Motiv B-A-C-H, Wie damit umgehen?

in der Tat tragen Seitenbemerkungen darüber, dass es abgesehen von b-a-c-h noch ein paar andere Gemeinplatz gewordene Themen und Akkordfolgen gibt, nichts direkt zu b-a-c-h bei - außer dass man bemerkt, dass es nix einzigartiges ist.

[...]

worauf Du hinauswillst, Kernbeisser, wird mir irgendwie nicht so ganz deutlich
Stimmt, direkt zu b-a-c-h tragen solche Seitenbemerkungen nichts bei, aber so wie ich Kernbeisser verstanden habe, tragen sie (bzw. zumindest die Pachelbel-Sequenz) zur Betrachtung der konkreten Stelle aus der Reger-Humoreske bei und geben außerdem auch Denk- und Betrachtungsansätze, wie das b-a-c-h-Motiv ungewollt/zufällig auftreten kann.

Es ist wohl auch so, dass (auf die zwei Regertakte bezogen) jeder zunächst etwas anderes sieht. Dem einen fällt das b-a-c-h ins Auge, dem anderen die Basstöne g-d-a-e, wobei dann der eine eine Quintfallsequenz sieht und sie mit der Pachelbel-Sequenz assoziiert (welcher freilich dann die Schlusskadenz fehlt, die mit b-a-c-h wirklich nichts mehr zu tun hat), der andere wiederum eventuell sogar an leere Geigensaiten denkt.

Ein und dieselbe Stelle, aber verschiedene Assoziationen mit verschiedenen Gemeinplatz-Themen. Welche der Assoziationen Reger beim Komponieren wichtig war (wenn überhaupt eine, abgesehen von der reinen Sequenz ohne den aufgestülpten Namen b-a-c-h oder Pachelbel) wusste wohl nur Reger selbst.

(Und weil wo anders ja seit vielen Tagen ein Off-Topic-Faden hochkocht, den ich nur absolut am Rande verfolgt habe und über deren Inhalt ich deshalb nichts sagen kann:
Ich finde, dieser Thread hier ist ein schönes Beispiel, dass Off-Topic nicht zwingend schlecht sein muss, sondern ebenso viele lesenswerte Aspekte beinhalten kann. Darüber soll nun aber bitte zumindest HIER nicht debattiert werden, auch wenn ich es gerade eben hier schreibe.)
 
Von Bach machst Du Dir offenbar recht seltsame Vorstellungen. Er hat sich nicht für zwo Pfennige drum geschert, was "Ausländer" mit seiner Musik anfangen konnten. Es hat ihn auch nicht bekümmert, ob seine Landsleute die theologisch begründete Konstruktivität seiner Musik nachvollziehen konnten oder nicht - es war ihm schlichtweg egal. Nicht Menschen waren der Adressat seiner Musik, sondern Gott. Das ist zwar eine heute sehr unübliche Sichtweise, ändert aber nix daran, daß Bach so empfunden hat.

Ich habe dargelegt, dass meiner Meinung nach Ausländer Schwierigkeiten haben können, die Doppelbedeutung des Wortes "Kreuz" zu erfassen, wenn in einer Kreuzigungsmusik viele zusätzliche Kreuze in den Noten stehen.
Und das diese Gefahr sinngemäß auch bei Namen vorhanden ist, die den Buchstaben "H" enthalten - vom prominenten Thema "BACH" vielleicht abgesehen, weil es so bekannt ist.

Mit keinem Wort habe ich jedoch gemutmaßt, ob Bach an nichtdeutschsprachige Menschen dachte beim Komponieren von z.B. Kreuzkonstruktionen. Ich maße mir nicht an, mich in die Sichtweise des Genies Bach hineinversetzen zu können.

Aus der Tatsache, dass Bach viele seiner Werke mit "Soli Deo Gloria" oder "Deo Soli Gloria" unterzeichnete, kann man noch lange nicht ableiten, dass ihm die Menschen als Rezipienten seiner Kunst egal wären. Wieso hat er dann andere Werke z.B. unterzeichnet mit "Dem Höchsten zu Ehren, und dem Nächsten, sich daraus zu belehren"? Wenn es ihm egal gewesen wäre, ob die Menschen was mit seiner Kunst anfangen können, würde er sowas jedenfalls nicht schreiben.

Wenn Belege vorgelegt werden können, die diese Mutmaßung erhärten, dass Bach nicht an die Menschen gedacht hätte bei seiner Musik, und ihm egal gewesen wären, nur her damit. Allein aus dem Spruch "Soli Deo Gloria" so etwas abzuleiten, ist jedenfalls ziemlich kurz gedacht, wenn nicht gar anmaßend.

Wer hier von Bach seltsame Vorstellungen hat, lassen wir also mal besser dahingestellt.;)
 
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Joi, Mindenblues, was für ein polemischer Furor!

Leider muß ich Dich enttäuschen - mit Dir zu streiten, dazu fehlt mir nun wirklich jede Lust.
Aber Deine Fragen will ich beantworten.

Ich maße mir nicht an, mich in die Sichtweise des Genies Bach hineinversetzen zu können.

Lassen wir das Genie beiseite - das ist bürgerlicher Heroenkult - und beschränken uns auf Bach, einverstanden?

Und in meinem Fall ist das keine Anmaßung.

Aus der Tatsache, dass Bach viele seiner Werke mit "Soli Deo Gloria" oder "Deo Soli Gloria" unterzeichnete,
kann man noch lange nicht ableiten, dass ihm die Menschen als Rezipienten seiner Kunst egal wären.
Wieso hat er dann andere Werke z.B. unterzeichnet mit "Dem Höchsten zu Ehren, und dem Nächsten,
sich daraus zu belehren"? Wenn es ihm egal gewesen wäre, ob die Menschen was mit seiner Kunst anfangen können,
würde er sowas jedenfalls nicht schreiben.

Er kann nichts mehr schreiben. Du meinst: "...hätte er sowas nicht geschrieben haben können".

Ich habe nicht behauptet, daß ihm die Menschen als Rezipienten seiner Kunst egal gewesen seien.
Ich habe gesagt, daß sie nicht die Adressaten seiner Kunst gewesen sind,
und ich leite das nicht aus einer Selbstverständlichkeit wie dem "Soli Deo Gloria" her,
sondern aus der Musik, die sich an einem Ideal von Reinheit und Vollkommenheit bemißt,
das der alttestamentlichen Vorstellung vom "reinen und makellosen Opfer" entspricht: Vor Deinen Thron tret ich hiermit;
sowie der neutestamentlichen Weiterführung dieses Gedankens, daß Christus selbst
das reine und makellose Opfer ist, aus der sich für den Gläubigen die Imitatio Christi herleitet.

Wenn es Menschen gab, die seine Musik verstanden haben, so hat das den
seiner Umwelt gegenüber bis zur Sprödigkeit autonomen Bach womöglich gefreut
(und natürlich gibt es von ihm quasi als Bewerbungsschreiben komponierte Musik - man kennt die Geschichten),
was nichts daran ändert, daß er künstlerisch kompromißlos und ihm das Verständnis seiner Zeitgenossen
zur Not wurscht war. Der Beleg: seine Musik - und vor deren in der Konstruktion Gestalt annehmender Theologie
stehen nicht nur Ausländer, sondern auch Inländer so verständnislos da wie der sprichwörtliche Ochs vorm Berg.

Allein aus dem Spruch "Soli Deo Gloria" so etwas abzuleiten, ist jedenfalls ziemlich kurz gedacht,
wenn nicht gar anmaßend.

Nu, hab ich ja auch nicht gemacht.


Gruß, Gomez

.
 
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Dann ist der Ausdruck "Höllenlärm" für ihre Musik ja mehr als gerechtfertigt.



Ist das die Sprache der Aufklärung?


Irritation statt Gruß,

Gomez

Hi Gomez,

nur weil ich infernalischen Lärm nicht mag soll ich nicht als Aufklärer wirken ?

Ein seltsamer Schluss, der mir wenig einleuchtet.

Andre Hamelin hat in mehreren Intervews gesagt, dass er solche Musik besonders bevorzugt und unter ihnen die Japaner, weil die den meisten Krach machen. Die Japaner machen viele für uns merkwürdige Dinge, die ich hier nicht aufzähle und man kann schlecht in andere köpfe hineinleuchten.

Ich habe viele Jahre versucht, einen Sinn hinter dieser Musik zu entdecken. Es gibt diesen Sinn und man kann das alles begründen, aber es widerstrebt meinem Gefühl.

Und ich will gerne erklären, warum ich das so sehe aber heute bin ich platt, denn ich habe ausser der Reihe viel unterrichtet und ich krieg nichts mehr gebacken.

Mit gehts wie der Pastorin Höhlenrauch (Thomas Mann)
 
Wenn Belege vorgelegt werden können, die diese Mutmaßung erhärten, dass Bach nicht an die Menschen gedacht hätte bei seiner Musik

wie soll das gehen, woher sollten solche Belege kommen - umgekehrt: wieso soll man das Denken an die Menschen für wahrscheinlich halten? Meinst Du damit, dass er an ein Publikum gedacht hat (und wie es reagiert), oder an ihm nahe stehende Personen?

ich verstehe noch nicht so ganz, woran sich eine eventuelle Kontroverse hier überhaupt entzündet.

ich halte für wahrscheinlich, dass ein Komponist (und damit auch Bach) zunächst mal in Musik, in Klängen gedacht hat, jedenfalls während des Komponierens - - ich würde mich wundern, fände sich ein Beleg, ein Komponist habe dabei an Kartoffeln schälen oder Nachbars niedliche Muhme gedacht :) :)
 
wie soll das gehen, woher sollten solche Belege kommen - umgekehrt: wieso soll man das Denken an die Menschen für wahrscheinlich halten? Meinst Du damit, dass er an ein Publikum gedacht hat (und wie es reagiert), oder an ihm nahe stehende Personen?

Woher solche Belege kommen sollen? Das ist für mich ganz einfach: es zählen ausschließlich Primärquellen. Also zu Papier gebrachte Aussagen aus erster Hand, von Bach, oder Leuten, die direkt mit ihm in Kontakt waren, deren Glaubwürdigkeit so weit es geht hinterfragt wurde, und seine Aussagen niedergeschrieben haben.

Zum Beispiel folgende (mutmaßliche?) Aussage Bachs, die unzählig oft im Internet herumgeistert:
Er soll gesagt haben:
"Mit aller Musik soll Gott geehrt und die Menschen erfreut werden.".
Zu meinem Kummer weiß ich nicht die Herkunft, kann es also auch nicht verbindlich als Primärquelle einordnen. Daher meine Einschränkung mit "mutmaßlich" bzw. "soll gesagt haben".

Wenn es jedoch stimmen sollte (vielleicht kennt jemand die Quelle? Stand es im Nekrolog?), wäre es eben eine direkte Aussage vom Meister persönlich dazu, dass ihm das Erreichen der Menschen mit seiner Musik doch nicht ganz egal war, dass er eben nicht nur in abstrakter Form die Musik an Gott gerichtet hat, so wie es hier von Gomez dargestellt werden möchte (wie gesagt, zu den genannten Mutmaßungen von Gomez vermisse ich belegende Zitate, Primärquellen etc. - ansonsten bleiben es eben nett zu lesende und auch interessante Privatmeinungen, aber eben nicht mehr, nicht weniger).

Entschuldigung wegen OT, aber wenn ich gefragt werde, will ich auch antworten...
 
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dass er eben nicht nur in abstrakter Form die Musik an Gott gerichtet hat, so wie es hier von Gomez dargestellt werden möchte

Weder möchte es Gomez so darstellen, noch hat er das hier getan.


Mal ne Frage, Mindenblues:

Wie ist das? Gibt es neben


auch sowas wie ne konkrete Form?

Ich mein: Wenn ich Dich schon frage, dann willst Du doch auch antworten?
Oder sollte ich lieber sagen: "posten", hmmm?


Aufklärende Belehrung begierig erhoffend

Der Poster
 
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off-topic

Woher solche Belege kommen sollen? Das ist für mich ganz einfach: es zählen ausschließlich Primärquellen. Also zu Papier gebrachte Aussagen aus erster Hand, von Bach, oder Leuten, die direkt mit ihm in Kontakt waren, deren Glaubwürdigkeit so weit es geht hinterfragt wurde, und seine Aussagen niedergeschrieben haben.
Zum Beispiel folgende (mutmaßliche?) Aussage Bachs, die unzählig oft im Internet herumgeistert:
Er soll gesagt haben:
"Mit aller Musik soll Gott geehrt und die Menschen erfreut werden.".
Zu meinem Kummer weiß ich nicht die Herkunft, kann es also auch nicht verbindlich als Primärquelle einordnen. Daher meine Einschränkung mit "mutmaßlich" bzw. "soll gesagt haben".

Hallo Mindenblues,

jetzt verstehe ich, was Du meinst.

Ich halte das für ein schwieriges Thema, weil die Komponisten nicht eben oft Kompositionslehren, musikästhetische Lehrbücher usw. verfasst haben. Und wo es doch der Fall war, wie z.B. bei den oft zitierten umfangreichen Theorien des Musikdramas bei Wagner, da stellt sich dann zudem die Frage, ob der Komponist denn die eigenen Theorien wirklich erfüllt habe.

Die Quelle der von Dir zitierten angeblichen Aussage von Bach kenne ich auch nicht. Aber ich frage mich: wenn das eine Äußerung von Bach ist, was sagt die denn großartiges, neues oder spezielles? Und da finde ich, dass dieser sehr allgemein gehaltene Satz vielleicht sogar mißverständlich oder doppelsinnig ist: das Lob Gottes ist ja klar (man schreibt keine atheistische Matthäus-Passion), aber was ist es, womit die Menschen erfreut werden? Nur quasi schöne Musik, oder Gott lobpreisende Musik? Und angenommen, die beiden Funktionen stünden beziehungslos nebeneinander, dann wäre eine Situation denkbar, in welcher die Menschen erfreut werden, aber vom Lob Gottes gar nichts mitkriegen :).

Es stecken rhetorische Qualitäten in diesem Zitat: das Lob Gottes ist sowohl dem docere (belehren) als auch dem movere (bewegen) verpflichtet, das erfreuen dem delectare. Die Musik selber kann dabei die Gewichte umverteilen: die großartige Einleitung der Matthäuspassion enthält sicher sehr viel vom movere, und in welcher Weise sie erfreut ist fraglich.

Wenn, was ja in vielen Fällen so ist, gelegentliche Äußerungen von Komponisten vorhanden sind, die aber kein umfangreiches Traktat ergeben, so halte ich es für schwierig, die komplette kompositorische Intention einzig auf solche sporadischen Sentenzen zu beziehen.

Dass Musik im weitesten Sinne erfreuen soll, halte ich nun nicht für allzu bemerkenswert, sondern für selbstverständlich - und das war wohl auch zu Bachs Lebzeiten so. Es gab Tafelmusiken aller Couleur, Opern, Kammermusik und Kirchenmusik. Es gab unterschiedliche Stile, z.B. die "italiänische Manier" usw. Und Bach war in vielem tätig und hat eben auch verschiedene Musiken komponiert, vom musikalischen Opfer bis zu didaktischen Praeludien, von Kunst der Fuge bis zu Brandenburgischen Konzerten. Gottes Lob wie weltlicher Glanz findet sich da.

Ich kann aus der zitierten Sentenz ehrlich gesagt nichts besonders eigentümliches herausdestillieren.

Zuletzt bleibt natürlich auch die Frage, ob denn nun die erklärende Deutung seiner Intention seitens eines Komponisten absolut verbindliche Wirkung hat. Wenn z.B. fiktiv Komponist XY seine Partitur aufschreibt und dazu ein Traktat verfasst, in welchem es heisst "das hier ist ein Walzer, er soll nur erfreuen und gefallen, wenn man dazu tanzt" dürfte man diesen ja nur auf dem Tanzboden spielen (und vorher im stillen Kämmerlein natürlich üben). Es ist ein heikles Gelände.

Gruß, Rolf
 
Na, Mindenblues,

wie pppetc schon gesagt hat - die Formulierung "in abstrakter Form"
käme mir nicht über die Lippen. Netter finde ich Deine Formulierung:

...so wie es hier von Gomez dargestellt werden möchte...

Das stimmt - gegen Deine Idee, Bach sei so etwas wie der Helmut Markwort
des 18.Jahrhunderts ("Noten, Noten, Noten - und immer an die Hörer denken!")
möchte der korrekte Sachverhalt gerne dargestellt werden - von wem auch immer.

...zu den genannten Mutmaßungen von Gomez vermisse ich belegende Zitate, Primärquellen etc.

Zum Glück haben wir die eine relevante Primärquelle, auf die ich mich beziehe:
Bachs Musik.

Entschuldigung wegen OT, aber wenn ich gefragt werde, will ich auch antworten...

Dafür mußt Du Dich nicht entschuldigen - es ist kein Off-Topic-Gespräch.
Vom Umgang mit B-A-C-H zum Umgang mit Bach - il n'y a qu'un pas.

Gruß, Gomez
 

Nur weil ich infernalischen Lärm nicht mag soll ich nicht als Aufklärer wirken ?

Hi, Klavigen!

Ein bischen sanfte Ironie schwang in meiner Frage mit.

Ich habe viele Jahre versucht, einen Sinn hinter dieser Musik zu entdecken.
Es gibt diesen Sinn und man kann das alles begründen, aber es widerstrebt meinem Gefühl.

Wie Du weißt, kennt die Aufklärung keine Denkverbote und keine Tabus -
genauer gesagt: Bei Tabus und Denkverboten wird es für sie doch überhaupt erst interessant!
Als Aufklärer müßtest Du hellhörig werden, wenn Du Dich selbst sagen hörst:

...aber ich werde mir keine Mühe mehr geben, diese Klänge zu verstehen.

und mit Emotionen ("widerstrebt meinem Gefühl") kannst Du als Aufklärer gar nicht reüssieren.

Gruß, Gomez
 
@ Gomez:

Konkret: wir diskutieren um den Adressaten von Bachs Kunst- ob es Bachs Ziel alleine war, Gott wohlzugefallen und ihm zu Ehren zu komponieren oder ob die Menschen ebenfalls Adressaten seiner Kunst waren.

Das von mir gezeigte Zitat Bachs (wenn es denn ein Originalzitat und damit von entsprechend erstklassigem Gewicht ist) "Mit aller Musik soll Gott geehrt und die Menschen erfreut werden." steht im Widerspruch zu deiner Aussage (bezogen auf die Menschen): "Ich habe gesagt, daß sie nicht die Adressaten seiner Kunst gewesen sind".
Das Zitat von Bach zeigt nämlich zwei Adressaten: Gott und die Menschen. Denn wenn man Menschen erfreuen will, ist ganz klar damit ein weiteres gerichtetes Zielobjekt, aka Adressat, benannt, nämlich die Menschen, die man erfreuen soll mit seiner Kunst!

Wenn Bach also sowohl Gott als auch die Menschen als Adressaten seiner Kunst verbal benennt , wird damit die Frage des Adressaten konkret beantwortet - und nicht nur in "abstrakter Form" (hups, schon wieder das verpönte Wort).

Alleine sich auf die Musik als Primärquelle bei der Beantwortung der Frage zu beziehen, ob Gott der ausschließliche und alleinige Adressat Bachs Kunst für ihn war, ist viel zu vage, weil Musik einen höheren Abstraktionslevel hat als das gesprochene Wort. Halten wir uns also lieber an die konkret formulierten verbalen Aussagen von Bach (so sie stimmen - dafür verbürge ich mich nicht!). Wenn du da welche hast, die deine Aussagen untermauern, nur her damit. Im Zweifelsfall halte ich mich lieber an niedergeschriebene Aussagen aus Primärquellen, wenn es um Beantwortung solcher Fragen geht - die sind konkret und nicht abstrakt...
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Hi, Klavigen!

Ein bischen sanfte Ironie schwang in meiner Frage mit.



Wie Du weißt, kennt die Aufklärung keine Denkverbote und keine Tabus -
genauer gesagt: Bei Tabus und Denkverboten wird es für sie doch überhaupt erst interessant!
Als Aufklärer müßtest Du hellhörig werden, wenn Du Dich selbst sagen hörst:



und mit Emotionen ("widerstrebt meinem Gefühl") kannst Du als Aufklärer gar nicht reüssieren.

Gruß, Gomez

Hi Gomez,

Hier hast du wirklich mit allem Recht. Du wirst sicher gemerkt haben, dass ich dich mit diesen Aussagen aus der Höhle locken wollte.

Zum guten Streit gehört es. bisweilen Positionen zu beziehen, die man nur temporär halten möchte, damit die Gegensätze klarer formuliert werden.

Ich wundere mich fast, dass du nicht ein bischen fester zugeschlagen hast. Oder hast du auch hier wieder den Braten gerochen?

Wenn es um Musik geht, kann ich einfach nicht sachlich bleiben und will es auch nicht.

Immerhin solltest du mir insoweit glauben, dass ich sehr lange mit offenem Geist und dem Willen zur Erweiterung des eigenen Horizontes mich bemühte, einen Standpunkt zur Rezeption zeitgenössicher Musik zu finden.
 
Immerhin solltest du mir insoweit glauben, dass ich sehr lange mit offenem Geist und dem Willen zur Erweiterung des eigenen Horizontes mich bemühte, einen Standpunkt zur Rezeption zeitgenössicher Musik zu finden.

da gibt es ja sehr verschiedene Sorten - also ich bin mir ziemlich sicher, dass Dir fratres von Arvo Pärt für Violine und Klavier schon beim allerersten Hören oder Spielen gefällt (falls das nicht schon längst geschehen ist) - - zeitgenössische Musik besteht ja nicht einzig aus Donaueschinger Musiktagen :)
 
da gibt es ja sehr verschiedene Sorten - also ich bin mir ziemlich sicher, dass Dir fratres von Arvo Pärt für Violine und Klavier schon beim allerersten Hören oder Spielen gefällt (falls das nicht schon längst geschehen ist) - - zeitgenössische Musik besteht ja nicht einzig aus Donaueschinger Musiktagen :)


Völlig richtig dieser Hinweis, rolf.

In der Tat meine ich keinesfalls alle zeitgenössischen Komponisten sondern spezielle die, die mit dem Flügeldeckel klappern und Nägel auf die Saiten legen und andere Späße.

Auch Cellisten, die mit ihrem Instrument Klänge erzeugen wie in einem Schlachthof gehören dazu. Ich meine aber, es sei klar, welche Musik ich meine.
 
'n Abend, Mindenblues!

Das von mir gezeigte Zitat Bachs (wenn es denn ein Originalzitat und damit von entsprechend erstklassigem Gewicht ist)
"Mit aller Musik soll Gott geehrt und die Menschen erfreut werden." steht im Widerspruch zu deiner Aussage
(bezogen auf die Menschen): "Ich habe gesagt, daß sie nicht die Adressaten seiner Kunst gewesen sind".

Ist das Bach-Zitat apokryph, taugt es selbst Dir nicht als Beleg für irgendetwas.
Ist es authentisch, wird Dich das erfreuen und mich trotzdem nicht überzeugen.

Worauf Rolf schon hingewiesen hat - den Aussagen von Künstlern über ihre Arbeit
ist zu mißtrauen: Künstler sind wahlweise unwillig oder unfähig, reflektierend zu wiederholen,
was sie mit anderen Mitteln bereits gesagt haben/sie betreiben vorsätzliche Täuschung
oder malen ein Wunschbild von sich selbst/sie sind als Exegeten ihrer Arbeit schlicht überfordert.

Aber das ist das geringere Problem. Was Du Dir vielleicht gar nicht vorstellen kannst:
Ein Künstler ist während der Arbeit seiner Arbeit verpflichtet und sonst niemandem.
Das Gegenüber, dem er gerecht werden will, ist das Werk selbst.

Nun magst Du sagen: Mit einem Gutteil seiner Musik hat Bach pädagogische Ideen verfolgt,
Stücke für den Hausgebrauch, für Weib und Kinder geschrieben -
anderes quasi als Begleitmusik für Stellenbewerbungen und Aufnahmegesuche -
da sind eindeutig Menschen die Adressaten seiner Kunst!
Was ich nicht bestreite - man könnte noch mehr davon anführen, und ich glaube gern,
daß Bach garantiert nichts gegen eine verständnisvolle Aufnahme seiner Musik hatte.
Nur war die Akzeptanz seiner Musik durch andere für ihn ein Nebeneffekt - als Mensch vielleicht,
aber künstlerisch hat er das Wohlwollen und die Anhänglichkeit anderer Menschen nicht gebraucht.

Der Beleg? Wie schon gesagt - die Musik. Dazu schreibst Du:

Alleine sich auf die Musik als Primärquelle bei der Beantwortung der Frage zu beziehen,
ob Gott der ausschließliche und alleinige Adressat Bachs Kunst für ihn war, ist viel zu vage,
weil Musik einen höheren Abstraktionslevel hat als das gesprochene Wort.

Das ist für mich nicht nachvollziehbar. Die Musik ist nicht vage, sondern ganz eindeutig.
Ich muß mich jetzt wiederholen. Um die Reinheit und Vollkommenheit seiner Musik begreiflich
zu machen, habe ich den alttestamentlichen Begriff des "reinen und makellosen Opfers" bemüht,
ferner die neutestamentliche Weiterführung dieses Gedankens, demzufolge Christus selbst
das reine und makellose Opfer ist, woraus sich die Idee der Imitatio Christi herleitet -
für die orthodox-lutherischen, pietistisch angehauchten Menschen jener Zeit
und in Bachs Umfeld eine Selbstverständlichkeit:

Zitat aus Römer 12,2:

"Stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes,
auf daß ihr prüfen möget, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute, Wohlgefällige und Vollkommene".

So wie man einen Erntedank-Altar nicht mit halbverfaulten Früchten und verschimmeltem Brot schmückt,
so wenig gibt sich der Kantor Bach mit kompositorischen Gemeinplätzen ab - im Gegenteil,
auch in den reinen Instrumentwerken bemüht er sich um eine Reinheit der (überwiegend) polyphonen Stimmführung und vermeidet harmonisch ausgelatschte Muster, im Bewußtsein,
mit seiner Musik vor Gott zu treten - "Vor Deinen Thron tret ich hiermit".

Zur womöglich nahestehenden Frage, ob die oben beschriebene künstlerische Autonomie
nicht dem Gottesbezug widerspricht: für jemanden, der sein Werk und Leben als Gottesdienst versteht,
selbstverständlich nicht.

Gruß, Gomez

.
 
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Hallo,

Interessant (um nicht zu sagen: fragwürdig) finde ich die Aussage, Musik sei abstrakter als das gesprochene Wort, und zwar, weil ich z.Zt. bei meinem 18 Monate alten Jungen sehe, dass er sich um ein vielfaches leichter tut, Melodien und Rhythmen nachzumachen als Worte. Er summt schon komplette Melodien wie "Der Kuckuck un der Esel", oder klatscht relativ komplexe Rhythmen, wieder und wieder. Und meine alte Oma, ruhe sie in Frieden, konnte auf ihrem Sterbebett schon nicht mehr reden, aber Lieder mitsummen, das konnte sie noch.

Das ist für mich das Erstaunliche und Wunderbare, gerade an Bachs Musik: dass er einerseits recht "abstrakte", ja, geradezu mathematische Elemente hineinkomponiert hat, andererseits geht mir die Musik (haut)nah und ist somit für mich konkret wie kaum ein gesprochenes Wort.

Ist nur ne kleine Nebenbemerkung, wo das Stichwort "abstrakt" halt fiel. Mögen die Off-Topic-Sittenwächter mir gnädig sein.

Ciao,
Mark
 
Gomez, was du geschrieben hast (und auch wie), klingt schon auch für mich überzeugend. Natürlich sehe ich es auch so, dass Bach z.B. bei seinen Akkordprogressionen z.B. aus der g-moll-Fantasie oder h-moll-Messe , die selbst heute noch kühn klingen, nicht dran gedacht haben kann (zumindest nicht in erster Linie), seinen Mitmenschen zu gefallen. Die mußten sich erstmal an die "vielen frembden Töne" gewöhnen, so wie sich entsprechend in seiner jungen Arnstädter Zeit sogar darüber beklagt hatten. Ich habe nur Probleme mit solch absoluten Darstellungen, dass Bach nur Gott verplichtet gewesen sei (sinngemäß), aber du hast auch Beispiele gebracht, wo Bach durchaus auch daran dachte, seine Hörer "zu erfreuen".

Was Du Dir vielleicht gar nicht vorstellen kannst:
Ein Künstler ist während der Arbeit seiner Arbeit verpflichtet und sonst niemandem.
Das Gegenüber, dem er gerecht werden will, ist das Werk selbst.

Doch, das kann ich mir vorstellen, und geht mir sogar selber so, wenn ich versuche, ein Stück intensiv zu üben, oder ein paar eigene Noten zu Papier zu bringen - das klappt nur, wenn alles rundherum versinkt, und im besten Fall die Zeit stehen bleibt. Kein Gedanke an was anderes - also auch nicht, ob es jemandem anderen gefällt - sollte im besten Fall stören.

Bzgl. Topic-Thema:
Bis jetzt wurde noch gar nichts zu den immerhin 6 Orgelfugen von Schumann gesagt, die alle über das gleiche Thema, nämlich B-A-C-H gehen. Ich habe nur eine davon mal angespielt, kann nichts dazu beitragen. Aber vielleicht hat sich jemand anderes intensiver damit auseinandergesetzt?
 
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