Interessantes Phänomen beim Üben

hyp408

hyp408

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Hallo,

ich möchte über ein interessantes Pänomen berichten und es würde mich interessieren, ob es anderen auch so geht und ob man daraus nicht sogar eine effiziente Art der Überei ableiten könnte.

Ich nehme seit 2 Jahren Klavierunterricht, bin einer der Spätdazugekommenen (also 50 Jahre alt aber mit Noten und Musikvorkenntnissen). Ich übe am Tag 1,5 - 2,5 Stunden und komme - finde ich - gut voran. Ich bin im zweiten Teil der Russischen und nebenbei spiele ich noch Stücke, die mich interessieren (z.Zt. die "leichte" Sonate von Mozart KV 545 - Erster Satz ... geht schon ganz gut)

Zum Phänomen: Ab und zu (nicht oft) muss ich beruflich für 5-8 Tage ins ferne Ausland. In dieser Zeit kann ich weder üben noch denke ich großartig ans Klavierspielen. Wenn ich dann zurückkomme und mich ans Klavier setze, dauert es 2-3 Stunden bis ich wieder auf dem aktuellen Stand bin. Und jetzt passiert etwas seltsames. die nächsten 8-10 Übungsstunden mache ich regelrechte "Sprünge", alles wird leicht und es geht mit Riesenschritten voran, so dass ich fast den Eindruck habe, nach einer Woche habe ich die fehlende Woche vollständig aufgeholt. Danach gehts normal weiter.

Fragen:
1.)Kennt jemand diese Phänomen? Ist das vielleicht allgemein bekannt?
2.) Kann es sein, dass ich mir das nur einbilde?
3.) Wenn es sowas gibt, kann man das vielleicht systematisch zum schnelleren Vorwärtskommen nützen?
4.) Gibt es - wie im Sport - Aufbauphasen, die in Trainings (Übungs-)pausen zu einer Erhöhung der Leistung führen?

Mal sehen was rauskommt, bin gespannt.

Gruss

HYp
 
Ich kenne das gleiche Pänomen. Und vermute, dass es wie beim Sport ist...
 
Hallo Hyp408

ich denke wir sind beide in etwa vergleichbar. Angefangen mit 54, seit einem Jahr dabei.

Dein Text könnte von mir sein.:p

Meine etwas mechanistische Erklärung für das Phänomen.
Unser Gehirn verfügt über Kurz-Mittel und Langzeitspeicher.
Gelerntes wird über die einzelnen Speicher kaskadiert, bis es endlich im Langzeitspeicher angelangt ist. Dann ist es gelernt.

Lernen erfolgt über Verdichten. Wenn aus Kurz- und Mittelzeitgedächtnis das Wissen oft genug abgerufen wird, landet es verdichtet im Langzeitgedächtnis.

Durch Überlastung entsteht folgende Situation: Das Mittelzeitgedächtnis ist noch am Verdichten und Verdauen.
Das Kurzzeitgedächtnis bekommt immer neue Impulse, kann sie aber nicht an das blockierte Mittelgedächtnis weitergeben.

Wenn man dem System Zeit zum Verdauen gibt, dann löst sich die Verstopfung auf.
Dies alles ist nicht auf meinem Mist gewachsen, sondern ein neuropsychologisches Modell.

Gruß, NewOldie
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Hallo,

ich habe diesselben reisebedingten (Zwangs-)pausen, kann diese Phänomen - leider - für mich so jedoch nicht bestätigen. Was mir auffällt, ist, daß es nach der Rückkehr zumindest keinen Einbruch o.ä. gibt, sondern die Übe-Abstinenz verhält sich einfach nur neutral (das ist ja auch schon was ...).

Ich versuche übrigens, auf Reisen dann immer doch Klavier zu spielen oder auch mal Klaviergeschäfte zu besuchen. Gibt auch interessante Eindrücke, wie z.B. ein uralter russischer Flügel mit halbkaputten Dämpfern in einem litauischen Hotel, wo ich das Küchenpersonal als Zuhörerschaft gewinnen konnte, oder der völlig ahnungslose junge Klavierverkäufer in einem recht edel ausgestatteten Laden in Florida, der vorher bei McDonalds gearbeitet hatte ...

Gruß
Rubato
 
Zum Phänomen: Ab und zu (nicht oft) muss ich beruflich für 5-8 Tage ins ferne Ausland. In dieser Zeit kann ich weder üben noch denke ich großartig ans Klavierspielen.

Ich habe auch schon ähnliche Effekte nach Zwangspausen erlebt. Da begann der Zauber in der Musik erst wieder voll und ganz aufzuleben, nachdem einem das Klavier eine gewisse Zeit verwehrt blieb.
Nur kommt es (bei mir zumindest) eher selten zu solchen Pausen (nur mal in den Ferien bzw. wenn Stufenfahrt war), dabei habe ich das Gefühl, dass Pausen doch sehr wichtig sind.
Irgendwann beginnt man, im Alltagstrott unterzugehen und erlebt alles mehr und mehr passiv.

Wenn man aber erstmal in einem Klavierunterricht-Alltag ist, bleibt da nicht viel Spiel zum Pause machen. Vielleicht mal ein oder zwei Tage und das bringt nicht so den Effekt.



Wie ist es bei euch eigentlich mit "Alltagstrott"?

Lieben Gruß,
Annette
 
... wo ich das Küchenpersonal als Zuhörerschaft gewinnen konnte ...

Das setzt aber doch schon einen gewissen Stand in Sachen Klavierspielen voraus (ich würde im Moment noch nicht einmal der Küchenmaus vorspielen wollen ... zu viele kleine Fehler und "Hackler" und dann die Aufregung) ... eventuell tritt das von mir beschriebene Phänomen nur bei Anfängern auf??? Je technisch Anspruchsvoller es wird umso weniger würden auch die bisher vorgetragenen Erklärungen greifen, oder?

Gruss

Hyp
 
Das setzt aber doch schon einen gewissen Stand in Sachen Klavierspielen voraus

... eher an Dreistigkeit ...

... in diesem Fall konnte ich alles auf den alten Flügel schieben

Aber im Ernst: Ich versuche schon, auch dort zu spielen, wo andere es hören können, um mittelfristig genau diese Aufregung beim Vorspiel in den Griff zu bekommen. Die meisten Leute freuen sich, wenn irgendwo in einer Ecke eines Hotels mal jemand einige Minuten spielt, auch wenns nicht perfekt ist (gilt natürlich nicht für das Barpiano zur besten Besuchszeit...).

Gruß
Rubato
 
Ich glaube, dieser Effekt tritt aus zwei Gründen ein:

Erstens setzt sich das, was man vorher geübt hat in den Tagen ohne Klavier und kommt dann erst richtig zur Geltung. Der Übeprozeß ist ja noch lange nicht abgeschlossen, wenn man vom Instrument aufsteht.

Zweitens könnte es auch sein, daß man beim regelmäßigen Üben scheinbar widersprüchliche Erfahrungen macht, die den Fortschritt bremsen, bis sich endlich eine Version durchsetzt. Wenn man aber ein paar Tage nicht übt, setzt sich die letzte "erfolgreiche" Variante durch und schon geht es besser.

Es gibt auch noch die Möglichkeit, daß man nach mehreren Tagen Pause einfach frischer und konzentrierter übt und deswegen Fortschritte macht.

Die letzte Erklärung, die mir einfällt, besteht darin, daß man den Fortschritt nach einer Pause von ein paar Tagen einfach deutlicher warnimmt, daß sich also tatsächlich überhaupt nichts geändert hat.

Aber wie gesagt, glaube ich, daß meistens einer der ersten beiden Gründe zutrifft.
 
Die letzte Erklärung, die mir einfällt, besteht darin, daß man den Fortschritt nach einer Pause von ein paar Tagen einfach deutlicher warnimmt, daß sich also tatsächlich überhaupt nichts geändert hat.

Ich fürchte auch, dass dies zumindest ein Teil des - ja anscheinend verbreiteten Phänomens ist.

Rubato: Wie lange spielst Du schon? Würde mich mal interessieren ab wann man die Dreistigkeit :p aufbringt vor Publikum zu spielen ...

Gruss

Hyp
 
Das ist ein altbekanntes Phänomen und wissenschaftlich fundiert belegt. Hat sogar irgend so einen Namen... auf jeden Fall steigt die Lernkurve auf einem erhöhten Niveau nach einer Pause wieder ein, obwohl man aktiv in der Zeit NICHTS gemacht hat...

Wie war doch noch mal der Name davon... ich komme nicht drauf.
 

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Rubato: Wie lange spielst Du schon? Würde mich mal interessieren ab wann man die Dreistigkeit aufbringt vor Publikum zu spielen ...

Spiele auch erst seit einigen wenigen Jahren (auch "alter" Anfänger), hat damit aber nix zu tun - da ich als Kind keine Gelegenheit hatte, hab ich halt später angefangen. Das Level von vielen Forumsteilnehmern hier werde ich sicher nie erreichen.

Ich denke, es ist ein verbreiteter Irrtum, daß man sehr gut bzw. perfekt spielen muß, wenn jemand zuhört. Klar, heute hat jeder "ideale" Musik im Ohr aus Radio, CD etc. (war früher ja nicht so, das muß man sich immer mal wieder klar machen). Aber: Wenn man mit Zuhörern spielt, spielt man halt die Dinge, die man schon einigermaßen kann. Und - der engagierte Klavierspieler glaubt es gar nicht - viele "unbedarfte" Zuhörer merken die Fehler gar nicht, wegen derer man selbst während des Spielens immer noch nervöser wird (siehe auch den Faden zum "Supertalent").

Gruß
Rubato
 

genau deswegen propagiere ich eher "unregelmäßiges" üben.
wenn ich eine woche lang nicht gespielt habe (gleicher effekt tritt schon bei einer pause von 2 tagen auf), merke ich dass die musik aus meinen fingern nur so sprudelt und alles gelingt mit einer ungeahnten leichtigkeit sowie einer erhöhten geistigen präsenz. bei TÄGLICHEM üben stumpft man ab, und sei man noch so vernarrt ins klavierspielen. ein völlig natürliches biologisches phänomen. dasselbe lässt sich auch beim hören von irgendwelchen stücken beobachten.

jetzt braucht mir kein rolf ankommen und sagen, mit begeisterung am musizieren würde man nicht abstumpfen^^
 
wenn ich eine woche lang nicht gespielt habe (gleicher effekt tritt schon bei einer pause von 2 tagen auf), merke ich dass die musik aus meinen fingern nur so sprudelt und alles gelingt mit einer ungeahnten leichtigkeit sowie einer erhöhten geistigen präsenz.

da verblasst der brennende Dornbusch zum Strohfeuer - - welche gigantischen Erfolge müssten zu verzeichnen sein, wenn man die heilsbringende Übemethode der genialischen Pause vedoppelt, verdreifacht? :D :D wozu bloß ne Woche, wenn´s dann so super ist - Monate, gar Jahre!! :D
 
ich denke du hast verstanden dass pausen ab einer bestimmten länge nen gegenteiligen effekt haben^^
 
ich denke du hast verstanden dass pausen ab einer bestimmten länge nen gegenteiligen effekt haben^^

??? ein bis sieben Euro sind ok, die zehnfache Menge aber soll nen gegenteiligen Effekt haben??? :D - - - ne, ne: wenn die Pause so super ist, dann umso mehr, je länger - - denk nur an den Unterschied von großer und kleiner Pause in der Schule: die kleine ist zu kurz, um ne ganze Lateinhausaufgabe abzuschreiben, aber die große machts möglich :D
 
Nun, wir wissen es doch alle: "Die Pausen machen erst die Musik." :cool:

Zum Thema:

Auch ich kenne das eingangs beschriebene Phänomen. An der Orgel erlebe ich es regelmäßig. Das Modell der Kaskade vom Kurz- über das Mittel- bis ins Langzeitgedächtnis leuchtet mir unmittelbar ein. Wenn die Kaskade überfordert ist, herrscht Lernstau, der sich in einer Pause abbauen kann.

Ich habe gestern abend zweieinhalb Stunden Orgel geübt, hauptsächlich am Continuo der Arie "Bereite dich Zion" (Weihnachtsoratorium, Nr. 4), die wir am 1. Advent musizieren wollen. (Andere können sowas aus dem Ärmel - ich nicht.) Als ich nach Haus kam, merkte ich, wie mein Gehirn förmlich weiterübte - mindestens zwei weitere Stunden. Auch heute morgen dudelt es noch... Neulich hatte ich an zwei aufeinanderfolgenden Abenden geübt, und war am zweiten enttäuscht, wie schlecht es nach all der mühsamen Arbeit des ersten Abends ging.

Eine Pause nach intensivem Üben kann sehr fruchtbar sein.
 
Wenn man dann trotzdem jeden Tag üben will - einfach weils Spass macht ... sollt man dann zum Beispiel das Repertoir aufteilen? Z.B.

1. Tag Aufwärmübungen, Etüden, Stück A und B
2. Tag Aufwärmübungen, Etüden, Stück C
3. Tag Aufwärmübungen, Stück A und C
4. Tag Aufwärmübungen, Etüden Stück B

oder so ähnlich? Wäre das effektiver als jeden Tag das gleiche Programm durchzuüben? Oder funktioniert die Kaskade nur wenn man eine Generalpause :p macht?

Gruss

Hyp
 
Ich fürchte, die Kaskade funktioniert nur mit Generalpause. Schließlich kann doch auch Stück A das Stück C rausdrängen, oder?
 
Ich fürchte, die Kaskade funktioniert nur mit Generalpause. Schließlich kann doch auch Stück A das Stück C rausdrängen, oder?

hi fisherman,

ich arbeite praktisch mit dem Kaskadenmodell.

Das mit dem Rausdrängen ist meines Erachtens ein wichtiger Punkt:

Der Kurzzeitspeicher, (im neurologischen Modell sind es ca. 5 Speicher) ist schnell voll.
Die Kapazität hängt von vielen Parametern ab, z.B. Tageskondition, wie Interessant ist der Lernvorgang, individuelle Auffassungsgabe, Konzentration etc.

Praktisch bedeutet dies: wenn du merkst, dass beim Üben nichts neues mehr geht, dann mach eine Pause und versuche erst weiter zu üben, wenn du wieder fit bist.
Alles andere ist rausgeworfene Zeit - und rausdrängen von mühsam Eingeübtem .
Aber rette den Inhalt des Speichers, indem du ihn verdichtest, also mit etwas weniger Druck revidierst.
Mach den Inhalt interessant, indem du einen anderen Aspekt übst. Mach aus dem schwierigen Teil, den du geübt hast, eine interessante Fingerübung, schreib die Noten per Hand ab, spiele anderen Fingersatz, singe eine Stimme etc. pp.

Am nächsten Tag kannst du dann, prüfen was im Mittelspeicher angekommen ist. Das, was fehlt dann neu üben.
Der Mittelspeicher muss auch gepflegt werden. Also auch alte Kamellen immer wieder rausholen und neu üben.
Bitte nicht lachen. Ich habe Mini- Karteikarten, darauf Stichwort: Titel, MM-Zahl, wann angefangen ..
Jeden Tag ziehe ich 1-2 Karten und übe die Stücke. Wie beim Vokabellernen gehen die dann in den Kasten: Baustelle, Unsicher, Sitzt. ( identisch mit: Kurzzeit / Mittel / Langgedächtnis)

Und noch was zum Schmunzeln: ich schreibe mir jeden Tag auf, was ich spiele. Das dauert 1 min.
Das ist mein Lerntagebuch und eine unerschöpfliche Quelle des Wissens für mich.
(Als Chemiker nennt man so was: Laborjournal, das hab ich also im Blut:D)

Für musische Menschen mag das unerträglich sein, für mich geht es nicht anders..;)

Lieber Gruß, NewOldie
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:

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