Mit 9 oder 10 Jahren das Klavierspiel begonnen - der Zug schon abgefahren?

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WittgensteinKlavier

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27. Okt. 2013
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Hallo,

hier im Forum bin ich immer wieder auf die Behauptung gestoßen, dass man zwar auch im fortgeschrittenen Alter noch passabel Klavierspielen könne, der Zug für wirklich großes Können aber abgefahren sei, sofern man nicht als Kind schon Unterricht hatte.

Als Beispiel wurden immer Pianisten oder Anwärter für ein Musikstudium genannt, die schon mit ca. 5 oder 6 das Klavierspiel begonnen hatten.
Ich selbst hatte im Alter von 9 oder 10 (genau weiß ich es nicht mehr :/) das erste Mal Unterricht bis ich 16 war, dann zwei Jahre pausiert und nochmal von 18 - 19 Jahren Unterricht genommen. Also insgesamt 7 - 8 Jahre. Mit Beginn des Studiums habe ich phasenweise mal mehr oder weniger gespielt, leider bis vor einigen Monaten nicht wirklich ernsthaft. Nun habe ich gemerkt, wie sehr es mir fehlt, und nehme wieder alle 2 Wochen Unterricht, habe mir auch ein akustisches Klavier für meine Wohnung gemietet.

Mein Ziel: Ich würde gern irgendwann ein Solokonzert im kleineren Rahmen geben und frage mich, ob das noch realistisch ist, am liebsten um den 30. Geburtstag herum. Mit einem Repertoire aus Chopin, Grieg, Rachmaninov Préludes ua....Bin nun 22 und es fällt mir schwer, mich und mein Können selbst einzuschätzen. Rückmeldungen kann ich nicht einholen, weil meine Familie nichts davon versteht und mein Lehrer mir keine...naja..unbefangene Meinung sagen wird :D
Ich spiele viel Chopin, habe auch Griegs Hochzeitstag mal gespielt und auch ein paar Bach Inventionen, allerdings zu Zeiten, als ich als Jugendliche Unterricht hatte und wir haben die Stücke damals nicht beendet (textsicher war ich, aber ich meine hinsichtlich Ausgestaltung wie Dynamik, Agogik usw).

Ich weiß, Ferndiagnosen sind schwer....aber ich bin so sauer auf mich, dass ich das Klavier in der Vergangenhet manchmal schleifen gelassen habe und frage mich, ob ich noch eine Chance habe, in den nächsten 8 Jahren (bei konstantem Üben 1-2h pro Tag) ein hohes Niveau zu erreichen? Das ist keine Laune, sondern es ist mir wirklich ernst. Ich zahle auch trotz Studentenbuget die ganzen Kosten, und verzichte dafür auf einiges.

Vielen Dank schonmal!

Viele Grüße
Wittgensteinklavier
 
Na klar, mit der gehörigen Protion Ehrgeiz, Fleiß 'und' Begabung ist das auf alle Fälle möglich. Dann aber ran an den Speck!!
 
Hallo,

ich denke, Du kannst mit Deinen Voraussetzungen sicher ein vorzeigbares Niveau erreichen (wenn Du nicht völlig untalentiert bist).

Warum meinst Du, Dein Lehrer sei befangen? Wenn Du bestimmte Stücke spielen willst, frag ihn offen, ob die angemessen sind, und wenn das der Fall ist, wird er sie in den Unterricht einbauen. Vielleicht sagt er Dir aber auch, bevor Du x spielst, solltest Du y durchhaben, dann ist der Weg zu x etwas länger. Allerdings wird Dein Lehrer (hoffentlich) einen Plan haben, welche Fähigkeiten Du aktuell am sinnvollsten weiterentwickeln solltest, und danach wählt er normalerweise die Stücke aus. In diesem Plan kommst Du halt etwas langsamer voran, wenn Du parallel noch an einer Kür arbeitest. Das ist aber kein Problem. Du übst ja vermutlich nicht nur um "besser" zu werden (wie misst man das?), sondern primär um schöne Stücke zu spielen.

Du musst das Programm aber gar nicht auf dem Reissbrett entwerfen und dann mühsam einstudieren. Bau es doch zusammen aus den Stücken, die Du aktuell einübst oder mal gespielt hast. Die sind dann auf jeden Fall nicht zu schwer. Es sind ja hoffentlich ein paar dabei, die sich auch für ein Konzert eignen.

Oder Du füllst mit leichten Stücken auf. Ich wollte immer mal von Grieg den ersten Band der Lyrischen Stücke spielen, die sind nicht so schwer und trotzdem sehr schön und gefällig (also für Laienpublikum geeignet). Ich sehe kein Problem, die in einem Konzert zu präsentieren. Es sind 8 kurze Stücke, mit denen Du ca. 15 Minuten füllst.

Die größte Schwierigkeit sehe ich im zeitlichen Aufwand. Du musst ja zum Programmtermin alle Stücke optimal drauf haben. Bei 45 Minuten Programm und 1-2 Stunden Übezeit pro Tag hätte ich hier ein ernstes Problem. Du kannst so nicht jeden Tag an allen Stücken arbeiten, und bei mir ist es leider so, dass ein Stück nach wenigen Wochen Vernachlässigung schon nicht mehr richtig funktioniert. Das betrifft allerdings vor allem den Notentext. Wenn Du also gut nach Noten spielst oder aber mit Deinen Anfang 20 noch ein besseres Gedächtnis hast als ich, ist das vielleicht gar kein Thema. Aber Du solltest das berücksichtigen und ggf. kleinere Brötchen backen.

Ciao
- Karsten
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Lieber Wittgensteinklavier,

natürlich ist das möglich. Es gibt dazu aber ein paar Voraussetzungen und Dinge, über du dir klar sein solltest.

Du brauchst

a) einen wirklich guten Lehrer
b) Geduld und die Bereitschaft, auch sehr kleine Schritte zu gehen
c) Flexibilität in der Auswahl deiner Stücke
d) genügend Übezeit

Sei dir im Klaren, dass du im Moment das Bedürfnis hast, mit 30 ein Konzert zu geben. In deinem Alter kann sich das auch wieder ändern Was ist, wenn du mit 25 die Frau deines Lebens kennen lernst und plötzlich Kinder auf der Matte stehen? Was ist, wenn sich in deinem Beruf/Studium Perspektiven ergeben, von denen du im Moment noch keine Ahnung hast.......?

Ich bin immer etwas skeptisch, wenn ein gezielter Wunsch nach einem äußeren Ereignis (in diesem Fall das Konzert) vorherrscht und nicht die Beschäftigung mit der Sache selbst (die Musik und das Klavierspielen) als Motivator genannt wird. Und wenn es doch das zweite sein sollte, reicht es völlig aus, guten Unterricht zu nehmen, sinnvoll zu üben (vor allem die Qualität des Übens ist entscheidend) und dann zu sehen, wie weit man kommt. Es kann sehr motivieren, sich ein Fernziel zu setzen, aber auch du kannst nicht wissen, wie die Entwicklung deines Klavierspiels aussehen wird. Vielleicht entdeckst du plötzlich deine Liebe zu Bach und es wird ein ganz anderes Konzert, vielleicht hast du auch nach einiger Zeit keine Lust mehr und die Lust verschwindet so plötzlich, wie sie gekommen ist.... .

Vielleicht kannst du auch noch einmal in dich gehen und dich fragen, woher diese dringende Wunsch so plötzlich kommt.

Wenn du tatsächlich über 8 Jahre den Wunsch verspürst, dich pianistisch zu verbessern, in Musik einzutauchen, viel über Musik zu lernen, dich dementsprechend engagierst und auch während der gesamten Zeit die Möglichkeit hast, viel und gut zu üben und dich mit Musik zu beschäftigen, ist ein Konzert, wie es dir vorschwebt, absolut möglich. Im Übrigen kann man doch auch vorher schon kleine Hauskonzerte im Rahmen der Familie machen. Oder bei einem clavio-Treffen :p und Schülervorspielen zu spielen. Vorspielen muss auch geübt werden.

Liebe Grüße

chiarina
 
Ach, ich hatte übersehen, was Du für einen langen Zeithorizont hast. Mit diesem Zeitrahmen kannst Du doch erstmal "ganz normal" Klavierunterricht nehmen und nicht allzu viele Gedanken an das Konzert verschwenden bzw. inzwischen kleinere Auftrittsmöglichkeiten suchen. Und - chiarina hat (wie immer) Recht - mit 30 wird vieles anders sein als heute und der von mir bereits angesprochene Zeitfaktor wird vermutlich Dein größtes Problem sein.

Nutze die nächsten 7 Jahre, um die Stücke "raufzuschaffen", die Du magst. Kannst ja das Konzertprogramm im Auge behalten. Wenn Du dann immer noch Bock auf Dein Konzert hast, stelle das Programm aus Deinem Repertoire endgültig zusammen und bereite Dich vor. Bis dahin - einfach Spaß am Klavier haben!
 
und frage mich, ob ich noch eine Chance habe, in den nächsten 8 Jahren (bei konstantem Üben 1-2h pro Tag) ein hohes Niveau zu erreichen? Das ist keine Laune, sondern es ist mir wirklich ernst.
auf sich selbst sauer zu sein, wird nicht viel bringen (Milliarden Menschen könnten mit sich hadern, weil sie nicht so reich wie Bill Gates sind - nützen wird es wenig) ;):)

da dir dein Ansinnen ernst ist, gehe ich davon aus, dass du eine recht deutliche Vorstellung von "hohem Niveau" hast - falls nicht, so kannst du dich unschwer darüber informieren, was in welchen Altersgruppen bei "Jugend musiziert" erwartet wird, wie die dortigen Preisträger das darbieten, oder auch die Anforderungen für eine Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule nachsehen. Der nächste (vermutlich schmerzlich selbstkritische) Schritt wäre, das was du bisher konntest (und wie es ausgefallen war), mit dem zu erreichenden Wunschniveau zu vergleichen (Griegs Hochzeitstag ist zwar effektvoll, aber nicht schwierig)

aber 8 Jahre a 1-2h üben täglich (warum so wenig? wäre wochenends nicht mehr drin?) ist ne Menge Zeit - da du Unterricht hast, könntest du diesen für eine Art Klarheit gewinnenden Selbsttest nuzen: frag deinen Lehrer, ob er mit dir Beethovens 32 c-Moll Variationen macht, und zwar so, dass am Ende alle 32 souverän dargeboten werden (damit hättest du ein gründliches manuelles Rüstzeug erworben, das schon deutlich oberhalb des Hochzeitstags angesiedelt ist) - wenn das klappt, können ambitioniertere Sachen angefangen werden :)
 
Ich sehe ehrlich gesagt überhaupt nicht, wo das Problem sein soll!

Du hast doch schon Chopin-, Grieg,- Bach-Stücke quasi draufgehabt (nur noch nicht sooo gut). Dann noch Rachmaninov cis-moll-Prelude, alles mal richtig auf Vordermann bringen, und fertig ist das Programm! (Oder waren das aus Deiner Sicht alles so "Babystücke", die nicht in ein Aufführungsprogramm gehören??)

Da muß man schon SEHR faul sein oder sich SEHR blöd anstellen, um das in 8 Jahren nicht hinzubekommen.

Ansonsten finde ich ehrlich gesagt dieses "mit 30 will ich..." als Hauptmotivation sehr fragwürdig.
Entscheidend muss stets sein: Gibt mir Musik und Klavierspielen JETZT sehr viel? Wie kann ich JETZT gute, befriedigende Musik machen (ohne auf einen zu erreichenden "Level" zu schielen)? Und dass man die Stücke des Levels, den man JETZT beherrscht, mit Hingabe spielt und übt und wirklich mal GUT spielen lernt (dazu scheinst Du ja immer keine Lust gehabt zu haben, daran hat es offenbar stets gehapert), statt sie nur als "Durchgangsstadium" zu betrachten nach dem Motto: "Ja, jetzt ist noch alles ein bißchen doof und langweilig und mühsam, aber irgendwann in der Zukunft winkt das wahre Leben"!

LG,
Hasenbein
 
...und mein Lehrer mir keine...naja..unbefangene Meinung sagen wird :D
Hallo, bist Du Linkshänder/in? :p:p

Wenn Dein Lehrer befangen ist, könnte es sein, daß da mehr als Unterricht stattfindet?

Wie chiarina und andere schreiben, solltest Du nach einer/m richtigen Klavierlehrer/in Ausschau halten und ein Übungsprogramm aufstellen, das die nächsten 8 Jahre zielorientiert durchgearbeitet wird.

Grüße

Toni
 
Wie chiarina und andere schreiben, solltest Du nach einer/m richtigen Klavierlehrer/in Ausschau halten und ein Übungsprogramm aufstellen, das die nächsten 8 Jahre zielorientiert durchgearbeitet wird.

Nein. So wie Du es formulierst, hat das nichts mit Musik und Freude zu tun, sondern ist nur ein von Arbeitsgläubigkeit durchtränktes quasisportliches Actionprogramm.

Wie ich schon sagte: Erstens muss diese doofe 8-Jahre-Angabe weg, zweitens kann die Qualität des Musizierens nicht dadurch gesteigert werden, daß man (wie im Job auch...) schön brav und total fleißig ist, sondern dadurch, daß man das, was man hier und jetzt spielt, endlich auf eine un-mechanische, audiomotorische, "liebevolle" Weise behandelt. Bislang, das scheint im Ausgangsposting durch, geht es dem Threadersteller primär darum, sagen zu können: "Alles klar! Kann ich! Hab' ich drauf!", statt des vielmehr anzustrebenden Ziels, daß das Musizieren hier und jetzt, egal welchen Schwierigkeitsgrad das Stück hat, eine den Spieler und einen Zuhörer wirklich ansprechende und befriedigende Qualität hat.
Auch "Dynamik" oder "Agogik" scheint für den TE etwas zu sein, was man halt auch noch als einen Programmpunkt auf einer "Arbeitsliste" abarbeitet. Töne? Kann ich. Rhythmus? Check! Dynamik? Noch 1 Woche üben. etc. So funktioniert Musizieren aber nicht, und das scheint im bisherigen Klavierunterricht entweder nicht vermittelt worden zu sein oder beim Schüler nicht angekommen zu sein.

LG,
Hasenbein
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:

Liebes Wittgensteinklavier,

solange Du Dich noch ned im Stadium der Fäulnis befindest ist noch alles möglich. Aber hier muß ich auch mal Rolf beipflichten: warum nur 1-2 Stunden üben? Vor dem Erfolg haben die Götter bekanntlich den Scheiß gesetzt, also wenigstens 4 Stunden am Tag solltest Du schon einkalkulieren.


Viele Grüße

Styx
 
Haha, Leute! :)

1. Vielen lieben Dank an alle Antworter! Klingt ja so, als hätte ich noch eine Chance! Und die werde ich nutzen! :)
2. Warum nur 1 - 2 Stunden täglich? Das war das Minimun. Außerdem ist es ja das, was ich gesetzlich üben darf. Ich werde natürlich versuchen, noch länger zu üben, wenn die Zeit (studiere ja noch nebenher ein ziemlich lernintensives Fach) und die Nachbarn es zulassen!
3. Ok, ein Missverständnis: mir geht es NICHT darum, später bewundert zu werden oder anderen etwas zu beweisen! Ich LIEBE das Klavierspiel und auch das Üben, zu sehen, wie ein Stück allmählich reift. Oft ist es so, dass ich anfangs eine ganz andere Vorstellung vom Stück habe....und mit der Zeit baue ich eine Beziehung dazu auf, verändere meine Interpretationen und fühle immer mehr beim Spielen. DAS ist es, was ich am Klavier so liebe! Das mit dem Konzert in 8 Jahren ist nur so eine grobe Richtlinie, wie gut ich mit 30 gern sein würde. Bei mir ist nämlich das Problem: Ich würde auch ohne Ziel stundenlang spielen können. Aber ich wäre vielleicht nicht so diszipliniert bei der Stange mit unangenehmen Übungen, wie z.B. kritische Stellen zu perfektionieren. Weil ich mich ganz genau kenne, habe ich deswegen für mich gedanklich dieses Ziel gesetzt. Es muss nicht auf Biegen und Brechen genau dann sein.
4. Nein, ich habe kein Verhältnis mit meinem Lehrer oder so. Der Wikipedia - Link brachte mich zum Lachen. Mein Name ist eine Anspielung auf LUDWIG WITTGENSTEIN, den Philosophen, dessen Sprachphilosophie ich sehr schön finde.

Viele Grüße
 
Hab den Rest nur Überflogen, sorry für Doppelungen:

Ich habe einen Professor an der Hochschule, der mit 10 Jahren angefangen hat zu spielen und ein hervorragender Pianist ist. Die berühmte Hélène Grimaud hat auch mit 9 erst angefangen und kann spielen (wies einem gefällt, ist ne andere Frage).

Die Frage ist, wies weitergeht. Chiarina hat schon einiges genannt, ich sags nochmal - das Wichtigste, was du "von Außen" zu deinen Zielen dazutun musst, ist ein guter Lehrer. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass dich das innerhalb weniger Jahre in pianistische Höhen befördern kann, die du nie für möglich gehalten hättest.
Der Rest muss von dir kommen - Fleiß, Fleiß, Fleiß, Fleiß, Geduld, Geduld und Geduld :D Begeisterung und Motivation sind ja schon da.

Zum Konzert: Ein Konzert spielen bedeutet nicht automatisch, dass das Programm krachschwer sein muss, man kann auch mit "einfacheren" Stücken Menschen begeistern und etwas Wunderbares zaubern. In entsprechenden Rahmen gibts da auch Möglichkeiten. Wenn du nicht gerade auf einem Klavierfestival auftreten willst und vielleicht auf Gage verzichtest bzw. mit wenig zufrieden bist, bieten sich andere Dinge an - Altenstifte, Gemeindehäuser usw.

Grüße! Stilblüte
 
Nein. So wie Du es formulierst, hat das nichts mit Musik und Freude zu tun, sondern ist nur ein von Arbeitsgläubigkeit durchtränktes quasisportliches Actionprogramm.

Wie ich schon sagte: Erstens muss diese doofe 8-Jahre-Angabe weg, zweitens kann die Qualität des Musizierens nicht dadurch gesteigert werden, daß man (wie im Job auch...) schön brav und total fleißig ist, sondern dadurch, daß man das, was man hier und jetzt spielt, endlich auf eine un-mechanische, audiomotorische, "liebevolle" Weise behandelt. Bislang, das scheint im Ausgangsposting durch, geht es dem Threadersteller primär darum, sagen zu können: "Alles klar! Kann ich! Hab' ich drauf!", statt des vielmehr anzustrebenden Ziels, daß das Musizieren hier und jetzt, egal welchen Schwierigkeitsgrad das Stück hat, eine den Spieler und einen Zuhörer wirklich ansprechende und befriedigende Qualität hat.
Auch "Dynamik" oder "Agogik" scheint für den TE etwas zu sein, was man halt auch noch als einen Programmpunkt auf einer "Arbeitsliste" abarbeitet. Töne? Kann ich. Rhythmus? Check! Dynamik? Noch 1 Woche üben. etc. So funktioniert Musizieren aber nicht, und das scheint im bisherigen Klavierunterricht entweder nicht vermittelt worden zu sein oder beim Schüler nicht angekommen zu sein.

LG,
Hasenbein
Bezeichnend ist schon die Überschrift dieses Fadens: Sofort erscheint ein defizitäres Bild ("der Zug schon abgefahren?"), das sich im Ausgangsbeitrag in einigen Varianten noch wiederholt ("es fällt mir schwer" - "wir haben die Stücke damals nicht beendet" - "ich bin so sauer auf mich" u.s.w.). Es ist also höchste Zeit, positive Bilder für das Musizieren zu finden, statt womöglich verbissen und freudlos einen knallharten Trainingsplan abzuarbeiten und auf die nächste Pleite zu warten, die bei verzagtem und wenig erwartungsfrohem Vorgehen recht wahrscheinlich eintreten wird. In Deinem Falle sind vermutlich psychische Aspekte präsent, die nicht unbedingt primär mit dem Musizieren an sich zu tun haben müssen.

Aber das ist nicht notwendigerweise eine Konstellation, mit der man besser zum Psychotherapeuten als zum Klavierlehrer geht - diese Glaubenssätze wie die Vorgabe, bis zu einem bestimmten Lebensalter begonnen haben zu müssen, kann man auch ohne Therapiesitzungen als absurd und praxisfern entlarven. Warum sind solche Altersangaben so weit verbreitet? Weil die solistisch betriebene Pianistik aufgrund des punktuell hoffnungslos überlaufenen Marktes für Berufsmusiker zur Annahme führt, dass nur derjenige zur rechten Zeit am rechten Ort reüssiert, der sich als erstes um die Lorbeeren bewirbt. Diese Annahme trifft keinesfalls generell für alle Berufsbilder angehender und praktizierender Tastenspieler zu: Während sich ganze Heerscharen um Auftrittstermine zwecks Gestaltung eines eigenen Klavierabends bewerben, werden beispielsweise gute Kammermusiker, Liedgestalter und Korrepetitoren mitunter händeringend gesucht. Und wer sich nicht als Profi seinen Lebensunterhalt verdienen muss, braucht sich um Altersvorgaben kaum zu kümmern. Ganz wichtig ist die Arbeitsorganisation und Effizienz der Übetätigkeit, da das weit verbreitete Phänomen des sogenannten Präsentismus niemandem weiterhilft.

Wieviel also üben? Eine Stunde täglich? Zwei? Vier? Acht? Ich habe noch die Äußerung eines Hochschulrektors anlässlich der Erstsemestereinführung im Ohr, der allen Kandidaten, die nicht mindestens acht Stunden pro Tag am Instrument zubringen wollten, den Wechsel in die Postbeamten-Laufbahn anzuraten pflegte. Motto: Wer nix will und wer nix kann, geht zur Post oder zur Bahn...! Natürlich konnte man das eigentlich Gemeinte hinter den Worten hören und zwischen den Zeilen lesen, wenn man ein wenig weiter zu denken bereit und imstande war. Nein - entscheidend ist, was innerhalb dieser Zeitspanne passiert. Einen Notentext einpauken und dann anfangen, "Musik" zu machen, ist ebenso weit verbreitet wie grundfalsch.

Versagensängste sind meist relativierbar, indem nicht alles auf eine Karte gesetzt und ein einmaliges Auftrittsereignis als zentrales Lebensziel definiert wird. Selbstkritik ist für das Fortkommen im Leben unerlässlich - aber sie muss sich zwischen zwei Extremen sinnstiftend positionieren. Unbekümmertes Wegsehen über Unzulänglichkeiten ist ebenso falsch wie das Ausgießen einer ätzenden Säure über alles mit der Konsequenz, überhaupt nichts mehr zu unternehmen, da ohnehin alles falsch und schlecht ist.

Auch Gelassenheit, auch die Bereitschaft, Dinge wachsen, reifen, sich entwickeln zu lassen, gehören auf dem Erfolgsweg einfach dazu.

LG von Rheinkultur
 
Hallo Rheinkultur.

Zunächst danke für Deine Antwort.
Ich finde es jedoch bedenklich, mir aufgrund meines Eingangsposts und dem Titel psychische Probleme zu unterstellen.
Wie man vielleicht in meiner zweiten Antwort erkennen kann, lege ich es keinesfalls darauf an, mit 30 dieses Konzert zu geben, sondern es ist mehr als "gedankliches Leckerlie" gedacht, um mich zu konzentrierterem Üben zu motivieren und nicht nur so dahin zu spielen.

Also genau das, was Du empfiehlst! Wo ich auch gleich schon bei einer Frage wäre, die angesischts dieser Empfehlungen aufkam: Du schreibst, man solle nicht erst den Notentext einstudieren und dann (lapidar) "Musik machen".
Ich hatte an folgendes Vorgehen zur Vorspelreife eines Stückes gedacht:


1a. Anhören verschiedener Interpretationen des Stückes; dabei die Noten mitlesen und erste Eindrücke sammeln!
1b. Hintergrundgeschichte: Komponist, Zeitalter, Stil, Gesellschaft, Entstehungskontext usw.
2. Musiktheoretische Analyse des Stückes
3. Einprägung des Notentextes durch Reflexion
4. Wiederholen und Einprägung des Stückes in einzelnen, kleineren Abschnitten, die sinnvollerweise den Anfängen von Phrasen, Formteilen, Figuren usw. entsprechen
5. Mehrmaliges und verschiedenartiges Durchspielen des Stückes für die Sicherheit:
- beide Hände einzeln
- beide Hände zusammen
- abwechselnd im „richtigen“ Tempo und stark verlangsamt
- Stimmen untereinander kombinieren (Melodie, Harmonien, Bass…)
- das Stück „von hinten“, taktweise oder abschnittweise, aufrollen

6. Arbeit an verschiedenen Parametern:
- Fingersatz
- Dynamik
- Agogik
- Phrasierung
- Artikulation
- Tempo und Rhythmus
- Grundhaltung

7. Simulation einer Vorspelsituation:
Arbeit mit Aufnahmegeräten Z.B, oder Spiel vor einem Bekannten.

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Natürlich nur als grobe Skizze und nicht absolutär zu verstehen! Das kann man auch abändern, je nachdem, was beim Einüben des Stückes dann temporär notwendig wird!

Meinungen hierzu?
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Das, was Du da aufgeschrieben hast, ist auf eine Art völlig richtig und gut.

Andererseits ist es ein Zeichen dafür, daß Du Musizieren und Üben völlig falsch angehst und wahrscheinlich nichts wirklich Gutes dabei rauskommen wird.

Daß Du jetzt denkst: "Hä? Wieso? Was meint er?", ist Teil des Problems.
 
Das, was Du da aufgeschrieben hast, ist auf eine Art völlig richtig und gut.

Andererseits ist es ein Zeichen dafür, daß Du Musizieren und Üben völlig falsch angehst und wahrscheinlich nichts wirklich Gutes dabei rauskommen wird.

Daß Du jetzt denkst: "Hä? Wieso? Was meint er?", ist Teil des Problems.

Nö. Ich weiß, was Du denkst: "Der geht die ganze Sache zu verkopft an." Musizieren ist für mich vor allem eine Gefühlssache. Ich möchte nur, dass die technischen und theoretischen Voraussetzungengegeben sind, um für mich während des Übens später zu einer eigenen (und dennoch mit der Komposition kongruenten) Interpretation kommen zu können und vor allem dieser Interpretation auch klanglich Ausdruck verleihen zu können.
 

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