Hilfe für BWV Anh 115 Analyse

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Frage an Forum,

Zuerst möchte ich mich Vorstellen: ich bin Wiedereinsteiger in der Klavierwelt, lebe in Zürich (CH) und meine Mutter/Vatersprache ist nicht Deutsch. Somit bitte ich um Nachsicht bei der Formulierung.

Ich spiele Klavier, sagen wir einigermaßen ordentlich jedoch nicht profimässig (= keine Konzertreife). Da ich in meiner Jugend nur wenig Theorie in der Musikschule erhalten habe, möchte ich die im vorschreitenden Alter nachholen.

Ich habe mir ein einfaches Stück aus meiner Jugend ausgesucht und dieses versucht harmonisch zu analysieren. Da ich englischsprachige „Harmonie-Lehre“ Bücher benutze sind die Bezeichnungen z.T. gegenüber deutscher Literatur abweichend.

Ich stelle zu diesem Stück zwei Fragen:

  • Ist die Analyse des ersten Abschnitts richtig bzw. sind noch Ergänzungen angebracht.
  • Wieso notiert Henle das Stück als G min mit 2b und Wiener Urtext Edition als D min (1b).
Ich dachte, Urtext Noten sollen dem Original entsprechen. Wie hat es eigentlich Bach/Petzold notiert.

Vielen Dank im Voraus.

Joel
 

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Willkomme im Forum. :-)
Ich habe mir ein einfaches Stück aus meiner Jugend ausgesucht und dieses versucht harmonisch zu analysieren.
Bevor gleich die Profis mit einer fundierten Antwort kommen, hier schon mal meine schnelle Laien-Meinung:

Das Stück ist zwar einfach, allerdings für einen Einstieg in die harmonische Analyse eher ungeeignet, da es sich um ein polyphones Stück handelt. Es sind als eigentlich zwei gleichberechtigte Melodien. Da ist nicht viel mit Akkorden.

Wenn es denn Bach sein soll, dann würde ich für eine harmonische Analyse eher das C-Dur-Präludium aus dem Wohltemperierten Klavier, BWV 864 empfehlen. Bin mir aber nicht sicher, ob das für einen Einstieg vielleicht schon zu viel des Guten wäre. Aber wie gesagt, da müssen dann gleich die Experten weiter helfen. :-)
 
Frage an Forum,

Zuerst möchte ich mich Vorstellen: ich bin Wiedereinsteiger in der Klavierwelt, lebe in Zürich (CH) und meine Mutter/Vatersprache ist nicht Deutsch. Somit bitte ich um Nachsicht bei der Formulierung.

Ich spiele Klavier, sagen wir einigermaßen ordentlich jedoch nicht profimässig (= keine Konzertreife). Da ich in meiner Jugend nur wenig Theorie in der Musikschule erhalten habe, möchte ich die im vorschreitenden Alter nachholen.

Ich habe mir ein einfaches Stück aus meiner Jugend ausgesucht und dieses versucht harmonisch zu analysieren. Da ich englischsprachige „Harmonie-Lehre“ Bücher benutze sind die Bezeichnungen z.T. gegenüber deutscher Literatur abweichend.

Ich stelle zu diesem Stück zwei Fragen:

  • Ist die Analyse des ersten Abschnitts richtig bzw. sind noch Ergänzungen angebracht.
  • Wieso notiert Henle das Stück als G min mit 2b und Wiener Urtext Edition als D min (1b).
Ich dachte, Urtext Noten sollen dem Original entsprechen. Wie hat es eigentlich Bach/Petzold notiert.

Vielen Dank im Voraus.

Joel
Herzlich Willkommen!
 
Also, die Frage taucht öfters auf, bei verschiedenen Stücken. Zu der Zeit waren Kirchentonarten noch sehr im Gebrauch. Manches Stück in Moll ist dann mit dorischen Vorzeichen notiert, de facto aber echtes Moll. Berühmtes Beispiel: Die dorische Toccata von Bach.
Die Analyse stimmt im Großen und ganzen. In T. 3 würde ich IV hoch 6 hören, das liegt näher als VI. Die Zweistimmigkeit ist halt nicht 100% eindeutig. In T. 6 höre ich auf Schlag 3 I. In T. ist es eine Zwischendominante zur s. Ich würde ohnehin lieber Funktionen schreiben.
 
Vielen herzlichen Dank Axel, ja das mit den Vorzeichen hat mich etwas verwirrt. Es ist mir seltsam vorgekommen, das Henle (Urtext Edition) und Wiener Urtext Edition zueinander abweichend sind.
Ja mit den Funktionen muss ich mich noch beschäftigen, Stufendarstellung ist für den Anfang für mich einfacher.
 
Zu deinen Fragezeichen, lieber @piano-nerd

Takt 13 ist ein G7-Akkord (mit verzögertem Grundton), der als Zwischendominante fungiert und im folgenden Takt auf Schlag 1 nach C-Moll aufgelöst wird. Quasi eine V-I auflösung in Tonart C-Moll, mit gleichzeitiger Doppelrolle des Akkords C-Moll -> er ist auch Stufe II von der Tonart Bb-Dur aus.
 
P.S. Die Leiter im Takt 12 nimmt den G7-Akkord schon vorweg mit der Auflösung des Bb nach einem H und könnte auch als eine Art D7-Akkord angeschaut werden, also eine Zwischendominante auf die Zwischendominante (D7 -> G7 -> Cm)
 
Auch vielen Dank @KlavierKranich, jetzt ist einiges betreffend der Fragezeichen klar. Es ist mir jetzt bewusst, dass man zweistimmige Stücke nicht eindeutig harmonisch analysieren kann.
 
In T. 3 würde ich IV hoch 6 hören, das liegt näher als VI. Die Zweistimmigkeit ist halt nicht 100% eindeutig.
Die Zweistimmigkeit ist meist eindeutiger, als man vermutet - denn Komponisten des 17./18. Jahrhunderts haben sich üblicherweise an der Oktavregel orientiert. Wer hier die VI hört, dem fehlt es (noch) an stilistischem Verständnis. Das ist zweifelsfrei ein Sextakkord über der IV. Ganz vielleicht auch ein Terz-Quart-Sextakkord, aber den würde man eher nicht im 3. Takt eines schlichten Menuetts anbringen.


Takt 13 ist ein G7-Akkord (mit verzögertem Grundton), der als Zwischendominante fungiert und im folgenden Takt auf Schlag 1 nach C-Moll aufgelöst wird.
Dominantseptakkorde sind im 17. Jahrhundert nicht besonders üblich, die VII. Stufe allerdings schon - im zwei- und dreistimmigen Satz kommt sie in allen Umkehrungen vor, im vierstimmigen Satz fast nur als Sextakkord. Die Betrachtung als verkürzter G7 oder gar G7 mit verzögertem Basston wird dieser Musik kaum gerecht.
 
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Die Zweistimmigkeit ist meist eindeutiger, als man vermutet - denn Komponisten des 17./18. Jahrhunderts haben sich üblicherweise an der Oktavregel orientiert. Wer hier die VI hört, dem fehlt es (noch) an stilistischem Verständnis. Das ist zweifelsfrei ein Sextakkord über der IV. Ganz vielleicht auch ein Terz-Quart-Sextakkord, aber den würde man eher nicht im 3. Takt eines schlichten Menuetts anbringen.



Dominantseptakkorde sind im 17. Jahrhundert nicht besonders üblich, die VII. Stufe allerdings schon - im zwei- und dreistimmigen Satz kommt sie in allen Umkehrungen vor, im vierstimmigen Satz fast nur als Sextakkord. Die Betrachtung als verkürzter G7 oder gar G7 mit verzögertem Basston wird dieser Musik kaum gerecht.

Mir ist schon klar, dass die Baroclfritzen nicht in Funktionen gedacht haben, aber wo genau schadet die Interpretation eines Sextakkordes der VII. Stufe als verkürzter D7?
 

Mir ist schon klar, dass die Baroclfritzen nicht in Funktionen gedacht haben, aber wo genau schadet die Interpretation eines Sextakkordes der VII. Stufe als verkürzter D7?
Schaden tut's niemandem, aber es trägt nicht gerade zum Verständnis der Musik bei. Ein D ⁷ hat einen sehr starken und ausschließlich dominantischen Charakter - bei einer VII. Stufe kann zwar die dominantische Funktion im Vordergrund stehen, sie muss es aber nicht. Es gibt durchaus Situationen, in denen VII ⁶ eine Subdominante substituieren kann. Die strengen Stimmführungsregeln eines D ⁷ gelten für die VII ⁶ ohnehin nicht - die Quinte (= Septime des D ⁷) kann bedenkenlos nach oben geführt werden.

Auch in diesem Menuett ist die dominantische Funktion der VII alles andere als eindeutig. Die Takte 13-16 sind ein Sequenzmodell, bei dem der dominantisch empfundene Akkord immer auf ZZ. 3 steht. Das h im Bass in Takt 13 steht dort aus Stimmführungsgründen - betrachtet man die gesamte Sequenz, wäre dort ein d' logisch. Und damit ein subdominantischer Klang. Und als solcher kann die VII hier problemlos gehört werden.
 
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Na klar, in Moll ist der s hoch 6 natürlich ein verminderter. Bsp.: d-moll mit Sexte statt Quinte ist d-f-h, das kann natürlich auch G7 verkürzt sein. Das kann man aber recht gut an der Tonart unterscheiden. Stimmführungsregeln sind klar, die sind beim verkürzten zu vernachlässigen.

Im genannten Beispiel kann ich die Argumentation mit d in der Sequenz nachvollziehen. Ich würde auch grundsätzlich zustimmen, dass Funktionen bei Sequenzen keine guten Dienste leisten und man das besser in Stufen macht. Aber wo ist das subdominantisch? Für mich weder in g noch in B.
 
Wenn man eine Quintfallsequenz partout funktionsharmonisch betrachten will (was ich nicht empfehle), dann kann man diese als Modulationsmodell verstehen, bei dem jede neue Tonika entweder zur Doppeldominante (wenn es eine Dur-Tonika ist) oder zur Subdominantparallele (wenn es eine Moll-Tonika ist) umgedeutet wird. An der besagten Stelle im Menuett wäre der "richtige" Ausgangsakkord d-Moll und damit die (Variant-) Subdominantparallele zur nächsten Tonika c-Moll. Dieses c-Moll kann wieder zur Subdominantparallele der nächsten Tonika (B-Dur) umgedeutet werden.

Das ist zugegebenermaßen konstruiert und zeigt, dass die Funktionstheorie hier ein kaum geeignetes Mittel zur Analyse ist. Und aus genau diesem Grund finde ich die funktionsharmonische Deutung als G7 mit verzögertem Grundton hier völlig unpassend. So hat kein Komponist in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gedacht; im 17. Jahrhundert schon gar nicht.
 

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