historische Fluegel u. Franzoesische Pianisten

Das ist ein beliebtes Fehlurteil. Im Gegenteil ist ein zu wenig beeinflussbarer vorgefertigter Klangcharakter ein Nachteil, weil sich diesem gezwungenermaßen alles unterordnen muss. Von sanft bis brillant, von dunkelwarm bis kalt-gleißend muss das Instrument klingen können - dann klingen Ondine und Scarbo auf demselben Instrument überzeugend.

Ich meinte auch nicht, dass man den Klangcharakter eines guten modernen Flügels nicht beeinflussen könne. Ich meinte das eher tendenziell: Da wo beim modernen Flügel die Einflussmöglichkeiten aufhören, hat ein älterer Flügel noch viel Spielraum, den Charakter des Tones zu formen. Der moderne Flügel hat dafür aber den größeren Dynamikumfang und bessere mechanische Eigenschaften. Wie Sesam geschrieben hat, gibt es da doch kein richtig oder falsch.

Bei der Wiener Mechanik ist die Dämpfung oberhalb der Saiten aufgehängt. Beim engl. Flügel sitzt die Aufhängung in Tastaturhöhe hinter der Mechanik. Dort ist beim Wiener Flügel aber kein Platz, weil die Tasten viel länger sind. Sie kriechen sozusagen unter den Resonanzboden. Es ist also nicht möglich den Resonanzboden vorne an einem Korpusteil zu fixieren - egal ob Gussrahmen oder nicht. Der engl. Flügel hat am Ende des Resonanzbodens einen Damm - d.h. dies ist ein mit dem Korpus verbundener dicker Hartholzbalken an dem der Resonanzboden aufgeleimt wird. Es wäre möglich, einen modernen Flügel ohne Damm zu bauen. Umgekehrt gehts nicht.

Danke neuerdings für die Erklärung. Ich frage mich, warum der moderne Flügel dann nicht ohne diesen Damm gebaut wird. Denn so weit ich das verstanden habe, verschlechtert der Damm doch die Klangeigenschaften des Resonanzbodens, oder?!

Grüße von
Fips
 
Früher war der größere Dynamikumfang gar nicht nötig, weil die ganze Welt noch viel leiser war.

im 19. Jh.? Industrialisierung? Keinerlei Lärmschutzverordnung? Donnernde Dampfmaschinen? In Paris z.B. musste ein ziemlicher Lärm geherrscht haben (vgl. Sue, Goncourt, Heine etc.)

bzgl. der früheren Instrumente: die alten Klaviere sind nicht leiser als die neuen, aber sie sind auch nicht lauter (und das ist ein Nachteil)
 
[...]
Je lauter die Welt ist, desto schwieriger ist es, sich selbst wahrzunehmen. Das gilt eigentlich für alle Sinnesreize, aber das Gehör ist das psychisch sensibelste aller Sinnesorgane. Und je schlechter man sich selbst wahrnehmen kann, desto mehr ist man wiederum auf Reize von außen angewiesen. Der lautstärkemäßig teilweise überbordende Konzertbetrieb (bei einer Stelle aus Prokofievs 5. Symphonie musste ich mir im Konzert wirklich mal die Ohren zuhalten!) spiegelt das ebenfalls wider.

Grüße von
Fips

Dazu ist dieses Zitat von der in einem anderen Faden ([thread="12351"]Tonart[/thread]) verlinkten Seite von Andreas Weng auch ganz interessant:
Zitat von Andreas Weng:
Zum Phänomen der Lautstärkesteigerungen: meines Wissens wurde 1912 und noch einmal 1956 die Null-Dezibel-Schwelle bei Hörmessgeräten (Kaiserliche Armee und Bundeswehr) um jeweils 20db (A) gesenkt. Das bedeutet doch, dass unsere Vorfahren neben dem sinnbewussteren Leben viel besser und damit auch transzendenter hören konnten. Mit wie viel weniger Empfindungstiefe und -breite müssen wir Heutigen auskommen, wie kompensieren wir es?

Ein Clavichordkonzert (maximale Lautstärke 65 db (A)) vor nur 30 Hörern ist heute kaum mehr durchführbar, weil ab der 3. Reihe nur einige Wenige etwas hören. Bezeichnenderweise würde aber das gleiche Konzert mit PA-Anlage verstärkt Zugabeovationen hervorrufen. Der Effekt dominiert über die Harmonie (nur wenige 20-Jährige sind noch fähig, Töne um 18000 Hz wahrzunehmen).
Dabei geht es zwar hauptsächlich um die Höhe des Kammertones aber er äußert sich auch zur Lautstärke.

Grüße
Thomas
 
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im 19. Jh.? Industrialisierung? Keinerlei Lärmschutzverordnung? Donnernde Dampfmaschinen? In Paris z.B. musste ein ziemlicher Lärm geherrscht haben (vgl. Sue, Goncourt, Heine etc.)

Du wirst doch zugeben, dass der Lärm damals noch nicht so stark den gesamten Alltag durchdrungen hat wie heute. Es gab keine Autos, keine Hochgeschwindigkeitszüge, keinen Flugverkehr, keine Rasenmäher, keine U-Bahn usw. Insgesamt gab es nur einen Bruchteil des Verkehrs von heute. Wenn man sich alte Dokumentarfilme von Straßenszenen anschaut, dann fährt da alle paar Minuten mal eine Kutsche durchs Bild. Das ist rein lärmmäßig schon was anderes als Blechkolonnen durch die ganze Stadt. Wenn man nicht direkt neben einer Industrieanlage gewohnt hat, war der Lärmpegel sicher niedriger als heute.

Grüße von
Fips

PS: Thomas, ein interessantes Zitat!
 
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(1)
Da wo beim modernen Flügel die Einflussmöglichkeiten aufhören, hat ein älterer Flügel noch viel Spielraum, den Charakter des Tones zu formen.
(2)
Der moderne Flügel hat [dafür aber] den größeren Dynamikumfang und bessere mechanische Eigenschaften.

(1) Nein.
da sind die Möglichkeiten der Klangfarbendifferenzierung sogar größer (wenn´s denn ein richtig guter ist) - wie kommt es sonst, dass man auf einem Steinway z.B. Rubinsteins typischen Anschlag hört?

(2) Ja. (aber ohne "dafür aber", deshalb hab ich´s eingeklammert)
 
Wenn man nicht direkt neben einer Industrieanlage gewohnt hat, war der Lärmpegel sicher niedriger als heute.

sicherlich anders, ob aber in den Großstädten geringer, ist fraglich (für z.B. 1890-1924 beschreibt Dos Passos das für New York, bzgl. Paris gibt es genügend Quellen aus dem frühen und mittleren 19. Jh.)

und noch fraglicher ist die These von der Abhängigkeit der Instrumentenlautstärke vom angenommen Pegel der Umwelt- oder Stadtgeräusche ;)
 
Hörfähigkeit früher und heute:
Es wäre interessant, ob es dazu auch ernstzunehmende Untersuchungen oder Dokumentationen gibt.

Es erscheint mir logisch, dass die Industrialisierung eine enorme Steigerung des allgemeinen Lärmpegels mit sich gebracht hat. Es wird auch so dargestellt.
Allerdings nimmt man diese Geräusche heutzutage als normal wahr. Warum? Hören wir wirklich viel schlechter als die Menschen vor 150 Jahren oder gewöhnt man sich daran?

Wenn ich längere Zeit durchgängig im Burgenland (Haus am Waldrand) verbringe, dauert es ein paar Tage, bis ich die Geräuschkulisse der Natur bewusst wahrnehme. Vermutlich wird die Wahrnehmungsfähigkeit durch den gesenkten allgemeinen Lärmpegel besser.

Grüße
Thomas
 
Hören wir wirklich viel schlechter als die Menschen vor 150 Jahren oder gewöhnt man sich daran?

Das glaube ich nicht - wieso sollte sich das in gerade mal 150 Jahren ändern? Was sich geändert (verfeinert, verbessert) hat, sind die Untersuchungsmöglichkeiten: lieber heute, also vor 150 Jahren zum Ohrenarzt!

...dass sich mancher Modegeck heuer das Gehör mittels Ohrstöpseln und ähnlicher massiver Beschallungsmassnahmen beeinträchtigt, steht auf einem anderen Blatt (diesem anderen Blatt könnte man als Überschrift ein Wort mit B am Anfang und n am Ende geben, und bevor die Suche ausufert, sei verraten, dass in der Mitte lödsin lagert) :D:D:D:D
 
Lieber Rolf,

Wenn ich Dich richtig verstanden habe, bitte korrigiere mich wenn ich falsch liege, dann meinst Du, es kann nicht sein, dass ein frühes Klavier ohne Gussrahmen mit geringerer Saitenspannung feinere Nuancierungen im unteren Dynamikbereich zulässt als es ein heutiger Konzertflügel tut. Jeder, der etwas derartiges wahr nimmt wird durch seine persönliche nostalgische Verklärung getäuscht.

Es gab eine Zeit, da war das Clavier und sein Sound so wie wir ihn heute kennen noch nicht genetisch unverrückbares Erbgut. Die Clavierverfertiger stellten dem Compositeur ein Instrument zur Verfügung, mit dem es leichter fiel zu komponieren als mit einem Cembalo. Es gab noch keine ausgewiesene Pianoforteliteratur und das Cembalo war dominierend - auch wenn da "für Klavier" draufstand. Dieser Zustand dauerte etwa 100 Jahre an. (~1720-~1820) Der Vorzug dieser Claviere, sie klangen sehr nach den Instrumenten die sie "synthetisch" darzustellen versuchten. Hier oben eine zarte Flöte, weiter unten eine Viola oder ein schmetterndes Horn im Bass sollten charakterisiert wahrgenommen werden. Dazu kamen mehrere Effektpedale - 5 Stk. und mehr waren keine Seltenheit. Darunter waren z.b. Pauken, die von unten gegen den Resonanzboden geschmettert wurden.

Während der industriellen Revolution um 1850 änderte sich der Charakter eines Imitationsgerätes zu einem mit eigenständigen Sound. Hier mischten viele Firmen mit und viel große Komponisten dieser Zeit - auch der Zeitgeschmack (Mode) um diesen zu kreieren. Es war wichtig, dass der Klang und Lautstärke gleichmäßig über die Klaviatur verteilt war. Also im Gegensatz zu den Vorgängermodellen, bei welchen es erwünscht bzw. von Vorteil war ungleich laut klingende Bereiche zu haben. Zu all dem kommt noch, dass es sehr unterschiedliche Ideen und Ausformungen darüber gab, wie ein Klavier zu klingen habe. Es war ja noch nicht geboren sondern lag in den Wehen. Jede Firma hatte ihr eigenes Klangideal und sehr viel war landschaftlich geprägt. Die Charakter der Instrumente hatten eine Vielfalt, die wir heute nicht kennen. Der Anschlagspunkt an Der Saite war sehr unterschiedlich, die Resonanzbodenstärke etc. - auch das Volumen. Wir waren nicht so vernetzt. Steinway gewann den posthumen Zukunftehrenplatz nur deshalb, WEIL es für den Konzertbetrieb auf Lautstärke optimierte und früh ein Netzwerk aufbaute. Das sich das durchsetzen würde dachten nicht viele im ausgehenden 19. JhDt. und man schenkte dem nicht groß Aufmerksamkeit, denn der Hauptinteressent war (wie auch heute) jener, der das Kammer- Salon- oder Wohnzimmerinstrument kaufen würde - dahingehend dachten viele Hersteller. Niemand dachte daran, dass es irgendwann einmal Tonträger geben würde und dieses Steinway Instrument mit seinem Klang in die Wohnzimmer tragen würde. Als es dann geschah und den Vorteil dieser Entwicklung aufzeigte geschah folgendes: Alle Hersteller passten sich diesem Ideal an - Der eine mehr und der andere weniger. Die eigenen entwickelten Vorstellungen wurden dem Markt geopfert. Ob das alles gut war darf jeder selbst entscheiden. Jedenfalls gefällt mir ein "typischer" Klang besser als ein "nachgemachter"! Und es geht vielen hier eher um den nachgemachten Charakter, nicht so sehr um Steinway. Wer den sechssstelligen Betrag ausgeben möchte, der darf ruhig machen - er wird es nicht bereuen.

LG
Michael
 
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Ich denke, oft muss gar nicht zuu tief geschürft werden: Viele, die ich kenne, sind des mehr oder weniger uniformen Klangbildes "moderner" Flügel und Klaviere einfach überdrüssig. Daher kommt bereits Freude auf, wenn (alte) Instrumente ANDERS klingen.
Würden auf unseren Straßen nur noch Porsches fahren, würden wir uns über jedes andere Fahrzeug ebenfalls freuen, weil wir P.s nicht mehr sehen wollen...:D
 

Lieber Micha,
Es gab noch keine ausgewiesene Pianoforteliteratur und das Cembalo war dominierend - auch wenn da "für Klavier" draufstand. Dieser Zustand dauerte etwa 100 Jahre an. (~1720-~1820)
da hast Du völlig recht - nur ging es gar nicht um diesen Zeitraum. Der taube Beethoven komponierte seine letzten Sonaten für ein Instrument, das es noch gar nicht gab (etwas überspitzt formuliert) - aber ab ca. 1830 beginnen die Kompositionen von Chopin und Liszt, welche das Klavierspiel doch gehörig weiter brachten. Ohne die seitdem verbesserte Repetitionsmechanik von Erard (1823) undenkbar. Es geht also um andere Instrumente: die direkten Vorgänger der modernen Flügel - nicht die Urgroßväter :) Und ab 1830 mussten die Instrumente einen Anlaß geboten haben, ihnen gewisse Etüden und eine gewisse Transkription im ärgsten Fall zumuten zu können!

Wir waren nicht so vernetzt. Steinway gewann den posthumen Zukunftehrenplatz nur deshalb, WEIL es für den Konzertbetrieb auf Lautstärke optimierte und früh ein Netzwerk aufbaute. Das sich das durchsetzen würde dachten nicht viele im ausgehenden 19. JhDt. und man schenkte dem nicht groß Aufmerksamkeit, denn der Hauptinteressent war (wie auch heute) jener, der das Kammer- Salon- oder Wohnzimmerinstrument kaufen würde - dahingehend dachten viele Hersteller. Niemand dachte daran, dass es irgendwann einmal Tonträger geben würde und dieses Steinway Instrument mit seinem Klang in die Wohnzimmer tragen würde. Als es dann geschah und den Vorteil dieser Entwicklung aufzeigte geschah folgendes: Alle Hersteller passten sich diesem Ideal an - Der eine mehr und der andere weniger.
Ende des 19. Jh. dominierte Bechstein, baute auch entsprechende Flügel - die Aufholjagd im Konzertsaal zu gewinnen, gelang Steinway erst später. Ca. um 1870 hatten die meisten kleineren Flügel (für Salon und Wohnzimmer) eine Mechanik, die im Wesentlichen Bechstein und Steinway glich (ein schönes Exemplar ist bei Steingraeber zu sehen, von 1876). Und gearbeitet wurde bei allen daran, ein den dynamischen und mechanischen Forderungen gewachsenes Instrument zu bieten. Dass dabei der Klang abgesehen von der Dynamik differierte, war damals natürlich so (ist ja heute auch noch so, sofern sich Hersteller X nicht darauf kapriziert, mit billigeren Lösungen Hersteller Y zu kopieren)

Die nostalgische Verklärung der Klänge "damals" halte ich für ebenso übertrieben, wie die angebliche heutige "Nivellierung" bis zur Unkenntlichkeit.
 
Die nostalgische Verklärung der Klänge "damals" halte ich für ebenso übertrieben, wie die angebliche heutige "Nivellierung" bis zur Unkenntlichkeit.
Wir hier im Klavierforum sind sowieso die Einzigen unter den Milliarden von Menschen, die versuchen Unterschiede in diesem (unwichtigen?!!)Teilbereich zu sezieren. Wir sind sozusagen die Elite der oberen 10.000 die sich mit dem Instrument intensiv beschäftigen und Entwicklungen bzgl. noch mehr Lautstärke auf kleinstem und noch kleinerem Raum ohne weitere Reflexion als unabänderlich gegeben hinnehmen. Ich finde es spannend, etwas übertriebene Vorstellungen zu beleuchten und glaube schon, dass ein nebeneinander möglich ist - und möglich sein muss in Zukunft. Es lebe das Hammerklavier!
:D

LG
Michael
 
aber Micha...
...eine ironische Soziologie der Klavierinteressierten war nicht gefragt ;) :D lieber was klavierbaufachliches bzgl. 1830-50 (Chopin uns so) :D:D
 
(ist ja heute auch noch so, sofern sich Hersteller X nicht darauf kapriziert, mit billigeren Lösungen Hersteller Y zu kopieren)
Die Buchstaben sind etwas verwuchselt... Es sollte heissen: (ist ja heute auch noch so, sofern sich Hersteller Y nicht darauf kapriziert, mit billigeren Lösungen Hersteller S zu kopieren)
:D :D :D :D
 
aber Micha...
...eine ironische Soziologie der Klavierinteressierten war nicht gefragt ;) :D lieber was klavierbaufachliches bzgl. 1830-50 (Chopin uns so) :D

Naja - aus klavierbautechnischer Sicht zu dieser Zeit kann ich nur sagen, ein Instrument mit schmiedeeisernen kleinen Streben bringt andere Klänge hervor als eines mit Vollguss ein paar Jahrzehnte später. Ein dazu passender kleinerer Hammerkopf hat zudem andere Modulationsmöglichkeiten.

LG
Michael
 
Ich höre den Unterschied dahin gehend, dass durch den massiven Einsatz von Grauguss der hölzerne zarte Charakter mit Glockencharakter vermischt wurde. Das war dann etwa ab 1870...
Einige wollten trotz Grauguss den hölzernen Charakter weiter erhalten bzw. die Art erhalten und andere integrierten ihn.

LG
Michael
 
aber Micha...
was klavierbaufachliches bzgl. 1830-50 (Chopin uns so) :D:D

Naja - aus klavierbautechnischer Sicht zu dieser Zeit kann ich nur sagen, ein Instrument mit schmiedeeisernen kleinen Streben bringt andere Klänge hervor als eines mit Vollguss ein paar Jahrzehnte später. Ein dazu passender kleinerer Hammerkopf hat zudem andere Modulationsmöglichkeiten.

LG
Michael

Es ist die Reihenfolge auch etwas verwuchselt ;-)

LG
Michael
 

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