiter.

Romeo hat von der "universellen Rasur" gesprochen und ist dafür verlacht worden. Ich fand diesen Vergleich hingegen sehr klug. Wir werden zunehmend gezwungen, uns zu "entblößen" (teilweise tun wir es sogar freiwillig für FB & Co). Fürs Finanzamt, für sattistische Bundesamt, für die Krankenkassen, für die Banken, für die Arbeitgeber, für unsere Kunden ... Es ist bezeichnend, dass die Gegenbewegung - typisch deutsch - so harmlos ausfällt. Mützenwahn bei den Jugendlichen, ausufernde Gesichtsbehaarung bei Männern allen Alters und auch die (weibliche) Intimrasur scheint langsam auf Widerstände zu stoßen.

Es wäre gescheiter, wir würden uns weiter ordentlich rasieren und statt dessen der "universellen Rasur" ein Ende setzen.
 
Auf der anderen Seite genießen die Menschen in den "westlichen" Ländern immer mehr Freiheit (Homosexuelle, Drogenfreigaben, uneheliche Paare und Kinder...) .
Ich habe genau den gegenteiligen Eindruck.
...jetzt bin ich wirklich sehr verblüfft!
willst du tatsächlich sagen, dass die Leute dort, wo aus finsterst mittelalterlichen Gründen und obendrein in religiösem fanatischem Wahn Hände abgehackt werden, gesteinigt und aufgehängt wird, mehr Freiheiten für die Bürger herrschen als z.B. hier?...
 
...jetzt bin ich wirklich sehr verblüfft!
willst du tatsächlich sagen, dass die Leute dort, wo aus finsterst mittelalterlichen Gründen und obendrein in religiösem fanatischem Wahn Hände abgehackt werden, gesteinigt und aufgehängt wird, mehr Freiheiten für die Bürger herrschen als z.B. hier?...
Das von dir angedeutete IS Gehabe ist sicher die extremste Seite. Abgesehen mal von solchen Extremen ist es eine reine Geldfrage. Hast du genug davon, kannst du, fast, überall frei sein, in Deutschland wie in China. Zumindest die eher kleine, persönliche Freiheit, die FM angesprochen hatte, nicht unbedingt politische Freiheit, die du in vielen Ländern dann schon deshalb nicht hast, weil du sonst eben die Kohle nicht hättest. Auch in Diktaturen leben ganz viele Leute gut und zufrieden, übrigens auch ohne viel Geld, das gehört zu diesen Systemen dazu, sonst funktionieren sie nicht auf Dauer.
 

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