Metaphern im Unterricht, besonders gelungen, manchmal crazy

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12. Mai 2018
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Ihr Lieben,

eine Situation im gestrigen Unterricht (s.u.) hat mich motiviert, diesen Faden aufzumachen. Ich habe darüber gelacht, wie treffend und punktgenau eine manchmal verrückte Metapher ein Problem lösen kann und den gewünschten Klang wie durch Zauberhand hervorruft. :003:

Metaphern haben im Unterricht einen besonderen Stellenwert. Sie sind nicht für jeden geeignet - manche können mit Bildern nichts anfangen. Bei vielen aber kann mit einem Bild eine Verknüpfung mit bereits Bekanntem und etwas Neuem hergestellt werden. Etwas Neues wird in vorhandene Erfahrungen integriert, der eigentliche Bedeutungszusammenhang in einen anderen übertragen. Folge: das Lernen fällt leichter.

Voraussetzung ist aber, dass die Metapher individuell gefunden wird, denn jeder hat andere Erfahrungen. Was bei dem einen hilfreich ist, ist bei dem anderen keineswegs der Fall.

Ich freue mich nun, wenn ihr, Klavierlehrer wie Klavierschüler, hier besonders gelungene oder besonders verrückte Metaphern postet, die euch geholfen haben, einen Klang zu finden, ein technisches Problem zu lösen u.a.. Es wäre schön, wenn ihr das passende Notenbeispiel dazu ebenfalls hier einstellen würdet.

Nun also die gestrige Unterrichtssituation:

L. v. Beethoven: Sonate c-moll op. 13, Pathetique, 1. Satz, Allegro di molto e con brio, 2. Thema ab T. 51

Beethoven, Pathetique, 2. Thema.PNG

Wir hatten bereits erarbeitet, wie das 2. Thema als großer Kontrast zum ersten Thema erklingen soll. Der Schüler empfand das zweite Thema als heiter und verspielt, allerdings mit einer Doppelbödigkeit, da in moll stehend. Er hatte (Übestrategie) erst mal das Thema selbst (Flöte oder Oboe) weggelassen und nur den Bass (Fagott) zur linken Hand gespielt. Dann war die Flöte dran, ohne Fagott. Nachdem wir an Phrasierung, Klang und Artikulation des ersten Teil des Themas gearbeitet hatten, kam die Trillerstelle dran. Die Praller klangen in meinen Ohren nicht so, wie sie klingen sollten und ich fragte meinen Schüler, wie er fände, wie sie klingen. Er spielte noch einmal und antwortete: "Versumpft." Köstlicher Ausdruck und sehr treffend. :003:

Ich fragte ihn, wie er denn meinte, wie sie klingen sollten und er sagte: "Hm, vielleicht spritzig, funkelnd." Ich stimmte zu und er probierte es. Es klang aber immer noch "versumpft". "Du bleibst kleben beim Praller" stellte ich fest. "Probier mal, nur ganz kurz beim ersten Prallerton ins Klavier einzutauchen und dann sofort Arm und Hand ganz leicht zu machen", schlug ich vor. Gesagt, getan, nur wenig Verbesserung.

Ich spielte dann die Stelle vor, er nach - wieder nur wenig Verbesserung. Ich:"O.k., stell dir mal ein pickendes Huhn vor!" Rumms - das Wunder geschah: eine perfekte, herrlich funkelnde Trillerkette ertönte, alles paletti. :004:

Ich finde die Metapher schon ein wenig verrückt, aber offensichtlich sehr hilfreich.

Habt ihr ähnliche Situationen erlebt?

Ich bin gespannt! :003:

Liebe Grüße

chiarina
 
Generell finde ich Instrumentenmetaphern hilfreich. Wie in Deinem eigenen Beispiel das Fagott.

Liebe Grüße
Gernot
 
Mir hat bei schnellen Mehrfachrepetitionen mit Fingerwechseln geholfen, an den Milchtritt bzw. das Kratzen einer Katze zu denken, also nicht einfach im Wechsel auf die Taste zu drücken sondern mit den Fingern beim Rennen über die Taste jeweils zu mir hinzurutschen. Konkret ging es dabei um Chopins Grande Valse Billante op 18 und einem Fingersatz mit 4-3-2-3-4-3:
1608465379580.png
 
So, ihr Lieben,

herzlichen Dank schon einmal an euch :002: - das Buch über Harnoncourts Metaphern ist wirklich großartig! Ein paar Kostproben:

a) "Sie können ruhig länger auf der höchsten Note bleiben - kleiner Urlaub am fis ... ."

b) Missa Solemnis:

"Christe! Das klingt ja, wie wenn Sie vor der Tür zur Behörde stehen. Nein, das muss richtig in die Beine gehen, wie in einer Tanzkapelle, in der Sie schon seit 120 Jahren singen."

c) Missa S. Marcellini von Beer, Kyrie:

"Warum singen Sie denn das legato? Sie haben doch kürzlich erst Gesualdo gemacht! Stimme aus dem Chor: Da haben wir auch legato gesungen. Harnoncourt: Legato?? Stimme: Ja, legato. Harnoncourt.: Da wird der Gesualdo a Freud ghabt haben. Da begeht er ja gleich noch einen Mord."

"Es muss so klingen, wie wenn Sie auf einer heißen Herdplatte sitzen und eigentlich schnellstens wieder runterwollen. Ein bißchen anverbrutzelt."

d) "Elysium" aus Ode an die Freude:

"Schießen Sie eine Leuchtrakete, eine rosa Feuerwolke."

"Diesen Kuss der ganzen Welt - das muss so sein, wie wenn ....., wie wenn ein Nilpferd küsst."

"Die Bratschen sind da völlig wahnsinnig geworden."

"Das darf überhaupt nicht mehr nach Musik klingen."

"Sie müssen da scheitern. Das geht gar nicht anders. Das hat der Beethoven mit komponiert, das Scheitern."

e) "Man kann ja eine Grenze nur erkennen, wenn man sie überschreitet."

f) "Wie ein noch nicht geschmolzener Schneekristall."

g) Monteverdi, Marienvesper:

"Süditalien! Singen Sie das mit Fischgeruch in der Nase!"

...... - da könnte man noch viel Wunderbares zitieren!

Eine von mir schon mehrfach genutzte Metapher sind Dinge aus der Trilogie "Herr der Ringe". :003: Ich bin sowieso ein Fan davon und viele andere offenbar auch. Wenn man in Stücken etwas Brodelndes interpretiert, etwas, was unter der Oberfläche lauert, was nur spürbar, aber noch nicht sichtbar ist, lohnt sich ein Ausflug in die Minen von Moria, wo die Orks plötzlich anfangen, dumpf zu trommeln und der geneigte Hörer und Seher weiß, "Oh, oh, gleich passiert etwas Schreckliches, böses, böses Unheil droht." Und wie Gandalf kurze Zeit später seinen Stab auf die Brücke rammt, um dem schrecklichen Balrog (Dämon) den Weg zu versperren und brüllt: "DU KOMMST NICHT VORBEI!" - ja, das kam auch schon öfters vor als Sinnbild äußerster Entschlossenheit. :004:

Und selbstverständlich auch die Schlacht um den Schicksalsberg als Sinnbild dafür, dass ein Stück in seinen Phrasen, seiner Entwicklung aufgebaut ist wie ein guter Film. Nur Schlacht wäre megalangweilig, ein Film wie ein Stück braucht Ruhepunkte, Aufschwünge, Höhepunkte unterschiedlichster Stärke und auch eine Entwicklung bis zu einem fulminanten Höhepunkt hin.

Eine ähnliche Metapher dazu ist bei mir auch eine Kathedrale - jeder Stein hat dort seinen Platz und seine Funktion, so wie jede Note im Stück auch ihren Platz und ihre Funktion hat. Die zu kennen ist wichtig. Eine Kathedrale hat außerdem einen absoluten Höhepunkt (meistens die Kuppel), dann Seitenschiffe, Nischen (Ruhepunkte), die zusammen eine Einheit bilden. Bei einem Stück ebenso einen Überblick und Einblick zu gewinnen in die kostbaren Einzelheiten, aber auch in das Große, Ganze, das alles zusammenhält, ist wunderbar und sehr erkenntnisreich. Wo ist bei einem Stück die Kuppel, wo sind Ruhepunkte, wo Entwicklungen, die auf Höhepunkte zusteuern, wie gewichte ich diese Höhepunkte - das fügt alles, was in einem Stück enthalten ist, zu einer Einheit und zu einem Guss.

Liebe Grüße

chiarina
 
Zuletzt bearbeitet:
Innere Bilder sind auch ein innerer Zustand/ein Körpergefühl.
Ich hatte vorgestern eine Schülerin, die ihren Chopin Walzer so hektisch spielte.
Am Ende war es keine Metapher, es war einfach nur der innere Zustand, auf den wir den Fokus legten.
Das hat dem Stück eine wunderbare Ruhe gegeben. Solche Momente sind wichtig. Es wird dann klar, dass wir nicht lügen können in der Musik, und dass eine innere Tiefe und die Nähe zu sich selbst so wichtige Voraussetzungen sind für einen guten Klang.
 
Vor Jahren eine ca. 10 jährige Schülerin bei einem gemäßigt modernen Stück, darin vorkommend ein Quartenakkord: " das klingt wie ein zerbröselnder Keks." Besser kann man das nicht beschreiben.
 
Metaphern gibt es ohne Ende :), zb Wenn die linke Hand zu laut ist: "Wir hören sie aus dem Nebenraum".

Persönlich finde ich die Meisterkurs-Videos von Andras Schiff immer sehr inspirierend - er verwendet auch oft Metaphern oder anschauliche Bilder:
 
Ich spielte dann die Stelle vor, er nach - wieder nur wenig Verbesserung. Ich:"O.k., stell dir mal ein pickendes Huhn vor!" Rumms - das Wunder geschah: eine perfekte, herrlich funkelnde Trillerkette ertönte, alles paletti. :004:
Mich stört etwas der Begriff "Wunder" ;-)

Wunder gehören in die Bibel. Gutes Klavierspiel ist in 99,99% der Fälle das Ergebnis guten, zielgerichteten, zweckmäßigen Übens.
(genauer: erfolgreich und solide absolvierte motorische Lernvorgänge sind hier gefragt (und die dauern einfach a bissl)).
 

Der Knoten ist nicht immer in den Fingern...
Sogar ziemlich oft ist er NICHT in den Fingern, würde ich sagen! Die kleinen Dinger können i.d.R. nur wenig dafür, wenn etwas mal nicht klappt.

Die Steuerung für alles sitzt halt doch im Kopf oben.

Aber ich arbeite (->Fadenthema) nur seltenst bis gar nicht mit solchen Metaphern. Zumindest, wenn es um die Bewältigung technischer Probleme beim Klavierspiel geht.
 
Dummerweise fällt mir gerade keine Situation ein, aber ich habe schon oft erlebt, dass ich mit Schülern bestimmte Stellen geprobt habe und irgendwie der Ablauf nicht ganz harmonisch war. Dann fand ich zufällig ein Wort, das den Wunschablauf irgendwie beschrieb, und sofort funktionierte die Stelle, und zwar in Gänze. Gerade bei der Choreographie sind die Stellschrauben oft winzig und über Intuition besser zu finden und zu fühlen , als über rein sachliche Angaben.
Es gänsehautet mich oft, wenn die Reaktionen auf ein einziges Wort oder Bild so stark sind...
 
Wunder gehören in die Bibel. Gutes Klavierspiel ist in 99,99% der Fälle das Ergebnis guten, zielgerichteten, zweckmäßigen Übens.
a) dass Wunder Alleinstellungsmerkmal der Christenheit sind, scheint mir eine gewagte These ;-) :heilig: :teufel:

b) ...das mit den 99,99% ...hm...allein durch Üben versteht man eine Chopinsonate und spielt sie dann überzeugend? ...träum` weiter ;-)

Fadenthema:
...die immergrüne Omelettemetapher vom guten alten Liszt :-D
"das soll Teufel Gekicher, nicht ängstliche Fräulein hihihi sein - spielen Sie aggressiver, nicht brav ordentlich" Margulis (Mephistowalzer) ----- "Fräulein hihihi" vergess` ich nie :-D
 
Mir scheint, Du konstruierst hier einen Gegensatz, der sonst gar nicht bestehen würde.

Es geht hier doch darum, dass Metaphern dabei helfen können, bei mir als Schüler etwas freizulegen, was eigentlich schon da ist, was ich eigentlich drauf habe, aber ich nicht umsetze (oder dass ich zumindest einen auch für mich spürbaren Schritt in die richtige Richtung mache). Metaphern können da helfen, weil sie etwas besonders gut veranschaulichen und mir damit kognitiv Prolem und Problemlösung wesentlich klarer werden oder weil sie durch ihren Witz, ihre Skurrilität etc eine mentale Blockade lösen, weil sie helfen, die Klangvorstellung und das kontrollierende Hören zu schärfen und die richtigen Bewegungsmuster zu finden.

Liebe Grüße
Gernot
 
Nicht wirklich eine Metapher, aber es geht in etwa in die Richtung:


Heute wollte mein sechsjähriger Neffe seine Nachbarin besuchen, eine ältere Frau mit der er sich gut versteht.

Er ist etwas schüchtern und braucht meist mehrere Anläufe, bis er sich dann wirklich traut, hin zu gehen und zu klingeln.

Als er sich heute dann endlich überwunden hat, war sie nicht zuhause.

Er hat mir später erzählt:

"Ich war dann so traurig und frustriert, weil sie nicht da war. Da bin ich nach Hause gegangen und hab am Klavier die ganz tiefen Töne gespielt, weil ich so traurig war."



Fand ich irgendwie schön, wie er seine Stimmung auf das Instrument übertragen konnte.
 

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