Lange Vorschläge

O

ozzy66

Dabei seit
3. Feb. 2007
Beiträge
85
Reaktionen
0
Langer Vorschlag - so weit so gut und verstanden. ABER:

Gibt es eigentlich eine generelle Regel, einen Grund oder eine Erkenntnis, warum ein langer Vorschlag überhaupt notiert wird?
Wenn ein langer Vorschlag mit dem Hauptschlag kommt und die Hälfte des Grundtons klaut, warum schreibt man nicht gleich ein Pärchen gleichwertiger Noten hin?

Und wenn ein langer Vorschlag zu Beginn eines Taktes erfolgen soll, wird dann prinzipiell nur die erste zu spielende Note betont, oder vielleicht auch mal beide? :rolleyes:
 
Gibt es eigentlich eine generelle Regel, einen Grund oder eine Erkenntnis, warum ein langer Vorschlag überhaupt notiert wird?
Wenn ein langer Vorschlag mit dem Hauptschlag kommt und die Hälfte des Grundtons klaut, warum schreibt man nicht gleich ein Pärchen gleichwertiger Noten hin?

hallo,

da gäbe es eine ganz pragmatische Antwort: in Zeiten, da man mühsam alles setzen musste, um es (nicht minder mühsam) zu drucken (z.B. in der Zeit der Barockmusik), war man dankbar um jede Abkürzung! (stell Dir analog vor, Du müsstest statt flugs eine e-mail zu tippen, Deine Botschaft in eine Granittafel meißeln - da Du wärest sehr froh über alle Abkürzungen) :)

in gewissem Sinn ist jede Noten-Notation eine Art von Stenografie.

Gruß, Rolf
 
Gibt es eigentlich eine generelle Regel, einen Grund oder eine Erkenntnis, warum ein langer Vorschlag überhaupt notiert wird?
Wenn ein langer Vorschlag mit dem Hauptschlag kommt und die Hälfte des Grundtons klaut, warum schreibt man nicht gleich ein Pärchen gleichwertiger Noten hin?
Beim langen Vorschlag handelt es sich ja um eine 'Verzierung'.
Wikipedia sagt dazu:
Beim Ausführen der Verzierungen bleibt dem Interpreten ein je nach Epoche verschieden großer Raum zur Improvisation.
Und das trifft auch (in gewissen Grenzen) für lange Vorschläge zu.
Dieser Meinung sind jedenfalls viele (professionelle) Interpreten.:cool:
Man höre sich mal einige Aufnahmen an (Beispiel: Beethoven, Finale des C-Dur-Klavierkonzerts).
Und wenn ein langer Vorschlag zu Beginn eines Taktes erfolgen soll, wird dann prinzipiell nur die erste zu spielende Note betont, oder vielleicht auch mal beide?
Ich würde grundsätzlich zur Betonung der ersten Note tendieren. Meistens ist ja die erste Note ein Vorhalt. Dann klingt es in meinen Ohren oft "passender".
Aber auch da mag es interpretatorische Freiheiten geben.:cool:
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
öhm, also das verstehe ich jetzt nicht, denn die Vorschlagnote musste ja auch eingesetzt werden. Wo ist denn da eine Einsparung an "Meißelarbeit"? :eek:

das lässt sich nun ganz schlicht veranschaulichen: meißel mal eine schöne dicke Viertelnote in Granit oder eine kleine Vorschlagnote... in der Barockzeit hatte man durchaus Mühe mit dem setzen und freute sich über jede praktikable "Stenografie" (z.B. hat man für etliche Verzierungen Zeichen entwickelt, die weniger Mühe bereiten als das Ausnotieren sämtlicher zu spielender Noten/Töne)

ansonsten ist, wenn es um die Auffassung von "Verzierungen" geht, ein Blick in den Urtext von Mozarts Sonate KV 331 A-Dur interessant: das beliebte "alla turca" Finale ist dort im Hauptthema nicht in durchgehenden Sechzehnteln notiert, sondern Achtel mir Vorschlag plus zwei Sechzehntel (natürlich spielt man da vier Sechzehntel) - - ich glaube nicht, dass man dieses Stück gerade im Hauptthema als "verziert" wahrnimmt (ob man das damals hörte?)

Gruß, Rolf
 
Sehr interessant. Vielen Dank dafür. :)
 
Aber noch zur Frage selbst:

vermutlich hatten die damals eine solche Scheu, dissonante Akkorde überhaupt aufzuschreiben - Dissonanzen waren schließlich etwas sehr dubioses - dann hat man sie halt in den Vorschlägen "versteckt" ;)
 
Aber noch zur Frage selbst:

vermutlich hatten die damals eine solche Scheu, dissonante Akkorde überhaupt aufzuschreiben - Dissonanzen waren schließlich etwas sehr dubioses - dann hat man sie halt in den Vorschlägen "versteckt" ;)

na das gilt wohl sicher nicht für alle damals... ein gewisser Thomaskantor hatte in einem Praeludium (b-Moll) sowie in einer Matthäus-Passion (Einleitung) recht herbe Dissonanzen notiert, und das ohne jegliche Verschleierung durch "Entschuldigungs-Vorhalte" - - da änderte sich wohl manches in der Auffassung und Wahrnehmung.

...was die Mühsal betrifft, etwas nicht abgekürzt, sondern vollständig zu notieren: was meint eigentlich das da " ^-^ "? wäre das zu umständlich in Worten? ... ... von Smileys etc zu schweigen...

Gruß, Rolf
 
...was die Mühsal betrifft, etwas nicht abgekürzt, sondern vollständig zu notieren: was meint eigentlich das da " ^-^ "? wäre das zu umständlich in Worten?

Das wäre nicht nur umständlich sondern fast unmöglich in Worten auszudrücken.
Wenn ich geschrieben hätte "unschuldig guck" - das hätte vermutlich auch nur zu Mißverständnissen geführt.
 

"Dadurch, daß der Komponist diese Dissonanzen als kleine Nötchen notierte, entschuldigte er sich gleichsam für diesen ungehörigen Regelverstoß (und demonstrierte, daß er die Regeln durchaus kannte) ... Jörg Gedan und Axel können hierzu sicherlich Detaillierteres beitragen", sprach Koelnklavier. Nun ist es jedoch so, daß Vorhalte keineswegs "verboten" waren, Vorhaltbildungen gehorchten in vorbarocker Musik nur strengeren Regeln, als Bach sie angewendet hat, der aber ja nun keineswegs jeden Vorhalt als Vorschlag notiert hat. Das hat man aber auch vor Bach schon nicht getan.

Entstanden ist der Usus, akkordfremde Töne als Vorschlag zu notieren, vielleicht aus der Tatsache, daß in früher Cembalomusik oft nur das harmonische Gerüst notiert war, das dem Spieler lediglich als Vorlage zur Auszierung und Diminuation diente. Da hat er dann vielleicht ein paar kleine Nötchen nachgetragen, um sich zu merken, wie er's ausführen will. Ob das tatsächlich der Grund ist, weiß ich nicht, und darüber möge man lieber Spezialisten für Alte Musik befragen, aber es ist die plausibelste Erklärung für eine Konvention, die sich bei manchem Komponisten länger als nötig erhalten hat -- selbst noch bei Schubert, der folgendes notiert ("Ich träumte von bunten Blumen", Winterreise):

Achtel-Vorschlagnote h (Quartvorhalt) - Viertelnote a - Achtelnote a

auf das Wort "Blumen", das dann eigentlich als "Blu-u-men" auf die Achtelnoten h-a-a zu singen wäre. Singt aber keiner. Stattdessen wird die Hauptnote, die notierte Viertelnote a, vollständig vom Vorschlag ersetzt, und üblicherweise singt hier jeder:
Viertelnote h - Achtelnote a.
Es finden sich in Schubert-Liedern zahlreiche ähnliche Beispiele.

Mit der Mühsal des Notenstichs hat das nicht das mindeste zu tun, denn es ist egal, ab man den Platz, den ein Vorschlag benötigt, planend reserviert (und das muß man im Notenstich -- man muß die Breite aller Notenwerte und Zeichen festlegen, BEVOR man die Platte sticht) oder den Vorhalt in Normalgröße ausschreibt und eben das planend berücksichtigt. Im Gegenteil: das Arbeiten mit sehr kleinen Werkzeugen ist wahrscheinlich mühsamer. Außerdem stammt die Konvention aus einer Zeit, als es den Notenstich noch nicht gab. Es könnte also allenfalls mit der Mühsal der Handschrift zu tun haben, bei der ja schneller ein Vorschlag irgendwo dazwischengequetscht ist als alles haarklein und genau ausgeschrieben.

Henles Video ist übrigens veraltet, denn dort wird gesagt, daß auch heute noch manches gestochen würde -- das ist aber ein paar Jahre her, auch Henle hat die allzu aufwendige und teure Methode inzwischen begraben und arbeitet mit Finale.
__________
Jörg Gedan
http://www.pian-e-forte.de
 
Mit der Mühsal des Notenstichs hat das nicht das mindeste zu tun, denn es ist egal, ab man den Platz, den ein Vorschlag benötigt, planend reserviert (und das muß man im Notenstich -- man muß die Breite aller Notenwerte und Zeichen festlegen, BEVOR man die Platte sticht) oder den Vorhalt in Normalgröße ausschreibt und eben das planend berücksichtigt. Im Gegenteil: das Arbeiten mit sehr kleinen Werkzeugen ist wahrscheinlich mühsamer. Außerdem stammt die Konvention aus einer Zeit, als es den Notenstich noch nicht gab. Es könnte also allenfalls mit der Mühsal der Handschrift zu tun haben, bei der ja schneller ein Vorschlag irgendwo dazwischengequetscht ist als alles haarklein und genau ausgeschrieben.__________
Jörg Gedan
http://www.pian-e-forte.de

das ist interessant!! Danke für die Erklärungen!!

"Mühsal der Handschrift" - also dort. Ich war davon überzeugt, dass man überall den Weg des geringsten Widerstands bzw des möglichst geringen Aufwands gewählt hatte. Bei einer Führung durch die Keller von Schott in Mainz hatte ich die gewaltigen Metallberge der Ring-Partitur gesehen (ein ganzer Raum voll mit Wagners Ring...) und man erklärte mir die Mühsal der Herstellung von Druckvorlagen - - wie auch immer: Musik zu notieren geschieht aus unterschiedlichen pragmatischen Gründen meist als eine quasi Stenografie.

was ich wirklich nicht weiss: hat man zu Bachs Lebzeiten keine Noten gestochen? Bach selber notiert ja mal mit, mal ohne "Verzierungen" (ich vermute, dass sich da manches in der Auffassung von Musik wandelte, will sagen, dass sich Regeln änderten)

Gruß, Rolf
 
Ich bin mir ziemlich sicher, daß Vorschläge deswegen als Vorschläge notiert werden, um die Rolle hervorzuheben, eben in der Art, wie J.Gedan es schon sagte. Vielleicht rührt der Ausdruck "Vorschlag" ja auch einfach daher, daß es sich tatsächlich um einen Vorschlag handelte, diese Note zu spielen, denn Vorschläge werden ja nun wirklich nicht immer vor dem Schlag gespielt, insbesondere die langen nicht.

Jetzt fragt sich bloß, was z.b. "Appoggiatura" auf Deutsch heißt und welcher Ausdruck zuerst da war (inklusive der anderssprachigen).
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
"Hat man zu Bachs Lebzeiten keine Noten gestochen?"
Der Notenstich in der Form, wie ihn das Henle-Video zeigt, existiert seit etwa 1730, als John Walsh (Herausgeber der Alberti-Sonaten) die Idee hatte, mit Stahlstempeln zu arbeiten, und die sogenannte Pewterplatte entwickelte, eine weiche Legierung aus Blei, Zinn und Antimon. Kupferstich-Verfahren hatte es auch vorher schon gegeben, aber die waren noch nicht allgemein verbreitet, nicht zuletzt wohl wegen der Mühsal, die sie bereiteten. Daneben gab es Verfahren mit beweglichen Typen, deren Möglichkeiten recht eingeschränkt waren und deren typografische Qualität zu wünschen übrig ließ.
Bach hat seine "Kunst der Fuge" noch selber in die Platte geritzt und ist darüber erblindet. Ob er dabei Walsh's Stahlstempel benutzte, weiß ich nicht.

Entscheidend ist, scheint mir, daß Schreibweisen nicht von Druckverfahren geprägt wurden, sondern handschriftlich entstanden sind, die Schreibweisen existierten ja unabhängig vom Druckverfahren, vieles erschien gar nicht im Druck, sondern wurde als handschriftliche Kopie weitergegeben, deswegen existieren von Bachs WTK zahlreiche vollständige Abschriften durch Schüler. Viele Abbreviaturen wie Verzierungszeichen waren nicht einheitlich, genauso wenig wie die Bezeichnungen: "Appoggiatura" ist nichts anderes als ein "Vorschlag", der auch "Accent" hieß. Laut Riemann taucht die Bezeichnung "Vorschlag" zum ersten Mal 1728 in Heinichens "Der Generalbaß in der Composition" auf. Was "Appoggiatura" oder das Verb "appoggiare" wörtlich übersetzt heißt, kann man bei www.leo.org nachschlagen.
__________
Jörg Gedan
http://www.pian-e-forte.de
 
Alessandro Longo unterscheidet in seiner Ausgabe der Scarlatti-Sonaten zwischen

appoggiatura - dem langen Vorschlag

und

acciaccatura - dem kurzen Vorschlag, der fast mit der Hauptnote zusammen ("quasi simultaneamente") angeschlagen wird.

.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Die Acciaccatura ist nicht ganz dasselbe wie ein kurzer Vorschlag; sie wird gleichzeitig mit der Hauptnote angeschlagen, wobei aber die akkordfremde Note nur "touchiert" wird, wie andere das genannt haben, d.h. sie klingt nicht weiter, sondern wird sofort wieder aufgehoben, während die Hauptnote liegen bleibt.
Die Acciaccatura wird oft auch als Durchgangsnote bei arpeggierten Akkorden ausgeführt, der Riemann nennt das "gebrochenene Acciaccatura". Bei Bach findet man diese notiert als Schrägstrich zwischen zwei Akkordtönen, bspw. in der Sarabande der Englischen Suite in E-dur, gleich zu Beginn in der rechten Hand.

Aber wie Longo zeigt, ist der Sprachgebrauch nicht einheitlich, manchmal werden verschiedene Dinge mit demselben Namen benannt, manchmal dasselbe Ding mit verschiedenen Namen. Obendrein sind die Schreibweisen in den Noten unterschiedlich: Manchmal wird die Acciaccatura wie der Vorschlag notiert als Sechzehntel (ein durchgestrichenes Achtelfähnchen ist eine alte Schreibweise für Sechzehntel), manchmal der Vorschlag als Bögelchen, das aussieht wie eine führende oder liegende Klammer, siehe hier in der dritten Notenzeile: http://www.pian-e-forte.de/texte/lexikon/verzierung.htm
Scarlatti schreibt seine Acciaccaturen nicht als Vorschläge, sondern schreibt die akkordfremde Note einfach in den Akkord mit hinein, wodurch sich die typischen scheinbar schrägen Scarlatti-Akkorde ergeben.
__________
Jörg Gedan
http://www.pian-e-forte.de
 
Die Acciaccatura ist nicht ganz dasselbe wie ein kurzer Vorschlag; sie wird gleichzeitig mit der Hauptnote angeschlagen, wobei aber die akkordfremde Note nur "touchiert" wird, wie andere das genannt haben, d.h. sie klingt nicht weiter, sondern wird sofort wieder aufgehoben, während die Hauptnote liegen bleibt.

So ist es auch in der Peters Ausgabe (Keller-Weismann) erklärt, ich bin mir aber nicht recht sicher, was ich davon halten soll. Wenn Scarlatti einen dissonanten Akkord schreibt, kann der doch auch exakt so gemeint sein, wie er ihn geschrieben hat!? :rolleyes:

Daß bei anderen Komponisten die Akkorde mit Querstrichen mit Vorhaltsnoten aufzufüllen sind ist zweifellos richtig.
 

Anhänge

  • akkorde-scarlatti.png
    akkorde-scarlatti.png
    1,8 KB · Aufrufe: 12
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Leider können wir Scarlatti nicht mehr befragen. Die Deutung der akkordfremden Töne als Acciaccaturen ist aber das nächstliegende, denn für ihre Zeit sind das allzu ungewöhnliche Dissonanzen.

Bitte übrigens um Nachsicht für folgenden Lapsus: Ich hatte von Bachs ENGLISCHER Suite in E-dur gesprochen, gemeint war natürlich die FRANZÖSISCHE.
 

Zurück
Top Bottom