Musikalische Gestaltung und Artikualtion

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Debbie digitalis

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Hallo, liebe Clavio-Leser,

seit meiner letzten Klavierstunde als Späteinsteiger (gestern) stellt sich mir mal wieder die folgende Frage:

Wenn ich ein neues Stück einstudiere und mich dabei auch an die dynamischen Vorgaben (soweit vorhanden) halte, dann fehlt ja immer noch eine ganze Menge, und zwar das, was dem Stück den Pfiff, den Groove, den Ausdruck, oder wie immer ihr es nennen wollt gibt.

Wie man dahin kommt, ist wohl zu einem großen Teil Erfahrungs- bzw. Talentsache, aber ich denke man kann einiges in der Richtung wohl auch beim Durcharbeiten des Stückes herausfinden bzw. erkennen.

Für mich funktioniert es immer ganz gut, wenn ich die Melodielinien mitsinge, dann finde ich heraus, auf welchen Ton man so ganz spontan hinsingen würde - und das hilft schon mal einiges bei der Artikulation. Allerdings kann ich mit dieser Methode bisher ein Stück auch nicht so vollends ergründen. So erfuhr ich in dieser gestrigen Klavierstunde zum Beispiel, dass es in dem ganz langsamen, Adagio (a-moll), das ich gestern abgeschlossen habe, "ein gis gibt, in dem der gesamte Weltschmerz dieses Stückes gipfelt" -

wie findet ihr solche Stellen in einem STück oder Passagen davon heraus,
einfach durch das Erlernen und Spielen, durch Mitsingen (wie ich) oder wie auch immer???

Danke für eure Antworten


Debbie digitalis
 
So erfuhr ich in dieser gestrigen Klavierstunde zum Beispiel, dass es in dem ganz langsamen, Adagio (a-moll), das ich gestern abgeschlossen habe, "ein gis gibt, in dem der gesamte Weltschmerz dieses Stückes gipfelt" -

Wow, echt, so ein Stück gibt es... :)

wie findet ihr solche Stellen in einem STück oder Passagen davon heraus,
einfach durch das Erlernen und Spielen, durch Mitsingen (wie ich) oder wie auch immer???

Das ist ja grad das Spannende am Musikmachen, daß man immer wieder etwas findet, was einem bisher noch nie aufgefallen ist. Je besser man ein Stück kennt und je mehr man darüber weiß, umso interessanter wird es.
Da heißt forschen und experimentieren...

Und vom Klavierlehrer gibts dann ja auch immer wieder Denkanstöße
 
ich denke, Debbie, dass das Singen uns ganz schön weiterbringt. Da merkt man schnell, wo die Betonung etc. hin muss. Mehr geht auf unserem Level wohl noch nicht :(. Gesanglich erkunden zahlt sich m.E. aus!
 
Erfahrung macht viel aus aber auch musiktheoretisches Wissen.

Vorhalte und Dissonanzen werden (in der klassischen Musik) aufgelöst und das kann man musikalisch hervorheben, z.B. durch einen leichten Akzent.

Ebenfalls wichtig (aber ganz gut hörbar) sind die Kadenzen, die ebenfalls in ihrem Verlauf Spannung und Entspannung erzeugen.

Motivwiederholungen (ein Melodiebruchstück, das mehrmals gespielt wird, eventuell auch leicht verändert oder mit unterschiedlicher Begleitung) kann man als Frage-Antwort-Schema sehen und versuchen, den Charakter entsprechend zu verändern.

Manche Melodien, vor allem die mit vielen großen Intervallen, sind bei genauerem Hinsehen eine Melodie mit Begleitung. Die Melodie hebt man hervor, die "Begleitung" spielt man quasi nebenher, also meistens einfach leiser.

Das sind natürlich nur Hinweise, denen man nicht sklavisch folgen darf und man muß aufpassen, daß man es nicht übertreibt. Viel wichtiger ist es, sich zu entscheiden, welchen Charakter man dem Stück geben will und dann kann man sich auf die Suche nach Details machen, die dazu passen (Weltschmerz in einem fröhlichen Wiener Walzer z.B. bedarf wenigstens einer gewissen Vorbereitung, sonst wirkt er albern). Dazu kann es interessant sein, mehr über den Komponisten und seine Zeit zu wissen, wobei es nicht ausreicht, zu wissen, daß er verrückt war, verbleiten Wein liebte oder Frauen damit drohte, ihnen den Kopf zu verdrehen, wenn sie noch einmal um ein bestimmtes Stück bitten. Und der Klavierlehrer kann dozieren, was er will, wenn man das nicht selbst so empfindet, sollte man es auch nicht spielen, weil es dann einfach nicht klingen wird. Es kann dann natürlich helfen, wenn der Lehrer vorspielt, wie er es meint und man sollte sich um Verständnis bemühen.

PS: Singen hilft natürlich auch weiter, aber es hat seine Grenzen.
 
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Musikalische Gestaltung und Artikulation

Hallo Guendola,

und danke für deine detaillierte und qualifizierte Antwor!t!!

Eine ganze Menge musiktheoretisches Wissen fehlt mir, so wie ich das sehe, noch - dennoch bin ich nach wie vor als Spätanfänger klavierbegeistert - und möchte einfach ausmachen, wie andere Clavio-Leser, diese Begeisterung in ihr Klavierspiel umsetzen?!?

Freue mich auf Antworten

und bis bald

Debbie digitalis
 
hallo,

es gibt bzgl. Deiner Fragen ein paar tradierte "alte" Gewohnheiten, die sich dann ganz gut bewähren, wenn in den Noten nichts abweichendes steht:

- eine Melodie macht immer ein wenig crescendo und diminuiert zu ihrem letzten Ton ---- damit macht man hörbar, was die Melodie ist (genau das gleiche gilt auch für eine "Phrase", bzw. für alles, was unter einem Bogen notiert ist

- - betrachtet man eine Melodie (egal wie viele Töne oder Takte sie umfasst), dann hat sie meist einen wichtigsten, quasi herausragenden Ton: und der ist meist der höchste. Zu diesem hin sollte crescendo gespielt werden (er selber kann, muss aber nicht der "lauteste" sein) ---- hier kann man viel bei guten Sängern lernen, sogar bei scheinbra ganz schlichten Liedern (Schubert "Ständchen" oder "Ave Maria", was man sicher schnell im Ohr hat)

- - - selbst bei Abweichungen, z.B. dass der Komponist einen aus mehreren Bögen bestehenden Anschnitt insgesamt crescendo haben will, gilt, dass jeweils das Phrasen- oder Bogenende leicht diminuiert, um hörbar kenntlich zu sein (z.B. im Finale der Sturmsonate, auch wenn dort keine Bögen sind)

- - - - wenn keine Melodie- oder Phrasenbögen notiert sind, dann hilft es, sich die Motive bzw. Phrasen anzuschauen und sie sich "gesungen" vorzustellen: dann findet man ihre melodische Gestaltung

- - - - - ungewöhnliche Harmonien in der Begleitung können ebenfalls auf eine Art "Höhepunkt" oder "Zentrum" eines musikalischen Gedankens hinweisen (dann spielt man zu dieser auffallenden Wendung hin, z.B. in Chopins Etüde op.10 Nr.6)

viel hören: irgendwann werden solche Grundlagen der Gestaltung Dir ganz natürlich vorkommen.

Speziell am Klavier, weil man vielerlei simultan machen kann, gilt noch eine weitere "Klang- oder Gestaltungsregel" (um sie zu veranschaulichen, übertreibe ich die Tonstärke extrem):
Melodie: forte
Füllnoten: pianissimo
Nebenstimme(n): piano-mezzopiano
Füllnoten: pianissimo
Bass: mezzoforte (mezzopiano)
- natürlich sollte die Differenzierung solcher Klangschichten möglichst fein sein, die Stärkegrade der Unterschiede hängen davon ab, ob man mit vielen langen oder eher mit kürzeren Tönen zu tun hat.

ein sicher bekanntes Beispiel für mehrschichtigen Klaviersatz ist der langsame Satz der "pathetique" von Beethoven:
Melodie: mezzoforte & legato
Begleitfigur r.H.: pianissimo
Begleitfigur l.H.: pianissimo
Bass: piano & legato

allgemein: die Melodie sollte immer deutlich über allem anderen hörbar sein

noch eine alte Regel:
der letzte Ton eines Bogens etwas kürzer als notiert, damit man absetzen kann (als hole der Sänger Luft für die nächste Melodie)

mein persönlicher Tipp (so jedenfalls habe ich viel gelernt): am meisten lernt man über Melodiegestaltung aus romantischen Opern (Verdi, Wagner), da diese einerseits die Sänger (dramatisches Fach) zu Höchstleistungen zwingen, andererseits aber die längsten und spannendsten Melodien für das Singen erfordern - z.B. die Arie "celeste Aida" (Pavarotti!!) für Tenor. Aber ok, dazu muss man Opern mögen...

ansonsten gilt natürlich, alle Anweisungen (stacc. oder sonstwas) zu erfüllen, ABER auch hier gilt melodisches Spielen: denn der Melodie ist es egal, ob sie aus legato- oder staccato-Tönen besteht

abwärts Bewegungen diminuieren oft (ohne dass das in den Noten steht), aufwärts Bewegungen mit etwas crescendo - hier gilt natürlich, vor allem wenn dichtes Pedal nötig ist, dass man die Tücken des Instruments kennt: ein leichtes hörbares crescendo in mittlerer-höherer Lage erfordert für das Spielen ein recht starkes crescendo, weil die Klaviertöne immer kürzer werden, je höher sie sind.

Ich hoffe, das hilft Dir ein wenig, liebe Grüße,
Rolf
 
Hi Rolf,

wow, super Zusammenfassung (könnte fast von mir stammen ;-) ).
Gerade diese standard Klangschichtung Melodie laut, Bass mittellaut, Zwischentöne leise halt ich für super wichtig und eigentlich ganz einfach ;-) .

Ich hab' nur noch eine kleine Sache für nicht Singer und Opern Hasser wie mich:

Das Stück halt in einer guter Aufnamhe oder mehrere öfter anhören und dann imitieren/nachspielen (den eigenen Stil findet man sowieso).

Gruß
 
Die Regel "Melodie-laut Begleitung-leise" ist aber sehr mit Vorsicht zu genießen. Natürlich gibt es solche Stücke, wo die Begleitung einfach nur so vor sich hindudelt und die Melodie das einzig Interessante an dem Stück ist. Meistens sind aber auch in der Begleitung Melodien versteckt, oft sogar mehrere gleichzeitig, und dann ist polyphones Denken angesagt. Da ist dann oft die vermeintliche Begleitung viel wichtiger als die eigentliche Melodie.

Die Dynamik hängt auch extrem von der Harmonik ab. "Schräge" Noten und Akkorde sind in klassisch-romantischer Musik fast immer lauter zu spielen als die "normalen" Dreiklangsakkorde.

Auch der Rhythmus hat einen Einfluß auf die Dynamik.
 
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Schuber Wälzerchen

Ok, nehmen wir mal ein Beispiel

http://www.scribd.com/doc/254756/Schubert-38-Waltzes-Landler-and-Ecossaises-D-145-Op-18
(dort zu Nr. 6 scrollen)

Es geht immer um die rechte Hand, links beschränkt sich ja tatsächlich auf die Begleitung.

Interessant sind erstmal die Akzente auf den Fis im ersten Teil (die in diesen Online-Noten fehlen - autsch!). Harmonisch haben wir pro Fis einen Akkord, Tonica, Dominante, Tonica und dann eine Dominante ohne dieses Fis, das ganze fast wiederholt. Offensichtlich läuft es auf die zweite Dominante und dann auf das Ende des zweiten Durchgangs hinaus. Also beim zweiten Fis etwas zurücknehmen, das dritte baut den Abschluß auf. Im Prinzip könnte man das natürlich auch anders herum machen, aber das wirkt irgendwie seltsam.

Es gibt noch eine zweite Stimme in der rechten Hand, jeweils die Töne auf 1. Die zeigen den gleichen Verlauf: H Cis H pause H Cis D E D Cis...
Im zweiten Durchlauf bis zum Ende des ersten Teils wird es noch spannender aber das Schema ist das gleiche, es endet aber in D (Durparallele zu H-Moll). Dazu vielleicht gleich mehr.

Interessant ist noch der vorletzte Takt im ersten Teil. Nach der Grundregel Nummer XYZ müßte man das H betonen. Wenn man aber H-A-E-D im Zusammenhang mit dem vorhergehenden A nimmt und gleichzeitig D-Fis Cis-E als Begleitung, sieht das ganze schon anders aus.

So ganz zufrieden bin ich mit meiner Argumentation nicht, aber ich habe ja auch nicht studiert ;) Ich wollte nur mal deutlich machen, was in einem so kurzen Stück alles zu finden ist und ich habe ungefähr die Hälfte von dem erwähnt, was im ersten Teil vorkommt. Der zweite Teil ist allerdings nicht viel anders.

Was man natürlich umbedingt beachten muß, sind die Auftakte (gut erkennbar an den Pausen links) und die "Nebenauftakte", die in jedem vierten Takt kommen. Die Auftakte führen von einem großem zum nächsten Bogen, hier kann man vorher komplett neu ansetzen, die "Nebenauftakte" teilen die großen Bögen noch einmal auf, da kann man mit rechts neu ansetzen.

Es wäre vielleicht gut, wenn das nochmal jemand intellektuell aufarbeitet und meinetwegen auch widerlegt.

PS: Hier eine Aufnahme, die allerdings nicht umbedingt dem folgt, was ich oben geschrieben habe. Es klingt etwas hallig, weil ich in einer Kirche aufgenommen habe.

[MP3="http://www.guendola-productions.de/Schubert_Waltz_ b-flat_major_church.mp3"]bla[/MP3]
 
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Ein wunderbares Stück, dieser h-moll Walzer, und leider auch extremst heikel! Ich könnte das hier rein sprachlich nicht beschreiben, wie man das am besten spielen soll. Ich kann nur einige Dinge nennen, die man unbedingt vermeiden sollte.

Die Akzente auf dem fis sind schonmal total gefährlich, da gleichzeitig als Lautstärkeangabe pp dasteht. Also bloß keinen Lautstärkeakzent machen auf dem fis - lediglich einen "agogischen Akzent" (=Ton verspäten und länger halten). Dann muß man darauf achten, daß der Taktschwerpunkt trotz dem synkopischen Akzent noch erkennbar bleibt. Also auch die Eins im Takt (die punktierte Achtel) sehr gedehnt spielen aber nicht lauter! Der Walzer soll ganz jenseitig, schwerelos, sehnsüchtig und fast ein bißchen beschwipst klingen. Auf der Geige gespielt würde sich die Dynamik hauptsächlich auf den Halben Noten abspielen, als crescendo. Das geht auf dem Klavier nicht, aber man kann ja so tun als ob.

EDIT

Habe jetzt (26.4. 20:50) erst Guendolas Aufnahme gesehen. Gefällt mir sehr gut (auch der hallige Klang) vielleicht würde ich es etwas ruhiger (langsamer) anlegen, aber sonst ausgezeichnet!
 
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Die Regel "Melodie-laut Begleitung-leise" ist aber sehr mit Vorsicht zu genießen. Natürlich gibt es solche Stücke, wo die Begleitung einfach nur so vor sich hindudelt und die Melodie das einzig Interessante an dem Stück ist.

vielleicht mit Vorsicht zu genießen, aber anzuwenden...
übrigens glaube ich nicht, dass der als Beispiel genannte langsame Satz aus Beethovens op.13 zu den "Dudelbegleitstücken" zählt...
Das Primat wird immer bei der Melodie liegen, sofern eine vorhanden ist - das schließt differenzierte Begleitungen inklusive einiger Binnenstimmen nicht aus: ein sehr sehr einfaches Exempel ist Liszts Consolation III - die kann man differenziert mit ppp Begleitung und Binnenstimmchen bei Horowitz hören.

ich kann nicht nachvollziehen, was gegen Klangschichten differenzierndes Klavierspiel einzuwenden ist - was meinen persönliche Geschmack betrifft, so ist mir undifferenziertes (gar mit übertönenden Begleitungen) unangenehm (und dergleichen durfte ich heute bei einem Presiträgerkonzertchen ausgerechnet von begleitenden Klavierpädagogen/innen anhören...)

nebenbei: "Mel. laut, Begl. leise" habe ich doch extra als Übertreibung bezeichnet und auf das differenzieren/abtönen hingewiesen...

verständnislos ob des Gegenwinds bei völlig natürlichen musikalischen Angelegenheiten des Klavierspielens,
Rolf
 

Das Primat wird immer bei der Melodie liegen, sofern eine vorhanden ist

Das ist Ansichtssache.
Gegen eine dynamische Differnzierung der verschiedenen Stimmen habe ich allerdings garnichts einzuwenden. Ganz im Gegenteil. Aber nicht im Sinne von verschiedenen Ebenen, sondern im Sinne von polyphoner Dynamik. Jede Stimme muß in sich eine Dynamik haben.
 
Gegen eine dynamische Differnzierung der verschiedenen Stimmen habe ich allerdings garnichts einzuwenden. Ganz im Gegenteil.

na immerhin - schon mal ein Ansatz.

falls Dir jetzt noch gnädigerweise gelingen sollte, den langsamen Satz aus op.13 (ja überhaupt das meiste für Klavier von Bach bis Ligeti) aus den "Begleitungen dudelnden Srücken" herauszunehmen, dann sieht es ja noch besser aus :) -- ich kenne übrigens kaum ernst zu nehmende Klaviermusik, die nur aus Melodie und dudelnder Begleitung besteht (einen Quark wie "Gebet einer Jungfrau" freilichausgenommen, wobei deren Melodie der bescheuerten Begleitung in nichts nachsteht...); ein gewisser Mozart vermochte noch aus den banalsten Albertibässen mehrer Binnenstimmen herasuzuholen (KV330 zum Beispiel)

DASS jede Stimme durchaus Dynamik hat, DASS diese auch dargestellt werden soll, halte ich für selbstverständlich - allerdings wird das wohl erst gelingen können, wenn man über die erwähnte Differenzierung verfügt. Niemand erklärt, man solle Melodien lebendig gestalten, aber "Begleitungen" nur dudeln (auch wenn das oft und gerne praktiziert wird).

Das Primat der Melodie bleibt freilich unangetastet: selbst perkussive Stücke wie "Suggestion diabolique" oder "Danse russe" MÜSSEN melodisch gespielt werden - wenn da irgendwo der melodische Zusammenhang untergeht, kommt nur noch Geklimper aus dem schwarzen Kasten (es sollte zu denken geben, dass z.B. Pollini in Danse russe immer die Oberstimme/Melodie heraushebt)

Nebenbei: eine der letzten Aufnahmen von Horowitz enthält die enorm vielschichtige/vielstimmige Transkription "Isoldens Liebenstod" - da hört man IMMER über allem die Melodie, egal wie vielstimmig es ist (herrje: wenn sie singen kann, hört man da ja auch die Isolde), UND man kann durchaus sehr klar und deutlich alles hören, was differenzierte sehr sehr leise Nebenstimmen zum vielschichtigen Gesamtklang beitragen.

zudem geht das räumliche Hören unter, wenn man nicht differenziert vielschichtig gestalten (sic!) kann - dann entsteht ein Brei, aus dem man nicht sonderlich schlau wird.

freilich finden sich in manchen Klavierwerken gegenläufige Dynamiken, z.B. in Chopins zweitem Scherzo - dass das hier nur wenige realisieren, mag traurig sein, liegt aber weder am Stück noch an den Möglichkeiten des Klavierspiels.

abschließend zur Illustration: will irgendwer den ersten Satz der Mondscheinsonate so hören, dass man fast nur die Achteltriolen wahrnehmen kann?????

Auch im Klang"bild" gibt es Vorder- und Hintergrund (und lächerlich wird es nicht nur im Theater, wenn Nebenrollen dominieren)

mit unbelehrbarem Gruß,
Rolf
 
Niemand erklärt, man solle Melodien lebendig gestalten, aber "Begleitungen" nur dudeln (auch wenn das oft und gerne praktiziert wird).

Ja siehst du, Rolf, wir sind doch garnicht so weit auseinander (wenn überhaupt)

Ich weise eben nur gern auf die Gefahr von Vereinfachungen hin. Wenn sich so eine "Regel" (die Melodie ist immer lauter als die Begleitung) erstmal im Gehirn festgesetzt hat, kriegt man die so leicht nicht wieder raus.

Ganz ähnliches gilt ja auch für die "Taktschwerpunkte": wer erstmal gelernt hat, daß 1 und 3 immer betont und 2 und 4 immer unbetont sind, der wird kaum noch eine schöne Träumerei spielen können.

Das Primat der Melodie bleibt freilich unangetastet: selbst perkussive Stücke wie "Suggestion diabolique" oder "Danse russe" MÜSSEN melodisch gespielt werden - wenn da irgendwo der melodische Zusammenhang untergeht, kommt nur noch Geklimper aus dem schwarzen Kasten (es sollte zu denken geben, dass z.B. Pollini in Danse russe immer die Oberstimme/Melodie heraushebt)

Deshalb sind mir auch die Stücke am liebsten, die erst garkeine Melodie haben :p
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Musikalische Gestaltung und Artikulation

Hallo liebe Clavio-Leser und -schreiber,

danke für eure vielfältigen erkenntnisreichen Antworten. Ich werde mir diese Beiträge sicher noch mehrmals durchlesen und versuchen, das hier Gesagte beim Üben und Spielen zu berücksichtigen. Eine Frage nur noch:

Welche Stücke gehören eurer Meinung nach zu dem "Hör-Repertoire" an dem man die Feinheiten und Details der musikalischen Gestaltung erkennen kann?


Beste Grüße

Debbie digitalis
 
Deshalb sind mir auch die Stücke am liebsten, die erst garkeine Melodie haben :p

...wie schade, dass die Komponisten nur sehr wenige solche verfasst haben :) und wie merkwürdig, dass die Pianisten just diese dennoch "melodisch" gestalten (Chopin Sonate II Finale)

betrachte doch die "Regel" Melodie lauter, Füllklänge leise, Bass konturiert einfach als einen Ansatz zum erlernen der einzigen wirklich ernstzunehmenden Regel: der Klang muss sinnvoll und schön sein :) ...irgendwo muss man ja anfangen, und bei allem, was man lernt, fängt man erst mal mit allgemeineren und einfacheren Zusammenhängen an (wiewohl ich mich frage, warum das differenzieren so ungern gelingt und linke Hände gar zu gerne viel zu laut herumpampen, und das nicht nur bei "Schülern"...)

wenn man die Melodie über allem hören kann - dazu muss sie nicht brutal trompeten, im Gegenteil: aber wahrnehmbar muss sie sein, weil sie immer den Zusammenhang stiftet.

Gruß,
Rolf
 
Welche Stücke gehören eurer Meinung nach zu dem "Hör-Repertoire" an dem man die Feinheiten und Details der musikalischen Gestaltung erkennen kann?


Beste Grüße

Debbie digitalis

hallo,

Schubert/Liszt "Ständchen", gespielt von Horowitz
Rachmaninov: Polka de V.R. gespielt von Horowitz
Wagner/Liszt: Isoldens Liebestod, dito Horowitz

Chopin: Jugendpolonaisen gespielt von Halina Czerni-Stefanska

Schumann: Papillons, gespielt von Kempff

das wäre eine sehr schöne und bestens gekonnte Auswahl - die empfehle ich wärmstens (klar kann man die ergänzen)

Gruß, Rolf
 
hallo,
was das anhören betrifft: ich mag CDs mehr (am liebsten live Aufnahmen) als youtube - irgendwie ist die Klangqualität in den Videos oft arg beeinträchtigt (und ich glaube nicht, dass mein macbook zu mies ausgestattet ist).
übrigens ist auch die CD von Horowitz Moskauer Konzert gerade für die hier gestellte Frage nach Exempeln mehr als nur lehrreich (jedenfalls hört man da Scarlatti, Mozart, Chopin, Liszt, Skrjabin, Rachmaninov, Schumann und Moszkowski auf geradezu überirdischem Niveau, und das live)
Gruß,
Rolf
 
Schubert/Liszt "Ständchen", gespielt von Horowitz
Rachmaninov: Polka de V.R. gespielt von Horowitz
Wagner/Liszt: Isoldens Liebestod, dito Horowitz

Chopin: Jugendpolonaisen gespielt von Halina Czerni-Stefanska

Schumann: Papillons, gespielt von Kempff

das wäre eine sehr schöne und bestens gekonnte Auswahl - die empfehle ich wärmstens (klar kann man die ergänzen)

Hallo Rolf,

danke für diese Hörliste.

Ich werde mal stöbern, einges davon besitze ich ja bereits auf CD,
allerdings von anderen Pianisten gespielt, also von den von dir genannten.
Vielleicht kann man sich ja auch noch mal eine Horowitz-CD zulegen.

Youtube Aufnahmen finde ich für diesen Zweck auch nicht sonderlich geeignet. Zumindest aus meinen PC-Boxen klingen die immer ziemlich verzerrt und blechern.

Beste Grüße

Debbie digitalis
 

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