Haben Lehrer Angst vor "zu lautem" Klavierspiel

R

Rubinstein

Dabei seit
9. Sep. 2012
Beiträge
13
Reaktionen
10
Hallo zusammen,

ein grundlegendes Problem in der Klavierpädagogik was mir bereits mehrfach aufgefallen ist, ist der Hang (sogar bedeutender Klavierlehrer) dazu, allzu große Kontraste (rhythmischer, agogischer, klanglicher Natur) in der Musik zu vermeiden.

V.a. klanglich haben viele panische Angst davor, dass ein Ton "zu laut" gespielt wird oder dass der Bass zu "wuchtig" klingt.
Infolgedessen passiert dann folgendes:

In nachfolgendem Video von Arie Vardi (den ich übrigens zum 1.Mal höre) schafft er es, jegliche Kontraste auf ein Minimum zu reduzieren, so dass die 1. Ballade so unglaublich fad klingt, wie ich sie noch nie gehört habe:




Das beunruhigende ist, dass er als einer der "besten" Klavierpädagogen weltweit gefeiert wird, aber grundlegend e musikalische Dinge ausser Acht lässt,
z.B. werden ganz banal die Halbschlüsse am Anfang nicht erkennbar abphrasiert (Dominante lauter) oder das Oktaven C ganz am Anfang als Fundament des darauffolgenden langgezogen auskomponierten Neapolitaners viel zu leise gespielt...etc...

Was mich zu der Frage führt, wo doch gerade ein Rubinstein oder Cortot die Melodiestimme exzessiv hervorgehoben haben, dröhnende Bässe und teilweise extremes rubato nicht gescheut haben - und der Einsatz dieser Stilmittel ihre Musik ja tatsächlich besser gemacht hat -

warum scheuen sich dann viele Pädagogen davor?
 
ein grundlegendes Problem in der Klavierpädagogik was mir bereits mehrfach aufgefallen ist, ist der Hang (sogar bedeutender Klavierlehrer) dazu, allzu große Kontraste (rhythmischer, agogischer, klanglicher Natur) in der Musik zu vermeiden.
ich kann dazu nur das genaue Gegenteil vermelden: die Hochschullehrer, mit denen ich im Studium zu tun hatten, legten größten Wert auf dynamische Kontraste!
 
Da haben wir es mal wieder: Man mag beliebig viele Fremdsprachen können - es findet sich immer eine, die man nicht versteht. :-( Mich hätten die Anweisungen/Erklärungen/Begründungen schon interessiert.
 
ich kann dazu nur das genaue Gegenteil vermelden: die Hochschullehrer, mit denen ich im Studium zu tun hatten, legten größten Wert auf dynamische Kontraste!

Ich wollte nicht den Eindruck vermitteln dass alle oder die meisten Klavierpädagogen so denken - ich hatte selbst immer viel Glück mit meinen Lehrern, die fast alle eine ähnliche Auffassung hatten und auf expressives Klavierspiel viel Wert legen.

Ausserdem meine ich mit Kontrasten nicht nur die Dynamik sondern v.a. die Differenzierung der Rhythmik eines Themas/Motivs und den (exzessiven) Gebrauch von Rubato (z.B. bei Schumann).

Nun zu dem Punkt, der mir bei div. Pädagogen immer wieder aufgefallen ist und in dem Video sehr gut zu erkennen ist:

Bei Vardi spielt sich alles innerhalb des mp -p Bereichs ab, jegliche Veränderungen hinsichtlich der "Schärfe" der Melodietöne lehnt er ab, auch das agogisch so wichtige "Hinspielen auf bestimmte Zieltöne" innerhalb/am Ende der Phrasen -
mit anderen Worten ist auf diese Weise das Erfassen der formalen Entwickung eines Stückes für den Zuhörer unmöglich und das Spiel wirkt dann richtig langweilig.

Ich finde das sehr schade, zumal dadurch viele junge Pianisten dahingehend konditioniert werden, nicht mehr "voll in die Tasten zu hauen" - und dann z.B. nur zögerlich zum Schlussakkord ansetzen...

Meiner Auffassung nach sollte hinsichtlich Rhytmik/Melodik/Agogik/Artikulation immer kompromisslos musiziert werden, selbst wenn das bedeutet, mal einen Klang zu wählen der eben nicht mehr schön klingt -
Emotionen sind auch nicht immer schön, aber authentisch.

Wie denkt ihr darüber?
 
Mein Eindruck in Konzerten ist eher ein ganz anderer: daß die wenigsten Pianisten in der Lage sind, ein ausdrucksvolles Piano zu spielen, auch mal Endungen verklingen zu lassen. Viele scheinen von der Angst besessen zu sein, daß man sie in den hinteren Rängen wohlmöglich nicht mehr kann.
 
Ich finde das sehr schade, zumal dadurch viele junge Pianisten dahingehend konditioniert werden, nicht mehr "voll in die Tasten zu hauen" - und dann z.B. nur zögerlich zum Schlussakkord ansetzen...

Meiner Auffassung nach sollte hinsichtlich Rhytmik/Melodik/Agogik/Artikulation immer kompromisslos musiziert werden, selbst wenn das bedeutet, mal einen Klang zu wählen der eben nicht mehr schön klingt -
Emotionen sind auch nicht immer schön, aber authentisch.

So ganz pauschal kann man das sicher nicht sagen. Der hier spielt z.B. nicht zögerlich und riskiert auch mal einen etwas schrofferen Klang:



Der Applaus gibt ihm Recht!:angst:
 
Tatsache ist allerdings, erst die Beherrschung der leisen Töne machen den Meister! Und das hört man auch, wenn doch mal ein ff sein muss.

Ich finde die Auffassung, Ausdruck käme nur durch vehementes Kontrastieren anstelle von nuancehaftem Akzentuieren zustande etwas seltsam im Zusammenhang mit Musik. Selbst starkes, kraftvolles und stimmungsschwankendes Spiel darf nie in bloßes in die Tasten hauen, oder im Gegensatz dazu leises Dahinhuschen verhunzt werden, sondern der Klang sollte immer Kunst dabei bleiben - und das hört man, im lauten und leisen und im Zueinander.
 
Diese Aufnahme von "Orage" ist doch wirklich die beste, @mick, findest Du das etwa nicht? :angst:Das kann ich gar nicht verstehen:lol:.
Ich will niemandem zu nahe treten, aber ich finde die Ballade im Klang schon am Anfang viel zu wenig differenziert. Keine Frage, ich koennte es natuerlich nicht so, und es tut mir auch leid, jemanden oeffentlich so zu kritisieren, aber poetisch finde ich die Wiedergabe ueberhaupt nicht, eigentlich ziemlich langweilig. Den Schlusz einfach viel zu viel im gleichfoermigen ff. Diese Beurteilung kann natuerlich auch an meinen schlechten Lautsprechern liegen, aber trotzdem ... so toll finde ich es nicht. Leider bin auch ich des Hebraeischen nicht maechtig. Insofern kann ich nicht verstehen, woran Arie Vardi tatsaechlich arbeitet, aber er scheint dem Pianisten mehr Klangbewusztsein geben zu wollen. Das faende ich in dem Fall durchaus angemessen. Ich finde auch viele Stellen recht "klobig" gespielt, der Begleitbasz am Anfang bollert voellig unpoetisch in die Melodie. Da ist wirklich kein droehnender Basz gefragt. Auch die Introduktion finde ich leider nicht gelungen. Es gibt einfach eine Vielzahl Punkte, welche die Wiedergabe fuer mich ziemlich unpoetisch erscheinen lassen, ich will sie jetzt nicht aufzaehlen. Das Pedal finde ich auch nicht gut. Aber bitte, ich waere froh, wenn ich die Ballade so spielen koennte...
Also @Rubinstein ich kann Deine Befuerchtungen nicht nachvollziehen. Alle mir bekannten (Hoch)schullehrer verlangen Kontraste, aber natuerlich sinnvolle, keine unmotivierte Kraftmeierei, kein unpoetisches Geholze. Mit "poetisch" meine jetzt keine "Streichelzoo-Wiedergabe" sondern eine, die den musikalisch poetischen Ausdruck wiedergibt.
Jannis
 
In nachfolgendem Video von Arie Vardi (den ich übrigens zum 1.Mal höre) schafft er es, jegliche Kontraste auf ein Minimum zu reduzieren, so dass die 1. Ballade so unglaublich fad klingt, wie ich sie noch nie gehört habe:

Nachdem ich nun das Video voll gesehen haben - und auch ein bisschen Hebräisch verstehe - denke ich, du hast den Lehrinhalt missverstanden. Es geht nicht um Laut und Leise, expressive Agogik und co., sondern es geht um unreifes und reifes Spiel.

Der Schüler fällt auf durch abgehacktes Spiel, schmalzigen ritardando, die den Fluss der Melodie unschön verzerren, Einsatz von laut und leise als Kontraste und weniger als dem Ausdruck der Musik folgend. Schon allein der Anschlag ist soviel unreifer als von dem Lehrer.

Man siehe mal beispielhaft ab 39:40 min:

Es geht um das "anfängerhafte" Akkordanschlagen, welches der Lehrer parodierend nochmal nachmacht - seit 40 min hat er erklärt, dass er das so nicht passend für diesen Chopin empfindet....


Überhaupt geht es darum, die Melodie im Fluss durchklingen zu lassen, die Ergänzung der Hände harmonisch zu verstehen und nicht als polyphones gleichberechtigtes nebeneinander. Also ich würde es mit dem Bild eines Gebirgsflusses umreißen, er fließt bergab, umspült Steine und HIndernisse, ist mal schneller, mal langsamer - aber er fließt kontinuierlich kongruent mit beiden Händen - es gibt kein Wehr und auch kein Sturzbach..... und genau das ist doch was Chopin ausmacht - zumindest in dieser Ballade......(zu unrecht wurde Chopin deswegen ja auch als Salonpianist abqualifiziert.....)
 
Lassen wir Rubinstein selbst sprechen: ab 4:oo



Er benutzt das Wort nobel, und er spricht ebenfalls von Melodie und will kein Bam, Bam ,Bam unabhängig von Lautstärke......
 

Ich wollte es ja nicht ganz so hart wie @elli ausdruecken, aber ich dachte ungefaehr das Gleiche. Offenbar versucht ja auch Arie Vardi genau daran zu arbeiten.
Jannis
 

Rubinstein war der erste an den ich bei diesem thread-Titel gedacht habe. :zunge:

Meiner Meinung nach hören sich viele Profis ziemlich gleich an, eben wegen dem sehr glattgebügelten Spiel (Bei der ersten Runde des Chopin-Wettbewerbs dieses Jahr hatte ich z.B. wieder den Eindruck). Technisch perfekt und gefühlvoller Anschlag, aber genau deswegen eher langweilig.

Nicht umsonst hat sich ja auch Horowitz als "letzten Individualisten" beschrieben.
() (Bei 4:14)
 
Meiner Meinung nach hören sich viele Profis ziemlich gleich an, eben wegen dem sehr glattgebügelten Spiel (Bei der ersten Runde des Chopin-Wettbewerbs dieses Jahr hatte ich z.B. wieder den Eindruck). Technisch perfekt und gefühlvoller Anschlag, aber genau deswegen eher langweilig.
Genau das ist der Punkt, das Spiel ist nicht langweiliger geworden, sondern die Kunst des Spielens ist immer perfekter und damit natürlich auch das Ergebnis, bzw. die Ergebnisse. Andernorts wurde immer von der Achtung vor dem Komponisten gesprochen, Analysen, Expertisen versuchen immer mehr aus dem Werk herauszukitzeln, wie es vom Komponisten gemeint war - und je mehr man zu ähnlicheren Erkenntnissen kommt, um näher natürlich auch die Interpretation.

Es ist wie beim 100 m Lauf, es unterscheiden nicht mehr Sekunden, sondern 100tel Sekunden, im Prinzip laufen alle Läufer optimal.

Im Zusammenhang mit Chopin finde ich allerdings die Diffamierung zu "glattgebügeltem" Spiel heftig - Chopin war ein Musiker der Salons, er hat keine orchestralen Geschichten erzählt, sondern die Musik selbst spricht und zwar singend, deshalb der Bogen, der über das ganze Stück gespannt wird, das Ineinanderklingen, nicht eine Tam Tam Begleitung, sondern ein harmonisches Ineinanderverweben sich hingeben wollen - Betonung auf wollen.
 
Genau das ist der Punkt, das Spiel ist nicht langweiliger geworden, sondern die Kunst des Spielens ist immer perfekter und damit natürlich auch das Ergebnis, bzw. die Ergebnisse.

Es ist wie beim 100 m Lauf, es unterscheiden nicht mehr Sekunden, sondern 100tel Sekunden, im Prinzip laufen alle Läufer optimal.

Willst du damit sagen, dass die großen Individualisten a la Horowitz und Richter mit heutigen Konzertpianisten nicht mithalten können?

Dieser Vergleich hinkt ja wohl extrem. Im Hinblick auf den technischen Aspekt mag das stimmen (oder auch nicht, die Implikation ist ja auch, dass Rachmaninoff, Liszt und Scriabin technisch weit von heutiger Perfektion entfernt waren), aber beim Klavierspielen gibt es, anders als beim Sport, nicht nur ein definitives Endergebnis, an das sich Pianisten heutzutage angenähert haben.

Edit: Und darüber, ob Perfektion und Langweilig keine Schnittmenge haben kann man sich auch streiten :^)
 
Perfektion und neue Interpretation schließen sich nicht aus. Im folgendenVideo wird nicht nur sanft salonmäßig gespielt, aber trotzdem die in den Masterclass videos beschworenen melodiosen Aspekte berücksichtigt -also kein BAM BAM und kein polyphones Gegeneinander:
 
Um nochmal auf den Punkt des Eingangsfaden zu kommen, unkonventionelles Spiel entwickelt man meiner Meinung nach nicht unter der Fuchtel eines Lehrers, sondern -bei vorhandener Technik- aus einem selbst heraus. Man höre WTK I in folgender Aufnahme und Lese dazu die Kommentare auf you tube, die Meinungsäußerungen selbst sind z.T Kunst....
 
Um nochmal auf den Punkt des Eingangsfaden zu kommen, unkonventionelles Spiel entwickelt man meiner Meinung nach nicht unter der Fuchtel eines Lehrers, sondern -bei vorhandener Technik- aus einem selbst heraus. Man höre WTK I in folgender Aufnahme und Lese dazu die Kommentare auf you tube, die Meinungsäußerungen selbst sind z.T Kunst....


Vielen Dank für den Link. Toll auch ihr zuzusehen, schöne Aufnahme!
Sie spielt lustigerweise die ganze Zeit mit geschlossenen Augen.
Tolle Bewegungen, da ist nix Aufgesetztes wie bei Klassenkasper Lang Lang und anderen, die schmachtend in die Kamera grienen und weitausladende sinnfreie Effektbewegungen einstreuen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Perfektion und neue Interpretation schließen sich nicht aus. Im folgendenVideo wird nicht nur sanft salonmäßig gespielt, aber trotzdem die in den Masterclass videos beschworenen melodiosen Aspekte berücksichtigt -also kein BAM BAM und kein polyphones Gegeneinander:


Das Video unterstützt meine Meinung nur. HJ Lim mag ich auch sehr gerne! Aber gerade *weil* ihre Interpretationen unkonventionell sind und aus dem Einheitsbrei herausstechen.

Und ich behaupte mal ganz frech, dass Rubinstein und der Pädagoge aus dem OP an ihrer Interpretation sehr viel auszusetzen hätten.
 

Zurück
Top Bottom