harmonische Analyse Adeste fideles

A

Amaryllis

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Auf Anregung von Mick in diesem Faden habe ich jetzt mal versucht, ein einfaches Lied zu analysieren. Axel hatte geschrieben, dass es einfacher wäre, mit mehrstimmigen Stücken anzufangen, weil es dann eindeutiger ist.

Ich habe mir das erste Lied geschnappt, das ich im Netz mit mehrstimmigen Noten gefunden habe. Tut mir leid, dass es ausgerechnet ein Weihnachtslied ist, ich wusste das nicht und habe es erst gerade eben beim Googeln nach dem Liedtitel gemerkt...

Hier ist jetzt mein Versuch - bitte nicht auslachen, ich habe so etwas zwar schon öfter mit meinen jeweils aktuellen Stücken versucht, aber mich hat noch fast nie jemand korrigiert.

adeste_fideles.jpg


Ich wäre für alle Verbesserungen sehr dankbar!

Eine konkrete Frage habe ich noch: Darf man da eigentlich auch einen Teil so schreiben, dass die Dominante zur Tonika wird? Eigentlich hätte ich gerne im ersten Teil (so ca. Takt 5-8 ) D-Dur als Tonika aufgeschrieben, weil es sich für mich so anhört. Wäre das erlaubt?

Ach so, und eine zweite Frage: An der zweistimmigen Stelle (T. 13) hatte ich einfach probiert, eine dritte Stimme hinzuzufügen, um herauszufinden, welche sich für mich richtiger anhört. War das falsch oder ist das ok?
 
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Das Teil moduliert zur Dominante, kommt ganz häufig vor. Ich würde ab dem ersten Auftreten der DD eine D-Dur Ebene in der Bezifferung aufmachen, denn ab da hört man tatsächlich D als Tonika.

Es fehlen noch die Umkehrungen und Vorhalte. Im ersten Volltakt T 1-3-1 (Ziffern tiefgestellt, bekomme ich hier nicht hin), 3 Takte später D 4-3 (hochgestellt).

Rest schaue ich später an, muss schnell eine Messe spielen.

Gruß
Axel
 
Vielen Dank, ihr seid toll! Ich wusste nicht, wie man das mit den harmoniefremden Tönen macht bzw. dass man das machen sollte. Ich habe vorhin gegoogelt und dazu die Erklärungen auf dieser Seite hier gefunden: Harmoniefremde Toene

Ich habe jetzt mal versucht, das so umzusetzen, wie es dort steht. Die Modulation in T. 5-8 habe ich mit einer Klammer gekennzeichnet, weil nicht genug Platz war für eine neue Ebene (falls ich das richtig verstanden habe, was mit Ebene gemeint ist).

adeste_fideles2.jpg
 
Ich habe jetzt mal versucht, das so umzusetzen, wie es dort steht. Die Modulation in T. 5-8 habe ich mit einer Klammer gekennzeichnet, weil nicht genug Platz war für eine neue Ebene (falls ich das richtig verstanden habe, was mit Ebene gemeint ist).
Da bist Du in der Materie beachtlich vorwärts gekommen, sehr schön. Ein paar Kleinigkeiten, wenn's recht ist:
  1. Wenn die Akkorde in der Grundstellung vorliegen und sich der Grundton im Bass befindet, ist die untenstehende 1 nicht nötig.
  2. Die Ausweichung könnte man schon nach Phrasenende im Takt 4 auf dem letzten Schlag beginnen; auf diesem käme dann ein e-moll-Akkord, also die Sp!
  3. Das neue tonale Zentrum ist zu definieren: T=D-Dur, ab Takt 9 folgt wieder T=na, was wohl?
  4. In Takt 6 schreitet die Melodie in Vierteln fort auf fis-g-a-h, es ergibt sich dann kein G-Dur-Akkord mit großer Septime und Terz im Bass, sondern was sonst?
  5. In Takt 12 höre ich die Durchgänge 10-9-8 und 5-4-3.
  6. Auf dem letzten Schlag des Taktes 15 erklingt natürlich D7.

Für weiterführende Versuche einen eigenen Satz des gleichen Liedes für Männerchor von meiner PC-Festplatte, der immer wieder gerne aufgeführt wird:
Den Anhang Herbei, o ihr Gläub'gen.pdf betrachten

LG von Rheinkultur
 
wie sieht es in beiden Notenbeispielen von Amaryllis eigentlich mit dem Fragezeichen [in Takt 6] auf dem 2. Viertel aus? Mich wundert, dass da kurzfristig eine beachtliche Dissonanz entsteht - @Amaryllis: bist du sicher, dass die Noten da ok sind? ...das g in der Tenorstimme reibt sich da mit dem fis im Sopran...
 
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wie sieht es in beiden Notenbeispielen von Amaryllis eigentlich mit dem Fragezeichen auf dem 2. Viertel aus? Mich wundert, dass da kurzfristig eine beachtliche Dissonanz entsteht - @Amaryllis: bist du sicher, dass die Noten da ok sind? ...das g in der Tenorstimme reibt sich da mit dem fis im Sopran...
In meiner kleinen Liste hatte ich im Stichpunkt 4. angedeutet, dass es in der Melodieführung im Takt 6 der Vorlage eine falsche Vorgabe gibt. Diese ist für die entstehende Reibung verantwortlich...!

In meinem Beitrag #5 bin ich von dieser Stimmführung ausgegangen - hoffentlich stimmt sie, sonst singen mehrere Chöre aktuell etwas total Falsches...!
 
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Ein paar Kleinigkeiten sind noch anzuführen:

Sp 5-6 gibt es so nicht. Wenn dieser Fall eintritt, entsteht ein verkürzter Dominantseptakkord D durchgestrichen, tief 5, hoch 7 (sorry, bekomme das hier nicht besser hin). Also: Du hast hier a-moll und änderst das e zum fis. Dann bleibt ein D-Dur Septakkord ohne d mit a (=Quinte) im Bass übrig. In alten Harmonielehren heisst das Sextakkord (sprich 1. Umkehrung) der VII. Stufe und gilt in der Stufentheorie als selbstständiger Akkord.

Hier in Sachen Stimmführung nicht ganz so genial geglückt. Ebenso wie die Stelle in T. 12, die plötzlich 2stimmig wird. Da gibt es sicher elegantere Sätze.

Die folgenden parallelen Sexten würde ich nicht harmonisch bezeichnen. Ich höre da mehr ein Fauxbordonmodell.

Der Reihe nach:

5/2 s.o.
6/2 ein ungeschickt gesetzter Akkord, G-Dur mit gr. 7 oder doch h-moll mit 6?
7/1 würde ich nicht mit T 5, sondern mit D 64 zu 53 bezeichnen
9/1 kann T 3 oder Tg sein. Handwerklich fragwürdig.
9/3 s.o.
10/1 verkürzter Akkord, Ton d fehlt, also D durchgestrichen
11/4 höre ich mit doppelter Terz als S hoch 6 (S mit 6 statt 5)
17/1 s.o.
17/4 s.o.
18/1 würde ich mit D tief 8-7 bezeichnen (mehr eine Schreibkonvention)
19/1 wie 7/1

Schöne Grüße
Axel
 
Vielen Dank an alle! Ich habe jetzt versucht, alles richtig einzutragen.

adeste_fideles3.jpg

Zitat von Rheinkultur:
Das neue tonale Zentrum ist zu definieren
Ich habe das jetzt einfach bei der Klammer hingeschrieben, ist das richtig so?

Zitat von Rheinkultur:
In Takt 6 schreitet die Melodie in Vierteln fort auf fis-g-a-h
Ah, das klingt gleich besser so :) In Takt 12 kann ich jetzt auch die Durchgangsnoten hören.

Zitat von rolf:
@Amaryllis: bist du sicher, dass die Noten da ok sind?
Nein, ich muss gestehen, ich habe einfach auf einer beliebigen Liederseite eines der ersten Lieder genommen. Aber auch daraus habe ich gelernt: Bei meinem nächsten Liedprojekt (nicht so bald, es ist ja doch ziemlich zeitaufwändig) vergleiche ich besser vorher ein paar Versionen miteinander.

Zitat von Axel:
Die folgenden parallelen Sexten würde ich nicht harmonisch bezeichnen. Ich höre da mehr ein Fauxbordonmodell.

Ich muss gestehen, das habe ich nicht verstanden. Ich werde morgen mal googeln, ist zu spät heute... Die anderen Punkte habe ich versucht zu korrigieren. Morgen höre ich es mir nochmal an und versuche es richtig nachzuvollziehen.

Ich habe das Gefühl, heute richtig viel gelernt zu haben :) Ich hoffe, dass ich zumindest einiges davon beim nächsten Mal selber erkennen kann. Danke!
 
Ich muss gestehen, das habe ich nicht verstanden. Ich werde morgen mal googeln, ist zu spät heute... Die anderen Punkte habe ich versucht zu korrigieren. Morgen höre ich es mir nochmal an und versuche es richtig nachzuvollziehen.

Ich habe das Gefühl, heute richtig viel gelernt zu haben :) Ich hoffe, dass ich zumindest einiges davon beim nächsten Mal selber erkennen kann. Danke!


Freut mich, wenn es hilfreich ist.

Fauxbourdon ist ein Satzmodell aus dem Mittelalter, frühe Mehrstimmigkeit. Hauptsächlich in England. Einer Hauptstimme (meist aus dem greg. Choral) werden 2 weitere Stimmen hinzugefügt, so dass sich parallel verschobene Sextakkorde ergeben. Man hört einfach die Sextakkordkette, an Funktionen hat da noch keiner gedacht.

Grüße
Axel
 

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